Nebenbei

Buch: Das Versagen der Kleinfamilie

Versagen der Kleinfamilie Mariam Tazi-Preve
Rezensionsexemplar „Das Versagen der Kleinfamilie“ von Mariam Tazi-Preve

Vor einigen Wochen wurde ich gefragt, ob ich das Buch „Das Versagen der Kleinfamilie“ von Mariam Tazi-Preve lesen möchte. Wie immer in solchen Fällen, habe ich mir die Kurzzusammenfassung durchgelesen und dann, weil es mich tatsächlich interessierte, geschrieben: „Gerne lese ich das Buch, ich kann allerdings nicht garantieren, dass das zeitnah geschieht oder dass ich das tatsächlich schaffe, zu verschriftlichen. Wenn das OK ist, dann schicken Sie mir gerne das Buch zu.“

Tatsächlich habe ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen. Sehr stark komplexitätsreduziert geht es um die Feststellung, dass es in der Klischeefamilie der industrialisierten Welt Vater-Mutter-Kind fast unmöglich ist, ohne Burnout oder sonstige Schäden Kinder groß zu ziehen.

Frau Tazi-Preve geht ausführlich auf die Gründe ein und zeigt alternative Lebensformen in anderen Gesellschaften, die besser funktionieren als die landläufigen Klischees des Westens.

Beim Lesen habe ich immer wieder an Susanne Mieraus Ansatz des Online-Clans gedacht, den sie schon 2014 ausführlich geschildert hat. Tatsächlich hat mir mein Leben auch gezeigt: Ohne Hilfe geht es nicht. Vollzeitjob und Kinder miteinander zu vereinigen, ohne eine zweite, dritte, vierte und manchmal sogar fünfte erwachsene Person, funktioniert nicht.

Dabei geht es nicht nur ums organisatorische – wer holt die Kinder ab, wer bringt sie in Kindergarten und Schule, wer kauft ein, wer kocht, wer bringt sie ins Bett – sondern eben um all die Lebenszeit, die man miteinander verbringt jenseits der morgen- und abendlichen Abfertigung, in der man kuschelt, vorliest, sich unterhält, zusammen spielt und Lebenzeit miteinander teilt.

Ganz nebenbei bin ich übrigens auch der festen Überzeugung, dass es für die Seele der Kinder wichtig ist, dass sie nicht ausschließlich die Mutter als erwachsene Bezugsperson haben.

(Ich schreibe hier absichtlich die Mutter, denn im klassischen Versorgermodell, gibt es zwar Väter, die sind aber aufgrund ihrer starken Erwerbszentriertheit leider oft nur mittelmäßiger Ersatz, wenn es um das Thema Bezugsperson geht (vgl. „Liebe in Worten oder die Schönwettervaterschaft“ und „Ich liebe meine Kinder vom Büro aus„)

Ich kann jedenfalls jedes Wort von Tazi-Preve unterschreiben, da ich an der Kleinfamilie grandios gescheitert bin.

In meinem Alltag waren keine Großeltern, keine Geschwister und auch sonst niemand, den ich einbinden konnte UND wollte. (Sich helfen lassen, musste ich auch erst lernen).

Seit einigen Jahren läuft es anders. Neben der gleichberechtigten Partnerschaft, habe ich liebe Freunde und Freundinnen, die z.B. regelmäßig am Nachmittag oder abends die Kinder betreuen, die uns zur Seite stehen, die uns schon eingekauft haben oder sogar Essen vorgekocht haben und uns zum Einfrieren vorbei gebracht haben, die vorlesen, malen, basteln.

Auch hierzu kann ich einen weiteren Blogbeitrag von Susanne Mierau empfehlen: Unterstützung (anbieten) – ohne um Hilfe bitten zu müssen.

Genau diesen Gedanken hatte ich nach dem Zuklappen von Tazi-Preves Buch: Wie kann ich meinen Freundinnen helfen?

Tatsächlich fällt einem schnell etwas ein, das man anbieten kann.

Ein ausführliches Interview mit Frau Tazi-Preve findet ihr bei Mama arbeitet und in der Süddeutschen.

Dort geht es außerdem ausführlich um den Aspekt wie absurd es ist, dass die romantische Liebe und das sichere Aufwachsen von Kindern so eng miteinander verknüpft werden und die Kleinfamilie als Ort der alleinigen Glückseligkeit gesehen wird.

Sehr beschäftigt hat mich auch der Punkt wie entgegengesetzt Arbeits- und Familienleben konnotiert sind. Im Job geht es um Konkurrenzdenken, Kosten-Nutzen-Logik und Profitmaximierung. Im Familienleben hingegen um emotionale Zuwendung und Empathie wichtig.

Das Buch hat in mir vieles zusammengebracht, was mir im Kopf schon lange herumschwirrte:

  • Familie als selbstgewählte Beziehungen sehen (und nicht als Geburts- und Genkonstellation)
  • Hilfe zulassen und selbst anbieten
  • den Kindern zusätzliche Herzensbezugspersonen schenken
  • im Arbeitsleben auch auf Empathie und Beziehungen setzen
  • Konsum reduzieren und kleiner denken (wer keine riesige Wohnung, keinen teuren Urlaub, keine Designermöbel und -klamotten braucht, braucht weniger Geld, muss weniger Arbeiten, hat mehr Zeit etc.)
  • Beziehungen leben (sich Zeit nehmen, nicht auf morgen verschieben, etc.)

Die einzelnen Aspekte auszuformulieren, würde am Ende wahrscheinlich ein weiteres Buch entstehen lassen. Deswegen am Ende nur die Empfehlung: Das Buch lesen und schauen, wo die Stellhebel im eigenen Leben sind.

Buch: Muttergefühle II

Foto: Rike Drust, Stickerei auch

Das neue Buch Muttergefühle. Zwei von Rike Drust habe ich auch gelesen – besser gesagt: durchgekichert.

Im ersten Teil, Muttergefühle. Gesamtausgabe, geht es um den lustigen Gap zwischen dem Leben ohne Kinder und dem mit Kindern und all den Absurditäten, die einem vorher keiner sagt.

Muttergefühle. Zwei beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Frage, warum man – nachdem man nach dem ersten Kind weiß was auf einen zukommt – dennoch ein weiteres Kind möchte.

Rike schreibt wirklich wahnsinnig lustig, schon am Anfang habe ich mich über folgende Passage schlapp gelacht:

[Die Entscheidung zum ersten Kind] fühlte sich nach Freiheit à la Hollywood an: Als wenn man mit einem Cabriolet bei perfektem Wetter einen amerikanischen Highway runterfährt, aufsteht und voller Glück und Abenteuerlust die Arme hochreißt. Beim zweiten Kind würde man lieber sitzen bleiben, weil man inzwischen weiß, dass einem sonst nur Insekten in den Mund fliegen, dass die Wangen vom Fahrtweg unvorteilhaft flattern und es nichts mit sexy zu tun hat, wenn man krampfhaft versucht, sein Gleichgewicht zu halten, wenn das Cabriolet zu schnell um die Kurve braust.

Es ist aber nicht nur der Humor, der das Buch so lesenswert macht. Viel wichtiger sind die dahinter liegenden Fragen. Denn Muttergefühle. Zwei beleuchtet all das, was man geistig zu bewältigen hat:

  • Bin ich jetzt nur noch Mutter? Darf ich eigene Bedürfnisse und Ambitionen haben?
  • Wie ändert sich die Partnerschaft, welche Rolle spielt der Partner, wie findet man sich als (Eltern)paar (neu)?
  • Wie bewahre ich die Nerven, die Geduld, die Liebe? Wie schaffe ich es zu lachen statt durchzudrehen?
  • Wie wirkt eigentlich Politik, wie Werbung auf das Familiensystem, wieso ist Familie nicht Privatsache?
  • Warum soll Feminismus uns kümmern?

Das wunderbare – sie schreibt es im Buch selbst:

Ich lese eigentlich gern in anderen Blogs, aber viele Texte nicht bis zum Schluss. Ich bin nämlich sofort raus, wenn es zu belehrend oder unterschwellig anklagend wird.

– das Ganze funktioniert ohne Zeigefinger und schaut-wie-toll-wir-hier-das-geregelt-bekommen und ist deswegen so lesenswert.

Deswegen: Bitte kauft dieses Buch, verschenkt es damit es verfilmt werden kann. Aber ihr müsst sehr, sehr viele Bücher kaufen, sonst reicht das Verfilmungsbudget nur für Veronica Ferres und Til Schweiger und dessen Kinder und nicht für Elisabeth Moss und Josh Thomas in den Hauptrollen.

Serie: Stranger Things II

Seit 27.10. ist auf Netflix Stranger Things II zu sehen. Ich bin noch nicht ganz durch, aber im Grunde ist Stranger Things II wie Stranger Things I. Ein gigantisches Where’s Waldo der 80er.

Die Story ist ein bißchen egal, zentral ist die Kulisse, die Optik und die musikalische Begleitung und die ist wirklich phänomenal.

Aus jeder Folge könnte man einzelne Standbilder aufarbeiten und dann daraus eines dieser statischen Computerspiele machen, wo man Zeug suchen muss: Finde die David Bowie Schallplatte, finde die Goonies-Referenz, finde das River Phoenix Double, klick, klick, klick, bing, bing bing, Highscore.

Nach drei Folgen will ich mir blonde Strähnchen machen, Lockenwickler ins Haar drehen, die Haare toupieren, zwei Kilo Haarspray reinsprühen, meine alte Zahnspange in den Mund legen, gleichzeitig Kaugummi dabei kauen und noch einmal die Liebe spüren, die ich zu Morten Harket gespürt habe, als ich mit leichter Erregung darauf wartete, ob bei Formel 1 das Take on me Video gespielt wird*.

Das reicht mir für diese Serie schon.

Stranger Things II Mad Max
Wobei ich auch die Mädchen-Charaktere der Serie mag

Serie: The Fall, 3. Staffel

Die ersten beiden Staffeln von The Fall (imdb 8,2) gibts auf Netflix und ich habe mich unter beinahe körperlichen Schmerzen durchgeschaut.

Der Plot ist im Grunde einfach: Es gibt einen Serienmörder, Peter Spector (gespielt von Jamie Dornan**), der von einer Polizistin, Stella Gibson, (gespielt von Gillian Anderson) zu Fall gebracht werden soll.

Das Faszinierende – im Grunde weiß man ab Szene 1 wer der Mörder ist. Ähnliche Serien basieren ja auf der Enthüllung, dem Ungewissen, dem Hin- und Her.

The Fall bezieht seine ganze Spannung aus der Gewissheit und dem Charakterspiel der beiden Hauptprotagonisten.

Und dafür nimmt sich die Serie viel, viel Zeit. Das Erzähltempo ist so langsam, so detailreich, so realistisch, dass es stellenweise nur schwer zu ertragen ist.

Wo andere Serien Spannung durch 543 Schnitte, Verfolgungsjagden und Explosionen erzeugen, nimmt sich The Fall die Zeit das Zucken einer Augenbraue oder das Atmen durch die Nase zu filmen.

Was vielleicht langweilig klingt, erzeugt wirklich unfassbare Spannung, drei Staffeln hindurch, bis in die letzte Einstellung.

Demogorgon
Der Demogorgon ist im Vergleich zu Peter Spector ein liebenswerter Zeitgeselle

*Zugegebenermaßen will ich auch eine Zigarette nach der anderen rauchen und grummelig wie Chief Jim Hopper Donuts essen und ein bisschen mit meinem Revolver rumballern.

**Wenn man zuerst The Fall schaut und dann Fifty Shades of Grey, ist Fifty Shades of Grey beunruhigend beängstigend.

68 Gedanken zu „Nebenbei“

  1. Waaaah das sind ja drei Texte in einem. Was für ein Lesegeschenk.

    Das mit den Netzwerken: ja total aber hat nicht auch ein großer Teil der Entspannung damit zu tun dass deine Kinder aus dem Gröbsten raus sind?

  2. Zu dem Buch: Eine Rezensentin auf der von Dir verlinkten Seite schreibt:

    „Tazi-Preves erwünschter Paradigmenwechsel, der Ehepartner sollte nicht im gleichen Haushalt wohnen, Frauen mit ihren weiblichen Verwandten, Freundinnen und vielen Kindern zusammenleben und die Anwesenheit der biologischen Väter nur noch optional sein (S.196) lässt mich zweifelnd zurück.“

    Steht das da wirklich so? Falls ja, läuft es mir kalt den Rücken runter. Wie kann man ernsthaft fordern, Kindern die Väter zu entziehen?

  3. Beim Schauen von Stranger Things habe ich die ganze Zeit das Gefühl ich würde alle Filme der 80er noch einmal in einer Serie schauen. Einfach grandios wie die Macher das eingefangen haben. Und ja, der Wunsch nach einer Dauerwelle ist sehr stark. :D

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