Früher habe ich auf dem Weg in die Arbeit gelesen. Aus der Wohnungstür in die U-Bahn fallen, Potsdamer Platz ausgespuckt werden, ins Büro fallen, dazwischen exakt zwanzig Seiten geschafft. Im Büro nicht mehr bewegt, Buckel bekommen, Tippgichtfinger, Bildschirmaugen, Plattarsch.
Nur in der Mittagspause fünfzig Meter in Kantine geschlichen, 2.000 Kalorien zu mir genommen, einen Karamell-Latte-Macchiato hinterher und noch schnell einen dieser 6.000 Kalorienkekse.
Resultat: Wenn ich mich nach vorne beuge, macht mein Bauch eine Falte. Grauenerregend. Die Zeiten in denen Mama sagte: „Kind, was bist du dünn!“, sind ein für alle Mal vorbei. Es geht jetzt eher um Schadensbegrenzung als um Optimierung.
Zum Abnehmen bin ich einfach zu disziplinlos. Leider gibt es nur diese beiden Wege: Weniger essen oder mehr bewegen. Als ausgesprochene Gegnerin von Dualismen kommt das für mich natürlich nicht in Frage. Weniger essen? Ab 28 ist essen eine Hauptfreizeitbeschäftigung. Ohne Essen keine Sozialisation. Freunde trifft man nicht einfach so. Mit Freunden geht man essen oder man kocht gemeinsam und wenn man sich dann schon die Mühe gemacht hat dreißig Kilo selbst gemachte Nudeln zu erzeugen, dann müssen die auch gegessen werden.
Um mein Ursprungsgewicht wieder herzustellen, habe ich mal eine Woche eine Diät probiert. Nur Reis und Gemüse ohne Soße, dazu morgensmittagsabends Unmengen von Wasser. Resultat: zehn Gramm weniger Gewicht. Da steht Aufwand und Nutzen in keinem sinnvollen Verhältnis.
Sport habe ich auch schon versucht. Leider ebenfalls viel zu langweilig. Meine Begeisterungsfähigkeit erlischt regelmäßig nach drei Wochen. Meine Freundinnen indes schwören alle auf Yoga. Dafür fühle ich mich nicht alt genug. Yoga hat so etwas verzweifeltes. Ich bin 30, single, will es aber gar nicht sein und dann mache ich eben Yoga.
Eine weitere Alternative zum steigenden Gewicht war das Rückstellen der Waage. Seit einigen Jahren stelle ich sie monatlich ein Paar Gramm zurück und wiege kontinuierlich 55 Kilo. Jedenfalls bis die Putzfrau sich mal gewogen hat und die Anzeige der Waage deswegen korrigiert hat. Als ich mich das nächste Mal darauf stellte, erlitt ich beinahe einen Herzinfarkt.
Mein Freund behauptet ja, er hielte sein Federgewicht durch Gehen. Also entschloss ich mich nach der Verkürzung meines Arbeitsweges durch Arbeitsplatzwechsel ebenfalls zu gehen. Jedenfalls zwei der vier Stationen.
Das macht das Lesen jedoch unmöglich. Folglich musste ich von Lesen auf Musikhören umsteigen. Dabei spielt es keine unwesentliche Rolle, was man hört. Depeche Mode oder Smashing Pumpkins erzeugen einfach nicht die richtige optimismusverbreitende Montagmorgenstimmung, die ich in meinem Job haben sollte. Also bin ich umgestiegen auf Black Eyed Peas und Seeed. Nur mit Seeed gibt es ein anderes Problem. Seeed hören und unbeteiligt rumstehen, das harmoniert nicht.
Wenn in meinem Ohr das Lied über die zu engen Unterhosen ertönt und es ruft „You wanna shake it?“ will ich im Canon mitrufen „YEEEAAAHHH!“, die Hände in die Luft schmeißen, durch Sprünge die U-Bahn im Takt wiegen, auf Knien durch den Gang rutschen, auf die Haltestange in der Mitte springen mich darum wickeln „So come on shake it!“ „Noooooo, my pants are too tight, I can’t let myself go“ und mir dann die eng sitzenden Klamotten von früheren Zeiten vom Leib reißen und mitbrüllen: „Mein geiles Heck, steckt leider fest …“ und mich darüber freuen, dass ohne Arsch kein entsprechender Ausdruckstanz möglich ist.
Drum liebe +28jährigen mit mehr als 55 Kilo singt mit: „You wanna shake it?“ „YEEEAAAHHH!“