Ich bin hoch erfreut. Offensichtlich ist es auch nach stundenlangem Probieren völlig unmöglich ein Phantombild von mir zu erstellen. Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten.
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Berlin kann man nur lieben oder hassen. Ähnlich wie Ingwer beim Sushi. An manchen Tagen bringt mich diese Stadt an den Rande eines Nervenzusammenbruchs. Es ist Feierabend. Um exakt 20 Uhr verlasse ich das Büro und schleppe mich erschöpft in die U-bahn. Glücklich einen Sitzplatz ergattert zu haben, verfalle ich in katatonen Zustand. Mein Gehirn macht fast Urlaub als zwei Musikanten das Abteil betreten. Sie stimmen ein lustiges Lied an. Mein Hirn verkrampft sich. Wie oft muss ich in meinem Leben bitte noch „the girl from Ipanema“ gespielt auf einer Gitarre, begleitet von einer Querflöte hören? Eine Sekunde bevor ich aufspringen und schreien will: „AUFHÖÖÖREN, bitte aufhööören“, verlassen die Herren den Wagen. Ich entspanne mich wieder. Eine Station später, springt jemand zur Tür hinein und ruft: „Waaaaah, ich bin total verhaltensgestört. Ich stehe in U-Bahnabteilen und schreie rum. Das is nich normal. Normal is das nich. Das is sowas von verhaltensgestört (tbc).“ Pause „Wobei“, er erhebt wieder die Stimme „vielleicht seid auch ihr diejenigen, die verhaltensgestört sind, immerhin stehe ich hier und schreie rum und ihr, ihr tut alle so, als ob ihr mich nicht hören könnt“ Er schreit Vokale vor sich hin. Wäre ich besser gelaunt, würde ich wahrscheinlich lachen. Er steigt wieder aus. Eigentlich hätte er sich beim nächsten abklatschen können. Wieder zwei Männer, die singen. Zwischendrin noch ein Harmonikaspieler und vier bis fünf Straßenzeitungsverkäufer.
Wenn das so weiter geht, werde ich bald die Überschrift in der Berliner Morgenpost.
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Vor Kurzem hat mich ein Kind gebissen. Ich frage: Warum tust Du das?
Antwort: „Was alt ist, muss weg“, und beisst wieder zu.
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Selbstversuch in zwei Akten: Der Besuch eines Fitneßstudios
Das Holmesplace verteilte kürzlich Gutscheine zum Probetraining. Ich fand die Bilder ansprechend und da ich bis zu diesem Zeitpunkt meines Lebens noch nie oben genannte Institution von innen besichtigt hatte, entschloß ich mich anzurufen und einen Termin zu vereinbaren.
Sonntag 15 Uhr war es soweit. Etwas aufgeregt melde ich mich am Empfang. Eine stark untergewichtige Barbie, namens Peggy erklärt sich zuständig für meinen Aufenthalt und ich werde zunächst in den Keller geführt, um dort die Kleidung zu wechseln.
Sie befahl mir im Anschluß direkt in die 2. Etage zu fahren und sie dort wieder zu suchen, damit sie mir die Folterapparate vorstellen könne. Unten kämpfte ich mich durch ein Spindlabyrinth und war stark abgelenkt durch die ganzen Gerätschaften, die sich schon in den Umkleidekabinen fanden. Überall gab es 4 mal 1,5 Meter große, beleuchtete Vergrößerungsspiegel, versehen mit einer ganze Batterie an Spendern (Kosmetiktücher, Handcreme, Abschminkflüssigkeit, Gesichtscreme, Körpercreme und Haarfestiger). Besonderes Interesse zog der mechanisch betriebene Badewäschetrockner auf sich.
Bis ich alles ausprobiert hatte, war deutlich mehr als eine halbe Stunde vergangen, was offensichtlich zu lange war, denn Peggy empfing mich etwas schnepfig und befahl mir mich auf einem Stepper warm zu machen. Ich folgte brav den Anweisungen und hatte großen Spaß die verschiedenen Programmierungen auszuprobieren. Vorwärts, rückwärts, langsamer, schneller, noch schneller, rückwärts.
Als ich fertig war, meldete ich mich ordnungsgemäß wieder bei Peggy, die mich daraufhin befragte, welche Problemzonen ich angehen möchte.
Problemzonen? Hm. Ich war etwas ratlos und überlegte offenbar etwas zu lange, denn Superbarbie betrachtete mich naserümpfend und entschied „Bauchbeinepo“.
– „und Fledermausärmel und Kniespeck“, ergänzte ich.
Sie hörte mir aber gar nicht mehr richtig zu und stellte mir das erste Gerät vor. Sie schlängelte sich in eine nach meinem Gefühl zunächst als körperunintegrierbare bewertete Maschine und führte die Übung vor. Ich folgte ihr sehr konzentriert und machte alles nach. Meistens war mir aber entweder nach der dritten Wiederholung sehr langweilig oder aber, ich war mir sicher, daß mein Körper entsprechende Muskelpartie leider nicht besitzt und mir die Übung somit unmöglich macht. Peggy lies sich auf keine Diskussionen ein.
So langweilte ich mich ca. eine Stunde zu Tode, bevor ich muskelzitternd in die Schwimmbad-Whirlpool-Sauna-Zone entlassen wurde. Der Whirlpool war leider zu laut, um dort länger als fünf Minuten zu verbringen, das Wasserbecken eindeutig zu kalt und naß, also entschied ich mich für Sauna.
Sauna ist super. Um dort verweilen zu können, muss ich nämlich meine Kontaktlinsen entfernen. Mit einem Scharfsichtbereich von ca. 10 cm begebe ich mich also in die Hitzehölle. Da sitze ich dann abscheugeplagt wie in einem Horrorfilm. Glücklicherweise sehe ich nicht scharf, jedoch sitzen an einigen Ecken Damen und Herren mit schwarzen Pelztieren im Schoß. Ich wünschte jemand würde die Tierchen mit einem lauten kscht, KSCHT verscheuchen!
Zurück in der Umkleidekabine notiere ich: Fitneßstudio muß die nächsten 29 Jahre nicht mehr ausprobiert werden.
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Ich berichte einer Freundin einige Tage später von meinem Aufenthalt. Sie bestätigt mir den empfundenen Langweiligkeitsgrad und mahnt mich, nächstes Mal einen Kurs zu besuchen. Eine Befragung meiner anderen Freundinnen ergibt, daß Yoga total Spaß macht, also rufe ich mit neuem Namen im Holmesplace an und sage, ich würde gerne mal einen Kurs ausprobieren.
Die darauffolgende Woche erscheine ich nach der Arbeit punkt 19 Uhr im Yogakurs.
Wir sind zu acht und offensichtlich ist meine lila-orange Kombination die falsche, denn alle anderen erscheinen in hellen Erdtönen. Das hätte mich schon skeptisch machen müssen.
Augenscheinlich ist Yoga eine sehr ernste Sache, denn die Damen gehen es sehr verbissen an. Den Verrenkungen kann ich folgen, Kopfzerbrechen bereiten mir lediglich Anweisungen über die Atemtechnik. Ich soll aus und in alle möglichen Körperteile atmen. Beispielsweise in den Kopf. Leider ist der nicht hohl und so habe ich meine liebe Mühe überhaupt entspannt und regelmäßig zu atmen. So lange die Anweisungen konkret bleiben, kann ich mich wenigstens noch ein wenig in die Zielvorgabe eindenken. Richtig schwierig wird es, wenn ich tief in mein „Zentrum“ atmen soll. Welches denn nun? Während ich grübele, beobachte ich meine Mitstreiterinnen, die einen zunehmend seligen Gesichtsausdruck bekommen. Nach einigen Minuten beginnen sie zu stöhnen. Es klingt sehr obszön und ich wundere mich welche Stellen wohl stimuliert werden. Wahrscheinlich haben sie mittlerweile ähnliche Schmerzen wie ich. Ich bin hundert Mal verspannter als zu Beginn der Übungen. Mein Rücken knackst einige Male protestierend in die Stöhnkonzerte.
Wahrscheinlich funktioniert der ganze Esoterikmist bei mir nicht, weil ich keine eigene Yogamatte besitze.
Yoga scheidet für mich zur Bewältigung meiner Dreißigerkrise eindeutig aus. Gruppenschwitzen und -stöhnen finde ich ohnehin unziemlich.
Glücklicherweise gibt es ja noch die Alternative das Ganze zu überwinden, indem ich einen Motorradführerschein mache.
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Schon letztes Jahr konnte ich am 31. Oktober beobachten, daß der deutsche Einzelhandel es irgendwie fertig gebracht hatte, Familien mit Kindern davon zu überzeugen, daß es viel Spaß mache und wichtig sei an der uns völlig fremden Tradition des Halloween teilzunehmen.
Auf dem Nachhauseweg gestern abend, bemerkte ich, daß es v.a. übergewichtige Mütter sind, die ihre Kinder dazu zwingen albern verkleidet in der Eiseskälte von Tür zu Tür laufen.
Auch bei mir wurde im Verlaufe des Abend mehrere Male die Türglocke betätigt. Ich öffne und vor mir stehen Mullbindenmunien, Bettlakengespenster und dilettantisch geschminkte Hexen. „Süßes, sonst gibt‘s Saures!“, schreien sie und ich bin etwas enttäuscht, daß es offensichtlich genau einen, nämlich diesen, Spruch gibt.
Aber ich bin vorbereitet! Im Vorfeld von Halloween habe ich mir mehrere hundert Ernährungsbroschüren des Bundesgesundheitsministeriums bestellt und einige Kopien der norwegischen „Karius und Baktus“-Geschichten gebrannt, die ich nun großzügig verteile. Ich bitte die Kinder anschließend in meine lediglich durch Kerzen beleuchtete Wohnung und erzähle ihnen den wahren Hintergrund von Halloween.
(Im 2. Jahrhundert vor Christus versuchten sich irische Kelten vor den umherirrenden Seelen Verstorbener zu schützen. Dazu brachten sie dem Totengott Samhain Ende Oktober ein Menschenopfer. Diese Opfer waren meist Kinder, da nichts so unschuldig und rein ist, wie ein kleines Kind, welche die Druiden von der verängstigten Bevölkerung forderten. Traditionellerweise wurden diese nach Ablieferung in Weidenkörbe eingesperrt und verbrannt.
Vor die Häuser derer, die das Opfer bringen mußten, wurde eine ausgehöhlte erleuchtete Steckrübe (später auch Kürbis) gestellt. Nachdem das Kind abgeliefert war, blieb die Rübe zum Schutz des Hauses zurück. Verweigerte die Familie das Kind, beschmierten die keltischen Priester die Tür mit Blut. Dies war wie ein Todesurteil für alle dort Wohnenden.)
Nach der Aufklärung bekommt jedes Kind als Bonus einen knochentrockenen Vollkornreispuffer in die Hand gedrückt.
Abends lege ich mich zufrieden in mein Bett. Ich habe mal wieder sowohl etwas für die Allgemeinbildung als auch für die Gesundheit der Nation getan. Außerdem bin ich mir sicher, daß meine Klingel nächstes Jahr unberührt bleibt.
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Als ich Samstag Abend Ex-Mitbewohner und Altnachbar besuchte, befragte mich mein Nachbar leicht entsetzt, ob The Bourne Supremacy tatsächlich so schlecht sei.
– Ja.
Natürlich wollte er mir einen schlechten Geschmack andichten. Jedoch bestehe ich darauf, daß ein Film, der Authentizität beansprucht, entweder Inhalt oder charakterliche Entwicklung braucht.
Was mir Kopfzerbrechen bereitete, war der Umstand, dass ich mittlerweile nicht mal mehr eine Top-5 der unerreichbar attraktiven Männer zusammenstellen konnte. Es blieben nur noch Heath Ledger, Hugh Jackman und Gert Scobel.
Glücklicherweise lieh ich mir beim Nachbarn zum wiederholten Male „Bube, Dame, König, GrAs“ und bin dabei erneut auf Jason Statham gestoßen. Jason war mir als potenzielles Sexobjekt bereits am 7. Juni aufgefallen. Aus unerfindlichen Gründen hatte ich ihn im Juli schon wieder vergessen. Jason ist zwar etwas klein (1.80), aber er ist Sternzeichen Jungfrau. Ich bin Aszendent Jungfrau und von daher würden wir sicherlich hervorragend harmonieren.
Außerdem bietet sein Name gute Anknüpfpunkte an wirre Träume. Heute Nacht beispielsweise, befand ich mich mit Jason Statham und vierzig Argonauten auf einem großen Segelschiff. Gottlob machten wir lediglich eine Karibikkreuzfahrt und kümmerten uns nicht um das goldene Vlies.
Wer will schon einen Bettvorleger haben, wenn er sich alternativ an weißsandigen Stränden aalen kann?
Die Argonauten spielten Beachvolleyball und Jason, seines Zeichens olympiagekrönter Turmspringer, demonstrierte mehrere Salti und andere Kunststücke, während ich mit einem Strohhalm Kokosnußmilch schlürfte.
Das ist, was ich einen guten Start in die Woche nenne!
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Der liebste Platz ist mir der vor meinem Rechner. Das Internet bietet bereits gute Möglichkeiten zu allerhand Sozialstudien. Dennoch sind die Informationsquellen begrenzt und um wirklich etwas über die Gesellschaft zu erfahren, läßt es sich manchmal nicht vermeiden, die Wohnung zu verlassen. Da mir bewußt ist, daß der eigene Freundeskreis stets eine unrepräsentative Stichprobe bleiben wird, besichtige ich gelegentlich fremde Wohnungen. Das bietet sich v.a. am Wochenende an, wenn die Zeitungen voller Wohnungsanzeigen sind. Ich rufe aus jeder Wohnungsgrößenrubrik eine Telefonnummer an und vereinbare Sichtungstermine.
So eile ich von Termin zu Termin und fülle mein Notitzbuch mit den Absonderlichkeiten der anderen Menschen. Der erste Unterschied, der mir ins Auge fiel, war der Klimbimzwang der Durchschnittsbevölkerung. Wohnungen sind vollgestopft mit unnützem Tand. Kerzenleuchter, Vasen, funktionslose Skulpturen, Plastikblumen und unsystematisch vollgehangene Pinnwände.
Kurzum, Leute neigen dazu, ihr gesamtes Privatleben auf Schränken und offenen Regalen zu präsentieren. Katzenbilder, Babybilder, Postkarten und inhaltslose Schreibstücke. Ich finde das obszön. Man sollte alles versteckt halten, vor allem dann wenn man Bücher von J.K. Rowling, Stephen King oder Joy Fiedling oder CDs von Virgina jetzt!, Rosenstolz oder Scooter sein eigen nennt.
Überhaupt diese ganzen unhygienischen Staubfänger! Bilder, Ablagen, Tücher und Teppiche. In ihnen werden Abermillionen von Milben und sonstigem Getier gezüchtet.
Noch schlimmer finde ich Zimmerpflanzen, die einem Nachts den Sauerstoff wegatmen. Aus meinen Teenagerzeiten besitze ich noch einiges an Gestrüpp. Die haben sich ihre Darseinsberechtigung hart erkämpft. Trotz wochenlanger Dürre wachsen und gedeihen die zähen Biester. Sie kennen mich genau. Sollte ich aus Versehen gut gelaunt sein, lassen sie ihre Ästchen vorwurfsvoll hängen und schmeissen mir im Vorbeigehen ein Blatt vor die Füße. Dann gebe ich ihnen Bügelwasser oder Mineralwasserreste.
Alle Versuche sie dem Tode zu überlassen, scheiterten bislang. Letztes Jahr beispielsweise fuhr ich drei Wochen in den Urlaub und bat meinen Nachbarn sich um die Pflanzen zu kümmern. Ich war mir sicher, daß er sich, ob seines Geschlechts, kein einziges Mal daran erinnern würde, sie zu gießen.
Das Gegenteil war der Fall. Als ich wiederkehrte, hatte sich in meinem Wohnzimmer ein wahrer Dschungel entwickelt. Ich habe über ein Jahr gebraucht sie wieder in den ursprünglichen Zustand zu überführen.
Heutzutage kann man sich wirklich auf nichts mehr verlassen.