Der liebste Platz ist mir der vor meinem Rechner. Das Internet bietet bereits gute Möglichkeiten zu allerhand Sozialstudien. Dennoch sind die Informationsquellen begrenzt und um wirklich etwas über die Gesellschaft zu erfahren, läßt es sich manchmal nicht vermeiden, die Wohnung zu verlassen. Da mir bewußt ist, daß der eigene Freundeskreis stets eine unrepräsentative Stichprobe bleiben wird, besichtige ich gelegentlich fremde Wohnungen. Das bietet sich v.a. am Wochenende an, wenn die Zeitungen voller Wohnungsanzeigen sind. Ich rufe aus jeder Wohnungsgrößenrubrik eine Telefonnummer an und vereinbare Sichtungstermine.
So eile ich von Termin zu Termin und fülle mein Notitzbuch mit den Absonderlichkeiten der anderen Menschen. Der erste Unterschied, der mir ins Auge fiel, war der Klimbimzwang der Durchschnittsbevölkerung. Wohnungen sind vollgestopft mit unnützem Tand. Kerzenleuchter, Vasen, funktionslose Skulpturen, Plastikblumen und unsystematisch vollgehangene Pinnwände.
Kurzum, Leute neigen dazu, ihr gesamtes Privatleben auf Schränken und offenen Regalen zu präsentieren. Katzenbilder, Babybilder, Postkarten und inhaltslose Schreibstücke. Ich finde das obszön. Man sollte alles versteckt halten, vor allem dann wenn man Bücher von J.K. Rowling, Stephen King oder Joy Fiedling oder CDs von Virgina jetzt!, Rosenstolz oder Scooter sein eigen nennt.
Überhaupt diese ganzen unhygienischen Staubfänger! Bilder, Ablagen, Tücher und Teppiche. In ihnen werden Abermillionen von Milben und sonstigem Getier gezüchtet.
Noch schlimmer finde ich Zimmerpflanzen, die einem Nachts den Sauerstoff wegatmen. Aus meinen Teenagerzeiten besitze ich noch einiges an Gestrüpp. Die haben sich ihre Darseinsberechtigung hart erkämpft. Trotz wochenlanger Dürre wachsen und gedeihen die zähen Biester. Sie kennen mich genau. Sollte ich aus Versehen gut gelaunt sein, lassen sie ihre Ästchen vorwurfsvoll hängen und schmeissen mir im Vorbeigehen ein Blatt vor die Füße. Dann gebe ich ihnen Bügelwasser oder Mineralwasserreste.
Alle Versuche sie dem Tode zu überlassen, scheiterten bislang. Letztes Jahr beispielsweise fuhr ich drei Wochen in den Urlaub und bat meinen Nachbarn sich um die Pflanzen zu kümmern. Ich war mir sicher, daß er sich, ob seines Geschlechts, kein einziges Mal daran erinnern würde, sie zu gießen.
Das Gegenteil war der Fall. Als ich wiederkehrte, hatte sich in meinem Wohnzimmer ein wahrer Dschungel entwickelt. Ich habe über ein Jahr gebraucht sie wieder in den ursprünglichen Zustand zu überführen.
Heutzutage kann man sich wirklich auf nichts mehr verlassen.