Wien

Eine Woche Wien reicht leider nicht, um Wien wirklich kennenzulernen. Aber das Wien, das ich in der einen Woche kennengelernt habe, die ich da war, hat mir sehr gefallen.

Ich habe in vielen Situationen einen Lochkrampf bekommen. Das Wort Lochkrampf gefällt mir ausgesprochen gut. Ich hab es in der U-Bahn gehört. Da hat eine Frau in ihr Telefon gesagt „Und dann hoab I oan Lochkrampf bekommen.“ Seitdem ist Lochkrampf mein Lieblingswort.

Ich stelle mir vor, wie ein Beamter plötzlich bei der Verrichtung seiner Arbeit einen Lochkrampf bekommt. Eigentlich wollte er nur ein bestimmtes Formular abheften und nimmt den Locher in die Hand und dann bekommt er einen Lochkrampf und locht das Formular zu Konfetti. Das Konfetti wirft er aus dem Fenster auf die Straße, es rieselt leise auf den Gehweg, wird vom Wind ein wenig verteilt und unten läuft einer, der schaut hoch und denkt sich: „Da hat schon wieder einer einen Lochkrampf gehabt“ und geht kopfschüttelnd weiter.

Nicht dass man mich hier falsch versteht. Ich liebe diese Sprache. Ich habe  die Serie Braunschlag nur geschaut, weil mir die Sprache so gut gefällt. V.a. wenn die Österreicher schimpfen. Dann sagen sie „Oahschloch!“ und das finde ich jedes Mal wieder toll.

Ich frage mich immer, wie ich in ihren Ohren klinge. Ob es so klingt wie für meine italienischen Verwandten. Die immer sagen, dass Deutsch KRATZ RRRAKATZ BRRRAAARATZ! klingt. Sehr unschön also und auch sehr hart.

Jedenfalls neben der Aussprache gibt es tatsächlich sogenannte „Austriazismen„. Worte, die in Österreich ganz anders sind als in Deutschland. Manchmal versteht man sie, manchmal aber auch gar nicht.

Ich musste z.B. tatsächlich googeln was ein Vogerlsalat mit Paradeisern ist.

Wahrscheinlich sind die Wiener alle so entspannt, weil sie jeden Tag Sacher-Torte, Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn essen.

Interessant fand ich umgekehrt z.B. dass ich in einem Café einen Möhren-Muffin bestellt habe und die Bedienung mich ein wenig ratlos angeschaut hat und mir dann vorgeschlagen hat: „Das haben wir leider nicht. Ich kann ihnen aber einen Karotten-Muffin anbieten.“

Überhaupt wurde ich eigentlich nie verstanden. Wahrscheinlich weil man schon alles falsch gemacht hat, wenn man in ein Geschäft kommt und nicht „Grüß Gott“ sondern „Guten Tag“ sagt.

Sobald man dann erstmal „Guten Tag“ gesagt hat, ist klar: die spricht kein ordentliches Deutsch. Wahrscheinlich eine, die es versucht, aber nicht so gut kann. Man nickt dann freundlich und redet Englisch mit mir.

Das hat mich sehr gefreut. In England auf der anderen Seite, habe ich noch nicht mal „Hello“ gesagt und werde immer gefragt „Are you from Germany?“.

In Wien haben sie gar keine Tags auf den Hauswänden. Wie machen die das?

Doch zurück zu den Wienern. Die Wiener sprechen nicht nur schön und meistens ein paar Takte langsamer als ich es von den Deutschen kenne, sie sind auch wahnsinnig entspannt.

Irre. Die Autofahrer z.B. – die fahren nicht wie die Verrückten, sondern man hat den Eindruck sie achten auf die anderen Verkehrsteilnehmer. An Zebrastreifen wird gehalten und nicht nur das! Sie bremsen auch vorher schon ab. Nicht so wie die Berliner, die gerne nochmal Gas geben und dann genervt halten, wenn man doch gedenkt die Straße zu kreuzen.

Auch habe ich mehrere Male beobachtet, dass die Ampel auf grün sprang und das erste Auto nicht sofort losgefahren ist. In Berlin wird man da nach 10 Millisekunden durch hupen freundlich erinnert, dass es doch schon zehn ganze Millisekunden grün ist. Die Wiener warten einfach.

Es geht immer schön nach der Reihe und alle sind furchtbar freundlich.

Ich habe versucht zu verstehen woran das liegen könnte und was in Berlin so stresst, dass eigentlich alle immer kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen.

Wien ist mit 1,8 Mio Einwohnerinnen und Einwohnern wirklich keine kleine Stadt. Auch ist alles viel, viel enger als in Berlin. Daran kann es also nicht liegen.

Berliner Gehsteige sind ja sehr breit und dann die Straße… hier in Wien kann ich die Irisfarbe der Person im gegenüberliegenden Haus sehen, so nah ist das andere Haus.

(Übrigens gegenüber von unserer Ferienwohnung ist eine Versicherungsgesellschaft. Dort sitzen die ganzen Mitarbeiter in Anzügen vor ihren Rechnern und schauen ein wenig traurig. Manche fläzen sich auch wichtigtuerisch in ihre Bürostühle und telefonieren mit ausladenden Gesten über ihre Headsets. Ich tanze dann auf unserer Seite einen Tanz, der dem I-told-you-so-Tanz von Scrubs nachempfunden ist, den aber in der Variante Ich-hab-Urlaub-und-ihr-ja-nihich bis dann einer ans Fenster tritt und „Du Oahschloch!“ schreit. So süß!!)

Diverse österreichische Filme, die ich gesehen habe (eigentlich ausschließlich Ulrich Seidl Filme), legen ja nahe, dass die Österreicher ein wenig speziell sind und auch das ein oder andere dunkle Geheimnis haben.

Gehängsel in der S-Bahn

Das ist mir jedenfalls gleich in den Kopf geschossen, als ich vom Flughafen mit der S-Bahn in die Innenstadt fuhr. Die U- und S-Bahnen haben nämlich Haltegriffe, die so eine Mischung aus Sado-Maso- und Metzger-Aufhängung sind.

Jugendstil. Oben links z.B. im Amalienbad. Innen darf man nicht fotografieren.

Der Eindruck hat sich dann bestärkt, als ich heute eine gute Stunde eine Frau im Amalienbad (das ist so schön! Geht da mal hin!) beim „Schwimmen“ beobachtet habe. Ich schreibe Schwimmen in Anführungszeichen, weil sie hatte irgendwas schweres um den Bauch und ist dann recht mühsam durch das Wasser geschritten. Aufrecht, die Beine so als würde sie laufen, die Arme ein wenig wie es die Hunde beim Schwimmen machen. Dabei hat sie ihren Kopf sehr weit aus dem Wasser gestreckt (sie war sehr bunt geschminkt und auch die Haare waren sehr fesch gemacht) und sie murmelte Dinge vor sich her. Verstanden habe ich nichts, obwohl ich einige Zeit sehr langsam neben ihr geschwommen bin. Sie sah angestrengt aus, aber auch sehr freudig. So als würde sie sehr hart und konzentriert an einem Orgasmus arbeiten.

Jedenfalls das Sado-Maso-Gehängsel und der Eindruck dieser Frau, legen die Vermutung nahe, dass die Wiener sich vielleicht an anderen Dingen abarbeiten als die Berliner.

Vielleicht ist es auch nur das gute Essen. Allein Brot und Brötchen (gut doppelt so teuer wie in Berlin) sind der Wahnsinn. Ganz zu schweigen von all den anderen Speisen wie Wiener Schnitzel, Tafelspitz, die ganzen Suppen, das Gulasch und die Torten.

Vielleicht finde ich es noch raus. Ich bleib‘ dran.

P.S. In Wien dürfen sich offenbar auch Männer um Kinder kümmern.