Frauen, für Euch Ryan Gosling, für mich mein Telefon

Über die Liebe und das Verliebtsein gibt es wenig ernstzunehmende wissenschaftliche Theorien. Offensichtlich auch deswegen weil die Menschen gar nicht so genau wissen wollen, was das ist. Es wird viel Tamtam darum gemacht. Wer will das Verliebtsein da nüchtern als komplexes Zusammenspiel verschiedener Neurotransmitter und Hormone sehen? Das würde die Sache doch unangenehm entzaubern.

Mir ist das Thema wieder eingefallen, weil ich mir vor rund zwei Wochen ein Telefon gekauft habe, in das ich jetzt doch ziemlich verliebt bin. Psychologen fassen diese Liebesart unter dem Begriff der Objektphilie zusammen. Ich habe nochmal im Internet recherchiert und ich kann mit Sicherheit sagen, dass meine Gefühle für mein Telefon aufrichtig sind. Alle klassischen Symptome der Verliebtheit treffen zu.

Es findet sich z.B. folgende zutreffende Beschreibung: „[Verliebtheit] äußert sich durch ein intensives Verlangen nach einer anderen Person [meinem Telefon], das von körperlichen Symptomen begleitet sein kann. Verliebtheit geht in der Regel auch mit Sehnsucht einher.“

Mein Empfinden passt auch gut zu aktuellen neurobiologischen Erkenntnissen der Aktivitätsströme in verliebten Gehirnen. Es gab neulich den schönen Themenabend „Markenkult/Kultmarken“ auf Arte. Es berichtete ein Neurobiologe genau von diesem Sachverhalt. Im MRT hatte man sich die Gehirne von <Markenname>-Benutzen angesehen und festgestellt, dass sie genau die gleichen Aktivierungsmuster zeigten wie die von frisch Verliebten.

Damals habe ich noch den Kopf geschüttelt, war ich doch der Meinung, dass man ein Telefon v.a. für eines benötige: Zum Telefonieren. Alles andere sei unnötiger Firlefanz. Heute, all meine Ersparnisse ärmer, weiß ich, wie falsch ich lag. Ein Telefon sollte dazu da sein, das Leben zu steuern. Es soll ein zentraler Ausgangspunkt für ALLES sein. Es soll mein ausgelagertes Gehirn sein, mein Privatsekretär, meine Mama, mein Stadtführer und mein Ratgeber in allen Lebenslagen. Es soll mir Antworten auf all meine Fragen geben und sich um alles kümmern was mir wichtig ist. Immer.

Und weil es all dies erfüllt, LIEBE ich es.

In irgendeinem Artikel über eine Frau, die den Eiffelturm heiratete (eine Liebesheirat!), äußerte sich ein Psychologe mit folgender Theorie: „Wer sich in Objekte verliebt, kann diese Beziehung kontrollieren. […] Seine Objekte werden ihn nicht im Stich lassen.“ Das macht die Objektliebe so attraktiv im Vergleich zu Beziehungen mit menschlichen Partnern, die man nicht steuern kann und von denen man nie eine Garantie für die Dauerhaftigkeit einer bereits eingegangenen Beziehung erhalten kann.

Ebenfalls typisch fürs Verliebtsein sind Entzugssymptome, die hauptsächlich durch einen starken Serotoninmangel ausgelöst werden. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass ich mich ohne mein Telefon total entspannt fühle. Am liebsten sind mir mittlerweile die Treffen mit anderen Abhängigen, weil wir uns z.B. gegenseitig die lebensverschönernden und unverzichtbaren Apps zeigen ohne dass wir uns gegenseitig einen weiteren Austausch von Nettigkeiten abverlangen.

Schlimm plagen mich auch bohrende Verlustängste. Denn ich denke, dass andere wissen, wie wunderbar das Leben mit MEINEM Telefon ist und deswegen schauen sie mich alle so gierig an, wenn ich es in der Hand habe.  Sie wollen es alle besitzen, weil es so wunderwunderschön ist. Ich habe vorsichtshalber Nagellack darüber geschüttet und die Hülle zerkratzt. Für mich zählen die inneren Werte und das Aussehen ist mir völlig egal. Das ist bei anderen, oberflächlichen Menschen nicht so und deswegen hoffe ich, dass ihr Begehren dadurch gezügelt wird.

Meine Telefon-Limerenz paart sich mit meiner Lust zur Systembildung (nach Luhmann). Diese bildet man bekanntermaßen durch zustandekommende Kommunikationen. Das Internet ist dazu der ideale Ort. Und auch hier bietet das Telefon großartige Voraussetzungen, indem es Kommunikation in jeder erdenklichen Form vereinfacht und die Durchlässigkeit der einzelnen Systeme gewährleistet.  Alles ist nur noch zwei Klicks entfernt. Das Bild, das ich auf der Straße gemacht habe (klick) ins Blog zu stellen (klick). Den Großeltern das Foto (klick) per Mail zu schicken (klick). Den Routenplaner (klick) zum neuen Arzt (klick) und bei Foursquare einchecken. Den Artikel, den ich nicht schaffe zu lesen (klick) zum späteren Abruf in den RSS-Reader schieben (klick). Es ist genau wie in der Werbung. Ein Traum.

Mein Vater, der mich schon öfter aufgefordert hatte, einfach mal verschwenderisch Geld auszugeben und selbst ein großer Autoliebhaber ist, sagte, als ich ihm voller Begeisterung von meinem neuen Telefon erzählte: „Ich freue mich! Jetzt verstehst Du endlich, wie es für mich ist, mir neue Autos auszusuchen und sie dann zu fahren.“

Der Mann, mit der zartesten Stimme, die ich kenne, erwiderte darauf: “ Vielleicht hat jede Generation die Devices geliebt, die ihr gefühltes Selbst erweitern konnten. Damals war es vielleicht eher die physische Beweglichkeit in der Welt — und heute die informationelle?“

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