Frau Zucker lieh mir ein Buch, welches sich äußerst positiv auf meine Wahrnehmungswelt auswirkt. Mir fallen plötzlich wieder Dinge auf, die im Laufe meiner neuerlichen Sozialisiationsbemühungen schon gänzlich aus meinem Wahrnehmungsfeld entschwunden waren. In jedem zweiten Kapitel des Buches findet sich eine Haßliste, die ich ungesehen unterschreiben würde. Just heute morgen in der U-Bahn konnte ich diese Liste um einen weiteren Punkt ergänzen: der Anfasser (Neutrum).
Das ist so: zehn Stationen lang stehe ich eingequetscht in der Ecke und versuche meine morgendliche Lektüre zu konsumieren. Von allen Seiten fallen unendlich große Zeitungsblätter auf mich darnieder. Ich stehe unter einem Zelt von umgeknickten Zeitungsecken. Jede Station lüftet sich das Zelt und alle Seiten werden raschelnd neu angeordnet. Ich kann den bösartigen Zeitungslesern nicht mal meinen sizilianischen Todesblick zukommen lassen. Sie sehen mich ja nicht.
Dann Potsdamer Platz heißt es aussteigen. Das läuft natürlich jedes Mal gleich ab. Die Leute müssen ganz dringend in die U-Bahn einströmen, sobald die Tür sich öffnet. Wir von drinnen wollen raus und so quetschen sich zwei Menschenwürste ächzend aneinander vorbei. Mich macht das jedes Mal wütend. Wieso können die nicht fünf Sekunden warten? Ich bereite mich also schon eine Station vorher vor, kremple meine Mantelarme hoch, stopfe die meist zu lange Anzughose in meine Socken und streiche meine Haare hinter die Ohren. Dann, wenn die Türen sich öffnen, renne ich wie ein Rugbyspieler durch die Reihen und zähle Schulternstöße.
Das alles würde völlig ausreichen, um meine Laune wieder ins Sonnenformat zu bringen.
Meistens aber – erwischt mich noch ein Anfasser. Da gibt es zwei Kategorien. Die erste rempelt mich an und entschuldigt sich schulternstreichelnd bei mir. Die finde ich schon unerträglich. Die zweite läßt mir Mal um Mal einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Das sind jene, denen ich einen Bodycheck verpasse und die dann im vorbei gehen nach meinen Extremitäten fassen und dabei schuldbewußt um Verzeihung bitten. Dabei streicheln diese wildfremden Subjekte meine Schulter oder tätscheln meinen Oberarm. Ich kann das nicht leiden! Sie sollen weg, weg, weg. Ich will nach ihnen wie nach Fliegen klatschen. Ich baue mir kleine Mausefallen und Elektroschockvorrichtungen an die Schultern und Oberarme und dann sollen sie mich tätscheln und dabei schreien: Entschuldigung, Entschuldigung!