Sieben Stunden Projektmeeting, Stadtrundfahrt mit einer Stadtführerin, welche die Zirkularatmung beherrscht und dies zu einem mehrstündigen Dauervortrag nutzt. Ein Essen in einem Restaurant der gehobenen Klasse (ich wollte schon immer kalte Rote Beete essen) und dann wieder ein Katastrophenabend. Das Einkommensgefälle in Europa zeigt hier fatale Auswirkungen. Wer kann schon in Deutschland in einer Gruppe von zwölf Leuten kund geben: „Die Runde geht auf mich!“ In den ehemaligen Ostblockländern kann das jeder, v.a. bei hochprozentigen Alkoholika. Eine Flasche Rotwein, sieben Wodka und drei Lokalitäten später entziehe ich mich der geschäftlichen Arbeitsgruppe durch Tanzen. Ich war bereits auf Cola umgestiegen und selbst in meinem mehr oder minder umnebelten Zustand war mir klar, dass die Jungs mit denen ich tanze, die Volljährigkeit gerade erst überschritten hatten. Gemeinsam mit der Englischübersetzerin und der gepiercten und tätowierten Österreicherin inszenierte ich das ein oder andere gewagte Tänzchen. Das Ganze kommt so gut an, dass wir unser Nichtangegrabschtwerdenwollen durch das Vortäuschen von ausschließlich auf das weibliche Geschlecht ausgerichtete Sexualität entkräften versuchen. (Dem gewillten Nachahmer sei gesagt: sehr schlechte Taktik, um Männer abzuwehren.)
Unterm Strich lässt sich jedoch nichts dagegen einwenden wenigstens einen Abend lang die ungeteilte Aufmerksamkeit eines ganzen Pulks tanzwütiger Männer zu haben. An dieser Stelle spare ich aus strategischen Gründen alle vergleichsweise wilderen Eskapaden meiner Projektpartner aus und konzentriere mich auf den Fortgang meiner eigenen Geschichte. Weitere fünf Stunden später habe ich nach Anweisung durch meinen Vorgestzten die Projektgruppe so weit, dass wir Richtung Hotel aufbrechen. Frankreich, England und Österreich gehen auf dem Heimweg verloren und tauchen erst am nächsten Tag mit Baßstimmen und Alkoholfahne im Meeting auf. Ich selbst begebe mich um exakt 6 Uhr morgens in mein Bett, um 120 Minuten später wieder aufzustehen. Nein, aufzukriechen ist der passendere Begriff. Ich habe einen Wadenkrampf, stelle mich unter die kalte Dusche und bewundere anschließend im Spiegel meine blutunterlaufenen Augen. Es bleibt nur die Hoffnung, dass die anderen einen ähnlichen Anblick bieten. Ich gehe also ins Hotelrestaurant, entscheide mein Frühstück auf eine Tasse Kaffee zu begrenzen und setze mich an den Tisch mit meinen Geschäftspartnern. Schräg gegenüber ein Tisch Schüler. Das Kopfende, besetzt durch sechs junge Männer starrt mich an. Ich schaue verstohlen zurück und wundere mich. Die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung gleicht dem eines Tintenfischaxons. Als mir das Licht aufgeht, bekommt mein Kopf die Farbe eines Feuermelders. Die jungen Herren schräg gegenüber, bestenfalls 14 (und da verfalle ich in meine Neigung zu übertreiben), sind die selben an denen ich den Abend zuvor meinen Hintern beim Tanz gerieben hab. Großartig! Mein Vorgesetzter, meinem erstarrten Blick folgend, dreht sich ebenfalls in Richtung Schulklasse. „Ahhhh! Drei von denen ergeben ungefähr ihr Alter!“ Ich möchte im Boden versinken und verfluche leise europäische Projektmeetings.