Ich habe bereits in Köln gelebt. Geholfen hat es nichts – den Karneval kann ich nicht leiden.
Das war nicht immer so. Zwischen dem 6. und dem 12. Lebensjahr zählte der Karneval zu einem der wichtigsten Events des Jahres und stand in der Rangreihe begeisterungsauslösender Ereignisse gleich hinter Weihnachten. Absoluter Höhepunkt einer jeden Karnevalsaison war wiederum der Faschingsball im Turnsportverein. Jahr für Jahr kannte ich nur ein Ziel: den ersten Preis für meine Kostümierung zu erlangen. Jahr für Jahr habe ich versagt. Kreativität wurde nicht belohnt. Ich kann mich nicht an alle Kostüme erinnern. Zu den Highlights gehörten ohne Zweifel meine Verkleidung als Regenbogen, als Spinne und als Schweinebraten. Da packte meine Mutter mich in eine braune Filzröhre mit fransig abgeschnittenen Enden, welche die Fleischfasern darstellten und stopfte mich mit Kissen aus. Rechts und links baumelten Kartoffelklöße in Form von gelblich angemalten Styroporkugeln von mir. Auf dem Kopf trug ich hell- und dunkelgrüne Wollfäden, die vermutlich die Wirsingbeilage imitieren zu suchten. Zwischen all den Cowboys, Prinzessinnen und Feen kam ich mir freilich ein wenig verloren vor, doch aufgeregt präsentierte ich mich den ganzen Tag im Zentrum der Tanzfläche, beteiligte mich mit höchstem Einsatz an allen Spielen und gab auch sonst alles, um mich vor den Jurymitgliedern in den Mittelpunkt zu katapultieren.
Im Nachhinein betrachtet hätte es sicherlich genügt salzstangenknabbernd am Rande der Tanzfläche zu stehen, denn ein Kind, verkleidet als ein Schweinebraten, scheint mir aus der Erwachsenenperspektive auffällig genug.
Nun, was ich eigentlich sagen wollte, war folgendes: Seit gut 18 Jahren interessiert mich der Karneval einen Dreck. Hochburg des karnevalistischen Horrors ist und bleibt Köln. Dort wird man bis zum Aschermittwoch an jeder Straßenecke von ekelhaft betrunkenen Kerlen abgeknutscht, betatscht und als Spaßbremse in den Menschenstrom zurückgeschubst, wenn man nicht johlend mitmacht.
So gebe ich in der Regel alles die jecke Jahreszeit an mir vorbeiziehen zu lassen.
Manchmal, so wie beispielsweise gestern, gerät man nichtsdestotrotz nichtsahnend mitten in einen solchen Irrsinn. Sogar in Berlin. Ich kann mich leider nicht erinnern, was man in Berlin statt „Alaaf“ oder „Helau“ rufen muss. Es klingt ein bisschen nach einem Ausruf sächsischer Gleichgültigkeit ([ohnö]?!) und beschreibt somit trefflich das Gefühl, das in mir aufkommt wenn ich diese Irren sehe.
Zugegebenermaßen erlitt ich (im Gegensatz zu meinen Erfahrungen in Köln) keine Prellungen durch herabfallende und aktiv aus Umzugswägen weggeschmissene Gegenstände. Keine der 60 Tonnen Bonbons, Blumen, Stofftiere und Fußbälle prasselten auf mich nieder.
Dennoch fehlt mir jedes Verständnis für die Tradition des Karnevalumzugs. Was macht bloß so viel Spaß daran, wenn Erwachsene sich in Marienkäferkostümchen quetschen und laut singend durch Menschenmassen schlängeln?
Wahrscheinlich sage ich das nur, weil ich neidisch bin. Sehr neidisch. Und weil ich nie den ersten Preis für das schönste Kostüm gewonnen habe.
Kompliment Frau http://www.dasnuf.de (www. muss sein)! Es gibt so Artikel, die lassen die Erlebnisse und Enttäuschungen der eigenen Kindheit wieder hochkommen. Dies ist so einer! Dank später Kindheit und Pubertät im Hauptstadt-Dorf Bonn kann ich das etwas nach-vollziehen. Damals war die Flucht mein Mittel der Wahl, heute schiele ich zu Karnevalszeiten doch etwas verklärt in Richtung Köln/Bonn (aus Hamburg).
PS: Ich habe eine Leseempfehlung für Ihre wunderbare Seite explizit mit dem Suchwort ‚Karneval‘ lanciert …