Wir verstehen uns ohne Worte

Beziehungsverträge
Beziehungsverträge aushandeln und schriftlich festhalten. Wäre das nicht sehr unromantisch?

Neulich schrieb Sue Reindke in ihrem Newsletter (den ich so sehr liebe, dass ich ihn oft nicht sofort lese, sondern mir aufspare für einen ruhigen Moment, in dem ich ihn langsam und mit Genuss lesen kann) über Beziehungsverträge, die im BDSM-Bereich wohl durchaus üblich sind.

Sie spielt mit dem Gedanken wie es wäre, wenn man einfach den Modus Operandi einer jeden Beziehung gemeinsam aushandeln würde?

Tatsächlich kenne ich kein Paar, das sowas macht.

Warum eigentlich nicht, habe ich mich heute früh beim Spaziergang zum Bäcker gefragt.

Zum einen steht dem natürlich das romantische Ideal der Liebe entgegen. Ganze Armaden von Kalendersprüchen verweigern sich Aushandeln und Liebe in einen Zusammenhang zu bringen.

Wer sich liebt, versteht sich ohne Worte. Man ist sich so nahe, dass der andere stets die Bedürfnisse des Partners kennt und weil man sich schließlich liebt, versucht man alles, um diese zu erfüllen.

Klar.

Funktioniert in Paarbeziehungen hervorragend. So zwei Wochen. Manchmal vielleicht auch einige Monate. Kommt auf die hormonelle Verblendung an. Menschen sind da ja unterschiedlich anfällig.

Hormonell verblendet (oder wie andere sagen: frisch verliebt) ist alles toll. Alles klappt, es ist unkompliziert, man schenkt sich Blumen, bringt dem Partner Kaffee ans Bett und dann naja… kommt der Alltag.

Bei genügsamen Menschen funktioniert es wortlos bestimmt auch noch länger – doch spätestens wenn ein Kind in die Beziehung kommt, sollte man doch zur Verhandlung übergehen.

Und nicht nur das. Man sollte in Verhandlung bleiben. Denn egal wie mühsam man Dinge ausgehandelt hat, das Leben ändert sich, die Rahmenbedingungen ändern sich und – auch das kommt vor – man hat sich (selbst) falsch eingeschätzt und wünscht sich vielleicht doch was anderes als gedacht.

Das Aushandeln ist unendlich anstrengend.

Meine ersten Beziehungen habe ich nicht gehandelt. Da haben wir uns auf Annahmen ausgeruht. Das Resultat war am Ende immer unendlicher Frust und dann irgendwann Trennung.

Beziehungsverträge aushandeln – darauf wäre ich früher nie gekommen.

Auch jetzt habe ich keinen Beziehungsvertrag, aber wir haben eine Wochenbesprechung. Die dient zum einen der konkreten Planung der Woche, aber wir nehmen auch Punkte auf die Agenda, die uns sonst im Beziehung- und Familienleben wichtig erscheinen. Wir nehmen auch immer wieder Entscheidungen der Vergangenheit mit auf unsere Gesprächsliste: „Wir hatten ausgemacht, dass du die kleinen Einkäufe direkt nach der Arbeit erledigst, wie fühlst du dich damit?“

So versuchen wir sicher zu stellen, dass sich bestimmte Vereinbarungen nicht zur Bürde entwickeln, weil man vielleicht im Alltag gar nicht genug Zeit hat zu reflektieren, ob man sich wirklich wohl mit dieser Entscheidung fühlt.

Tatsächlich nutzen wir auch diverse Tools, um uns zu koordinieren und Vereinbarungen und ToDos festzuhalten. Eine Wunderlist z.B. für die täglichen Einkäufe, eine für die Großeinkäufe, eine mit Gerichten, die wir kochen können, eine mit wiederkehrenden ToDos (z.B. Essenplan der Schule ausfüllen) und eine mit unregelmäßig auftretenden ToDos (z.B. Geschenk für Kindergeburstagseinladung besorgen).

Wir benutzen Trello für die konkreten Wochentage (wer übernimmt was, wer arbeitet wann wie lange) und haben einen geteilten Kalender (online) und einen Kalender an der Wand, wo auch die Kinder eintragen, wo sie so sind und wann sie nach Hause kommen.

Das klingt aufwändig – ist es tatsächlich auch, aber es hat wirklich mehrere Vorteile. Viele Aufgaben, die vorher jahrelang unsichtbar waren, sind jetzt sichtbar. Da jede/r Zugang zu den Inhalten hat, kann man sich auch einfach Aufgaben nehmen (Halbe Stunde bis zum nächsten Termin? Dann gehe ich noch schnell den Klebestift besorgen… die Pushnachricht beim Abhaken der Aufgabe benachrichtigt den Partner darüber, dass etwas erledigt wurde) und Aufgaben eintragen, die neu dazu kommen.

Perfekt ist das System dennoch nicht. Es gibt immer wieder Frust und wir vergessen auch Sachen. Es ist ein stetiger Lernprozess.

Und das ist übrigens was für mich Liebe ausmacht. Nicht das wortlose verstehen sondern die Bereitschaft zu teilen und zu kommunizieren.

(Naja und das Interesse am langfristigen Wohlergehen des Partners.)

Das alles fiel mir wieder ein, als letzte Woche mehrere Male der Emma-Comic „You should have asked“ durch meine Timeline ging. Da wird erklärt wie es dazu kommen kann, dass Frauen an ihren alltäglichen Familienaufgaben, die unsichtbar nebenher laufen, kaputt gehen können – obwohl sie doch angeblich so unterstützungsbereite Partner haben, die durchaus mithelfen würden, wenn man sie nur darum bitten würde.

Emma bringt den Begriff „mental load“ auf. Ich kannte den Begriff vorher nicht, aber ich würde sagen, dass mein „mental load“ der Vergangenheit mich kurz vor den Burnout gebracht hat.

Ich war irgendwann so weit, dass ich so erschöpft war, dass ich mit dem Gedanken gespielt habe, mich einfach auf die Straße zu legen und mich dort auf dem Asphalt ein wenig auszuruhen.

Ich war so fertig, dass mein Körper wirklich einfach nur noch liegen wollte. Egal wo. Es war für mich unendlich schwer, dem nicht nachzugehen und stattdessen einfach einen Fuß vor den anderen zu setzen und dann weiter ins Büro zu gehen.

Wenn man das nicht erlebt hat, kann man sich wirklich nur schwer vorstellen, dass es anstrengend sein kann und Kraft kostet, einfach nur zu gehen (von allen anderen Tätigkeiten mal abgesehen).

Zurück zum Comic – die Autorin erklärt dort sehr gut, wie es dazu kommt, dass dieser Typ Mann („Natürlich helfe ich, wenn meine Frau mich darum bittet!“) so verbreitet ist. Sozialisation und tradierte Rollenbildern, die in Werbung und Medien ständig reproduziert werden.

Das Comic bleibt beschreibend und erklärend.

Und vielleicht wurde es deswegen so gerne und zahlreich geteilt.

Ich würde unterstellen, dass viele Männer diese Beschreibung als eine Art Absolution empfinden. In der Art „Schaut her, wir können nichts dafür, wir wurden so erzogen, wir sind herzensgut und gewillt zu unterstützen. An uns liegt es nicht, die Gesellschaft ist schuld. Wir können die unsichtbaren Sachen einfach nicht sehen. So sorry!“

Leider macht mich das wütend.

Schaut euch das Comic nochmal an.

Die Anfangsszene, die beschrieben ist, zeigt für mich v.a. eines: Man(n) muss schon wirklich ignorant sein, um nicht zu sehen, dass Unterstützung notwendig wäre.

(Jetzt schreibe ich „Unterstützung“… was natürlich falsch ist, denn wenn man das Leben teilt, dann ist nicht die Frau die Managerin und der Mann der auf freiwilliger Basis Zuarbeitende!).

Jedenfalls – um es mal als frustrierte Emanze in deutliche Worte zu packen – Mann muss schon ignorant, faul und doof sein, in solchen und ähnlichen Situationen unbeteiligt rumzusitzen und darauf warten, gefragt zu werden, ob man denn bitte mal helfen kann.

Die Sozialisation kann man sich da gerne an den Hut stecken.

Da geht es für mich schlichtweg ums WOLLEN bzw. eben ums Nichtwollen.

Denn natürlich ist Teilen anstrengend. Wenn mein Partner in der Küche hantiert, kocht, Tisch deckt und nebenher aufräumt und ich in einem anderen Zimmer vorm Rechner sitze, dann ist das Gefühl in mir sehr stark sitzen bleiben zu wollen und nicht nach den Schultaschen zu schauen, die Brotdosen auszupacken, die Elternhefte zu kontrollieren oder die Wäsche, die gerade fertig geworden ist, aufzuhängen.

Die Verlockung sich keinen Schritt zu bewegen, ist sehr groß. Ich weiß nämlich, dass mein Partner das auch alles noch machen würde und sich zumindest heute nicht beschweren würde. Vielleicht auch morgen nicht und wie schön wäre es da, wenn ich auf meinem bequemen Schreibtischstuhl sitzen bliebe und ein wenig Twitter läse?

Und dann, wenn er nach einer Woche meines Nichtstun sagen würde: „Patricia, Du könntest vielleicht auch mal was im Haushalt machen?“ zu sagen: „Warum ist denn Dein Ton so gereizt? Du musst mir doch nur sagen was ich tun soll. Warum hast du denn nicht früher gefragt? Du weisst doch, dass ich immer helfe, wenn du mich darum bittest!“

Ich übernehme also nicht eigenaktiv meine Hälfte sondern lasse mich alle drei Tage auffordern. D.h. ich arbeite nur ein Drittel meiner Hälfte ab und muss somit nicht mal 17% aller Aufgaben erledigen.

PLUS: Ich bin noch total nett. Denn immerhin unterstütze ich IMMER wenn mein Partner mich fragt. Ich sage schließlich nie nein.

Also: Was ich sagen will – im Familienalltag all das nicht zu sehen, das ist keine unglückliche Sozialisation sondern Ignoranz. Fertig.

Und: Auf der anderen Seite davon auszugehen, dass sich alles von alleine gerecht aufteilt, ist leider auch sehr naiv.

Beziehungen sind Arbeit und vielleicht wäre es gar nicht so doof wirklich Beziehungsverträge auszuhandeln. Man lernt sich und den Partner dadurch besser kennen. Und wenn man den Beziehungsvertrag regelmäßig neu bespricht, dann bleibt man auch UpToDate was die Lebensumstände, die Tagesform und die aktuelle Belastbarkeit angeht.

Also weg mit den dämlichen Liebesidealen und hin zu einer Kultur des Austauschs – denn natürlich wäre es schön, wenn wir uns ohne Worte verstünden, nur leider sind wir keine Betazoiden.


Auch Melanie von glücklich scheitern hat sich Gedanken zu dem Comic gemacht und sagt auch „Familienmanagement“ ist Teamwork.

Halten Sie Ihre Beziehung durch unbequeme Hosen am Leben

So eine Schlabberhose, das muss die Liebe abkönnen. Ja, ich verlange, dass das die Liebe sogar wachsen lässt.

Am Wochenende waren wir bei einer Hochzeit eingeladen. Die Standesbeamtin war von ihrer eigenen Rede so ergriffen, dass sie selbst Tränen in den Augen hatte. Genau genommen war sie so gerührt, dass nur der Tisch sie davon abhielt, dem Brautpaar in die Arme zu fallen und das aufwändig bestickte Seidenkleid der Braut mit Tränenflüssigkeit zu durchtränken.

Als ich hinterher die Brautmutter irritiert fragte, ob die Standesbeamtin vielleicht irgendwie mit Teilen der Hochzeitsgesellschaft verwandt sei, wurde das verneint.

Ihre Rede beinhaltete allerlei Weisheiten über die Korrelation von Lebensglück und schlechtem Wetter zum Hochzeitstag (es regnete, das Verhältnis ist indirekt proportional, mein Beileid allen Paaren, die bei Sonnenschein geheiratet haben) und dann wußte sie natürlich noch viel über die Liebe als solches zu berichten.

Das Kribbeln solle man sich z.B. erhalten. Zum Glück bin ich ja ein sehr beherrschter Mensch und deswegen konnte ich mich gut zurückhalten und habe gar nicht zum Thema „Über die Unmöglichkeit und evolutionsbiologische Unnötigkeit das Verliebtheitsgefühl der ersten Phase über Jahre zu erhalten“ referiert. Das geht nämlich gar nicht. Physiologisch ist das nicht möglich. Da es sich bei dem Kribbeln lediglich um die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter handelt, bei denen die Rezeptoren jedoch unglücklicherweise irgendwann zwangsläufig adaptieren, was zur Folge hat, dass dieses Limerenz-Gefühl sich irgendwann durch schlichte Gewöhnung erledigt.

Nun gut. Ich kann den Vorsatz diese unsägliche Verliebtheitsphase möglichst lange zu erhalten nicht verstehen, aber tolerieren. Ich für meinen Teil kann auf Gedankenbesessenheit, Schlaflosigkeit, physiologischer Übererregtheit, Appetitlosigkeit und verzerrte Wahrnehmung bestens verzichten.

Auch habe ich keine Diskussion zu Geschlechtssterotypen oder Alltagssexismus gestartet, nur weil die Standesbeamtin sehr lange ausholte, welche Pflichten die EheFRAU alle zur erfüllen hätte, um den Mann glücklich zu machen. Man müsse beispielsweise wenigstens die Abseitsregel verstehen, um dem Manne das unbedingte Interesse an seinen Hobbys zu demonstrieren (Augenverdrehen!).

Schluss mit lustig war aber bei der Bemerkung, die Frau solle zuhause (natürlich ist die Frau immer zuhause und erwartet den Mann, der gestresst von der Arbeit zurück kommt) keine Schlabberhosen tragen. Das zerstöre die Liebe.

DAS TRAGEN VON SCHLABBERHOSEN ZERSTÖRT DIE LIEBE!

Ich musste an die Gute-Hausfrau-Ratgeber der 50er Jahre denken, als ich das hörte. Wenn die Liebe vergeht, ist das natürlich das Verschulden der Frau. Notfalls eben weil sie die falsche Kleidung getragen hat. Es gehört zum modernen Leben offensichtlich nach wie vor dazu, dass die Frau arbeitet, sich um den Haushalt kümmert und dann aufgebrezelt den gestressten Mann mit einem Glas Martini an der Haustür erwartet.

Wie furchtbar!

Mein Mann genießt viele Privilegien. Zum Beispiel schreie ich im normalen Leben nie andere Menschen an. Nur meinen Mann. Eine außerordentliche Ehre, dass er mein wahres Ich sehen und kennen darf. Mein nacktes und lautes Innenleben. MEINE GEFÜHLE EBEN! Nicht meine magengeschwüriduzierende Kontrolliertheit.

Genauso darf er mich in den schlampigsten, ausgedelltesten Schlumpihosen der Welt sehen. Ungeschminkt! Manchmal kämme ich mir sonntags nicht mal die Haare. Dieser intime Anblick ist nur für meinen Lebenspartner bestimmt und das nicht von Anfang an. Das Vertrauen muss erstmal entstehen. Alle Beziehungen, die weniger als drei Jahre andauerten, kamen nie in diesen Genuss. Naja gut, der Postbote vielleicht noch. Ja, oder der Bäcker – ok, ok, manchmal auch die Kindergärtnerinnen und gelegentlich auch einige FreundInnen. Aber sonst niemand! Sonst bin ich immer adrett angezogen und geschminkt. IMMER.

So eine Schlabberhose, das muss die Liebe abkönnen. Ja, ich verlange, dass das die Liebe sogar wachsen lässt.

Sonst schreien doch immer alle nach Authentizität – aber wenn es um Hosenauthentizität geht, da scheiden sich die Geister.

Satzobjekt und Prädikat an der Kasse gratis dazu!

Irgendwann vor ca. hundert Jahren habe ich eine Diplomarbeit zum Thema Liebe verfasst. Nach zweijähriger Recherche ließ sich festhalten: Gleich und gleich gesellt sich gern eignet sich als Grundlage für eine längerfristig angelegte Beziehung viel mehr als das entgegengesetzt lautende Sprichwort Gegensätze ziehen sich an.
So ist es bei der Partnerwahl unter anderem eine Kunst, durch geschicktes Befragen des möglichen Lebensgefährten herauszubekommen, ob man gleichgerichtete Interessen hat.
Im Fall meines Freundes zeigte sich schnell, was das angeht, haben wir das Potential in ca. zwanzig Jahren in gleichfarbigen Anoraks herumzulaufen.
Wir interessieren uns beide sehr für Science-Fiction, mögen Grillfleisch und durchstöbern gerne Hinterhöfe. Viel wichtiger jedoch ist unsere gemeinsame Leidenschaft für Werbeprospekte.

Kaufe 10 und bekomme gratis dazu. Nur was?

Freilich steht bei uns, wie auf jedem gutbürgerlichen Briefkasten: Werbung einwerfen verboten und tut man es doch, so regen wir uns im erwarteten Rahmen auf. Schließlich wollen wir in der Nachbarschaft nicht unangenehm auffallen. Zum Glück gibt es die Studenten im Hinterhaus, die einen solchen Aufkleber nicht haben und denen klauen wir die Reklame aus dem Briefkasten. Eine ebenfalls ergiebige Quelle ist der Altpapiercontainer, wo man nach eifrigem Wühlen auf manchen Schatz stößt.
Wir lesen die Werbeblättchen zur Entspannung nach Feierabend und so kann es sein, dass der letzte, der nach Hause kommt einen weiteren Stapel mitbringt. Meistens handelt es sich hierbei um doppelte Exemplare. An besonderen Tagen jedoch hat einer von uns beiden etwas ergattert, was der andere in fremden Briefkästen übersehen hat oder nicht herausziehen konnte, weil seine Hand nicht durch den Schlitz passte.
So sitzen wir Abend für Abend auf dem Sofa, die Füße auf der Lehne und zwischen dem Kind pssssssscht zu, wenn es redet während wir die Werbung studieren.
Wahrscheinlich sind wir so weit gesunken, weil wir seit Jahren kein Fernsehgerät mehr haben. Andererseits ermöglicht das aufmerksame Lesen von Werbeprospekten aller Art das Ergattern von so manchem Sonderangebot. Auch sind die Gewinnspiele nicht zu vernachlässigen. So werden wir z.B. am 15. Juli stolz an der Reichelt Filialfeier 2006 in der Siemensstraße teilnehmen, denn außer uns hat nur die Großcousine der Filialleiterin an dem Gewinnspiel teilgenommen und die haben wir angezeigt, denn die Teilnahme von Angehörigen aller Art ist untersagt!

Klick mich, um mich zu lesen.

Was die Beziehungswelt zusammen hält

Es gibt die unterschiedlichsten Arten von Beziehungskit. Für die meisten ist es Liebe, so hört man in Umfragen. Das Problem an der Liebe ist, sie ist vergänglich. Als eher sicherheitsorientierter Mensch würde ich meine Beziehung nie auf solch wackelige Beine stellen.
Da setze ich lieber auf Leiden. Man könnte dieses Phänomen unter dem Begriff Kreuzritter-Effekt zusammenfassen. Man lernt einen Partner kennen, findet sich sympathisch und eines Tages beschließt man gemeinsam den heiligen Gral zu suchen. Man macht sich auf den Weg und überwindet Hindernis nach Hindernis, hilft sich gegenseitig und bringt so manchen Ungläubigen zur Strecke. Nach mehreren Jahren der erfolglosen Suche, ahnt man zwar, dass man den Gral nicht finden wird, lässt sich aber nicht davon abhalten tapfer weiteren Abenteuern entgegen zu reiten. Dabei schwelgt man nicht andauernd in Harmonie, nein, es müssen auch Ritterkämpfe überstanden werden.
So einen Kampf hatten wir gestern Abend, als wir vom Keller der Nachbarin einen Crosstrainer in unsere Wohnung befördern wollten. Gut 90 Kilo wiegt das Gerät – was an sich nicht so schlimm wäre – nur leider ist es ungefähr so handlich wie ein Klavier.
Da steht man zu zweit noch vor Eintritt ins eigene Treppenhaus verkantet zwischen Wand und Treppe und spürt, wie sich der rechte Griff der Sportmaschine tief in das eigene Gedärm drückt, während der Partner munter von der anderen Seite mit aller Kraft weiter schiebt.
In jenen Momenten, in denen zusätzlich das Kreuz schmerzt und man glaubt einen Hexenschuss zu bekommen, schreit man den unterdrückten Frust der letzten Wochen durch das Treppenhaus und auch der Partner nutzt die Gunst der Stunde und fährt den in der Zwischenzeit hochgewuchteten Crosstrainer punktgenau über die falsch platzierten Füße. Er brüllt „Entschuldigung“ doch in seinen Augen sieht man, das war kein Versehen.
Treppe um Treppe schleppt man sich den Wuttränen nahe der eigenen Entkräftung entgegen, während man vielleicht in einer Zwischenetage die sich bietende Chance nutzt und den Partner auf der eigenen Schweißpfütze zum Staucheln bringt.
Wie eine gigantische Bohrschraube, die ihren Weg durch das Gestein Meter um Meter auf dem Weg nach einem Erdölfund bahnt, bewegt man sich durchs Treppenhaus. Den Crosstrainer hassend, sich hassend, den Partner hassend.
Kommt in der 6. Etage dann endlich die eigene Wohnungstür in Sicht, so weicht die Aggression, Glückshormone werden über den Hypothalamus freigesetzt, man blickt den Partner mit den blutunterlaufenen Augen an und fällt ihm weinend in die Arme. Es ist geschafft! Wir haben es geschafft! Gemeinsam! Man schwört sich schlangenzüngig ewige Liebe und meint damit, dass niemand von beiden den sperrigen Klotz jemals wieder runter schleppen will.

Und für die, die es weiterhin Liebe nennen wollen: Liebe ist eine Fehlinterpretation physiologischer Erregung!

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Prototypische Unterhaltung am Morgentisch

– Wir könnten im September eine Woche Urlaub in Paris machen.
– Hmpmmmmm
– Paris ist so schön!
– Ja, da gibts Häuser und Häuser und Häuser.
– Na hör mal, die ganzen Museen und überhaupt Paris ist einfach wunderschön.
– … ja und wenn wir wieder kommen, dann erzählen wir allen, wir hätten geheiratet.
– Dann brauchen wir aber auch Ringe.
– Quatsch. Der S-Bahn-Ring um Berlin soll uns genügen…

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Verhütungsmittel Schnupftabak

Ich war bis vor einigen Jahren der festen Überzeugung, dass Schnupftabak in unseren Breitengraden bei den unter Achtzigjährigen ausgestorben sei.
Durch das Fernsehen hatte ich von dem Phänomen überhaupt erst erfahren. Leider wurde ich eines besseren belehrt. Als ich Ende der neunziger mit dem Chatten begann, hatten sich mir gewisse Tücken der Onlinekommunikation noch nicht ganz erschlossen.
Man chattete einfach nächtelang und ohne Enthusiasmusverlust mit allen möglichen Menschen. Man schrieb sich die Finger wund und machte sich die Mühe sich schriftlich die gegenseitigen Standpunkte zum Thema Descartes und der Leib-Seele Dualismus in der künstlichen Intelligenzforschung darzulegen.
Wenn man dann erstmal ein halbes Jahr das Wirtschaftswachstum der Telekom mit 650 DM im Monat unterstützt hatte, war man zu einem ersten Telefonat bereit. Leider schieden hier bereits die ersten 80% aus. Aus dem eloquenten und wortspritzigen Jüngling wurde schnell eine lahme Ente. Für die verbleibenden Prozente investierte man erneut Monate bevor man sich traf. Sicherheitshalber schickte man sich in der Anbandelungsphase Briefe mit Fotos.
Eigentlich wollte ich nie jemanden kennen lernen. Doch nach einem Jahr chatten, drei Monaten telefonieren und einem ganz bezauberndem Foto ließ ich mich erweichen und war zu einem Treffen bereit.
Wir trafen uns zu einem Spaziergang weit ab jeglicher Zivilisation. Eine tolle Idee, wie mir erst beim fertigmachen einfiel.
Handys waren zu dieser Zeit alles andere als verbreitet. Nicht weit verbreitet, also rein quantitativ, mit weitaus längerer Tradition gab es jedoch die Psychopathen und Mörder.
Eilig kritzelte ich deswegen meinen damaligen Mitbewohnern auf einen Zettel in der Küche: Heute ist der 23. Mai 1998, ich treffe mich mit einem Kerl, der vorgibt L. zu heißen. Im Internet nennt er sich Discours Wenn ich nicht in spätestens 24 Stunden zurück bin, sucht nach meinem Kopf. Er ist vermutlich in einem Waldstück nahe der Oder vergraben. Danke und liebe Grüße Nuf
Auf dem Weg zum Treffpunkt wurde ich immer nervöser. Was wenn L. gar nicht der war, der er vorgab zu sein? Was wenn er ein pickeliger, zahnfauliger Gnom war, der sich die Worte nur von einem mir unbekannten Dritten hatte einflüstern lassen?
Doch als ich um die Ecke bog und ihn sah, fielen schlagartig alle Zweifel von mir ab. L. sah aus, wie auf dem Foto und rief mir in der gewohnt freundlichen Art ein „Hallo!“ entgegen.
Wir kamen gleich ins Gespräch und die erste halbe Stunde war ganz bezaubernd. Dann blieb L. stehen, kramte in seiner Tasche, zog eine kleine Dose heraus und schüttete sich etwas braunes auf die Fingerspitze. Ich war entsetzt. Es war Schnupftabak.
Den Rest des Weges versuchte ich mich von Wahnvorstellungen zu befreien. Immer wieder kamen mir Bilder von braunbeschnäutzen Taschentüchern in den Sinn. Vor meinem geistigen Auge sah ich seine schnupftabak- und schleimverklebten Nebenhöhlen.
Ich musste mir vorstellen, wie ein weißes Kopfkissen wohl aussähe, wenn er sich nasetriefend darauf wälzte. Den Rest gab mir die Vision, wie es wohl wäre, wenn er mich versehentlich annieste.
So blieb mir lediglich für mich festzuhalten, dass ich ein schrecklich oberflächlicher Mensch bin und dann unter einem fadenscheinigen Vorwand das Weite zu suchen.
Mann L., es hätte ja alles so wunderwunderschön sein können mit uns beiden!