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Internet für alle gibt es im Grunde erst seit 1980 durch die Entwicklung des TCP/IP-Übertragungsstandards. Offline schreibe ich seit 1981 Tagebuch. In einem Anfall von Langeweile begann ich meine Tagebücher zu lesen und stieß auf das ein oder andere Amüsement.
Absolutes Highlight ist jedoch das von 1986. Da passierten noch wirklich dramatische Dinge und ich mußte mir nicht über die Nichtigkeiten des Alltags den Kopf zerbrechen.

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Tagebücher sind eine Art Dokumentation der kognitiven Entwicklung. In 19 Jahren habe ich meine Rechtschreibung wesentlich verbessert, kann ohne linealgezogene Bleistiftlinien gerade schreiben und habe schon lange keinen Radirgummi ausversehen kaputt gemacht.

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Ich habe erneut über die Altersversorgungsproblematik nachgedacht. Daß die staatlichen Rentenkassen leer sind, ist hinlänglich bekannt. Auch die Gründe bedürfen keiner näheren Erklärung. Warum aber wird nichts gespart? Warum habe ich eigentlich nie was übrig? Ich meine, ich besitze ein vier Jahre altes Handy, einen sieben Jahre alten Rechner, keinen Fernseher, habe kein Auto, kein Fahrrad – nichts.
Heute fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Ursprung allen Übels ist der coffee to go.
Erfunden wurde er offiziell 2000. Genau das Jahr in dem ich mein Studium niederlegte und begann mein eigenes Geld zu verdienen. Fortan mußte ich aus organisatorischen Gründen täglich mindestens einen CTG kaufen und trinken. Im Laufe der letzten Jahre hat sich die Dosis verdoppelt.
Würde ich das Geld, das ich täglich ausgebe, sparen und bei 4% Zinsen anlegen, so hätte ich bereits zu meinem 60. Geburtstag wahnsinnig viel Geld*.
Ich bin sicherlich kein Einzelfall sondern wie jeher lediglich Repräsentant für die Durchschnittsbevölkerung.
Die Erfindung des coffee to go leitete folglich vor vier Jahren das Ende der industrialisierten Nationen ein. So lassen wir alle nicht nur unser Geld in den Togo-Ketten, nein, es ist schlimmer … Kaffee macht impotent und unfruchtbar. Der Nachwuchs bleibt aus, die Bevölkerung schrumpft und wir sterben alle aufgrund lächerlicher koffeinhaltiger Schnabelbecherlein aus.

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Berlin kann man nur lieben oder hassen. Ähnlich wie Ingwer beim Sushi. An manchen Tagen bringt mich diese Stadt an den Rande eines Nervenzusammenbruchs. Es ist Feierabend. Um exakt 20 Uhr verlasse ich das Büro und schleppe mich erschöpft in die U-bahn. Glücklich einen Sitzplatz ergattert zu haben, verfalle ich in katatonen Zustand. Mein Gehirn macht fast Urlaub als zwei Musikanten das Abteil betreten. Sie stimmen ein lustiges Lied an. Mein Hirn verkrampft sich. Wie oft muss ich in meinem Leben bitte noch „the girl from Ipanema“ gespielt auf einer Gitarre, begleitet von einer Querflöte hören? Eine Sekunde bevor ich aufspringen und schreien will: „AUFHÖÖÖREN, bitte aufhööören“, verlassen die Herren den Wagen. Ich entspanne mich wieder. Eine Station später, springt jemand zur Tür hinein und ruft: „Waaaaah, ich bin total verhaltensgestört. Ich stehe in U-Bahnabteilen und schreie rum. Das is nich normal. Normal is das nich. Das is sowas von verhaltensgestört (tbc).“ Pause „Wobei“, er erhebt wieder die Stimme „vielleicht seid auch ihr diejenigen, die verhaltensgestört sind, immerhin stehe ich hier und schreie rum und ihr, ihr tut alle so, als ob ihr mich nicht hören könnt“ Er schreit Vokale vor sich hin. Wäre ich besser gelaunt, würde ich wahrscheinlich lachen. Er steigt wieder aus. Eigentlich hätte er sich beim nächsten abklatschen können. Wieder zwei Männer, die singen. Zwischendrin noch ein Harmonikaspieler und vier bis fünf Straßenzeitungsverkäufer.
Wenn das so weiter geht, werde ich bald die Überschrift in der Berliner Morgenpost.

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Selbstversuch in zwei Akten: Der Besuch eines Fitneßstudios
Das Holmesplace verteilte kürzlich Gutscheine zum Probetraining. Ich fand die Bilder ansprechend und da ich bis zu diesem Zeitpunkt meines Lebens noch nie oben genannte Institution von innen besichtigt hatte, entschloß ich mich anzurufen und einen Termin zu vereinbaren.
Sonntag 15 Uhr war es soweit. Etwas aufgeregt melde ich mich am Empfang. Eine stark untergewichtige Barbie, namens Peggy erklärt sich zuständig für meinen Aufenthalt und ich werde zunächst in den Keller geführt, um dort die Kleidung zu wechseln.
Sie befahl mir im Anschluß direkt in die 2. Etage zu fahren und sie dort wieder zu suchen, damit sie mir die Folterapparate vorstellen könne. Unten kämpfte ich mich durch ein Spindlabyrinth und war stark abgelenkt durch die ganzen Gerätschaften, die sich schon in den Umkleidekabinen fanden. Überall gab es 4 mal 1,5 Meter große, beleuchtete Vergrößerungsspiegel, versehen mit einer ganze Batterie an Spendern (Kosmetiktücher, Handcreme, Abschminkflüssigkeit, Gesichtscreme, Körpercreme und Haarfestiger). Besonderes Interesse zog der mechanisch betriebene Badewäschetrockner auf sich.
Bis ich alles ausprobiert hatte, war deutlich mehr als eine halbe Stunde vergangen, was offensichtlich zu lange war, denn Peggy empfing mich etwas schnepfig und befahl mir mich auf einem Stepper warm zu machen. Ich folgte brav den Anweisungen und hatte großen Spaß die verschiedenen Programmierungen auszuprobieren. Vorwärts, rückwärts, langsamer, schneller, noch schneller, rückwärts.
Als ich fertig war, meldete ich mich ordnungsgemäß wieder bei Peggy, die mich daraufhin befragte, welche Problemzonen ich angehen möchte.
Problemzonen? Hm. Ich war etwas ratlos und überlegte offenbar etwas zu lange, denn Superbarbie betrachtete mich naserümpfend und entschied „Bauchbeinepo“.
– „und Fledermausärmel und Kniespeck“, ergänzte ich.
Sie hörte mir aber gar nicht mehr richtig zu und stellte mir das erste Gerät vor. Sie schlängelte sich in eine nach meinem Gefühl zunächst als körperunintegrierbare bewertete Maschine und führte die Übung vor. Ich folgte ihr sehr konzentriert und machte alles nach. Meistens war mir aber entweder nach der dritten Wiederholung sehr langweilig oder aber, ich war mir sicher, daß mein Körper entsprechende Muskelpartie leider nicht besitzt und mir die Übung somit unmöglich macht. Peggy lies sich auf keine Diskussionen ein.
So langweilte ich mich ca. eine Stunde zu Tode, bevor ich muskelzitternd in die Schwimmbad-Whirlpool-Sauna-Zone entlassen wurde. Der Whirlpool war leider zu laut, um dort länger als fünf Minuten zu verbringen, das Wasserbecken eindeutig zu kalt und naß, also entschied ich mich für Sauna.
Sauna ist super. Um dort verweilen zu können, muss ich nämlich meine Kontaktlinsen entfernen. Mit einem Scharfsichtbereich von ca. 10 cm begebe ich mich also in die Hitzehölle. Da sitze ich dann abscheugeplagt wie in einem Horrorfilm. Glücklicherweise sehe ich nicht scharf, jedoch sitzen an einigen Ecken Damen und Herren mit schwarzen Pelztieren im Schoß. Ich wünschte jemand würde die Tierchen mit einem lauten kscht, KSCHT verscheuchen!
Zurück in der Umkleidekabine notiere ich: Fitneßstudio muß die nächsten 29 Jahre nicht mehr ausprobiert werden.

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Ich berichte einer Freundin einige Tage später von meinem Aufenthalt. Sie bestätigt mir den empfundenen Langweiligkeitsgrad und mahnt mich, nächstes Mal einen Kurs zu besuchen. Eine Befragung meiner anderen Freundinnen ergibt, daß Yoga total Spaß macht, also rufe ich mit neuem Namen im Holmesplace an und sage, ich würde gerne mal einen Kurs ausprobieren.
Die darauffolgende Woche erscheine ich nach der Arbeit punkt 19 Uhr im Yogakurs.
Wir sind zu acht und offensichtlich ist meine lila-orange Kombination die falsche, denn alle anderen erscheinen in hellen Erdtönen. Das hätte mich schon skeptisch machen müssen.
Augenscheinlich ist Yoga eine sehr ernste Sache, denn die Damen gehen es sehr verbissen an. Den Verrenkungen kann ich folgen, Kopfzerbrechen bereiten mir lediglich Anweisungen über die Atemtechnik. Ich soll aus und in alle möglichen Körperteile atmen. Beispielsweise in den Kopf. Leider ist der nicht hohl und so habe ich meine liebe Mühe überhaupt entspannt und regelmäßig zu atmen. So lange die Anweisungen konkret bleiben, kann ich mich wenigstens noch ein wenig in die Zielvorgabe eindenken. Richtig schwierig wird es, wenn ich tief in mein „Zentrum“ atmen soll. Welches denn nun? Während ich grübele, beobachte ich meine Mitstreiterinnen, die einen zunehmend seligen Gesichtsausdruck bekommen. Nach einigen Minuten beginnen sie zu stöhnen. Es klingt sehr obszön und ich wundere mich welche Stellen wohl stimuliert werden. Wahrscheinlich haben sie mittlerweile ähnliche Schmerzen wie ich. Ich bin hundert Mal verspannter als zu Beginn der Übungen. Mein Rücken knackst einige Male protestierend in die Stöhnkonzerte.
Wahrscheinlich funktioniert der ganze Esoterikmist bei mir nicht, weil ich keine eigene Yogamatte besitze.
Yoga scheidet für mich zur Bewältigung meiner Dreißigerkrise eindeutig aus. Gruppenschwitzen und -stöhnen finde ich ohnehin unziemlich.
Glücklicherweise gibt es ja noch die Alternative das Ganze zu überwinden, indem ich einen Motorradführerschein mache.

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Schon letztes Jahr konnte ich am 31. Oktober beobachten, daß der deutsche Einzelhandel es irgendwie fertig gebracht hatte, Familien mit Kindern davon zu überzeugen, daß es viel Spaß mache und wichtig sei an der uns völlig fremden Tradition des Halloween teilzunehmen.
Auf dem Nachhauseweg gestern abend, bemerkte ich, daß es v.a. übergewichtige Mütter sind, die ihre Kinder dazu zwingen albern verkleidet in der Eiseskälte von Tür zu Tür laufen.
Auch bei mir wurde im Verlaufe des Abend mehrere Male die Türglocke betätigt. Ich öffne und vor mir stehen Mullbindenmunien, Bettlakengespenster und dilettantisch geschminkte Hexen. „Süßes, sonst gibt‘s Saures!“, schreien sie und ich bin etwas enttäuscht, daß es offensichtlich genau einen, nämlich diesen, Spruch gibt.
Aber ich bin vorbereitet! Im Vorfeld von Halloween habe ich mir mehrere hundert Ernährungsbroschüren des Bundesgesundheitsministeriums bestellt und einige Kopien der norwegischen „Karius und Baktus“-Geschichten gebrannt, die ich nun großzügig verteile. Ich bitte die Kinder anschließend in meine lediglich durch Kerzen beleuchtete Wohnung und erzähle ihnen den wahren Hintergrund von Halloween.
(Im 2. Jahrhundert vor Christus versuchten sich irische Kelten vor den umherirrenden Seelen Verstorbener zu schützen. Dazu brachten sie dem Totengott Samhain Ende Oktober ein Menschenopfer. Diese Opfer waren meist Kinder, da nichts so unschuldig und rein ist, wie ein kleines Kind, welche die Druiden von der verängstigten Bevölkerung forderten. Traditionellerweise wurden diese nach Ablieferung in Weidenkörbe eingesperrt und verbrannt.
Vor die Häuser derer, die das Opfer bringen mußten, wurde eine ausgehöhlte erleuchtete Steckrübe (später auch Kürbis) gestellt. Nachdem das Kind abgeliefert war, blieb die Rübe zum Schutz des Hauses zurück. Verweigerte die Familie das Kind, beschmierten die keltischen Priester die Tür mit Blut. Dies war wie ein Todesurteil für alle dort Wohnenden.)
Nach der Aufklärung bekommt jedes Kind als Bonus einen knochentrockenen Vollkornreispuffer in die Hand gedrückt.
Abends lege ich mich zufrieden in mein Bett. Ich habe mal wieder sowohl etwas für die Allgemeinbildung als auch für die Gesundheit der Nation getan. Außerdem bin ich mir sicher, daß meine Klingel nächstes Jahr unberührt bleibt.