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Vor Weihnachten habe ich mich noch mal so richtig mit Antibiotika und Schmerzmitteln vollgepumpt, so dass ich trotz vereiterter Nebenhöhlen nach Franken fahren konnte, um traditionell Schulfreunde und Familie zu besuchen.
Der Abend verlief sehr harmonisch. Lediglich der Herr in rot versuchte diese Eintracht durch Einsatz verschiedenster Mordinstrumente zu zerstören (und das obwohl er einen echten cat-a-pult geschenkt bekommen hatte).

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Im Regionalexpress von Bamberg nach Forchheim – genauer gesagt in der Pampa zwischen Stullendorf und Hirschaid war es mir vergönnt echtes Bürgerengagement zu beobachten. Da stoppte der Zug auf freiem Feld und eine aufgeregte Fränkin raste schreiend durch das Abteil: „Die Dür lässt sich net öffnen, helfens mir, helfens mir!“ Woraufhin mehrere Mitreisende aufsprangen und unter größten Anstrengungen die Tür öffneten und die Dame ins Freie entließen. Ich schaute etwas verwundert in die Dunkelheit und stellte fest, dass es sich mitnichten um einen regulären Halt handelte und versuchte die auf freier Strecke stehende Dame zur Rückkehr in den Zug zu überreden. Alles Reden half so lange nicht, bis ich den albernen Satz: „Ich arbeite für die Bahn und ich versichere Ihnen, dass der Zug lediglich darauf wartet von einem schnelleren Zug überholt zu werden. Die Türen ließen sich nicht öffnen, weil dies kein Bahnhof ist.“ von mir gab.
Die Überzeugung in meiner Stimme hatte ich zweifelsohne vom Dauer-24-schauen. Eigentlich hatte ich „I’m Jack Bauer. I’m working for CTU you HAVE TO TRUST ME. Follow my orders and reenter the train!“ in die Dunkelheit gerufen.
Nun, Madame lies sich überzeugen und konnte gerade noch rechtzeitig in den Zug klettern bevor dieser weiterfuhr. Im Chor beteten sie und ihre engagierten Helfer bis Hirschaid: „Allmächt und des zum Heilichen Abend!“.

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Ob ich im nächsten Jahr wieder bei meinem besten Freund übernachten darf, steht in den Sternen. Leider musste ich ihm an einem der einzigen ausschlaftauglichen Tagen den Schlaf rauben. Hier das Rezept zum Nachahmen: Es ist 3 Uhr nachts. Ich wache auf, weil meine rechte Gesichtshälfte sich taub anfühlt. Also klopfe ich ein bisschen darauf herum. Als nach ein Paar Minuten keine Änderung eintritt, gehe ich ins Bad und lasse mir kaltes Wasser über das Gesicht laufen. Auch diese Maßnahme erweist sich als nicht zielführend. Im Spiegel schaut mich ein rechtseitig hängendes Gesicht an. Nach insgesamt einer Stunde ist das Gesicht immer noch gelähmt. Ich entschließe mich meinen Gastgeber aufzuwecken, mache das Licht an und setze mich neben ihn aufs Bett. Der wacht wie von der Tarantel gestochen auf und einen kurzen Moment befürchte ich, dass er mich niederschlagen wird, da er mich für einen Einbrecher hält. Ich berichte von meinem Drama und frage nach der Nummer des Notarztes, die mir gerade leider entfallen ist. Er weiß sie schlaftrunken auch nicht und so probiere ich einige aus, bis ich mich schließlich entscheide einfach die 112 anzurufen und dort nach einer Nummer zu fragen. Die Polizei (von der ich dachte sie würde sich unter 110 melden) vermittelt mich an die Notfallzentrale und die an einen HNO-Arzt der Bereitschaft hat. Den wecke ich telefonisch und frage nach, ob ich mir Sorgen machen müsse. Er hält die Lähmung für völlig besorgnisunerregend und faselt irgendwelche lateinische Bezeichnungen von Gesichtsnerven, die offensichtlich durch die Schwellung in den Nebenhöhlen abgedrückt sind. Sollte die Lähmung mehr als 24 Stunden anhalten, könne ich durchaus mal vorbei schauen, ansonsten reiche abschwellendes Nasenspray und noch mehr Schmerzmittel. Wie beruhigend. Ich lege mich also wieder schlafen.

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Den nächsten Tag darf ich erst Gans bei der Mutter meines Freundes essen, werde dann ein Paar Dörfer weiter zu meiner Mutter gefahren, um dort ein ordentliches Abendessen zu mir zu nehmen. Weihnachten bedeutet schließlich innerhalb weniger Tage die Nahrungsmenge zu sich zu nehmen, die gewöhnlich für mindestens einen Monat reicht. Nach einer weiteren Übernachtung werde ich von meiner Mutter an einem Parkplatz in Erlangen an meinen Vater übergeben. Das ganze läuft ab, wie die Übergabe einer Geisel. Autotür auf, Kind raus, Koffer umgepackt, kurzes Händeschütteln, Autotür auf, Kind rein, Abfahrt. Selbst mit 30 ist es merkwürdig wenn die Eltern geschieden sind und sich so verhalten, als wären sie Mitglieder rivalsierender Schulcliquen und hätten nicht drei Jahrzehnte miteinander gelebt. Die Postmoderne bringt schon merkwürdige Verhaltensweisen hervor.
Bei meinem Vater bekomme ich natürlich auch erst mal was Ordentliches zu essen bevor die liebe Verwandtschaft kommt und wir gemeinsam essen gehen.

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Die Rückfahrt von Bayern nach Berlin erwies sich als anders als erwartet. Während ich nach einem Platz suchend mein Rollköfferchen an böse schauenden Fahrgästen vorbei zerrte, springt eine junge Frau vor mich und sagt: „Frau Nuf lange nicht gesehen.“ Es handelte sich um eine ehemalige Klassenkameradin, die ich seit 1995 nicht mehr gesehen hatte. Wir haben uns zwei Stunden ins Bordrestaurant gesetzt und grünen Tee getrunken (den ich an dieser Stelle sehr empfehlen kann). Nach 120 Minuten war bedauerlicherweise alles gesagt und ausgetauscht. Mein unerträgliches Spießerleben langweilt und sie zieht sich auf ihren Sitzplatz zurück und ich durfte die folgenden 60 Minuten stehen. In Leipzig stiegen dann sehr viele Fahrgäste aus, so dass ich einen Klappsitz ergattern konnte. Leider stiegen drei Minuten später wieder doppelt so viele Fahrgäste ein und ich bot meinen Platz einer Frau mit Kind an. Das wäre ja gar nicht nötig und wirklich sehr nett. Dann habe ich gesagt: „Nein, nehmen Sie meinen Platz. Ich arbeite für die Bahn und wenn der Zug voll ist, ist es selbstverständlich dass Mitarbeiter den Reisenden ihren Platz anbieten.“ Wortlos und leicht triumphierend setze sie sich dann auf meinen Platz. Diese Reaktion finde ich immer wieder verwunderlich. Wenn ich als Mensch meinen Platz anbiete, bin ich wahnsinnig freundlich und die Leute wollen nicht annehmen und wenn ich das als Bahnmitarbeiter mache, habe ich das Gefühl, sie hassen mich für die 30 Sekunden, die ich davor saß.
Eine neunzigminütige Zugfahrt auf 10 cm hohen Absätzen stehend zu verbringen vergeht im Übrigen sehr viel schneller als ich befürchtet hatte.

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Dienstag wollte ich dann endlich zum Absaugen meiner Nebenhöhlen zum behandelnden Arzt. 28.12.05, 10.00 Uhr steht auf meinem Terminkärtchen. „Zwischen 24.12.04 und 01.01.05 geschlossen“ steht dem entgegen an der Praxistür. Großartig, dabei hatte ich mich langsam wirklich auf mein Kanülen-Piercing gefreut. Der letzte Arzt schilderte das so „Manche Patienten finden es unangenehm, wenn man mit der Kanüle den Knochen durchstößt“. Für mich klingt das in der Zwischenzeit nach echtem Spaß. Ich kann mich gar nicht erinnern wann ich das letzte Mal drei Wochen krank war. Außerdem habe ich noch zehn Tage Urlaub in dem ich gerne etwas anderes sehen würde als Raufasertapete.

Nachtrag: Ich konnte am gleichen Tag Abends noch einen Termin bei einem anderen HNO-Arzt ergattern, der die Absaugung ambulant vornehmen konnte. Zunächst zu meiner großen Freude. Als es dann so weit war, wäre ich am liebsten mit der Kanüle in der Nase nach Hause gegangen. Für alle Nebenhöhlenvereiterten, die sich beim ersten Auftreten der Symptome so wie ich weigern regelmäßig zu inhalieren, hier eine genaue Beschreibung des Vorgangs. Zunächst bekommt man mit Geräten, die den Anschein erwecken, als erhielte man ein cooles Airbrushtatoo ein Betäubungsspray in die Nase gesprüht. Dann wird eine zweite Ladung hinterhergepumpt, die einem hinten die Speiseröhre runterläuft und somit den Hals ebenfalls betäubt. Schlucken wird so anstrengend, als habe man vor ein halbes Schwein auf einmal runterzuwürgen. Dann schiebt der freundliche Arzt eine Punktionsnadel in den Nasenknochen, die man zehn Minuten nach oben links drücken muss. Wenn man nichts mehr spürt, darf man zurück auf den Folterstuhl. Der Arzt umgreift dann zweihändig die Nadel und stößt sie durch den Knochen in die Nebenhöhle. Das tut überhaupt nicht weh, klingt aber als … nun es klingt unbeschreiblich, eben so als spieße man einen Schädel auf ein Schaschlikspieß. Dann hängt man an die Kanüle einen Wasserschlauch und spült. Jedes Mal wenn der Hahn aufgeht durchfährt einen ein stechender Schmerz. Einmal so heftig, dass ich im Affekt nach dem Arzt geschlagen habe, der sich aber wohlwissend bereits in Sicherheitsabstand begeben hatte. Weitere Details erspare ich, das soll für jeden, der das auch mal macht eine kleine Überraschung bleiben. Erstaunlich ist, dass es sich bei dieser Prozedur offensichtlich um einen völlig harmlosen Eingriff handelt. Kein dramatisches Nasebluten und lediglich ein leichtes Druckgefühl für die folgenden Stunden. Hätte ich das gewusst, hätte ich das schätzungsweise am dritten Tag meiner Krankschreibung verlangt.

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Die Neon titelt „Wenn Eltern ihre ersten Macken bekommen“. Das Gute an meinen ist: sie haben seit jeher lustige Macken. Die meines Vaters mag ich besonders, weil sie meist einen sehr pragmatischen Hintergrund haben. So berichtete er mir kürzlich, dass seine Frau ihn aufgefordert hätte zum Ohrenarzt zu gehen, da er bestimmte Anweisungen, die sie beim Kochen aus der Küche in sein Arbeitszimmer brüllt, nicht ausführe. Artig ging mein Vater zum HNO-Arzt und machte einen Hörtest. Es zeigte sich, dass er im Bereich von 3.000-4.000 Hz leichte Defizite hat. Allerdings hat er die schon seit über zehn Jahren. Freundlich fragte er nach einem Hörgerät, welches der Arzt ihm sodann verschrieb. Mit dem Rezept bewaffnet lief er im Anschluß zum Akustiker. Dort nahm er zwei Hörgeräte zum Probehören im Alltag mit. Eine Hightechvariante mit Zuzahlung von mehreren hundert Euro und ein krankenkassengesponsortes Exemplar. Das erste erwies sich als höchst effektiv. Allerdings war es ihm dann doch zu lästig stets eines zu tragen und damit sei das Geld sinnlos vergeudet. Das billige Exemplar war zwar nicht in der Lage die exakten Frequenzen ausgleichen, machte aber alles lauter. Ich solle das auch mal ausprobieren. Man könne es so einstellen, dass das Geräusch von abreißendem Toilettenpapier einen solchen Höllenlärm verursache, das man glaube, die Badezimmerwand sei eingebrochen. Faszinierend! Er habe nun aber eine unglaublich gute Variante entdeckt, wie es sich nutzen ließe. Wenn er Abends fern schaue und seine Frau lese, beschwere sie sich immer, dass er die Lautstärke zu hoch regelte. Folglich stellt er nun das Hörgerät auf maximale Lautstärke, den Fernseher auf sehr leise und so könne seine Frau in Ruhe lesen und er entspannt fernsehen. Man müsse sich lediglich daran gewöhnen, dass das Umblättern der Seiten klingt als fiele jedes Mal die Wohnzimmertür langsam aus den Angeln zu Boden.