Mein analoger Tod

Wenn man selbst Gast auf einer Beerdigung ist, stellt man sich beinahe automatisch die Frage, wie die eigene Beerdigung wohl sein würde. So ging es mir jedenfalls das letzte Mal, und der Gedanke hat mir Unbehagen bereitet. Ich möchte jetzt nicht sagen, dass ich ein Kontrollfreak wäre, aber ich richte meine Feiern schon gerne selbst aus.

Zuallererst plane ich, erst im hohen Alter zu sterben. Das hat u.a. den Vorteil, dass meine Freundinnen mit der Planung meiner Bestattung betraut würden. Das würde mich freuen, denn ich traue ihnen in jedem Fall ein ganz grandioses Fest zu. Sie würden weder Kosten noch Mühen scheuen, und ganz sicher würde alles perfekt aussehen, und auch die Rede wäre passend und zugleich herzergreifend. Nichtsdestotrotz erfüllt mich diese Vorstellung nicht unbedingt mit Freude, und das hat zwei Gründe.

Erstens: Ich bin sehr geizig und mich schmerzt allein der Gedanke an das investierte Geld. Die Kränze, der Sarg, die Urne, der Grabstein! Meine Güte! Der Leichenschmaus! So hohe Ausgaben! Das möchte ich nicht.

Noch schwerwiegender ist der zweite Grund: Alle müssten Rotz und Wasser heulen, die Schminke verliefe, Taschentücher würden verschwendet und das ist ein sehr trauriger Gedanke.
So bleibt am Ende nur eines: Ich möchte bitte gerne meine Beerdigung kostengünstig selbst planen.

Alles fängt mit der Wahl des idealen Ortes an. Ich habe lange über den optimalen Bestattungsort für mich nachgedacht. Es müsste ein Ort sein, an dem ich mich wohl fühle und gleichzeitig ein Ort, den meine Angehörigen möglichst ohne großen Aufwand besuchen können. Berlin wäre eine Option, weil ich hier lebe – aber es gibt einen zweiten Ort, an dem lebe ich auch und ehrlich gesagt, liebe ich den noch mehr: Es ist das Internet.

Ich fühle mich bereit für eine digitale Bestattung. Ich finde das zeitgemäß und gemessen an der Zeit, die ich lebend im Internet verbracht haben werde, wäre das nur konsequent. Für die eigentliche Zeremonie schwebt mir eine Art Splitscreen vor. Links ein Videostream, der meine Urne zeigt. So müsste niemand anreisen und alle können es sich in Jogginghosen bequem machen.
Neben dem Videostream rechts werden die Tweets meiner Gäste eingeblendet. Vom Social TV (beispielsweise sonntags beim Tatortschauen) kennt man das. In meinem Fall würde unter einem speziellen Hashtag getwittert: Wir trauern um Patricia, kurz #wtuP.

Eine Stunde lang darf jeder ein paar Erinnerungen twittern.
Ich kannte sie aus dem Internet und sie war so wunderschön. #wtuP
Patricia war einfach nur zauberhaft. #wtuP
So klug!!11! #wtuP“ und diejenigen, denen nichts einfällt, die retweeten einfach „+1 »Patricia war so zauberhaft #wtuP«“ oder etwas wortkarger „.#wtuP„.
Sollte die Stimmung kippen, möchte ich, dass der Bestatter das Prozedere unterbricht und ankündigt, dass nun mir zum Gedenken mein Lieblingslied gespielt wird. Ich möchte, dass mein Lieblingslied von einem Kassettenrekorder gespielt wird, der hinter meinem ausgedruckten und gerahmten oder auf einem Screen gezeigten letzten Selfie steht.

Es soll eine dramatische Pause geben und dann drückt der Bestatter Play. Es rauscht und knistert und mit 120 dB erklingt „Ding dong, die Hex ist tot“. Und zwar das Original aus dem Zauberer von Oz Musical von 1939 und nicht die Version, die der Pianist in „Die nackte Kanone 2 1/2“ spielt.

Ding! Dong! The Witch is dead!
Which old witch? The Wicked Witch!
Ding! Dong! The Wicked Witch is dead!

Let’s all laugh and sing
And ring the bells now!
Hey ho, the Merry-O!

(Wiederholung)
Danach kommt jemand, holt meine Asche und verteilt sie in einem Ruheforst. Ein schöner Gedanke. Physisch werde ich Baumdünger und mein Geist und alle Gedanken an mich sind Teil des Internets. Am Ende bin ich überall und immerda.


Der Text wird heute gemeinsam mit zunächst 134 anderen Texten in der eBook-Reihe „1000 Tode schreiben“ erscheinen. Insgesamt wird es 1000 Texte geben.

27 Gedanken zu „Mein analoger Tod“

  1. Pingback: nickel
  2. hafensonne sagt:

    Seebestattung. Spart den Hinterbliebenen Grabpflege und weite Wege, denn sie können überall auf der Welt eine Blume ins Wasser werfen, das kommt immer an.

    1. wool sagt:

      Wer sich näher mit dem Thema beschäftigen will, dem sei das bestatterweblog.de ans Herz gelegt.
      (sehr informativ, sowie unterhaltsam)

      Dort wird u.a. auch erklärt, dass ein „richtiges“ Grab (statt bspw. Seebestattung, oder anonymes Massengrab), gerade für die Hinterbliebenen, tröstlich sein kann.
      Dem „Bewohner“ an sich kann ’s ja eigentlich egal sein…

      1. dasnuf sagt:

        Das Bestatterweblog hab ich lange sehr viel gelesen. Kann ich auch sehr empfehlen.

      2. hafensonne sagt:

        Tröstlich sein kann, ja. Mein wichtigster Angehöriger und ich sind uns allerdings einig, dass wir keinen „Ort“ brauchen – dabei ist die See ja auch ein Ort. Wahrscheinlich braucht man etwas Verbundenheit mit der See, um das so zu sehen. Die Ostmole in Warnemünde ist ein schönes Zeugnis dafür, dass sich die Angehörigen von Seebestatteten ihren Ort suchen.

        Ich bin jedenfalls bei denen, die ich bislang zu beklagen hatte, noch nie an irgendein Grab gegangen (und als Kind nur, weil ich musste).

  3. Ich möchte entweder im Meer verstreut oder verbrannt und dann als Diamant gepresst werden.

  4. Susann sagt:

    Und nachdem diese Frage geklärt ist, kannst Du jetzt noch ganze Jahrzehnte stressfrei udn unbekümmert leben – sehr schlaues Vorgehen! :-)
    Meine Großmutter hatte übrigens auch schon Jahrzehnte vor ihrem Tod das richtige Vorgehen anlässlich ihres Todes schriftlich festgelegt und Geld für Sarg und Beerdigung zur Seite gelegt – das war ihr richtig wichtig; nur die digitale Seite gab’s noch nicht so.

  5. seanrose sagt:

    <3 toller text

  6. Das Schwierigste wird sein, wenn du ein hohes Alter erreicht hattest, noch einen funktionierenden Kassettenabspieler zu beschaffen.
    Gefällt mir sehr gut – ähnlich könnte ich mir meine Bestattung auch vorstellen. Vor Allem viele unnütze teure Dinge zu unterlassen.

    1. The Counterpart sagt:

      Sie könnte den Kassettenrekorder ja jetzt schon in einem Antiquitätenladen beschaffen, so gibt es später kein Problem diesbezüglich

  7. Wirklich, ein tödlich schöner Text. Bei vielen Gedanken bekam ich einen Nickkrampf. – Ich habe auch alle nötigen Dinge an einer Stelle zusammengefasst, um meine ungewollten Hinterlassenschaften digital zu beseitigen. Und wenn sie nicht beseitigt werden, ist mir das auch egal, ich bin ja dann eh weg, und das für immer.

  8. Ramona sagt:

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    Gerne gelesen
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  9. Ein sehr schöner Text. Alternativ könnte für die digitale Beerdigung auch der Hashtag: #ripPe verwendet werden: Rest in Peace Patricia eternally (für das Akronym und für den Trauerfall soll es erlaubt sein, Grammatik und Satzbau ein wenig zurecht zu biegen).

    1. dasnuf sagt:

      Rippe! gefällt mir SEHR gut.

  10. Thomas sagt:

    Wie wäre es denn mit einer Mondbestattung? Es gibt doch überall diese kleinen Mondgrundstücke zu kaufen. Für eine Urne müsste das ja wohl reichen. Und Eltern könnten ihren Kindern künftig „La le lu, nur die Frau im Mond schaut zu …“ vorsingen. Natürlich müsste das „Grab“ dann mit ’ner Twitter-Funktion ausgestattet sein, sodass posthum generierte Tweets vom Mond aus ins Internet gepustet werden, und zwar noch über Jahre hinweg.

  11. Thankmar sagt:

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    Gerne gelesen
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  12. Timm v. Borstel sagt:

    Die Frage nach der eigenen Beerdigung hats in sich, oh ja. Ich bilde Leute als Helfer für Hospizdienste aus und genau DAS ist die Hausaufgabe in der Praktikumszeit zwischen den beiden Blöcken. Sehr schwierig für manchen. Der Text ist so schön geschrieben (und für manchen so hübsch provokant), gibts eine Möglichkeit, den für diesen Zweck (ausschließlich und mit Copyright versehen) benutzen zu dürfen? Könnten wir uns da mal drüber unterhalten?

    1. dasnuf sagt:

      Ich hab dieses Jahr mehr als mir lieb war mit dem Thema Tod zu tun gehabt. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Angst vorm Tod hauptsächlich die Angst vorm Sterben ist. Den Tod selbst kann ich mir nicht ausmalen.
      Außerdem ist der Tod hauptsächlich ein Problem für die Hinterbliebenen. Deswegen fand ich, darf ich mich über meinen eigenen Tod lustig machen.

      Meinen Text kannst du gerne benutzen. Ich kann außerdem das verlinkte eBook wirklich empfehlen. Ich meine das nicht als Werbung (der Erlös wird gespendet), sondern weil es mich wirklich berührt hat und ich finde, dass der Tod ein wichtiges Thema ist, das wieder Einzug in unsere Gesellschaft finden muss.

      1. Anna sagt:

        Bei mir ist es ehrlich gesagt genau andersherum. Sterben, ach, ich bin nicht besonders wehleidig. Augen zu und durch.
        Vielleicht bin ich einfach nur egoistisch, aber ich habe furchtbare Angst for dem ewigen Nicht-mehr-da-sein.

        Danke für den Text.

  13. Dentaku sagt:

    Wie Chris sagt:

    Für den Analogtod gibt es ja jede Menge Leute, die sich mit sowas auskennen. Der Digitaltod ist viel schwieriger vorzubereiten. Wir brauchen in Zukunft vielleicht Nachlasssystemadminstratoren.

    Trotzdem: das wird mal eine schöne Beerdigung.

    1. dasnuf sagt:

      Ich hoffe ja, es dauert noch sehr lange: aber du bist herzlich eingeladen :)

    2. The Counterpart sagt:

      Kleinunternehmen die sich um die Internet“rest“bestände kümmern, die ein Verstorbener zurückgelassen hat gibt es schon.

  14. Chris sagt:

    Die Frage ist ja auch, was passiert mit deinen Profilen in Social Networks, mit deinem Amazon-Konto, deinem Blog….

    Diese Gedanken mache ich mir nämlich aus gegebenem Anlass auch…

    1. dasnuf sagt:

      Zum digitalen Nachlass gibt es ein Podcast: http://blog.richter.fm/podcast/20141127/rbl019-digitaler-nachlass

      Ich habe tatsächlich jemanden, der Bescheid weiß und Zugang zu allem hat.

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