Gastbeitrag| Schüssel zum Glück

Lifestyle pur - der alltägliche Perfektionismus
So frühstücken Bloggerinnen wenns mal schnell gehen muss. Quelle: Pixabay.com @jill111

Nachdem es jetzt schon auf mehreren Blogs Postings zu den Themenfeldern Perfektionismus, Stress, Anspruchshaltung (z.B. hier, hier) gab, möchte ich noch eine Perspektive hinzufügen.

Ich liebe schöne Photos. Ich esse gerne. Ich mag tolle Wohnungen. Ich müsste demnach eine perfekte Followerin diverser DIY-/Lifestyle-/Wohn-/Food-/Photo-Blogs sein. Und ich bin es auch. In meinem Feedreader befinden sich zahlreiche Kategorien und „Sewing“ (das sind wir! Yay!) ist nur eine von vielen.

Ich habe aber ein Problem mit diesen Blogs und das betrifft ihre Professionalisierung.

Versteht mich hier nicht falsch – ich finde es ganz toll, wenn Frauen ihre Talente, die sie in den meisten Fällen im Internet kostenlos zur Verfügung stellen, nutzen, um Geld zu verdienen.

Und in vielen Fällen läuft das schon lange so. Da werden DaWanda-Shops gefüllt, Schnittmuster verkauft, und andere Shops beworben. Ich bin großer Fan davon, Frauen an bezahlter Lohnarbeit partizipieren zu lassen, denn dies ermöglicht so viel mehr: Öffentlichkeit, Mitbestimmung, Teilhabe.

Wovon ich nicht so großer Fan bin, das ist die Bezahlung. In DaWanda-Shops werden zu großen Teilen (und ich spreche hier mal von in Deutschland genähten Kleidungsstücken, da kann ich ungefähr abschätzen, wie viel Arbeit das ist und was das für den Stundenlohn bedeutet) Klamotten verkauft, die viel, viel, viel zu billig sind. Ein Rock mit Reißverschluss und Taschen für 35 Euro. Wie soll das gehen mit einem vernünftigen Stundenlohn (man denke nur kurz an so etwas wie Kranken- oder Rentenversicherung), Materialkosten, womöglich gar Raummiete?

Ähnliches kenne ich von wohlmeinenden Kooperationsangeboten verschiedener Firmen. Da bekommen Bloggerinnen Produkte gestellt, die sie testen sollen, oder auf ihren Blogs verlosen und dafür gibt es Kohle.

Die Beträge sind nicht gerade die Welt, wenn man bedenkt, dass Bloggerinnen nicht nur hohe Klickzahlen haben, sondern vor allem etwas nahezu Unbezahlbares, das Vertrauen ihrer Leser_innen. Unternehmer_innen dieser Welt, bezahlt das gefälligst angemessen. Aber. Ich liege auch – und das nicht nur derzeit, aber im Adventsmonat Dezember ganz besonders – im Clinch mit den Bloggerinnen.

Die Professionalisierung der Blogbetreiberinnen hat vor einiger Zeit angefangen, nimmt aber in den letzten ein, zwei Jahren deutlich an Fahrt auf. Die Photos werden besser, die Texte geschliffener, die Kooperationen zahlreicher. Gleichzeitig – und das ist das Schwierige – bleiben die Blogschreiberinnen die Frauen, die wir schon lange kennen.

Vermutlich sogar noch aus Zeiten, wo es nicht jeden Tag ein Blogposting gab, wo nicht Verlosungen, bezahlte Trips und perfekte Photos von perfekten Tischen mit perfektem Essen, perfekten Freund_innen und perfekter Familie den jeweiligen Blog beherrschten.

Wir vertrauen diesen Menschen als Privatmenschen, dabei sind sie längst ein Teil ein gut funktionierenden Industrie geworden. Und – versteht mich nicht falsch – auch das ist eine Entscheidung, die ich nachvollziehbar finde. Natürlich ist das ein Pfund, mit dem zu wuchern ist. Und für die meisten ist die Trennung zwischen Beruf und Privatleben als Bloggerinnen vermutlich kaum durchführbar.

Wenn Schauspielerinnen zu wenig wiegen und einen „perfekten“ Körper haben, dann ist mehr oder minder klar, dass dieser Körper ihr Kapital ist. Aufgabe ihres Lebens ist es nicht nur, Texte auswendig zu lernen, sondern eben auch eine Projektionsfläche für Sehnsüchte zu bieten. Diese Projektionsfläche beinhaltet scheinbar selten Röllchen bis Rollen am Bauch, Cellulitis, Pickel, dünne Haare oder schiefe Zähne. Got this.

Bloggerinnen zeigen uns ebenfalls Perfektionismus, in Hochglanz dargestellte Wohnungen, abwechslunsgreiche Deko, verführerisches Essen. Perfekte Postings professionalisierter Bloggerinnen sind eine notwendige Voraussetzung für bestehende und kommende Kooperationen. Zugleich nehmen sie aber in Anspruch, dass sie „eine von uns“ seien.

Eine klare Trennung von Blogberuf und Privatperson ist nicht möglich, wird aber auch nicht angestrebt. Das ist auf mehreren Ebenen zumindest bemerkenswert.

Zum Einen führt das offensichtlich zu Stress in der Blogsphäre; die Beispiele nannte ich bereits.

Zum Anderen erweckt die maskierte Professionalisierung Sehnsüchte, die sich scheinbar nur durch Konsum befriedigen lassen.

Die perfekten Kissen, das tolle Geschirr, die gute Kamera, das soll alles uns gehören – die konkrete Schüssel zum Glück – das soll alles uns gehören. Und dann, dann kriegen wir auch alles so locker-flockig auf die Kette, ist die Wohnung niemals unordentlich, sind wir schlank, gesund, witzig, haben tausend Freund_innen, kochen wunderbares Essen, bauen unseren Kindern Butterbrote mit Gesichtern drauf, haben eine erfolgreiche Beziehung, werden dauernd gelobt für unsere Deko und sind niemals erschöpft.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht; an verschiedenen Ecken erwacht die Diskussion, die meines Erachtens dringend notwendig ist.

Ich freue mich darauf und verbleibe mit komplett werbefreien und relativ unperfekten Grüßen,

Eure Frau Kirsche

29 Gedanken zu „Gastbeitrag| Schüssel zum Glück“

  1. fujolan sagt:

    Danke!

  2. Chris sagt:

    Solche perfekten Welten bedienen die Sehnsucht vieler Menschen. Deswegen gibt es auch solche Happy-Ever-After Romane und diverse Schnulzen-Filme im Weichzeichner-Look. Es gibt ein Bedürfnis danach und das wird auch durch diese perfekten Blogs befriedigt.

    Für mich ist das nichts – ich folge solchen Blogs nicht, denn mit meinem Leben haben die nichts zu tun. Ohnehin ist das nur Fassade und unter Garantie nicht die Realität. Bei einigen Fotos – gerade von Essen – sehe ich regelrecht welches Ford Stile Buch die Autoren gelesen haben. Da wird auch mal Haarspray auf die Erdbeeren gesprüht um Glanz zu erzeugen.

    Mir gibt das nichts und ich suche in Blogs nach Bereicherung, Interessantem und dem Leben – ganz so wie es eben ist: abgefahren, manchmal mit üblem Geruch, aber eben immer real.

  3. Salka sagt:

    Die viel zu niedrigen Preise auf Dawanda sind ein großes Problem für alle, die im Bereich Handwerk und Handarbeiten ihr Geld verdienen. Es kauft eben niemand beim professionellen Maßschneider, Handweber, Spielzeugmacher, Textildesigner und wie sie alle heißen, wenn man es bei Dawanda schnell und billig bekommen kann von Menschen, die das als Hobby machen oder als netten Zuverdienst und eben nicht über Stundenlöhne, Krankenversicherungen, Rente oder ähnliches grübeln müssen.
    Das ist der Grund, warum ich meine (Hobby-)Handarbeiten nicht verkaufe, sondern nur vertausche, weil die Preise, die ich gerechtfertigt verlangen müsste, niemand zahlen will.

  4. rt sagt:

    ach wie wunderbar! steht alles drin was ich selbst meine aber nicht so präzise hätte formulieren können!

    <3

    (mir fällt da immer der spruch "stop the glorification of busy" ein….)

  5. heibie sagt:

    Am Anfang fehlen zwei Links. Und wir haben doch grad nicht Dezember.
    Ansonsten: Volle Zustimmung.

    gez. Mr. Perfect

    1. Frau Kirsche sagt:

      Der Artikel ist vom Dezember 2013 und damals auf meinem eigenen – mittlerweile nicht-öffentlichen – Blog erschienen. Ich hoffe, Sie verzeihen die Unstimmigkeiten, Mr. Perfect ;)

      1. heibie sagt:

        Akzeptiert. Aber wo gehen die Links hin?

  6. RonjaMama sagt:

    Bin begeistert!!
    Besonders junge“Neumamas“ werden meiner Ansicht nach von den perfekten Bildern in die Illusion gerissen,es müsste bei ihnen auch so aussehen,so sein.

    Was mich zunehmend ist außerdem die versteckte Werbung in liebevoll kitschigen Artikeln!

  7. Tigerbabe sagt:

    Bin zu 100% Ihrer Meinung. Allerdings die Künstlichkeit und Aufgesetztheit dieser Perfektionistinnen Blogs ist ja doch deutlich zu merken. Ich sehe mir gerne die hübschen Bildchen an, würde das aber nie für bare Münze nehmen. Kein Mensch ist immer glücklich, wohnt in unfassbar tollen Lofts, hat nie Probleme und bäckt von morgens bis abends Muffins. Dazwischen gibt es dann Botox oder Detox oder wie der Scheiß heißt. Für mich ist das reine, etwas kindliche Unterhaltung, die man liest und vergißt, das richtige Leben sieht anders aus.

  8. Mama notes sagt:

    Jammernde, meckernde, unperfekte Momente thematisierende, mit eher schlechten Fotos und trotzdem professionalisierte Grüße. ;)
    Die Diskussion finde ich trotzdem wichtig. Ich sehe da aber mehr Grauwerte. Vermutlich weil ich auch auf kleinere professionalisierte Blogs schaue?

  9. Suzie sagt:

    Och naja – zu perfekten Blogs folge ich nicht, weil mich das nur runter zieht & mir zeigt, wie wenig perfekt ich bin… Da folge ich lieber den „Nörgellieschen´s“. Hingegen bei Zeitschriften sieht es anders aus – da möchte ich die perfekte Bilderbuchwelt, weil ich das Durchblättern dort zur Entspannung nehme. Hat also alles seine Daseinsberechtigung.

  10. @dasnuf @frkirsche die „hier und hier“ Links am Anfang gehen nicht. ;)

  11. Anke sagt:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Gerne gelesen
    *****************/KOMMENTAROMAT**********************

  12. Komplett werbefreie, oft im Blog jammernde, meckernde, gelegentlich den Rahmen sprengende und ebenfalls unperfekte Grüße zurück. Gerne gelesen!

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