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Ich verlaufe mich ganz gerne. In meinem Lebenslauf steht deswegen unter Hobbys: sieben, verlaufen, KiBoTu. Das ist sehr nützlich, denn in 90% aller Fälle sprechen wir so gut drei Viertel der Zeit über meine Hobbys.
Ich verlaufe mich natürlich nicht absichtlich, aber selbst in bekannten Gefilden passiert es durchschnittlich einmal die Woche. In letzter Zeit ist ein Anstieg in der Verlaufshäufigkeit zu verzeichnen, da der Dauerregen selbst die mir vertrauten Ecken in einem Maße verändert hat, dass sie mir neu erscheinen. Es wuchern die Rosenstöcke, dass man mit Kettensägen in sie reinsägen könnte ohne den Eindruck einer üppig blühenden Hecke zu verlieren. Zwischen den Tramschienen erscheinen blühende Wiesen. An jeder Straßenecke wehen die kniehochwachsenden Gräser.
Rein rational ist nicht nachvollziehbar, warum ich in traumwandlerischer Sicherheit immer genau in die entegegengesetzte Richtung los laufe, in die ich eigentlich müsste. Als ich noch für ein EU-Projekt gearbeitet habe, konnte ich so verschiedene Städte Europas intensiv kennen lernen.
In Prag beispielsweise stellte ich fest, dass Bahnhöfe noch das sind, was sie vor zwanzig Jahren in Deutschland waren – v.a. nachts. Auf dem Stadtplan hatte ich vorher schon herausgefunden, dass ich vom hinteren Ausgang des Bahnhofs der schnurgeraden Straße Richtung Norden folgen musste, um zu meinem Hotel zu gelangen. Als ich den Hinterausgang gefunden und mich durch Prostituierte, Drogendealer und sonstige zwielichtige Gestalten geschlichen hatte, musste ich feststellen, dass die selbst für mich kaum zu verfehlende Straße eine Stadtautobahn war. Natürlich gab es keine zu Fuß begehbare Parallelstraße und so dauerte es keine fünf Minuten bis ich mich hoffnungslos verirrt hatte. Im Glauben an Europa bzw. eher in einer westlichen Arroganz war ich im Vorfeld davon ausgegangen, dass man in Prag auch mit Euro zahlen könnte, was natürlich nicht der Fall ist. Ein Taxi kam also nicht in Frage. Ich irrte und irrte und den Tränen nahe, fragte ich schließlich einen im Gesicht tätowierten Mann mit Kampfhund wie ich in das Hotel käme. Durch Gestiken versicherte er mir, dass ich ausschließlich mit der Untergrundbahn dorthin kommen könnte. Die U-Bahn koste aber 6 Kronen. Vermutlich konnte er keine Tränen ertragen und schenkte mir deswegen das Geld bevor er mich an die Hand nahm, mich zur U-Bahn begleitete, in das Abteil setzte und mir abschließend anzeigte an der fünften Station möge ich aussteigen. Als ich dort schließlich wieder an die Oberfläche kam, erblickte ich das Hilton. Das Hilton war leider nicht das Hotel was ich suchte, ich hatte aber verstanden, dass ich, wenn ich es sähe, nach Osten (links) gehen musste. Was ich nicht wusste war, dass Hilton in Prag ist im Grundriss ein Oktaeder. Natürlich wusste ich nicht wo Osten war und irrte als Folge dessen, dass ich nach links gegangen war, eine weitere Stunde durch die nächtliche Stadt. Gerade als ich aufgeben wollte und meinen Rollkoffer als Kopfkissen zurecht getreten hatte, erschien an der nächsten Straßenecke das Hotel.
Ich schwor mir, nie wieder ohne Bargeld zu reisen.
Nächste Woche erzähle ich, wie ich mich in London drei Stunden nach meinem Hotel suchte, weil ich keine Pfund dabei hatte.

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