Vereinbarkeit, Beziehungsaufbau und Smartphones

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Normalerweise bekomme ich sofort Reaktanz, wenn ich Texte lese, die das Smartphone als solches verteufeln. Interessanterweise nicht so bei dem Artikel von Jesper Juul „Smartphones haben auf der Familieninsel nichts zu suchen!

Im Gegenteil. Mich überkam der Impuls die am Ende vorgeschlagenen Tipps gleich umzusetzen. Einer davon lautet:

„Das gesamte Morgenritual ist telefonfreie Zone und die gleichen Regeln gelten für die Zeit von einer halben Stunde vor dem Abendessen bis zur Schlafenszeit der Kinder. Basteln Sie eine originelle Schachtel im Eingangsbereich, wo jeder sein Telefon während der telefonfreien Zeit deponieren und aufladen muss.“

Warum aber spricht mich der Artikel, der im Grunde für einen sehr minimierten Umgang mit dem Smartphone plädiert so an? Zeitgleich bin ich ja sehr begeistert von den Möglichkeiten der Technik (zuletzt z.B. von Pokémon Go).

Der Artikel hat als zentrales Thema wie sich exzessiver Smartphone Gebrauch auf Beziehungen auswirkt.

Auf Eltern-Kind-Beziehungen aber auch auf Paar-Beziehungen – und da hat’s mich erwischt quasi.

In meinen früheren Beziehungen hab ich gerne alles weiterhin alleine gemacht. Effizienz stand für mich im Vordergrund. Warum gemeinsam das Kind vom Kindergarten abholen, wenn doch der andere Partner zeitgleich einkaufen gehen kann – warum?

In meiner neuen Beziehung habe ich gelernt, dass es nicht immer um Logik und Zweckmäßigkeit geht, sondern eben auch um Beziehungspflege und gemeinsame Zeit.

Wir verbringen verhältnismäßig viel Zeit miteinander. Allerdings sind das auch Zeiten in denen Dinge einfach (immerhin gemeinsam aber dennoch) erledigt werden müssen: einkaufen, kochen, Wäsche aufhängen, falten, Kinder duschen, Zähne putzen, vorlesen, singen etc.

Diese Zeiten sind auch schön, allerdings eignen sie sich  zur Beziehungspflege eher wenig. Oft kann man keinen Satz vernünftig zu Ende bringen oder Gedanken zu Ende denken. Es bleibt quasi wohlwollend freundlich, aber der Tiefgang kommt erst wenn wir als Paar Zeit für uns haben.

Das selbe gilt übrigens für die Beziehung zu den Kindern.

Juul schreibt in dem oben erwähnten Text:

„Emotionale und intellektuelle Intimität braucht häufig zwei bis drei Stunden des Zusammenseins, um zu wachsen und zu erblühen. Dieser Aspekt einer Beziehung braucht die Art von Stille und Leere in welcher das «einander auf den neusten Stand bringen» von einem angenehmen Schweigen gefolgt wird“

Eine Leserin (ich finde den Kommentar leider nicht mehr) schrieb etwas ähnliches unter einen meiner Artikel zum Thema Vereinbarkeit. Grob lautete die Anmerkung in etwa: Wenn die Zeiten, die wir als Eltern mit den Kindern gemeinsam verbringen aufgrund der Arbeitszeiten einschrumpfen auf Abfertigungszeiten, sind wir alle unglücklich. Mit viel Druck wird ein Programm durchgezogen ohne dass da Platz für uns bleibt.

Ich dachte mir damals: Genau das!

Ich leide auch sehr darunter, wenn ich es erst schaffe gegen 17 Uhr Kind 3.0 von der Kita abzuholen, wir noch schnell einkaufen gehen müssen und dann zuhause auf ein Kind 2.0 treffen, dass noch ein paar Schulaufgaben zu erledigen hat, die wir dann zwischen Abendbrot zubereiten und essen quetschen bevor die Kinder sich um 19 Uhr bettfertig machen.

Deswegen versuche ich uns morgens immer eine halbe Stunde zu schenken und auch am Nachmittag und Abend sicherzustellen, dass wir Leerlauf haben.

Erst dann ist Familienleben schön. Erst dann haben wir die Gelegenheit über den Tag zu sprechen, uns zu erzählen, was uns bewegt und damit eben die besagte emotionale und Intellektualität aufzubauen.

Das gilt also sowohl für meine Kinder als auch für meinen Partner.

Seit einiger Zeit lege ich mein Telefon bewusst aus der Hand und versuche diese raren Zeiten nicht zu unterbrechen.

Juul schreibt weiter:

„Täglich und in den wenigen Stunden welche Kinder mit ihren Eltern verbringen, passiert immer öfter folgendes: Kinder möchten ihren Eltern eine Frage stellen, sie möchten ihnen etwas erzählen oder auf etwas antworten, was die Eltern gerade sagten, und die darauffolgende Antwort lautet: «Entschuldige Schatz, da muss ich rangehen»; «Entschuldige, aber ich habe soeben eine Nachricht von der Arbeit erhalten, die ich beantworten muss. Es dauert nicht mal eine Minute, versprochen»; «Kannst Du kurz eine Minute warten… ich muss…»“

Da habe ich mich doch sehr ertappt gefühlt und v.a. an das Gefühl erinnert, das ich manchmal habe, wenn mein Freund an seinem Telefon rumspielt und ich empört denke: „Hö? Ist das jetzt wirklich wichtig?“*

Juul schreibt, dass die Kinder anfangen, die Eltern zu vermissen, obwohl sie da sind und welche Folgen das auf die psychische Entwicklung der Kinder hat.

Ich kann empfehlen, den Artikel wirklich zu lesen und ihn auf sich wirken zu lassen.

Gleichzeitig denke ich aber auch, dass Juul einige Sachen übersieht. Tatsächlich ist das Smartphone auch ein Kommunikationsvehikel zwischen Eltern und Kindern.

Damit meine ich jetzt nicht, dass man sich gegenseitig Nachrichten schreibt (was ich auch sehr schön finde), sondern viel mehr, dass das Smartphone einfach eine Kamera, ein Lexikon, ein Fernseher etc. ist.

Ganz oft beschäftigt die Kinder etwas, das wir dann nachschlagen. Wie sieht die Flagge von Neuseeland aus? Wie groß ist das Land? Warum können Kiwis nicht fliegen?

Mithilfe des Smartphones beantworte ich diese Fragen und wir sitzen zusammen auf dem Sofa und verbringen eine entspannte Zeit. Im Gegensatz zu Spitzer denke ich nicht, dass es irgendwie hochwertiger ist, sich durch ein Printerzeugnis zu wälzen als etwas auf dem Smartphone nachzuschauen.

Ich glaube auch nicht, dass (meine) Kinder (meine) ständige und ungeteilte Aufmerksamkeit brauchen. Ich kann mit einer Freundin am Sonntag Kuchen essen und wir unterhalten uns und ich kann das selbe virtuell im Chat tun.

Allerdings finde ich es sehr einleuchtend, dass man das vielleicht nicht regelmäßig in den insgesamt 3-4 Stunden tun sollte, die man täglich wegen der Arbeit, als Familie verbringen kann.


*Ich bin mir sehr sicher, er denkt das ebenso oft von mir…

91 Gedanken zu „Vereinbarkeit, Beziehungsaufbau und Smartphones“

  1. Kathrin Michel sagt:

    Damals … als man noch an das festgestrippte Telefon gehen musste, also aufstehen, hingegen, reden … damals, als dieses Telefon noch megalaut störend klingelte … —- das war doch die Zeit, als es als unhöflich galt, vor 8h oder zwischen 12:00 und 15:00h oder ab den Fernsehnachrichten (im Grunde ab Abendbrotzeit 18:30h) irgendwen per Telefon okupieren zu wollen. Außer „es ist was mit Mama“-Lebensrettungsähnliches.
    — Jaja, genau! Oma erzählt vom Krieg —

    Ich finde es keine schlechte Idee, wenn wir ein Agreement fänden, zu welchen Zeiten mal Ruhe ist mit elektronischer Kontaktaufnahme. Auch für die, denen das Smartfone schon an der Hand angewachsen ist. Wäre vielleicht ne Hilfe?

  2. Aginor sagt:

    Netter Artikel.
    Gemeinsam Zeit verbringen ist wichtig.
    Wenn das weglegen des Smartphones dabei hilft, ruhig weglegen. Ich sehe das nicht sooo dramatisch, ich bin aber eh nicht so der Smartphone-typ.

    Achja, warum Kiwis nicht fliegen können? Ist doch klar: Weil es Früchte sind! :D

  3. maro sagt:

    Danke für deine Gedanken zu diesem Thema. Irgendwie gut zu wissen, dass andere auch mit den gleichen Problemen kämpfen.

  4. felicitas sagt:

    Captain Obvious is back! Meine Fresse.

  5. Christian sagt:

    „Ist das jetzt wirklich wichtig?!“ – Ich würde es sogar noch ein wenig spitzer formulieren: „Ist das jetzt wirklich wichtiger als ich?!“

    Es mag sein, dass es ‚wichtig‘ ist. Auf irgendeiner Skala. Sicher.
    Aber das ist in (ich kann mangels eigenen Sprossen nicht von selbigen, dafür aber von einer Beziehung sprechen) einer Beziehung regelmäßig keine Skala, die soeben relevant ist.
    Ich bin vor geraumer Zeit dazu übergegangen, das Mobiltelefon im Flur auf einen Schrank zu legen, wenn ich heimkomme. Lautlos ist es sowieso grundsätzlich.
    Und wie das so ist – aus den Augen, aus dem Sinn. Relativ früh am Abend geht es ohnehin in den Nachtmodus und signalisiert nichts mehr.
    Wenn ich dann ab und zu so durch den Flur komme, schaue ich gelegentlich mal drauf. Oft genug aber nicht. Die Welt dreht sich weiter. Auch ohne mich. Wer wirklich etwas Dringendes/Wichtiges von mir will, wird in letzter Konsequenz auf dem Festnetz anrufen. DIESES Telefon ist immer an und wird auch wahrgenommen.
    Aber das Festnetztelefon klingelt selten und die ganze Sache fungiert so quasi als Filter.
    Wenn ich dann später sehe, dass einige Nachrichten auf dem Mobiltelefon aufgelaufen sind, dann lese ich sie.
    Meistens Gruppennachrichten. Jo. Da habe ich mich dann eben nicht zeitnah beteiligt. Wenn ich noch etwas beisteuern kann oder möchte, tue ich es eben ein wenig später.

    An Wochenenden kommt es auch immer öfter vor, dass ich das Mobiltelefon bis in den Nachmittag mehr oder weniger unbewusst einfach ignoriere und erstmal gar nicht einschalte.

    Und um wieder die Kurve zum Artikel zu kriegen: Man merkt selber erst, wie man zusammen in dieser Welt unterwegs war, wenn man das wie beschrieben nicht mehr ist, der Partner aber schon.
    Dann frag man sich tatsächlich je nachdem mehr oder weniger häufig, ob das (was der Partner da jetzt mit dem Gerät so treibt) jetzt wirklich wichtiger ist, als man selber.

    Auch wenn das jetzt sehr hart klingt, aber die Friedhöfe sind voll von unersetzbaren Menschen.
    Es gilt einfach zu erkennen, dass man an vielen Stellen in der Regel deutlich weniger wichtig ist, als man es vermutet.
    Und an anderen sehr viel wichtiger wäre. Beim Partner. Bei Kindern. Ohne den Draht (-losen Kontakt) zur (Außen)Welt.

    PS
    Für ‚wichtige‘ Fragen auf dem Sofa nach dem aktuellen BIP von Slowenien o.ä. gibt es noch ein iPad – das aufgrund fehlender Messenger aber deutlich weniger kommunikativ und unbemerkt-zeitfressend ist.

  6. Bee sagt:

    Das erinnert mich sehr an eine Beobachtung und die etwas extremere Schlussfolgerung von Louis CK bei ‚Team Coco‘ auf YouTube zu finden – Why Louis CK quit the Internet. Mein Telefon will den Link nicht kopieren. Sehenswert!

  7. rt sagt:

    ich hab vor ein paar wochen bei mir gemerkt, dass ich kaum mehr zwei gedanken denken kann, dass ich mich wie abgeschaltet empfunden habe, so diffus und wirr im kopf. das war so schlimm, dass ich ernsthaft an eine erkrankung dachte. bis ich drauf kam, dass das handy mich regelmässig aus meinem tun hier rausreisst (durch dieses „mal eben eine sms schreiben mal eben dies nachlesen etc.) und ich mich dadurch ständig in quasi zwei welten befand – ich war zwar hier aber nicht hier. dieses „doppelleben“ habe ich beendet. ich schaue dann aufs phone wenn sonst nichts ansteht gerade, also immer eine handlung zu ihrer zeit. und siehe da – mein hirn kann wieder klar denken :)

    der artikel spricht mir aus der seele, aber gut auch dass du noch mehr sehr wichtige und richtige facetten mit ein bringst.

  8. patricia92 sagt:

    @dasnuf Kennst du das Video: „Shut your displays?“ Rüttelt mich von Zeit zu Zeit wach! youtu.be/TYDDVUTbh10

  9. Anna Holfeld sagt:

    Ich habe den Artikel auch gelesen und mich ähnlich ertappt gefühlt. Mir gefällt, dass du dennoch beide Aspekte betrachtest. Ich hab mal was geschrieben darüber, dass besonders für (meine) Paarbeziehung WhatsApp wichtig war, weil wir so unkompliziert nach nem doofen Moment wieder andocken konnten. Also Smartphones hier für mehr als: schön, von dir zuhören..
    In der Paartherapiepraxis wird das Phone öfter als Störer genannt, besonders dann, wenn es eben nicht diese Zeiten gibt, wo wirklich Pause ist. Oder wie Lilli Marlene schreibt, dass sie beobachtet hat, wie oft die Kinder auf sie schauen beim Spielen, und dass sie das verpasst hätte, wenn sie in ihr Smartphone geschaut hätte, mit dem Effekt: „das Telefon ist wichtiger als ihr“.

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