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Vermutlich bewirkt das Nahen des dreißigsten Geburtstag eine Art Regression. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, fallen mir die schlimmsten Erlebnisse aus meiner unbeschwerten Kindheit ein, die meist mit Schule und einer Lehrerin verbunden sind, die wie eine Tonne auf zwei Beinen aussah und ihren Rock konsequent bis unter den massigen Busen zog (Aus Gesprächen mit Freunden erwächst übrigens die Vermutung, dass es sich bei dieser Lehrerin um einen der ersten Klonprototypen handelte). Sie zwang Mädchen zum Blockflöte spielen und Jungs quälte sie indem sie sie im Stimmbruch „Es ist ein Ros entsprungen“ singen lies. In Handarbeiten waren ihre Ansprüche so hoch, dass sie selbst meine handarbeitsmäßig durchaus begabte Mutter nicht befriedigen konnte. Alle zu erhäkelnden oder erstrickenden Stücke wurden ausschließlich durch meine Mutter erstellt, die es zu ihrer großen Empörung aber nie schaffte eine eins zu bekommen.
In meinem ersten Zeugnis steht: „Nuf sollte es langsam lernen sich verbal und nicht so sehr durch Taten durchzusetzen.“
Mein leicht aggressives Fehlverhalten war allein dem Umstand geschuldet, dass meine oben erwähnte Dominagrundschullehrerin mich nie verstand, ja sogar versuchte meine Eltern davon zu überzeugen dass meine lebhafte Phantasie meine komplette Zukunft in Frage stellen würde (stülle). Durch dieses Vorurteil geprägt korrigierte sie einst einen meiner Aufsätze zum Thema „Karl und Ben“ zu „Karl und der Ball“, da sie behauptete „Ben“ sei kein Name sondern ein Verschreiber. Gemeint sei „Ball“. Ihre durchgehende Korrektur von Ben zu Ball bewirkte eine völlige Sinnentstellung meines Aufsatzes, was sie dann mit einer vier quittierte.
Aus Rache behauptete ich beim nächsten Vorlesen bei „Am Schulhof liegt Papier* auf dem Boden“ handle es ich um einen gestürzten französischen Schüler.
Witzig war ich eben schon immer …

*gesprochen Pa-piääär

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Da es in den 80ern und 90ern nur drei Fernsehprogramme gab, schaute man gemeinsam mit den Eltern einige wenige Fernsehhighlights. Neben „Wetten daß?“ gehörte „Der große Preis“ ebenfalls dazu. Zwischen 1977 bis 1981 lag die durchschnittliche Sehbeteiligung bei 51 Prozent. Es ist also nicht verwunderlich, dass ich ein weiteres Schockerlebnis meiner Kindheit mit einer Folge von „Der große Preis“ verbinde, bei dem ich aufgeregt auf den letzen Kandidaten wartete, der vorgab Jura studiert zu haben. Ich war fast sechzig Minuten gespannt wie ein Flitzebogen welche Fragen er zu den Dinosauriern stellen würde und ob ich mithalten könnte. Schließlich konnte ich siebenundzwanzig Dinosaurierarten auswenig! Während ich im Geiste aufgeregt aufzählte: Herrerasaurus, Staurikosaurus, Caseosaurus, Ceratosaurus, Noasaurus, Masiakasaurus, Velocisaurus, Thecodontosaurus, Agrosaurus … […] kam der letzte Kandidat endlich an die Reihe.
Als er mit seinen Fragen begann, war meine Enttäuschung grenzenlos.

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Eine Kindergärtnerin berichtete, dass sich dieses Jahr außergewöhnlich viele Kinder entschieden hatten, die Faschingszeit als Gespenst zu bestreiten. Das hat mich überrascht. Ich ging davon aus, dass Kinder eigentlich immer Prinzessin, Cowboy oder Pirat sein wollen. Sich als Gespenst zu verkleiden hielt ich sowohl für kreativ als auch für elternfreundlich. Statt stundenlangem Nähen, schminken oder kostspieligen Fertigkostümen befriedet ein Bettlaken alle kindlichen Verkleidungswünsche auf einmal.
Umso erstaunlicher auf einen Kita-Fasching zu kommen und zwanzig kleinen Gespenstern zu begegnen.
Ich habe lange nachgedacht, wie die Kinder auf ihre Verkleidung kommen und wie gewöhnlich fiel mir die Antwort im Halbschlaf ein. Die Gespensterverkleidung ist Spiegelbild der Wirtschaftskrise. Kinder sind es gewohnt im Dunkeln zu leben. Trüge man ihren auf einen typischen Elternsatz zum Besten zu geben, so lautete der zweifelsohne: „Schatz. Mach das Licht aus, das is zu teuer wir ham doch kein Geld seit Papa arbeitslos is!“