Es soll Menschen geben, denen Essen relativ egal ist. Sie füllen pflichtbewusst und regelmäßig ihre Energiespeicher – aber mit was ist ihnen egal. Die Krönung dieser Gleichgültigkeit stellen wohl Menschen dar, die ihre Ernährung auf Soylent [1][2] und ähnliche Präparate umstellen.
Für mich hingegen ist essen nicht nur überlebenswichtig sondern stellt auch einen großen Teil von Lebenszufriedenheit dar. Das heißt nicht unbedingt, dass ich mich auf eine bestimmte Art ernähre oder dass mein Essen besonders hochwertig ist – mich macht auch Currywurst mit Pommes glücklich – aber es gibt eine bestimmte Art von Minderwertigkeit, die mich abstößt.
Noch schlimmer und Garant für Instant-Übellaunigkeit ist bei mir: Gar nicht essen.
Ich weiß wirklich nicht wie Menschen fasten oder diäten können – ich könnte das bestenfalls als Eremitin in einer Einöde. Da würde ich mich sehr miesepetrig in eine Höhle zurück ziehen und die Steinwände anstarren, so dass mich das satte Grün von Bäumen oder Wiesen der Umgebung nicht irgendwie an köstlichen Brokkoli oder Salat erinnert und meine Laune in Bereiche bringt, die für Mitmenschen lebensgefährlich werden könnte.
Ein echter Schock war für mich deswegen als ich letztes Jahr um 20.30 Uhr auf Hiddensee versucht habe, etwas zu essen zu bekommen.
Die Supermärkte hatten bereits um 16 Uhr geschlossen – das war mir klar. Völlig überrascht hat mich der Umstand, dass auch die Kneipen und Restaurants um diese Uhrzeit nicht nur kein warmes Essen sondern gar kein Essen mehr boten.
Genauer gesagt, lief das so ab:
20.30 Uhr, wir betreten die Kneipe, in der wir am Tag zuvor am Nachmittag ein Stück Kuchen zu uns genommen haben.
Gleich im Eingangsbereich an der Theke grüßt und die Bedienung:
– Guten Abend!
– Guten Abend, sage ich und eigentlich rein rhetorisch gemeint, während ich schon meine Jacke ausziehe: haben sie noch warmes Essen?
Einen kurzen Moment steht die Zeit still. Den Herren am Stammtisch gleich links neben mir stockt der Atem. Zwei reißen ungläubig die Augen auf, die anderen beiden, sie hatten gerade ihr Bier angehoben, stoppen in der Bewegung.
Man starrt uns an. Die Bedienung, ebenfalls mit entgleisten Gesichtszügen, atmet durch und sagt dann: Es ist 20 Uhr 30.
Ich schaue sie verständnislos an. Denke: Ja, das ist richtig, aber was will mir das sagen?
– Nach 20 Uhr gibt es kein warmes Essen mehr.
– Verstehe, sage ich noch fröhlich, dann nehmen wir etwas Kaltes. Brot und irgendwas?
– Haben wir nicht.
– Aufwärmbare Suppen?
– Nein.
– Kuchenreste?
– Nein.
– Spiegelei?
– Nein. Es gibt kein Essen mehr.
– Gar keins?
– Korrekt.
– Gibt es auf der Insel vielleicht ein anderes Restaurant, das noch Essen hat?
– Nein
– Auf der ganzen Insel nicht?
Die Bedienung schüttelt den Kopf. Ich blicke zum Stammtisch. Höchstens der „Dünenkönig“, sagt einer der Anwesenden zögerlich.
– Wo finden wir den? (Auf Hiddensee gibt es auch kein mobiles Datennetz!)
Um die Geschichte abzukürzen: Auch der „Dünenkönig“ hatte kein warmes Essen mehr. Schon gar nicht um 21 Uhr!
Völlig verdattert stapfen wir in unsere Ferienwohnung. Ich wühle in meinem Rucksack. Von der Anreise habe ich noch drei Kekse und ein halbes, vertrocknetes Brötchen. Wir teilen alles in zwei Teile und essen schweigend unsere Ration.
Es ist in der Zwischenzeit 22 Uhr. Frühstück bietet unsere Unterkunft erst ab 8 Uhr. Ich muss 10 Stunden ohne Nahrung überleben.
Von diesem Urlaub habe ich noch ein kleines Trauma. Deswegen muss ich immer, wenn ich eine Ferienwohnung neu beziehe, sofort erstmal einkaufen gehen und die Schränke befüllen.
So auch dieses Mal. Dreißig Minuten nach Ferienwohnungsbezug stehen wir bei EDEKA.
Zu zweit kaufen wir so viel wie wir tragen können.
Beim Abendbrot vertilgen wir zu meinem Erschrecken ein ganzes Brot. Um 21 Uhr sind wir brotlos. Wie immer habe ich gegen 22 Uhr wieder Hunger. Es gibt noch Wurst, Käse und Schinken – aber ohne Brot kann man das doch nicht essen. Gottlos wäre das!
Zum Glück haben wir am Nachmittag gefragt, wann der örtliche Bäcker öffnet. 7 Uhr!
Ich trinke ersatzweise drei Tassen Tee und gehe dann ins Bett.
6 Uhr stehe ich auf und mache mich auf den Weg zum Bäcker.
Dort kaufe ich für das gesamte Bargeld, das ich einstecken habe, Dinge. Es ist schließlich Sonntag. Der Bäcker macht um 11 wieder zu. Ob es Restaurants oder Cafés gibt, die sonntags geöffnet haben (und Essen verkaufen!), kann ich nicht mit hundert prozentiger Sicherheit sagen.
Ich muss also so viel kaufen, dass wir bis Montag 7 Uhr überleben.
Wir sind vier Personen. Bestimmt sind alle so hungrig wie ich. Ich kaufe also sicherheitshalber zehn Brötchen. Da ein Brot fürs Abendbrot nicht genügt hat, kaufe ich zwei Brote.
Wir wollen später spazieren gehen, also kaufe ich noch einen kleinen Wegesproviant. Käsebrötchen, Splitterbrötchen, einen Hefezopf, ach Croissants könnte ich ja auch noch nehmen.
Es gibt auch Kuchen. Vielleicht wollen wir später Kuchen essen. Also kaufe ich lieber noch ein paar Stück Kuchen.
Hinter mir wird die Reihe immer länger. Man schaut sich nervös um. Ich verstehe es ja, die Auslage wird gefährlich leer. Aber da hätten sie eben früher aufstehen müssen. Jetzt bin ich erstmal dran.
Ich überlege: Morgen Früh erst frühstücken können und dann einkaufen, wäre auch schön. Ich kaufe also noch mehr.
Was ist, wenn wir heute lange wach bleiben und ich wieder Appetit bekomme? Lieber ein drittes Brot.
Ich schaue in mein Portemonnaie. Ich habe nur 50 Euro Bargeld dabei. Ich rechne alles im Kopf nach. Ach – Puffer für einige Brezeln ist auch noch!
Schwer bepackt schleppe ich alles nach Hause.
Dort decke ich den Tisch und wecke den Freund, der sich wider Erwarten gar nicht soooo freut, dass ich ihn um 8 Uhr an einem Sonntag im Urlaub wach mache.
Genau genommen sieht er so aus, als hätte ich ihn um 3 Uhr nachts geweckt. Er sieht gar nicht die Brötchenberge, den Brotstapel und all die anderen Leckereien. Ihm ist wohl gar nicht klar, dass er mit mir den Glücksgriff einer Jägerin UND Sammlerin gemacht hat.
– Schon mal darüber nachgedacht Prepper zu werden?, fragt er mich.
– Prepper?
Den Begriff habe ich noch nie gehört. Ich lasse mir erklären, was das ist: Prepper sind Menschen, die auf Katastrophen und andere apokalyptische Zustände vorbereitet sind. Sie sind „prepared“.
Fantastisches Konzept!
Gegen Jahresende 1999 – zur Jahrtausendwende – hatte ich bereits erste Ansätze dieses namentlich nicht bekannten Konzepts verfolgt.
Alles sehr unwahrscheinlich mir diesem Jahrtausendcrash – ABER zur Sicherheit doch lieber einige Hundert Liter Wasser im Keller eingelagert und Dosensuppen und andere nützliche Nahrungsmittel kann man ohnehin immer brauchen…
Selbst die Bundesregierung verlautbart: „Die Bevölkerung ist angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten.“
So hält es der allseits ungeschätzte Innenminister de Maizière für notwendig für die Erstversorgung pro Person und Tag zwei Liter Trinkwasser vorzuhalten.
In der Stadt ist das Überleben kein Spaß. So viel ist sicher.
Auf dem Land ist das anders. Mein Vater z.B. hat einen Garten. Da könnte man Gemüse anbauen, Schafe und Hühner ziehen, einen Trinkbrunnen graben und durch die staatliche Förderung von Solaranlagen, die deswegen jeder normale Mensch auf dem Dach hat, ist man sogar was Strom und Warmwasser angeht, autark.
Wir Stadtmenschen dagegen sehen dagegen alt aus. Zumindest WIR Stadtmenschen mit Balkon gen Norden. Da lassen sich nur sehr kleine Erdbeeren ziehen. An Erbsen, Bohnen, Tomaten und Hokaidokürbisse ist da gar nicht zu denken.
Vielleicht könnte man sich ein paar Balkonkaninchen halten, die man nach und nach schlachtet… aber so richtig lange würde man nicht überleben.
Es sei denn: man ist vorbereitet.
In Zeiten eines wahnsinnigen Staatsoberhauptes mit Zugang zu einem Atomwaffenarsenal ist das preppern, je mehr ich darüber nachdenke, tatsächlich eine hervorragende Idee.
Szenarien wie der Tag in Hiddensee möchte ich eigentlich kein zweites Mal erleben.
Wenn wir wieder aus dem Urlaub zurück sind, werde ich mich mal ein bisschen einlesen. Seile, Trockennahrung, Stromgeneratoren, Wasser, Dosennahrung, Desinfektionsmittel, Kerzen, notfallmedizinische Ausrüstung, Wasserfilter.
Und dann wird immer nur gegessen, was abläuft.
Nie mehr unsinnigerweise das auf was man gerade Lust hat.
Mein Freund hat es so gut mit mir!
Ich bin die beste Versorgerin!
Jede Apokalypse kann man mit mir überleben!
– NEIN SCHATZ! NICHT DER MAIS. HEUTE WERDEN DIE EINGELEGT… SCHATZ!? ES GIBT JETZT BOHNEN!
Ja, Schatz. Wir essen seit Wochen Bohnen, aber die laufen eben ab… nein, Schatz. Nein, Schatz! Das frische Brot wird jetzt eingela… lässt du sofort das frische … SCHATZ???!
[1] Sehr gut gefällt mir der Name des Konkurrenzprodukts: Joylent!
[2] Soylent – hat seinen Ursprung im Film Soylent Green
Ähnliches erlebt in einem November auf Sylt (vielleicht sollte man dazu sagen: ohne Auto). Unser erstes Abendbrot auf der Insel war ein zufällig mitgebrachter Kuchen (immerhin).
Das erinnert mich an unseren Urlaub in einem Dorf in Franken vor ein paar Jahren. Den ersten Urlaubstag mit ausgedehnter Wanderung verbracht, mit hungrigen Kleinkindern den Dorfgasthof 1 betreten – und ungläubig angeschaut worden: Essen? Gegen 19.45 Uhr?! Nee, es gibt nix mehr. Auf zu Gasthof 2, der ebenfalls nichtmal Brot mit Käse zu bieten hatte, genau wie Nummer 3. Der Knaller war dann Gasthof 4, der dem örtlichen Metzger gehörte: links vom Flur ab ging es in den Verkaufsraum der Metzgerei, rechts in den Gastraum. Und die Trude hinterm Tresen hat uns trotzdem rotzfrech ins Gesicht gesagt dass man leider nichts zu essen habe, nein, auch keine kalten Würstchen für die vor Hunger heulenden Kinder. Ich habe ihr einen Vogel gezeigt, dann sind wir zähnekirschend ins Auto gestiegen und 20 Minuten in die nächstgrößere Stadt gefahren. Seitdem erzähle ich jedem der es hören will wie ungastlich, arbeitsscheu und zu blöd zum Geldverdienen die Franken so sind.
(Man merkt mir sicher nicht an wie wütend ich heute noch bin, oder?)
So wie das klingt, muss Hiddensee eine Art Mordor für Liebhaber guten Essens und mobilen Internets sein. Und nach Mordor geht man, wie hoffentlich alle wissen, nur mit einer großen Ration Lembas-Brot. Immerhin ja schön, wenn du was draus lernen konntest. Ich glaube, nach so einem Erlebnis würde ich auch erst mal jede Schrankritze mit Essen befüllen, wenn ich irgendwo ankäme. Wie gut, dass ich wegfahren in den Urlaub so unglaublich ungern mag, weil ich da gutes Geld ausgeben muss, um einen weniger angenehmen Lebensstil pflegen zu können, als ich ihn daheim hab. Andererseits bin ich deswegen eben kein Jäger und Sammler und falls jetzt doch mal eine Zombieapokalypse ansteht oder aber die smarten Stromzähler von Hackern aus der Ferne abgedreht werden und die Anarchie ausbricht, tja, dann hab ich echt schlechte Karten. Also ich oder eben die Nachbarn, denn mit ordentlich Currysauce schmeckt im Prinzip ja
jederalles ganz gut.Ein bisschen habe ich ja schon gestockt beim Lesen dieses Artikels… aber noch mehr gestockt habe ich, als mir einfiel, dass ich auch auf dem Land wohne und selbst bei uns wird man es nie erleben, dass man um halb 9 kein warmes Essen mehr bekommt…
Wurst & Käse OHNE Brot ist bei uns das größte!!! Darf nur an Feiertagen genossen werden. ;-)
Es ist alles entbehrlich, außer Kaffee und Milch. Ohne diese beiden Produkte im Gepäck trete ich keine Reise mit Übernachtung an. Die größtmögliche Katastrophe im Urlaub auf irgendeiner gastrounaffinen Insel ist die Abwesenheit eines Wasserkochers. Ich habe in meiner Not schon mit mäßig heißem Leitungswasser Kaffee zubereitet. DAS ist Horror.
******************KOMMENTAROMAT**********************
Gerne gelesen
*****************/KOMMENTAROMAT**********************
******************KOMMENTAROMAT**********************
Genau!
*****************/KOMMENTAROMAT**********************
Die haben auch Ferienwohnungen mit WLAN und in der Saison haben die Läden auch länger auf. Und wenn man sich auskennt weiß man dass es auch Kneipen gibt wo man nach 20:30 essbares gibt. Aber wenn man zum 1.Mal da ist ist das natürlich schwer :)
Tja wer ohne Essen auf Hiddensee fährt, dem kann man auch nicht helfen.Und was faselt Ihr da von einwecken? Auch und supermama: ich komm rgelmässig zu spät zur nachtschicht, weil Mama nicht weg darf aus der Praxis.Einmal Abgeich bitte.
Jaja die Wahl des Urlaubsortes. Es gibt auf Usedom Orte mit wunderschönem Strand, allerdings ohne die obligatorische Promenade (und damit ohne jeden Zugriff auf von Fremden serviertes Essen). Dafür aber mit dem was sie dort Supermarkt nennen (der Asia-Spar in der Grünberger Straße ist besser sortiert). Der Supermarkt hat ab 13 Uhr erstmal geschlossen, macht dann aber um 15 Uhr noch mal bis 18 auf.
ich bin mir ziemlich sicher dass es im Godewind und an der Kneipe direkt am Hafen in Vitte auch nach 20:30 noch essbares gibt
******************KOMMENTAROMAT**********************
Made my day
*****************/KOMMENTAROMAT**********************
?
?
?
?
?
Wenn er den Knopf drückt, dann hilft dir der Mais auch nicht mehr. Die die von uns überleben werden, werden von überdimensionalen Broten aufgegessen.
Da ist Fehmarn deutlich besser ausgerüstet. Da haben auch normale Supermärkte sonntags ganztags geöffnet.
Habe mal ein Gespräch belauscht & war froh zu hören, daß ich nicht die einzige bin, die während eines Essens schon ans nächste denkt
Wir hatten sowas ähnliches vor ein paar Jahren auf Amrum. Wir haben eine Zelt- und Radtour gemacht, da kam man halt immer erst Abends auf dem Zeltplatz an und nach dem Zeltaufbau wollten wir zur Feier des Tages Essen gehen. Es war aber alles zu. Für sechs Personen gab es einen Käseblock, trockenes Müsli und drei Müsliriegel. Keine schöne Erfahrung.
Auch wenn’s nur am Rande ist: Finde es tröstlich, dass der Gedanke an Prepping dieser Tage nicht nur in meinem Kopf herumspukt.
wenn man ohne Internet gut kann und rechtzeitig einkaufen geht, ist es schön da.
Notiz an mich: Vermeide Hiddensee!
Komisch, bei uns hieß dieses Modell lediglich „Oma“