Seit mehreren Jahrzehnten erzählen mir meine Eltern, dass ich das einzige Kind war, das am ersten Tag im Kindergarten geweint hat, als es abgeholt wurde.
Das ist nicht verwunderlich. Im Kindergarten gab es nämlich etwas, was ich aus meinen ersten drei Lebensjahren, die ich mit meiner Mami verbracht hatte, nicht kannte. Es war das andere Geschlecht.
Jungs fand ich klasse. Ich denke, seitdem ich sie entdeckte, war ich stets in mindestens einen verliebt. Meine erste große Liebe hieß Thorsten. Unsere Liebe wurde jedoch von unsensiblen Eltern auseinandergerissen. Sie zogen in das Nachbardorf. Ich sah Thorsten nie wieder.*
Ungefähr siebenunddreißig große Lieben später lernte ich L. kennen.
Er war der Freund meiner zickigen Schultheatergruppenkollegin. Während sie sich selbst handküsschenzuwerfend ihre gelbblond gefärbten Haare vor dem Spiegel hinter der Bühne kämmte, saß er gelangweilt auf einem Sportmatratzenstapel, rauchte Zigaretten und zwinkerte mir zu.
Ich arbeitete ein Jahr auf ein Date mit ihm hin. Ich fing dafür zu rauchen an. Das war sehr anstrengend und es brauchte mehrere Anläufe bis ich ohne Hustenanfälle inhalieren konnte. Ich rauchte dafür wochenlang ohne Publikum.
Ich versuchte mich optisch aufzubessern, indem ich meine Haare mit Henna fuchsrot färbte und ich zertrat wutentbrannt mehrere Kajalstifte bei dem Versuch mir den perfekten Lidstrich zu ziehen. Es war die Zeit in der man sich mit Häkeltops und Trompetenarmen aufhübschte.
Kein Wunder dass es so lange dauerte, bis ich sein Interesse wecken konnte. Immerhin war er schon zwanzig. Ich traf ihn Monate nach unserer ersten Begegnung, als mich meine beste Freundin zu einer WG-Party mitnahm.
Landeiig wie ich war, war ich mir sicher, dass „Mensch, der in WG wohnt“ mit Terrorist gleichzusetzen war. Die Party offenbarte mir, dass er nicht nur illegal in Schulturnhallen rauchte sondern auch WG-Mitbewohner war. Seine Gefährlichkeit trieb mir leise Wellen der Erregung durch den Körper.
Ich weiß nicht wie, aber ich schaffte es, dass er mich nach Hause brachte. Als wir uns meiner Tür näherten, beschleunigte sich mein Puls. Ich wurde immer aufgeregter. Ich nestelte im Rucksack nach meinem Haustürschlüssel. Mein Herz klopfte dabei wie eine kleine Taschenuhr. Klopf klopf klopf klopf klopf klopf.
Mein Mund war ganz trocken. Meine Hände umso feuchter. Jetzt standen wir im Gang zu meiner Wohnung. Ein langer, enger Gang. Ich mit dem Rücken zur Wand. Verlegen von einem Fuß zum anderen tretend. Er vor mir. Viel größer als ich. Leicht vorgebeugt. Langsam kam er mir näher. Mir wurde schwindelig. Mein Magen rumorte. Noch näher. Ich konnte seinen Atem spüren. Noch näher. Ich hielt die Luft an. Noch näher. Jetzt stand er fast Nase an Nase vor mir und schaute mich an.
Mir wurde so … so … ich kann es nicht beschreiben. Mir wurde schwummerig. Er verlagerte das Gewicht und berührte mit seiner Hand sanft meinen Bauch. Lehnte sich an mich und setzte gerade zum Kuss an, als mir schlagartig einfiel woher ich dieses schwummerige Gefühl kannte. Doch da war es zu spät. Der leichte Druck auf meinen Unterbauch hatte schon den schlimmsten und lautesten Furz meines Lebens gelöst, der sich unaufhaltsam seinen Weg in die Freiheit erkämpfte.
In den wenigen Millisekunden die mir bis zu seinem Austritt blieben gingen mir verschiedenste Alternativen ihn wenigstens akustisch zu übertönen durch den Kopf. Laut singen? Etwas scheppernd auf den Boden fallen lassen? Einfach weglaufen?
Doch es war zu spät.
PrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRTTTTTTttttttttttttttt!
*Thorsten, wenn Du mitliest, bitte melde Dich!