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Es gibt Worte, die darf ich in Gegenwart meines Kollegen nicht in den Mund nehmen. Eines der verbotensten ist „Steuererklärung“. (Ich flüstere selbst wenn ich es nur denke.) Jedes Mal, wenn ich es erwähne, wird er puterrot, hält sich die Ohren zu und singt laut „Lalalalalalala lalalalaaaa!“.
Als zwanghafter rechtschaffener und ordentlicher Bürger habe ICH meine Steuererklärung 2004 selbstverständlich schon gemacht. Von denen der Vorjahre nicht zu sprechen.
Die Steuererklärung als solches bleibt für mich dennoch eines der faszinierensten Naturphänomene überhaupt.

Das verblüffende daran ist der sogenannte Steuererklärungsvergessenszyklus, der mich Jahr für Jahr ereilt:
Im Februar sendet der Arbeitgeber die Lohnsteuerkarte zurück. Das Vorfinden des Zettels im Briefkasten zündet einen Bedürfniszyklus. Denn langsam und leise steigt das Bedürfnis, den farbigen Zettel wieder loszuwerden. Da Verbrennen keine adäquate Lösung darstellt, bleibt am Ende nur eines: die Steuererklärung zu machen.
So dauert es, zumindest bei mir, bis maximal April, bis ich schlimme Albträume habe, in denen nackte Steuerbeamte nur mit Krawatten bekleidet, dickbäuchig um mein Bett springen und sich gegenseitig ihre langen, golden glänzende Rückendhaare kämmen, während sie mit hellen Stimmen „Ehhhes ist deine Pflicht, Pflicht, Pflicht als Staaaahhhhaaatsbürger die Steeeeeuuuueeeeehhhrreeeeerrrkkkllläääähhhrung abzugeeeehhhben“ singen.
So kommt der Tag X an dem ich mich an meinen Schreibtisch setze, um die Steuererklärung zu machen. Als Kind der westlichen Hemisphäre natürlich nicht ohne ein Hilfsprogramm, das auf der Umverpackung verspricht:

– Schritt für Schritt durch den Steuerdschungel
– Ganz einfach, selbst bei komplizierten Steuerfällen
– Spielend leicht!
– Im Interviewmodus. Wir fragen und sie füllen aus

Is klar. Ich fülle also Name und Kontoverbindung aus und stoße dann auf das erste unlösbare Problem.
„Bei welchem Finanzamt wollen Sie Ihre Steuererklärung abgeben?“
Tja. Leider bin ich letztes Jahr von einem Bezirk in den anderen gezogen und weiß nicht so recht. Also versuche ich mein Glück mit der Hilfedatei. Drei Stunden später gebe ich entnervt auf.

Tag 2: Ich gebe kurzerhand irgendein Finanzamt an und lande prompt beim nächsten Problem. Ich soll die Daten meiner Lohnsteuerkarte in das Formular eintippen. Diese habe ich aber, damit sie mir durch das ständige Insaugefallen nicht allzu schlimme Albträume bereitet, an einem sicheren Ort verstaut. Der Ort ist so sicher, dass ich mich nicht mehr an ihn erinnere.

Tag 3: Ich suche vergeblich nach der Lohnsteuerkarte.

Tag 4: Ich wähle die sichere Methode und räume alles aus meiner Wohnung, was NICHT meine Lohnsteuerkarte ist und werde nach 17 Stunden fündig.

Tag 5 – 17: Ich lese aufmerksam die Hinweise der Steuererklärungssoftware, studiere die Hilfsthemen, fülle Erklärungen über Erklärungen aus, die besagen, dass ausgefüllte Erklärungen nur im Falle des Ungültigwerdens der vorher abgegebenen Erklärung gültig werden und keine gesonderte Erklärung darstellen, sofern gewünscht wird, eine eigene Erklärung des Sachverhalts abzugegeben. Ich kopiere, sortiere, markiere, ja stempele, ordne und hefte – bis schließlich der große Moment kommt und mein Interviewmodus verkündet:
„Sie haben alle erforderlichen Daten eingegeben. Wir errechnen jetzt Ihre Steuerersparnis.“

Tag 18 – 23: Ich melde mich bei meinem Arbeitgeber krank, weil ich von Heulkrämpfen geplagt bin. Für 32,00 Euro kaufe ich mir Taschentücher, die ich vollrotze, weil ich nicht verstehen kann, warum meine ganzen Sonderausgaben, nichtfondgebundenen Lebensversicherungen, Hausratsversicherungen, Kirchensteuern und Ausgaben im Gesundheitsbereich einen Gesamtwert von 32,17 € Steuerersparnis ausmachen.
Ein Jahr später bekomme ich die bereits ausgegebenen 32,17 € auf mein Konto überwiesen. Ab da falle ich in einen tiefen Schlaf des Vergessens, bis schließlich der Tag kommt, an dem der Postbote meine Lohnsteuerkarte in den Briefkasten steckt und alles beginnt von vorne.

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