Keine Lösungen, aber viele Fragen

An #aufschrei kann niemand, der auf Twitter aktiv ist, vorbei lesen. Es ist viel geschrieben worden und ich möchte an dieser Stelle auf zwei Artikel verweisen, die das Thema sehr differenziert von unterschiedlichen Perspektiven beleuchten:

#Aufschrei – es geht nicht um mich und Derailing und die Lämmerfrage

Ich kann nur jeden ans Herz legen, auch die in den jeweiligen Artikeln verlinkten Beiträge anderer BloggerInnen zu lesen und sich ein bisschen tiefer mit dem Thema zu beschäftigen.

Natürlich spielt das Thema für mich eine Rolle, weil ich Frau bin und auf einer anderen Ebene, weil ich Mutter bin. Ich hoffe, dass ich meine Kinder so stark machen kann, wie es z.B. Journelles Mutter gelungen ist: „Meine Mutter hatte immer allergrößten Wert darauf gelegt, dass ich schon früh begriff, dass mein Körper ausschließlich mir gehört. Außerdem war klar, dass sie mir im Zweifel immer glauben und für mich kämpfen würde, wenn ich das Gefühl hätte, dass jemand etwas mit mir tut, das ich nicht möchte oder mir unangenehm ist.

Für mich fängt diese Art von „Erziehung“ schon bei der Bezeichnung der Geschlechtsteile an. Ich habe mal gemeinsam mit einer Freundin einen Vortrag an der Uni zu den sprachlichen Rahmen bei der Bezeichnung der Geschlechtsteile gehalten (Stichwort „die Scham“ und „das Gemächt“). Es ist erschreckend, wie normal es alle finden „Penis“ zu sagen und gleichzeitig Probleme haben „Scheide“ oder „Vagina“ auszusprechen. Ich höre auch immer wieder, dass Jungs da unten „einen Penis“ haben und Mädchen da unten „keinen Penis“ haben. Das weibliche Geschlecht also als Abwesenheit des Penis. Ich könnte einen eigenen Artikel über die Bezeichnungsproblematik schreiben und was ich glaube, was das alles nach sich zieht.

Das ist aber nur einer von Hunderten Mini-Aspekten, die eine Rolle in der Erziehung spielen. Natürlich ist es elementar zu den Kindern eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, ihnen ein gutes Vorbild zu sein, sie nicht mit „Das macht doch ein Mädchen nicht…“, „Das ist nur für Jungs…“-Sprüchen zuzuballern. Ihnen ihre eigenen Grenzen zu zeigen, diese dann auch zu akzeptieren und und und.

BerlinMitteMom greift das Thema auch unter diesem Aspekt auf: „wie erziehe ich meine Mädchen so, dass sie sich frei und ohne Angst bewegen können wie und wo sie wollen und gebe ihnen doch alles mit, damit sie sich wehren können? Und wie erziehe ich meinen Sohn dazu, Frauen zu respektieren und sich weder im Kleinen noch (Gott bewahre!) im Großen sexistisch zu verhalten?

Es gibt so viel zu tun und niemand kennt den richtigen Weg. Wie bei allen Erziehungsthemen. Es gibt so viele, viele Fragen und keine eindeutigen oder richtigen Antworten. Was bleibt ist der Dialog und dass man seine eigenen Haltungen reflektiert, dass erlaubt ist nachzufragen – gerade wenn man sich unsicher fühlt oder keine feste, bis in alle Details durchdachte Haltung hat und dass auch gestattet wird, dass Positionen verändert werden dürfen (als Ergebnis dieses Prozesses).

Deswegen, warum ich das überhaupt schreibe: Es lohnt über #aufschrei nachzudenken.

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Nachtrag, weil Offtopic und irgendwie auch nicht. Ich habe neulich den Film „Paradies: Liebe“ gesehen und festgestellt, dass das einer der schlimmsten Filme war, die ich je gesehen habe. Ähnlich wie mancher Lars von Trier Film hat er mir körperliche Schmerzen bereitet. Es geht in dem Film um Sextouristinnen in Kenia.

Was mich an dem Film nachhaltig schockiert hat, war meine emotionale Reaktion auf die sexuelle Ausbeutung der Männer. Ich war so tief betroffen, dass ich kaum hinsehen konnte und dann plötzlich fiel mir auf wie viele hundert Male ich Frauen in ähnlichen Situationen im Film gesehen hatte. Nackt tanzend, angegrabscht, missbraucht, erniedrigt – und in den allermeisten Fällen hat dieser Anblick gar nichts in mir bewegt. Er war Teil der Handlung. Der Anblick war gewohnt und normal. In „Paradies: Liebe“ Männer in der selben Lage zu sehen, hat mich umgehauen und das wiederum (der Unterschied in meiner Reaktion) hat mich regelrecht verstört. Er hat mir lange vor #aufschrei klar gemacht, wie normal sexuelle Bedrängung und Sexismus für mich im alltäglichen (Fernseh/Film) Leben geworden sind. Bei „Paradies: Liebe“ habe ich mich so furchtbar und auf so vielen Ebenen für die Handlungen der weiblichen Darstellerinnen geschämt.

Ich habe abends mit meinem Mann darüber geredet und eine weitere erschreckende Einsicht bekommen: Meinem Mann geht es beim Anblick genau solcher Darstellungen bezogen auf Frauen genauso. Und zwar ständig. Er schämt sich manchmal per Geschlecht zu dieser Gruppe dargestellter Männer zu gehören. Das war mir ganz und gar nicht klar. Auch diese Einsicht hat mir #aufschrei vertieft. Nicht alle Männer sind mehr oder weniger so. Deswegen ist diese Differenzierung wichtig:

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17 Gedanken zu „Keine Lösungen, aber viele Fragen“

  1. Danke für deinen Beitrag. Es macht traurig und Mut zugleich, dass ich offensichtlich nicht allein mit meinen Gefühlen und Gedanken bin.

    Und den Satz: Nicht Männer sondern Arsch…. kann ich nur unterschreiben.

  2. Hans-Jürgen sagt:

    … bin jetzt schon gespannt, welchen Stellenwert #aufschrei sagen wir in fünf Jahren haben wird.

    1. Wolf sagt:

      Es ist schon jetzt, nach einem Jahr, erschreckend. Der gesamte #aufschrei wird nurnoch als #femtroll oder #feminazi gesehen – alles nur männerhassende Schlampen also.

  3. Veruca sagt:

    Ich habe auf „alltagssexismus.de“ gerade selbst etwas geschrieben. Eine winzige, unbedeutende Kleinigkeit wie ich bisher dachte. So unbedeutend kann sie aber nicht sein wenn ich mich noch 19 Jahre später daran erinnere. Sehr seltsam wie befreiend sich das abschicken angefühlt hat.
    Noch seltsamer genauer darüber nachzudenken warum man solche Dinge verharmlost, auch wenn sie einem selbst widerfahren.

  4. Danke für den Filmtipp. Is ja verstörend.

  5. Lutz Feustel sagt:

    Hey Nuf, einen ähnlichen Effekt wie bei Dir Paradies: Liebe hatte bei mir eine Szene aus der zugegeben seichten Hollywood-romcom „Forces of Nature“, Ben Affleck und Sandra Bullock (verachte mich nicht dafür, diesen Film gesehen zu haben), stranden irgendwo und brauchen Geld. Einziger Ausweg: Ein Stripteaseschuppen. Bestürzung. Oh Nein, soll sich die arme Sandra etwa prostituieren? Der würde es nichts ausmachen aber Ben und dem Zuschauer ist die Situation unangenehm, bis der Bartender dem Paar eröffnet, dies sei eine Schwulenpaar und wenn einer Geld fuers Ausziehen bekommt, dann Affleck. THANK GOD! Nicht die Frau muss sich ausziehen und ihren Körper verkaufen, NUR der Mann. Und der Film zeigt den Striptease als lustige Nummer.

    Irgendwie kam mir das grauenhaft scheinheilig vor, nicht auszudenken, wenn Affleck Bullock die Bluse aufgerissen und sie auf die Bühne gestossen hätte.

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