Messer, Gabel, Schere, Licht – sind für kleine Kinder

Gestern twitterte ich

Darauf habe ich ein paar Was-machst-Du-anders-als-ich-Replys bekommen. Ich habe meine derzeitige Dauerschlaflosigkeit dazu genutzt, um über diese Frage nachzudenken.

  1. Das ist natürlich nicht jeden Morgen so.
  2. Kinder sind unterschiedlich. Das Erstgeborene z.B. empfindet wenig Spaß an solchen Aktivitäten. Das mittlere umso mehr und das dritte, nun, das macht gerne Dinge, die in Kleinkindaugen spektakulär erscheinen. Mit Messern etwas schneiden, mit heißen Flüssigkeiten agieren, z.B.
  3. Vielleicht gibt es doch einen kleinen Teil „Erziehung“ (ich würde eher sagen „Gepflogenheiten im Umgang mit den Kindern“), die bei uns anders sind, als bei einigen anderen Familien.

Ich lasse die Kinder nämlich im Großen und Ganzen alles im Haushalt machen, was sie machen wollen. Natürlich begleite ich sie und natürlich geht das nicht immer (z.B. Zeitdruck). Das heißt aber auch: alles dauert deutlich länger und das Resultat – nun – es entspricht nicht den gängigen Qualitätsmerkmalen. Unterm Strich habe ich immer mehr Arbeit als wenn ich es selbst mache. Die ersten 5 bis 6 Jahre jedenfalls.
Es kostet mich auch oft Nerven (die ich nicht immer habe… ich will das jetzt nicht immer dazu schreiben; aber natürlich bin ich, wie alle Menschen, gelegentlich gestresst, ungeduldig, ungerecht,…), aber mir ist Selbständigkeit sehr, sehr wichtig und ich glaube, dass dieser Ansatz den Kindern Selbstbewusstsein schenkt. Denn sie lernen sich als selbstwirksam und unabhängig kennen.
Das mittlere Kind z.B. brät sich selbst Rühr- und Spiegeleier, kann sich Pfannkuchen machen (mit in die Luft werfen!) und zersägt & pult eigenständig seine geliebte Pomelo.
Wenn ich etwas koche, sagt es in 80% der Fälle: „Ihhhh, das mag ich nicht!“ Es will dann z.B. Bratkartoffeln haben. Ich hingegen hab keine Lust zwei Sachen zu kochen (oder jeden Tag Bratkartoffeln zu essen) und so macht sich das Kind die Bratkartoffeln gelegentlich selbst oder begnügt sich im Falle von „Faulheit“ mit einer Stulle. Dadurch, dass es selbst gelernt hat, wie viel (Zusatz)Arbeit das Schälen, Kleinschneiden und Braten der Kartoffeln macht, schimpft es mich auch kaum noch, wenn ich nicht etwas Extra machen möchte.

Es gibt bestimmte Tätigkeiten im Haushalt, die (meine) Kinder toll finden und schon immer fanden. Staubsaugen z.B. Also lasse ich die Kinder staubsaugen, wenn sie staubsaugen wollen. Das ist laut, verschwendet Strom (man kann effizienter staubsaugen) und meistens ist es danach nicht deutlich sauberer. Die Kinder nutzen den Staubsauger gerne als Reittier oder schauen, was man alles an- und einsaugen kann.
Interessanterweise hängen sie auch gerne Wäsche auf. Ich hab deswegen am Flohmarkt mal einen Kinderwäscheständer gekauft. An den für Erwachsene kommen sie aufgrund der Größe nur schlecht ran. Wenn also die Waschmaschine fertig ist und ihre Ich-bin-fertig-Melodie spielt, kann es durchaus vorkommen, dass eines der Kinder fragt, ob es ausräumen und aufhängen darf. Das Resultat wird von mir abends wieder umgehängt und ergänzt. Es bleiben Kleidungsstücke in der Maschine und Aufhängen ist im wesentlichen ein Aufstapeln von Wäschestücken, die so a) nicht trocken und b) faltig werden.
Aber ehrlich, man braucht nur ein Paar Jahre Geduld und plötzlich wird die Wäsche so aufgehängt, dass sie trocknet und man sie am Ende auch anziehen kann.

Wenn die Kinder schneiden wollen, bekommen sie scharfe Messer. Das bedeutet auch, dass sie sich alle schon geschnitten haben. Auch beim Schälen oder Raspeln. Aber wir haben Pflaster und es ist nicht sehr oft passiert und es passiert danach deutlich seltener.

Wenn wir Besuch haben, ernte ich deswegen durchaus entsetze Blicke oder diejenigen gehen zu dem Kind und nehmen ihm den gefährlichen Gegenstand aus der Hand und übernehmen die Arbeiten.

Auch lassen wir die Kinder alleine aus dem Haus. Es ist vielleicht nicht wie am Dorf (mein Mann ging schon alleine in den Kindergarten), aber wir versuchen den Kindern frühzeitig einen eigenen Aktionsraum zu geben. Der Spielplatz vorm Haus, der Schulweg, der nächstgelegene Bäcker.
Für mich ist das manchmal schwer auszuhalten und ich war schon mindestens drei Mal kurz davor mir die Schuhe anzuziehen und mein Kind suchen zu gehen, nachdem es 40 Minuten nach Schulschluss immer noch nicht zuhause war, obwohl man für den Weg maximal 15 Minuten benötigt, selbst wenn man rückwärts kriecht.
Was in der Regel passiert: Es gibt etwas interessantes am Schulweg. Ein Eichhörnchen. Oder das Kind stapelt mühsam alle Weihnachtsbäume zu einem gigantischen Berg. Das dauert natürlich.
Leider mache ich mir ständig Sorgen und manchmal habe ich auch Angst, dass wir etwas falsch machen (80% der Kinder in unserer direkten Nachbarschaft werden täglich zur Schule gebracht und wieder abgeholt – sogar noch in der 3. Klasse…) – aber es ist eben sehr schwer zu entscheiden wie das richtige Maß an Eigenständigkeit aussieht.

Unterm Strich bin ich aber zuversichtlich, dass das Model zumindest bei uns ganz gut klappt und wünschenswerte Resultate für alle Beteiligten bringt.

So und jetzt muss ich noch einen Themenausflug machen.
Ich habe diese Woche zwei Artikel gelesen, die mir an sich gut gefallen haben.

  1. Was Sie wissen sollten, bevor Sie Kinder anschreien“ und
  2. „TEIL 1 der SERIE „WIR LIEBEN ELTERNSEIN“ auf Stadt Land Mama

Beide haben gemeinsam, dass (wie so oft) das Smartphone als universelle Ablenkung verteufelt wird („Das bedeutet: Wenn Du kochst, koche – und spiele nicht nebenbei mit dem Handy herum„/“Einige Wochen später hatte ich die schmerzvolle Erkenntnis, dass ich mein Mobiltelefon dauerhaft aus der Hand legen muss und mich nicht mehr ständig ablenken lassen darf, damit ich mich wieder auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren kann„).

Es wird empfohlen sich zen-mäßig dem hier und jetzt, der einen Tätigkeit zu widmen.
So. Und ich sage: NEIN! Das Smartphone ist nicht das Problem. Im Gegenteil. Das Smartphone ist für mich die Lösung. Für mich persönlich ist es der Nervenschoner schlechthin.
Wenn ich mit einem Zweijährigen vier Stockwerke nach oben lief, dann dauerte das manchmal zwanzig Minuten. Ich wäre ohne Smartphone ausgeflippt. Ich hätte nie ausgehalten, dass das Kind als Wauwau die Treppen erklimmt oder herumliegende Blätter eindringlich untersucht. NIEMALS. So kann das Kind seinen Weg erkunden und ich twittere ein wenig.
Selbiges wenn wir z.B. Pizza backen und ganz langsam ein halbes Kilo Mehl in der Küche verstreut wird, zwei Kinder mit Teigausrollern fechten, während ein weiteres seelenruhig eine Stunde lang Pilze seziert.
Laissez faire! mögen einige da schreien und ich sage: ja, aber ich finde das sind wertvolle Erfahrungen und ob die Kinder nun mit Bauklötzen spielen oder zwei Stunden lang Pizza backen – who cares?
Ich nicht.

Mein Plädoyer würde lauten: Durchatmen, auch mal was für sich tun (Feedreader lesen) und die Kinder vertrauensvoll machen lassen. Ah und neben einer guten Pflasterausstattung zusätzlich Leukostrips für kleinere Platzwunden im Haushalt haben, nech?

74 Gedanken zu „Messer, Gabel, Schere, Licht – sind für kleine Kinder“

  1. Pingback: Susanne Mierau
  2. Pingback: Susanne Mierau
  3. Ich glaube das Problem liegt darin, daß Elternsein heutzutage als Last empfunden wird. So viele (ungewollte) Ratgeber aus allen Richtungen. Das überfordert viele.
    Früher (nein, nicht die „guten, alten Zeiten“) war es völlig normal, daß man seine Kinder früh in den Alltag mit eingebunden hat. Ging gar nicht anders. Heute dagegen versuchen viele ihre Kinder möglichst lange vor der Realität zu schützen (Helicopter parenting) und wenn sie dann keine Kraft mehr dazu haben, dann wird lamentiert, daß die Kinder so egoistisch sind.

    Bei uns wird das so gehandhabt, daß sie je nach Alter (3-7) mithelfen dürfen. Und so lange rumprobieren dürfen, bis sie es können. Natürlich nicht immer. Ich nehme mir auch raus mal „Nein“ zu sagen, wenn es schnell gehen muß oder ich keine Nerven für stundenlanges Probieren und Hinterheraufräumen habe.
    Wichtig, niemand MUSS helfen. Aber ich versuche zu vermitteln, daß es viel länger dauert, wenn ich alles alleine machen muß. Das geht von der gemeinsamen Zeit weg- und das tut den Zwerginnen empfindlich weh!
    In der ersten Klasse bin ich bis Weihnachten den Schulweg (15min) mitgelaufen, bis die Tochter Routine hatte. Seitdem geht sie STOLZ alleine. Dafür werde ich von anderen Müttern angefeindet. „Was ist, wenn sie am Park (100m) vorbeiläuft und sie angesprochen wird? Und die Straße muß sie auch 3x überqueren (wir leben in einer Kleinstadt)!“ Wenn das Kind das selbst möchte ist das doch die beste Lösung für alle. Vor allem ist sie wach, wenn sie in der Schule ankommt und schon ein bißchen von der Schule erholt, wenn sie zu Hause ist.
    Bei No.2 bin ich mir nicht sicher ob sie so schnell alleine gehen will. Aber das muß dann individuell gehandhabt werden. Kinder sind nun mal verschieden.
    Danke für den Artikel und die tollen Kommentare. Ich bin doch nicht allein!!

    Viele Grüße
    Suse

  4. oh wie ich diesen Artikel liebe. Ich werde ihn verteilen unter den ganzen verpeilten Eltern die mich ehr abschrecken anstatt zu inspirieren.
    Danke Danke Danke!!!
    Darf man den Artikel auch ausdrucken oder ist das zu Oldschool? Ich könnte ihn als Manifest in den Kindergarten hängen auch Augenhöhe für Elternaugen. Man wäre ich auf die Reaktionen gespannt.
    Im Grunde freue ich mich nur das wir es mit unseren ähnlich machen und mich ein wenig bestätigt fühle auf unserem Weg.

    …ich geh dann mal drucken

  5. ist hier genau so! :)

    meine kinder werden von der oma immer bedauert: alles müssen sie alleine machen, die armen!

    und auch hier wird das smartphone dankbar zum überbrücken solcher leeren elternminuten gebraucht.

  6. Ich mag den Post, besonders was die Freiheit der Kinder angeht. Und ich sehe es auch als kein Problem, wie du deine Smartphone-Nutzung beschreibst.
    Trotzdem beschäftigt mich dieses Thema nach wie vor. Denn ich sehe so oft Eltern, die ihr Smartphone nicht nutzen, weil das Kind grad irgendwo vertieft im Laubhaufen wühlt oder sonstwie stundenlang beschäftigt ist, sondern Eltern, die ihren Kindern in der S-Bahn gegenüber sitzen, das Kind sagt was, die Eltern nehmen es überhaupt nicht erst wahr, das Kind erzählt was, die Eltern schauen nicht mal auf. So ähnlich mit ganz kleinen Kindern, die keinen Blickkontakt der Eltern kriegen, weil die in ihr Handy vertieft sind.
    Mich macht es traurig, das mit anzusehen. Natürlich ist nicht das Smartphone oder Handy böse, es wäre genauso schlimm, wenn die Eltern ein Buch vor sich hätten und deshalb nicht ansprechbar wären – aber das sieht man kaum. Ich denke, die Debatte wieviel Aufmerksamkeit fürs Smartphone und wieviel für´s Kind ist sehr wichtig, solange sie nicht zur pauschalen Verurteilung von „diesem Internet“ führt.
    (Ein anderes Thema ist natürlich, wie abgelenkt wir in Gesprächen mit anderen Erwachsenen durchs Handy sind. Aber da scheint, meistens zumindest, eine gewisse Höflichkeit da zu sein.)

  7. Vielen vielen Dank für den tollen Text! Wir machen es genauso (Tochter 1,5 hilft auch schon beim Geschirrspüler ein- und ausräumen, auch wenn wir jetzt 2 Teller weniger haben …) und beim Tischdecken, Treppenlaufen, Mandarine / gekochte Eier selber schälen etc.
    Auch wenn es länger dauert, damn das ist unser Job als Eltern. Und es macht verdammt viel Spaß zu sehen, was kleine Kinder schon alles können wenn man sie lässt.

  8. Pingback: Kiek an 21.1.14 |
  9. Schöner Text, aber …

    „Aber ehrlich, man braucht nur ein Paar Jahre Geduld und plötzlich wird die Wäsche so aufgehängt, dass sie trocknet und man sie am Ende auch anziehen kann.“

    Optimistin! Wahrscheinlich wird es einen nahtlosen Übergang zwischen „Wäsche stapeln statt aufhängen“ und „keine Lust auf Wäsche“ geben.

    1. Wie ich ganz oben geschrieben habe; es gibt auch Kinder, die bekommen offenbar nie bis kaum Lust zu helfen und was meine optimistische Ader angeht: ich hab die positive Erfahrung bereits gemacht, dass das so kommen kann.

  10. Danke für diesen Artikel, von Scheitel bis Sohle.
    Möchte auch gern so Eltern für mein Kind und bin froh zu lesen, dass es geht (auch wenn man sich trotzdem sorgt – auch für diese Offenheit danke!)
    Hach!

  11. Es gibt sie also noch, die vernünftigen Eltern … das finde ich beruhigend. Wie sollen denn Kinder erwachsen werden, wenn man sie nichts machen lässt? Und dann wundert man sich, warum da draußen lauter 20jährige Prinzessinen und Prinzen rumlaufen, die nix gebacken kriegen.

  12. Ach das mit den Messern funktioniert auch später noch. Wir haben meiner Schwiegermutter (*1930) zu Weihnachten ein Messerset für die Küche geschenkt. (Eigentlich Selbsthilfe, weil man jedes Mal eine Krise kriegt, wenn man zu Besuch ist und in der Küche hilft.) Die Entwicklung ging über „Was soll ich denn damit, meine sind doch gut“ (waren sie nicht…) über „Das ist ja gefährlich, da schneidet man sich ja dauernd“ (die Vorgänger haben eher Hämatome verursacht, man muss sich halt dran gewöhnen) zu „das war ja ein tolles Geschenk, jetzt geht alles viel leichter“.

    Was Hänschen nicht lernt, kann in diesem Fall auch Hans noch lernen :-)

  13. Ach sehr angenehm zu lesen, auch dass du mal nicht das Smartphone verteufelst wie sonst die meisten. Ohne das hätte ich so einiges an Kleinkram nicht erledigen können (z.B. auf dem Spielplatz Emails verschicken, Recherchen betreiben während des Stillens in den ersten Monaten usw), aber trotzdem versuche ich langsam Zeiten einzuführen, wo es mal in der Ecke liegen bleibt und der Klingelton abgestellt ist, vor allem weil die Zeit mit Kind seit der Kita schon sehr rar ist. Da will ich einfach hundert Prozent da sein, auch wenn das nicht immer geht.

    Mein Sohn ‚hilft‘ auch mit seinen fast zwei Jahren schon beim Tisch decken, Geschirrspülmaschine ausräumen und wenn Mama morgens nicht ausm Bett kommt, schaut er sich auch mal allein ein Buch an.

    Ein unbedingtes Muss, dass Kinder ab einem gewissen Alter lernen, sich selbst zu beschäftigen und Aufgaben zu übernehmen.

    Danke!

  14. ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Genau!
    Ich konnte, noch vor der Einschulung, unter Aufsicht mit Streichhölzern den elterlichen Gasherd anmachen. Das war auch bitter nötig; tatendurstige Kinder finden Gasherdanmachen so ab dem 4. Lebensjahr verlockender als alles andere, und man stelle sich vor, wenn das nicht geübt wird (incl. den „bissigen“ Streichhölzern, wenn man sie mal zu lange in der Hand hat)
    *****************/KOMMENTAROMAT**********************

  15. Ich bemühe mich, es auch so zu machen. (3 Kids zw 1 und 7)
    Große Ausnahme („Papapanik“) ist aber heißes Wasser: das Zeug ist sooo viel schrecklicher als das stumpfeste Messer. Wenn der Wasserkocher sich über Bauch und Bein entleert ist für Wochen/Monate die Hölle da und ein Leben lang Elend.
    An Topf, Pfanne oder Ofen verbrennen gehört dazu – kein Thema. Aber auch die Teekanne steht bei mir gaaanz weit weg von Kinderhänden.

    1. Mit heißem Wasser bin ich auch sehr, sehr vorsichtig. In unserer Familie und auch im Freundeskreis gab es bereits Unfälle, die mir gezeigt haben, wie gefährlich das ist.
      Wie gesagt, es ist eine Frage des Alters und ich stelle meine Kinder auch nicht mit den japanischen Messern ohne Aufsicht und Begleitung irgendwo hin…

  16. Als Nicht-Mutter (aber Ex-Kind, das exakt so großgezogen wurde) darf man sich ja meist nur vornehm zurückhalten, wenn Mütter über Kindererziehung reden. Als ich das Plakat am Tor der Grundschule von Patensohn II sah, auf dem „Ab hier schaffe ich es allein“ steht, fragte ich seine Mutter, was das zu bedeuten habe. Offenbar fahren die Helikoptermütter ihre Brut nicht nur mit dem SUV bis vors Schultor im Hamburger Stadtteil Rotherbaum sondern schalten dann ungeniert die Warnblinklichtanlage an und bringen die Kinder durchs Tor bis in ihre Klassenzimmer. Da stehen dann morgens zehn, zwölf Geländewagen und versperren die Strasse, während die LehrerInnen leise in ihre Kaffeetassen weinen, bevor sie in die erste Stunde gehen. Alle Appelle, diesen Schwachsinn doch bitte zu unterlassen, haben bislang nichts gefruchtet; das Plakat ist der neueste Versuch.

    Letztes oder vorletztes Jahr sah ich im Guardian mal eine Grafik, wie gross der Bewegungsradius eines 8jährigen Jungen in England ist bzw. war: vor 100 Jahren, vor 50 Jahren, vor 25 Jahren und heute. Der Radius ist von mehreren Meilen zu wenigen hundert Metern zusammengeschmolzen. Ich selbst bin vor 40 Jahren mit dem Rad rund drei Kilometer allein zur (Grund)Schule und zurück gefahren; an zwei vielbefahrenen (Land)strassen vorbei und über einen Bahnübergang. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, wenn man nicht gerade auf dem Land lebt und keine Alternative hat.

    1. Warum keinen Poller vors Tor setzen oder Autotor (meist gibt es doch noch ein extra Fußgängertor) morgens eine halbe Stunde schließen? Plakate gelten doch immer nur für die anderen…

    2. @Kiki
      Interessante Bestandsaufnahme.
      Interessanter wird m. E., wie sich solche Verkümmerungen der kindlichen Selbstständigkeit im Erwachsenenalter auswirken. Ich bin sehr gespannt, auch darauf, ob irgendein soziologisches Institut das beobachten und auswerten wird.

  17. Yeah, meine machen das auch so alles gern mit, noch nie gab es ernsthafte Probleme oder Verletzungen und ich hoffe, dass diese Selbständigkeit in einer wirklich gefährlichen Situation ihr Bauchgefühl positiv beeinflussen wird.

  18. Gestern diskutierte ich mit jemandem den angeblichen gesellschaftlichen Verfall durch Smartphones und wunderte mich noch, woher ich meine differenzierten Argumente her habe. Jetzt weiß ich es. Danke.

  19. Hallöchen und vielen, vielen Dank für diesen Artikel!
    Ich versuche auch, meinen Kindern ein Stück weit Selbständigkeit zuzugestehen, natürlich ihrem Alter entsprechend. Was hier natürlich genau das selbe ist, es ist anstrengend und nervenzehrend, man muss „nacharbeiten“ und natürlich immer wieder anleiten und mitmachen. Auch wenn ich es nicht in dem Ausmaß hinbekommen, wie ich es mir wünschen würde, so glaube ich doch, dass wir auf einem guten Weg sind.
    Liebe Grüße,
    Michi

  20. Herzlichen Dank für den tollen Text! Ich hoffe, ganz viele Eltern „meiner Kita-Kindern“ lesen ihn auch. So oft reagieren sie entsetzt über die Scheren in Kinderreichweite, die „echten“ Messer beim Karotten schneiden, die alleine kletternden Kinder…lest und lernt vom Nuf! :)

  21. Seit 2004 hatte ich über den Großelterndienst ja schon sehr, sehr viele Kinder zur Betreuung und bin teilweise mittelschwer überrascht. Ich selbst war und bin ja immer absolute Verfechterin der größtmöglichen Selbständigkeit von Kindern gewesen. Bei den eigenen vor über vierzig Jahren habe ich da manchmal sogar ein wenig übertrieben. Zum Glück ist alles gut gegangen und keines der beiden ist je ernsthaft verunfallt – zumindest nicht durch meine Selbständigkeits-Erziehungsbemühungen.
    Doch heute entdecke ich sehr viele Kinder, die sich mit 8 noch nicht einmal eine Scheibe Brot schmieren können. Und natürlich dieses zur Schule begleiten – auch ohne Auto. Der Weg ist hell, der Weg ist kurz, es gehen viele andere Kinder den gleichen Weg – dennoch wird das fast 10jährige bis vor die Schultür gebracht, möglichst auch noch den Ranzen zu tragen.
    Chapeau für diesen Artikel!

  22. Meine Kinder sind inzwischen Teenager (die Große ist sogar eine Twen) und mein Erziehungsstil lässt sich zusammen fassen in: ich bin nicht eure Putzfrau, ich bin nicht euer Zimmermädchen, ich bin nicht eure Animateuse, ich bin nicht eure Chauffeuse und außerdem esse ich lieber, als dass ich koche.

    Wir sind ein 5 Personenhaushalt, in dem nur 2 Personen für das Geld sorgen, aber 5 Personen die anfallende Arbeit unter sich aufteilen. Die Kinder sind für ihre Wäsche selbst verantwortlich, können ach alle anderen Haushaltsgerätschaften bedienen und sind für ihren Terminkalender zuständig. Sie gingen von Anfang an allein zur Schule und heute auch allein zum Friseur – zum Arzt komme ich mit, wenn sie danach verlangen.

    Wie heißt das Gegenteil von Helikoptereltern? Ich bin das.

  23. Ich find das klasse, genau so wie du das machst!
    Zwar habe ich keine Kinder, aber was du beschreibst ist das, wie ich es gern handhaben würde. Naja bis auf die Sache mit den scharfen Messern, vielleicht. Aber das weiß ich erst, wenn ich selbst in der Situation bin. Kann ja dann auch alles anders kommen und ich sag das jetzt bloß so. Man weiß ja nie.

    Liebe Grüße :)

  24. Während ich den Text gelesen habe – der im Übrigen die einzig wahre Antwort auf die Debattenbeiträge zum Elternwerden der letzten Wochen ist – haben die Kinder (3 Stück zwischen 7 und 10): die Waschmaschine aus- und eingeräumt, die Spülmaschine aus- und eingeräumt, den Tisch abgeräumt und staubgesaugt. (Ich lese offenbar sehr langsam…). Staubsaugen muss übrigens dasjenige, unter dessen Stuhl nach dem Essen die meisten Nudeln liegen.
    Ich verstehe uns als Lebensgemeinschaft, in der wir alle das beitragen, was wir können. Und ich war die ersten Jahre zuhause, und die Kinder waren immer überall im Haushalt dabei. Im Garten wie beim Holzmachen, beim Wäscheaufhängen, Kochen etc.
    Nun liegt mir Haushalt nicht gerade, aber als ich gesehen habe, was für hochkomplexe Software die Kinder nur zum Vergnügen bedienen können, waren die Waschmaschinenprogramme ein Klacks. Zettel an die Maschine mit hübschen Piktogrammen, und das wars. Hell/dunkel sortieren kann wirklich jeder, und die etwas komplizierten Wäschestücke sammle ich seither nicht mehr in der Familientonne. Wollpullover, zum Beispiel.
    Kinder WOLLEN sich nützlich machen. Sie wollen Beiträge leisten, und zwar keine Alibibeiträge. Sie haben ein sehr gutes Gespür dafür, ob man ihnen echte Aufträge gibt, oder ob sie vorgeschoben sind, weil man grad keine Lust hat, mit ihnen zu spielen.
    Die modernen Medien helfen im Übrigen sehr bei der Compliance: man nenne nur die Aufgaben „Quest“, und den Tag (oder das Schuljahr / das Instrument) einen „Level“ und schon…

      1. Beim Smartphonethema werden immer Ursache und Wirkung verwechselt. Nicht das Smartphone macht die Ablenkbarkeit, sondern der Perfektionismus und das Gefühl, den Aufgaben und Ansprüchen immer hinterherzurennen wollen kompensiert werden durch eine einfache Möglichkeit zur Flucht. Halbwichtige Dinge wie „Mails checken“ sind die Einstiegsdroge.
        Das Smartphone ist überhaupt nicht das Problem, sondern das Gefühl, man könnte die Dinge „machen“. Man könnte Kinder dazu erziehen, weniger schlampig oder trödelig zu sein. Aus dieser Vorstellung wird dann schnell ein „müssen“. Als ob sie zwangsläufig unordentlich werden/bleiben, wenn ich es ihnen nicht hundert Mal gesagt habe.
        Aber man kann es gar nicht „machen“. Man kann sie nur wachsen lassen, im festen Wissen, dass sie sie sind, wie sie sind, und wir ihre lebenswichtigen Begleiter*innen. Das hat mit ziehen sehr sehr wenig zu tun.

    1. „Staubsaugen muss übrigens dasjenige, unter dessen Stuhl nach dem Essen die meisten Nudeln liegen.“

      Wow, wie cool ist das denn! Das muss ich mir merken, wenn irgendwann das Geschwisterchen kommt ^^

  25. TochterEins (3,5 J.) sitzt gerade mit Papa in der Küche und schält Möhren während ich das hier lesen. Der kann das, ich nicht so. Ich finde es beeindruckend, dass Menschen gerne mit den Kindern zusammen kochen bzw. sie kochen lassen. Ich täte das gerne mir Ruhe und Gelassenheit, aber es gelingt mir kaum.

    Ansonsten finde ich das mit der Selbstständigkeit im Haushalt (draußen auch) einen prima Ansatz. Leider zeigen unsere in der Hinsicht keinerlei Ambitionen – das Baby föhnt sich immerhin gerne in der heißen Luft, die hinten aus dem Staubsauger kommt – die „ich will das selber machen“-Phase hat TochterEins bisher ausgelassen. Im Gegenteil, die meisten Sachen die sie sehr wohl alleine kann, sollen wir übernehmen.

    Werde jetzt eine Weile darüber nachdenken, woran das liegt und wie das bei uns so aussieht mit der Selbstständigkeit usw. Danke dafür.

    Nun muss ich aber in die Küche: backen mit Kind (I try, I try)

  26. Ich finde deinen Erziehungsansatz total toll und hoffe, dass auch mein Sohn mal so selbstständig wird!
    Mit knapp zwei Jahren lasse ich ihn noch nicht Sachen selber schneiden (auch wenn er in unbeobachteten Momenten durchaus schon gezeigt hat, dass er weiß, wie das funktioniert), aber wir haben zum Beispiel, seit er das Bewusstsein dafür hat, darauf Wert gelegt, dass er seine Sachen wegräumt oder etwas aufwischt, was er verschüttet hat etc. Manchmal sträubt er sich dagegen, aber wir konnten auch schon oft genug beobachten, dass er nach der Aufforderung „Wisch das bitte auf“ zu seinem Schrank gelaufen ist, ein Spucktuch geholt hat, die Pfütze aufgewischt hat und das Tuch zurück in den Schrank gelegt hat (kleiner Schönheitsfehler ;) ). Wir lassen ihn auch beim Wäscheaufhängen die Klammern reichen, er hilft gerne beim Fegen, kann Besteck in den Geschirrspüler räumen und ihn danach zu machen etc. pp.
    Es ist schon jedesmal ziemlich beeindruckend zu sehen, mit welcher Präzision er das macht und wieviel Spaß ihm das zu machen scheint!
    Neulich habe ich neulich die Produktbewertung einer speziellen Trinklerntasse gelesen, die Mutter freute sich, dass ihr 3-jähriger daraus ganz alleine ohne verschütten trinken kann. Dazu kann ich nur sagen, meiner trinkt, seit er ein Jahr alt ist, aus diesen Ikea-Plastikbechern, seit ein oder zwei Monaten kann er die Becher mit einer Hand halten, trinkt einhändig aus Henkeltassen, wenn diese nicht zu voll sind und kann, in jeder Hand einen Becher haltend, Wasser von einem in den anderen Becher umschütten.

    Alleine nach draußen lasse ich ihn noch nicht, aber er läuft z.B. auch nicht gleich weg, wenn ich das Fahrrad in den Keller räume oder so. Ich finde das total furchtbar, wenn Eltern ihre Kinder so lange noch zur Schule bringen, am besten noch mit dem Auto, damit das Kind den Weg nie lernt…
    Zum Themenausflug Smartphone kann ich nichts sagen, ich quäle mich an den Treppen immer ^^ Zum Teil liegt das aber daran, dass unser Treppenhaus aus Marmor und das Geländer so doofe Metallstreben sind. Da rutscht er halt schnell aus bzw. mit dem Fuß durch die Streben durch. Bei meiner Mama zu Hause kraxelt er alleine und schneller als man gucken kann die alte Holztreppe hoch und runter… hab ihn im letzten Urlaub des öfteren auf dem Dachboden wiedergefunden ;)

    Also zurück zum Thema, dein Ansatz ist meiner Meinung nach genau der richtige, ich werde ein paar Tipps mitnehmen ;)

    1. Danke.

      Genau meine Rede.
      Hat mit Kind 1 so funktioniert, beginnt grade mit Kind 2 so zu funktionieren und mit Kind 3 werden wir es wohl genau so handhaben.
      (Auch die Handysache)
      Meine Frau sieht das genau so.

      Klar müssen die Kinder wissen was und wo die Grenzen sind, aber innerhalb dieser haben sie einen gigantischen Spielraum.
      Zumal es auch die Konfliktlösung fördert, wenn man ja statt einer Sache die grade total super ist auch mal was anderes machen kann.

      Das wir einen eineinhalbjährigen nicht an die heißen Töpfe lassen ist ja klar, aber wie heiß er sein Essen in den Mund steckt, kann er schon sehr gut entscheiden.

      Vielen Dank für diesen Text.

      @CadaMul

    Mentions

  • 💬 Susanne Mierau

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