Wale gehören ins Meer

Gleicht der eigene Bauch erst mal dem eines Schweins der Gattung Sus scrofa, erfordert es doch ein gewisses Maß an Überwindung im Bikini schwimmen zu gehen. Eines dieser zeltförmigen Schwangerschaftsbademodenmodelle zu tragen steht jedoch völlig außer Diskussion. Wer möchte schon stundenlang vier Quadratmeter klitschnassen Stoff auf dem Babybauch kleben haben?
Erstaunlicherweise sinkt die Scham vor dem Bikini direkt proportional mit dem Ansteigen des Eigengewichts. Kaum wiegt man so viel wie ein kleiner Elefant, erscheint die Option sich wenigstens ein Paar Stunden nahezu schwerelos im Wasser zu bewegen, so verlockend, dass man im Grunde auch nackt ins Schwimmbad gehen würde.
So trug es sich zu, dass ich während der Endphase meiner Schwangerschaft regelmäßig Schwimmbäder aufsuchte und Erfahrungen, die ich nicht missen möchte, sammelte.
So stehe ich z.B. suchend am Beckenrand und halte Ausschau nach meinem kurzsichtigen Freund. Neben mir, ebenfalls mit den Händen, den schmerzenden Rücken abstützend, steht ein Mann um die fünfzig und streckt seinen Bierbauch heraus.
Als Tonnenkörper auf zwei dünnen Beinen, sehen wir uns figürlich recht ähnlich und lächeln uns freundlich zu.
Da sehe ich auch schon meinen Partner, wie er aus dem Wasser winkt. Leider winkt er nicht mir sondern dem Mann mit Bierbauch zu. Später sagt er mir, er habe sich ja auch gewundert, dass ich kein Oberteil getragen hätte, aber ohne Brille bliebe ihm ja nichts anderes als sich an Silhouetten zu orientieren.
Ich gleite also wie ein kleines Walross ins Wasser und paddle auf meine Restfamilie zu. Das Kind in mir paddelt zur Verstärkung mit. Ich bin so was wie ein doppelpropelliges Boot.
Das ausgewachsene Kind 1.0 und der Partner bewegen sich indes zu einer kreisförmigen Wildwasserbahn, bei der ich ebenfalls einige Sekunden später ankomme. Um eine Säule herum ist eine Halterung gebaut, das Wasser wirbelt im Kreis und gemeinsam mit mehreren Senioren kreiseln wir um die Säule. Nach ca. einer Minute ergreift uns die Langeweile und wir wollen den Wasserstrudel verlassen. Kind 1.0 und Mann schaffen das mühelos. Ich scheitere leider an dem Druck mit dem das Wasser auf mich einwirbelt als ich versuche den Wasserkreisel zu verlassen. Immer wieder werde ich auf einen der Opas zurückgesprudelt. Ich gebe schließlich auf und hangle mich brav mit den anderen achtzigjährigen im Kreis. Nach zwanzig Minuten springt weiter hinten ein Wasserfall an und der Strudel versiegt endlich.
Völlig entkräftet rette ich mich an Land und lege mich auf eine Liege, wo ich wenige Sekunden später in Tiefschlaf verfalle. Nach einer unbekannten Zeitspanne wache ich von einem merkwürdigen Gefühl auf. Mein massiger Bauch bewegt sich anders als gewohnt. Als ich die Augen öffne, sehe ich Kind 1.0 und zwei weitere Kinder im Kindergartenalter auf meinem Bauch kleben. Kind 1.0 berichtet wissenschaftlich dreinblickend: „Hier drinne is mein Geschwister. Es hat Ohren und  kann alles hören.“
Es geht ganz nah mit dem Mund an den Bauch und sagt: „Hallo, hallo, test, test!“
Die anderen Kinder staunen. Kind 1.0 führt weiter aus: „Wenn ich hier wackeln tu,“ (Kind wackelt am Bauch) „dann merkt das das Baby.“ Verwundertes Raunen bei den anderen Kindern.
„Hier, ihr dürft auch mal.“ entscheidet das Kind und gibt meinen Bauch frei.
Da kleben nun drei Kinder und sprechen zu ihm, während sie gleichzeitig daran wobbeln. Für Ansagen von weiter oben interessieren sie sich wenig. Ich werde sie erst los, als ich mich ganz langsam erhebe, Richtung Schwimmbecken schleiche und mich ganz in Zeitlupe ins Wasser lasse. Erst als den lieblichen Kindern das Wasser bis zum Kinn steht, lassen sie von mir ab und treiben sanft gurgelnd von mir weg.
Auch ich lasse mich von den Fluten in das Reich der Schwerelosigkeit entführen und paddle der Sonne entgegen.