Seltene U-Bahn-Konzerte

Es kommt die Zeit in der man sich möglichst nicht mehr bewegen möchte. Theoretisch möchte man gerne sitzen oder liegen. Theoretisch deswegen weil bequemes Sitzen und Liegen freilich nur noch eine schöne Erinnerung der Vergangenheit ist. Tatsächlich verursacht jedes Sitzen und Liegen, das länger als fünf Minuten anhält Atemnot weil der mächtige Bauch auf Zwerchfell und/oder Hauptschlagader drückt. Das ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass man praktisch selten Stehen möchte.
Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Rush-Hour werden deswegen schnell zur Qual. Die Sommerschwangeren haben da vielleicht den Vorteil, dass ob der dünnen Leibchen, die sie tragen können, so manch einen Menschen das Erbarmen packt und er seinen Platz frei gibt. Die Winterschwangere an sich ist ob des Mantels nicht leicht für die Umgebung zu identifizieren. Sie sieht einfach aus wie eine unförmige Tonne und wer will schon seinen Platz für eine unförmige Tonne freigeben?
Wenn der Rücken also schmerzt, die Beine vor Wasserablagerungen spannen und der Bauch krampft, dann knüpfe ich mein Mäntelchen auf und hänge meinen Bauch heraus.
In der Regel gibt es dann zwei mögliche Reaktionen.
A: Meine Mitfahrer sehen den Bauch und starren plötzlich wie hypnotisierte Kaninchen in ihre Reiselektüren, auf die Werbung an den Abteilwänden oder bewundern ihre Schuhe.
Wenn so was passiert, dann suche ich mir in der vollen U-Bahn ein Opfer aus, dessen Gewissen ich wenigstens für die gesamte Fahrt malträtiere. Ich stelle mich ganz nah an ihn ran und halte ihm, der ja sitzt, meinen dicken Bauch genau ins Gesicht. Dazu mache ich ein leidendes Gesicht und manchmal stöhne ich vor Schmerz.
Sollte ich keinerlei emotionale Regung in seinem Gesicht feststellen, so zücke ich mein Handy und spreche Sätze wie „Ach ja, das zusätzliche Gewicht ist eine wahre Folter, wenn man schwanger ist“ oder „Ja, ja, der letzte Schwangerschaftsmonat ist ob des Körpergewichts und der –ausmaße sehr anstrengend . Aber kannst Du Dir vorstellen, wie schrecklich erst die Geburt sein wird, wenn sich das Kindlein mit dem großen Kopf durch meine zarte Vagina pressen wird?“ hinein.
Sollte auch das nicht helfen, so verschütte ich schnell mein Reisegetränk auf den Knien des unwilligen Sitzers, hechele in kurzen Abständen und stöhne dann die Worte „den Schmerz wegatmen, den Schmerz wegatmen“ vor mich hin, rufe meinen Freund an und berichte mit leiser gequälter Stimme, dass mir soeben die Fruchtblase geplatzt sei.
Der Unwilligkeit einer armen, bemitleidenswerten Schwangeren Platz zu machen steht Verhaltensvariante B gegenüber.
Da betrete ich die U-Bahn und die erste ruft „Wollen Sie meinen Platz?“. Wenn ich nur wenige Stationen fahren muss, so erfreut und stärkt mich dies freundliche Nachfrage so sehr, dass ich keine Sitzgelegeheit benötige und so antworte ich laut und freundlich: „Nein, danke, ich fahre nur wenige Stationen. Ich möchte mich aber für ihren Großmut bedanken!“
Kaum ist der Satz ausgesprochen fragt in der Regel ein weiterer Mensch weiter hinten, ob ich vielleicht seinen Platz haben möchte. Sobald er die letzte Silbe ausgesprochen hat, erklingt ein mehrstimmiger Chor aus Stimmen der anderen Mitreisenden, die auch alle möchten, dass ich mich auf ihren Platz setze.
Ich laufe dann kopfschüttelnd durch das Abteil und heiße die Menschen mit wedelnden Armbewegungen sitzen und stimme in deren Gesang ein in dem ich melodisch passend immer wieder wiederhole: „Viiiiiihhhhiiiilen Daaahhhaaaaank aaaberrr ich muhhhuuuusss glaaahhhaaaaich aaaahhhaaaustaaaaahhhaaaaigäääääähhhäänn.“  
Das gibt ein schönes U-Bahn-Konzert und ich erreiche gut gelaunt meinen Zielort.

Der garstige Anblickszwilling

Gestern fragt mich eine Wurstverkäuferin doch tatsächlich, ob es mir irgendwie nicht gut geht. Das muss man sich mal vorstellen! In Berlin!
Ja was solls, mag der Leser aus der Provinz sagen. Ne, ne, ne!
Wer in Berlin lebt, der weiß wie scheiße man aussehen kann. Augenränder, eitrige Pickel, Ekzeme, offene Wunden. Alles kein Grund jemanden anzusprechen, dass er schlecht aussehe.
Das geht mir durch den Kopf, als die Fleischereifachverkäuferin mich mitleidig über den Tresen anblickt und versonnen ihr Mett streichelt.
„Hach, danke mir geht’s aber nicht schlecht,“ fletsche ich mein bestes gekünsteltes Lächeln.
Sie schüttelt den Kopf „Wollen se vielleicht ein Glas Wasser, se sehen wirklich nich jut aus.“
„Mir geht es hervorragend, aber danke für ihre Sorge,“ wieder versuche ich den Eindruck des frischen Frühlings in Person zu machen.
„Se sinn doch öfter hier, hm? So mit schwarzer Felljacke sons?“
„Hab keine Felljacke, sie verwechseln mich wohl.“
„Ach?“
„Ja.“
„Na die andere sieht aber echt besser aus, wa?“
„Vielen Dank auch.“
„Nu wenn et ebben so is?“
[…]
„500 Gramm handwarmes Fleischmett mit Zwiebeln bitte.“

Zollt dem Gemüse Respekt!

Neuerdings ist es Mode sich regionales Gemüse und Obst mit DHL wöchentlich zustellen zu lassen. Selbstredend Bio und auch gibt es einen Wertschätzungsbeauftragten, der sich bei jeder Möhre, die dem Erdreich entrissen wurde, für ihre Existenz und ihren Nährstoffgehalt persönlich bedankt.
Unser Nachbar hat so ein Gemüsepaket und weil er in den Urlaub fuhr und vergaß es abzubestellen, haben wir nun dieses Gemüsepaket.
Ich hätte nicht gedacht, dass ein Gemüsepaket so aufregend sein kann und möchte aus der persönlichen Erfahrung heraus jedem ans Herz legen, sich ebenfalls so ein Paket schicken zu lassen. Es ist riesig und man packt gut eine halbe Stunde aus. Es empfiehlt sich, die gesamten Pflanzen und gereiften Fruchtstände am Küchentisch auszubreiten, denn die Bestimmung der Dinge, nimmt eine weitere Stunde in Anspruch. Auch wenn die Mohrrüben nicht genmanipuliert kegelförmig und die Kartoffeln einheitsrund sind, kann davon ausgegangen werden, dass eine Zuordnung ohne größere Schwierigkeiten möglich ist. Als nächstes kommen die Salatköpfe, von denen eigentlich völlig egal ist, was sie genau sind, denn einzig und alleine zählt, dass es sich um Salat handelt, den man mit irgendeiner Fertigpampe einem liebevoll zubereiteten Dressing verspeisen kann.
Als nächstes kommt das Grüngestrüpp bei dem man ob seiner Größe schon nicht mehr sicher sein kann, ob es sich um Mangold, Blattspinat oder Monsterpetersilie handelt.
Am Ende bleibt das Zeug. Das Zeug lässt sich ausschließlich mittels Internet bestimmen.
Dabei ist maßgeblich, dass man die richtigen Suchstichworte in die Suchmaschine eingibt.
„Rund grün wahrscheinlich essbar“ ergibt beispielsweise nur unzureichende Ergebnisse. Wohingegen „Schale dünn, außen violett bis weiß gefärbt, inneres fest, weiß, kernlos, leicht muffiger Geruch“ sofort die richtige Antwort gibt.
Denn, so ist die Wahrheit, was man in dreißig Jahren noch nie gesehen hat, kennt auch Google nicht und was Google nicht kennt, das gibt es nicht.
Man wirft den ganzen Schmodder also einfach in einen Kochtopf und macht Eintopf.

Nur noch 35 Grad, tolle Tipps gegen die Hitze

Jetzt ist es hier endlich wie in Sizilien. Alles verdorrt und man schwitzt an Stellen, von denen man bisher nicht mal im entferntesten ahnte, dass sie überhaupt schwitzfähig sind.
Meine Favoriten: zwischen den Zehen und Fingern schwitzen, hinter den Ohren schwitzen, um die Nasenflügel herum schwitzen.
Da überlegt man sich schon irgendwann, ob man es so macht wie die Rentnerinnen und einfach immer ein Tuch mit sich führt und sich munter trocken tüpfelt.
Besonders schätze ich die Tipps der Tagespresse, die einem erklären, wie man das Leben bei 37 Grad erträglicher macht.
Gestern in der Süddeutschen: Der Körper fühlt sich am wohlsten bei 30 Grad. Allerdings nur bei völliger Bewegungslosigkeit. Dehnen sie deswegen ihre Siesta von 12 auf 17 Uhr aus. Verlegen sie alle Aktivitäten in die späten Abendstunden*.
Super. Ich stelle mir deutsche Büros vor und wie darin regungslose Menschen sitzen. Ab und zu klingelt das Telefon (Kunden aus Finn- oder Grönland) aber niemand geht ran. Nur die Augen der Chefs bewegen sich ganz langsam erst zum klingenden Telefon und dann zu den Angestellten. Die sehen das aber nicht, weil sie sich ja nicht bewegen dürfen.
Mein Tipp also: Stellen Sie sich nen Block Trockeneis ins Büro und übergießen sie ihn mit Wasser. Der entstehende Nebel kühlt sehr angenehm.

*Vermutlich ein Grund warum der Spielplatz vor unserem Haus des nächtens zum beliebten Vögelplatz geworden ist. Zuhause ist ja wirklich viel zu warm!

Schlägertrupp gesucht

Damit der gemeine Dieb, der aus dem Hinterhof Fahrräder klaut, mal verhauen wird. Beklaut werden ist so super ätzend. Da ist es echt vorbei mit der Nächstenliebe.

Ich wünsche dem Dieb für den Rest seines Lebens die überlriechensten Blähungen der Welt, wenn er a) einen wichtigen beruflichen Termin oder b) ein romantisches Date hat. Und Zahnwurzelkaries.

Put your phones in the air for Germany

Vor noch zwei Jahren wäre ich gestern auf dem Depeche-Mode-Konzert in der Waldbühne gewesen. Leider stellte ich nach dem letzten und somit ca. zehnten Depeche-Mode-Konzert in Folge fest, dass ich keine Depeche-Mode-Konzerte in meinem Leben mehr brauche. Die neue Platte ist unerträglich und die Publikumsreißer der Achtziger, die sonst gespielt werden, hängen mir zu den Ohren raus.
Also war ich gestern beim Black Eyed Peas Konzert, zu dem ich sogar meinen Brit-Pop-Freund überreden konnte. Schön sah er aus, mit seiner Brit-Pop-Frisur unter den ganzen Yo-Man-Hip-Hop-Jogginganzugträgern.
Mit Rücksicht auf unser Alter hatten wir Sitzplätze in der Rentner- und Familienloge erworben. Wunderbar. Neben uns total aufgeregt kichernde präpubertierende Mädchen mit Deutschlandflaggennagellack: „Geht’s jetzt los Papa? Geht’s jetzt los?“. Hinter uns verpickelte Typen, bei denen ich befürchtete, dass sie aufgrund ihres überhöhten Testosteronwertes jeden Moment ejakulieren könnten „Yoyo I wanna see your boobs, ha, ha“. Vor uns freie Sicht auf die Bühne und mit uns die Angst, welche Konzerte wir wohl mit unseren Kindern besuchen werden müssen.
Die Mädchen machten sich vor Begeisterung fast in die Hose, trauten sich jedoch nicht aufzustehen und zu tanzen. Folglich mußten die Väter das Ganze vormachen, damit sich die Kinder locker machen konnten. Ich will mir die Qualen gar nicht ausmalen, wenn ich eines Tages zu Tokio Hotel oder schlimmeren (Virgina Jetzt!) Begeisterung heucheln muss.
Die schlecht vermarktete World-of-Football-Arena blieb bis zum Ende nur halb voll. Aber was soll man anderes erwarten, bei einem Projekt, dass sich auf einer ausschließlich flashbasierten (Version 7.0) Seite präsentiert.
Die Vorgruppe war grauenerregend langweilig und der darauffolgende Umbau dauerte eine weitere halbe Stunde. Kein Wunder also dass der Großteil der erfahrenen Berlinkonzertbesucher erst um 21.30 Uhr erschien. Eine weitere Viertelstunde später ging es los und schon nach den ersten zehn Sekunden war klar, das Warten hatte sich gelohnt.
Insgesamt spielten die Black Eyed Peas rund 1.5 Stunden, in denen sie wiedererkennbar ca. sieben Lieder performten. Der Rest war Improvisation oder Abwandlungen von anderen bekannten Liedern. U.a. zu meiner großen Freude Sweet Child of Mine von den Guns and Roses und Jump Around von Cypress Hill House of Pain.
Dafür liebe ich die Black Eyed Peas. Auch für ihre instrumentelle Untermalung der Lieder mit E-Gitarren, Schlagzeug, Saxophon und Trompete, die mindestens 70% tatsächlich live eingesetzt wurden. Fergie hat eine Stimme die man eigentlich nicht als Stimme sondern als Organ bezeichnen muss (Wie gerne würde ich Sweet Child of Mine hochladen, wäre es nur nicht so furchtbar verboten!) und Will.I.Am atmet ganz offensichtlich ausschließlich durch die Ohren. Zu meinem Erstaunen sind Apl.de.ap und Taboo zu 80% optisches Beiwerk und singen so gut wie gar nicht. Die Bandmitglieder haben während ihres Auftritts eifrig gefilmt und fotografiert und kündigten an, dass das Material bald auf deren offizieller Seite zu bewundern sein wird.
Sehr schönes Sommerkonzert mit einer sehr publikumsnahen Band, das mir mal wieder mein Alter vor Augen geführt hat. Statt Feuerzeuge, werden jetzt nämich Handys in die Luft gehalten. Unglaublich!

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Der rote Ballon

Kürzlich ist mir aufgefallen, dass alle Misanthropen hässlich sind. Dabei verhält es sich ein bisschen wie die Sache, die Max Goldt mit den Röhrenjeans beobachtet hat. Man wird nie wissen, ob die Drogenabhängigen am Bahnhof gerne Röhrenjeans tragen oder ob sie erst Röhrenjeans tragen und dann mit den Drogen anfangen, weil sie die Schmerzen, welche die viel zu engen Hosen verursachen, sonst nicht aushalten können.
Es stellt sich also die Frage, ob Misanthropen erst hässlich sind und aus diesem Frust heraus beginnen, die anderen Menschen zu hassen oder ob sie erst die Menschen hassen und vor lauter Hass hässlich werden.
Zumindest etymologisch hängt das zusammen. Hässlich kommt von hetlik und bedeutet „Hass erregend“ Erst in frühneuhochdeutscher Zeit wandelt sich das Wort hässlich zu dem Gegensatz von schön.
Jedenfalls gehen mir die freilaufenden Misanthropen besonders zur Sommerzeit auf die Nerven. Je besser man selbst gelaunt ist, desto eher zieht man einen dieser Gewitterwolken vor sich hertreibenden Menschen an.
So kam ich heute zum Beispiel mit dem Kind fahrradfahrend vom Spielplatz. Wir fuhren die Karl-Marx-Allee entlang, deren Fußgängerweg ca. 15 Meter breit ist. Schließlich mussten dort alle Bürger der DDR hinpassen, wenn man mit den Panzern auf der Straße Parade fuhr, um dem Westen säbelrasselnd zu zeigen, wer man war.
Wir fuhren Schlangenlinien. Große gegenläufige Schlangenlinien, die wir akustisch mit AhhhhaaaaaaaaaaahhhAAAAAAAAHHHHHHHaaaahhhhhAAAAAAAAHHHHHH untermalten.
Da kam eine Kolossfrau stampfend auf mich zugerannt und zog mich, ich schwöre!, vom Fahrrad und brüllte mich an, das Fahren auf dem Gehweg sei verboten. Ich entgegnete ihr zunächst freundlich, dass es v.a. mit einem Kind, das jünger als acht Jahre ist, nicht verboten sei. Doch, doch das sei es, röhrte sie, dass mir Spuckefäden ins Gesicht flogen. Nein, nein, teilte ich ihr nun auch ein wenig aufgebrachter mit. Von mir aus möge sie doch gleich die Polizei rufen, da könne sie sich eine Lektion in Verkehrsrecht abholen.
Die Walküre packte mich am Arm und rief: Na und? Aber Schlangenlinien sind sie gefahren! Das dürfen sie nicht!
–    Warum nicht? Ich störe doch niemanden. Weit und breit ist niemand, dem ich auch nur näher als drei Meter gekommen wäre!
–    Unverantwortlich ist das, dem Kind so was beizubringen.
–    Das muss das Kind lernen, damit es Hindernissen ausweichen kann
–    Der Gehsteig ist für die Fußgänger!
–    Der Gehsteig ist für alle solange sie sich nicht schaden!
–    Verhaften sollte man sie! Unverantwortlich sind sie!
Während das Weib so zeterte, fiel mir ein, dass ich dem Kind schon lange mal erklären wollte, was ein Misanthrop ist.
– Schau liebes Kind, das ist ein Misanthrop sprach ich. Ein Misanthrop ist im Gegensatz zum Philanthrop jemand, der die Menschen nicht leiden kann.
–    Ja aber warum kann er keine Menschen leiden?
–    Das weiß niemand, nicht mal der Misanthrop selbst.
–    Komisch
Ja sehr komisch, stimmte ich zu und wandte mich von der Hexe ab. Wir fuhren in Schlangenlinien davon, während der Misanthrop sich immer mehr aufregte, rot wurde, sich aufblähte und gen Himmel fuhr.
Aus der Ferne betrachtet, sah er aus wie ein Luftballon. Ein roter Luftballon, der ruhig in den blauen Himmel schwebte. So mag ich ihn viel lieber, dachte ich und brauste mit dem Kind davon.