Wolfgang und ich

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Kaum sind die Kinder fremdbetreut, kann sich keine Familie mehr von bestimmten Trends abschotten. Waren es früher die Bauer Räinscha, so haben uns nun die Loom Bänder erreicht. Immerhin erst nach dem Papst.

Nachdem Kind 2.0 mit einigen selbstgemachten Gummibändern von der Schule kam, leistete ich zunächst eine Woche symbolischen Widerstand und kaufte dann 1.000 bunte Gummis für die Kinder, um dann eine weitere Woche später selbst unzählige Armbänder zu besitzen. Wenn wir uns morgens fertig machen, lege ich die Armbänder an. Wenn ich die Kinder abgegeben habe, nehme ich sie wieder ab und verstaue sie in der Handtasche, um sie pünktlich um 16.00 Uhr beim Abholen wieder zu tragen. Mein Herz ist so weich. Ich kann den Kindern einfach nicht sagen, dass ich die Bänder hässlich finde. Ich bin einfach nicht „Wolle“ Wolfgang Petry. Dafür fehlt es mir offenbar an Mut.

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Was ich weiß ist – ich bin nicht alleine. In meiner Twitter-Timeline gibt es viele Betroffene. Eigentlich genug, um eine Selbsthilfegruppe loomgeschädigter Erwachsener zu gründen. Dachte ich erst. Aber dann machte ich eine sensationelle Entdeckung.
Dazu eine kurze Vorgeschichte. In unserem Sack mit den 1.000 Gummis war eine Beschreibung für einfache Bänder, doppelte Bänder, Blütenbänder und doppelte Blütenbänder. Ein Blick auf die Arme anderer Eltern zeigte jedoch, dass es eine bestimmte Technik geben musste, wie man die Gummis enger aneinander reiht und als Björn Grau ein entsprechendes Foto postete, gerieten wir in die YouTube-Loom-Tutorial-Hölle.

Wir schauten wie man von Hand die Fischgrättechnik umsetzt, wie man Blümchen knüddelt, wie man Leiterarmbänder und wie man Raupenarmbänder loomt. Zu guter Letzt bestand Kind 3.0 darauf ein Tutorial anzuschauen, das demonstriert, wie man einen Minion loomt:

Ich bin fast an Langeweile gestorben, aber die Kinder haben ohne einen Mucks von sich zu geben ZWANZIG Minuten lang dieses Video angeschaut. Im Anschluss passierte etwas sehr, sehr seltsames.
Kind 2.0 und 3.0 nahmen die Gummis zur Hand und begannen alles, was sie vorher gesehen hatten aus dem Kopf in einem irrwitzigen Eifer umzusetzen. Es war unfassbar. Ich war fasziniert. Einem Kindergartenkind hätte ich nicht zugetraut so viel feinmotorisches Geschick aufzubringen. Auch die Gedächtnisleistung war phänomenal. In der Regel fokussiert Kind 3.0 ca. 40 Sekunden die Aufmerksamkeit bis es etwas anderes, interessanteres bemerkt.

Wir schauten ein weiteres Tutorial und auch das wurde sofort umgesetzt.
Noch eins und noch eins und noch eins und zehn Bänder später als es schon dämmerte, kam ich auf die Idee, den Kindern andere Tutorials zu zeigen.
Wie man Bücher einbindet, wie man Schuhe putzt, wie man Spannbetttücher ordentlich zusammenlegt. Es war in der Zwischenzeit fast Mitternacht, aber die Kinder konnten nicht genug bekommen.
Ich schrieb mir derweil die Themen auf und notierte die Länge der Videos, sowie andere Parameter wie etwa ob ein Erwachsener oder ein Kind das Tutorial erstellt hatte, ob es von einer Frau oder einem Mann oder ob es mit Musik untermalt war oder nicht.
Danach vermerkte ich auf einem weiteren Zettel wie spontan und dann wie zügig die Kinder das Gesehene umsetzten. Im Morgengrauen fielen die Kinder erschöpft auf die eingebundenen Bücher, den Berg der glänzenden Schuhe und den gefalteten Bettücher und ich konnte meine Daten geschwind in einer multivariaten Varianzanalyse auswerten.

Dabei erhielt sich folgendes Ergebnis: Am schnellsten und effizientesten werden Anleitungen umgesetzt, die:

  • in der Muttersprache
  • von einem etwa gleichaltrigen Kind
  • in unter fünf Minuten
  • ohne Musikuntermalung

erstellt wurden.
Und zwar UNABHÄNGIG VOM THEMA!

Das eröffnet wirklich ganz neue Perspektiven. Ich habe anschließend in einer akribischen Recherche herausgefunden, dass es in Sachen Tutorials einige thematische Lücken gibt. Nichts gefunden habe ich zu:

  • wie ich das Kinderzimmer hübsch aufräume
  • wie ich Wäsche wasche und ordentlich aufhänge
  • wie ich meinen Eltern den Frühstückstisch decke
  • wie ich Mami die Füße massiere

Sofern ihr also Kinder habt, wie wäre es, wenn ihr sie entsprechende Videoanleitungen erstellen lasst? Das ist im Übrigen auch eine hervorragende Altersvorsorge. Es gibt nicht wenig Loom-Tutorials, die mehrere Millionen (!) Male abgerufen wurden. Malt euch die Werbeeinnahmen aus, wenn ihr wirklich nützliche Videos ins Netz stellt. Videos, von denen ALLE Eltern unabhängig von ihrer Medienaffinität wollen, dass die Kinder sie sehen und nachahmen. Ich selbst kann sie leider nicht erstellen, ich möchte ja, dass meine Kinder sie anschauen und umsetzen.

36 Gedanken zu „Wolfgang und ich“

  1. Croco sagt:

    Witzig ist, dass ich diese Bänder zum ersten Mal im Juli in einem 1€ Shop im Irland gesehen habe. Ich hab mich umgehört, dort ist der Hype schon rum und das Gummizeugs wird verscherbelt. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ein paar Kilo von dem Gummizeugs mitgebracht.

  2. Christine sagt:

    Eine grandiose Idee. Meine Kinder sind Videoaffin, ich werde mir sofort eine entsprechende Playlist auf youtube anlegen.

  3. Rina sagt:

    … und gerade, wenn man denkt, man hätte einen Trend überwunden, kommt er in leicht anderer Form wieder.
    Ich erinnere mich noch an die geknüpften Freundschaftsarmbändchen.. irgendwann waren es dann diese Scoubidou-Plastikschnüre, aus denen man ganz furchtbar hässliche Schlüsselanhänger geknotet hat. (ich damals übrigens auch, sooo alt war ich da nämlich noch nicht :D ). Ich warte ja immer noch drauf, dass diese Tatoo-Ketten wieder in Mode kommen… ;)

  4. Nadine sagt:

    Lachflash!!!!!
    Es tun sich völlig neue Möglichkeiten auf…
    Licht am Ende des „Räum-dein-Zimmer-auf-und-putz-die-ordentlich-die-Zähne-und zieh-deine-Hausschuhe-an-Wahnsinns“!

    Grüße aus Frangen ;)

  5. seanrose sagt:

    .

    varianzanalyse<3 grossartig, danke!
    (bei tutorials keine hintergrundmusik, warum sieht das niemand ein :)

  6. SvenR sagt:

    Ich liebe meine Kinder so sehr, dass ich das eine Band, bei dem ich nicht nein sagen konnte, (manchmal) den ganzen Tag im Büro trage. Echt jetzt.

  7. Blaabaer sagt:

    Ich sah diese Bänder erstmals gestern auf Facebook, gepostet aus Norwegen. Es scheint als ein europadeckendes Problem, äh, Phänomen zu sein.

  8. Katarina sagt:

    DANKE!
    Noch jemand der die Dinger hässlich findet! Ich finde sie ganz furchtbar, und fragte sogar schon den Mann ob wir die vom Patencousinchen gemachten nicht wegschmeißen können, da sagt der doch glatt „nee aufheben, die Fragt in 14 Tagen wieder danach.“

    Männer, ey.

  9. qwert sagt:

    ich arbeite zur zeit in einer touristenhochburg und hab mich die letzten wochen köstlich amüsiert, was man doch alles beim schnellen geldwechsel an der kasse an den handgelenken der erwachsenen ablesen kann: ringe für die ehe und hässliche loomarmbänder für die kinder :) im urlaub schafft es wohl keine_r, das armband fix abzunehmen…

  10. nickel sagt:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Gerne gelesen
    *****************/KOMMENTAROMAT**********************

  11. ich sagt:

    versuch mal 4 Stifte statt nur 2… ;-)

  12. nk sagt:

    Ich habe zum Glück gerade keinen Geburtstag (aber Weihnachten naht, o weh). Am schlimmsten sind die Armbänder in Nationalfarben.

    @Tutorial: Vermutlich gilt die Analyse für alle Altersstufen. Anders kann ich mir Hypes wie Cola-Menthos einfach nicht erklären :)

  13. Thomas sagt:

    Ich dachte, Loom sei ein Computerspiel. Ach, ich glaub, den Trend lass ich mal aus und krieche wieder unter meinen Stein. Auch wenn die Idee, mit YouTube-Tutorials reich zu werden, grundsätzlich eine sehr gute Idee ist.

  14. Als ich klein war, war es die Strickliesel. Damit konnte man auch tolle Armbänder herstellen. Meine Mutter war allerdings von gnadenloser Hartherzigkeit, sie trug sie nicht. :-)

  15. Vivi sagt:

    Die Idee mit den Haushaltstutorials kann ich nur unterstützen! Am Besten gefiele mir, wenn die Charaktere aus der Muppet Show aufräumend über den Bildschirm flimmern würden. Oder Caillou. Oder Oktonauten. Oder irgendwer!
    Und zu den Looms: nun stell dir vor – als Instrumentallehrerin hat man nicht nur das eigene Kind, was einem die gewöhnungsbedürftigen Gummis schenkt, sondern auch noch eine Vielzahl an Schülern bzw. Schülerinnen, die einem als liebevoll gemeinte Geste einen bunten Loom nach dem anderen kredenzen und jede Woche einen neuen mitbringen. Ich habe es anfangs gehandhabt wie du: nett lächeln und ab in die Tasche mit den Bändern. Nun mangelt es mir zwecks Schwangerschaftsdemenz aber an der Fähigkeit, mir zu merken, an welchem Wochentag welches Kind Unterricht hat und demzufolge wann ich welches Band tragen muss. Oh oh…
    :)

  16. Wenn die Kinder das gelernt haben, auch in sehr komplizierten Spannbetttuchsituationen diese auf eine Liege zu bekommen, würde ich sie – natürlich unter Beachtung des Taschengeldparagraphen, denn es soll ja keine Kinderarbeit werden – ab und an „leasen“ oder outsourcen oder wie das heißt.
    Die Ideen gefallen mir – aber in hell- und dunkellila würde sogar ich so ein Gummiringarmband tragen. Je oller, je dämlicher!!!!

  17. Rike sagt:

    …ach …dafür sind Kinder gedacht! Jetzt!
    Und ich starre sie seit Jahren an und frage mich, was ich mit ihnen tun soll…
    Ich geh jetzt youtube…

    Danke!
    Rike

  18. Bettina sagt:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Made my day
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  19. donvanone sagt:

    Passend dazu bin ich erst kürzlich über dieses Video gestolpert:

    1. agatha sagt:

      ja das passt!

  20. lik sagt:

    Hallo, ich rufe nur an, um zu fragen, wann Kind 3.0 bei mir einzieht. Ich brauche dringend noch einen iOS Developer! Am Mittwoch kommt schließlich iOS 8 heraus und ich möchte vorher noch im App Store sein. Ich suche eben ein Tutorial heraus. Bis später.

  21. percanta sagt:

    Sehr gut. Ich bin dabei!
    (Nuno macht NUR die eng gewebten Fischgrätdinger. Ich wusste bisher nicht, dass es Varianten gibt. Vielleicht gucken sie im Kindergarten keine Tutorials!)

  22. Uli sagt:

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    Made my day
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    Ich hoffe die Kinder musste nicht wirklich die ganze Nacht hindurch Schuhe putzen und Bettlaken falten.

    1. percanta sagt:

      Wie ich das Nuf kenne, mussten sie das nicht nur die ganze Nacht, sondern jede Nacht der folgenden Woche tun. Und bei allen Nachbarn. (Damit das Jugendamt nicht ganz so häufig klingelt, werden hier manche Tatsachen entschärft dargestellt.)
      Das ist aber nur mein subjektiver Leseeindruck, klar.

      1. dasnuf sagt:

        Ich wollte heute Trübsal blasen, aber jetzt musste ich so lachen, jetzt ist die schlechte Laune dahin.

  23. Michael sagt:

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    Made my day
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  24. Marion sagt:

    P.S.: Statt mit zwei Stiften geht die Fischgrät-Variante mit ner Wäscheklammer recht gut. Hab ich mir sagen lassen. Von einem 4-Jährigen.

  25. Marion sagt:

    Spätestens seit der multivariaten Varianzanalyse hast du mich.
    Nein, eigentlich schon seit dem Minion-Video.
    Vielen Dank für diese Versuchsreihe!

  26. Mama notes sagt:

    Das mit den Haushaltsvideos überzeugt mich vollkommen. Nur denke ich jetzt darüber nach, wie ich es hinbekomme, dass die Kinder sich während des Drehs aufs Fensterputzen konzentrieren. Weil ja normalerweise Aufmerksamkeitsspanne von 40 Sekunden. Das ist ein Dilemma! Was nun?

  27. „Wenn wir uns morgens fertig machen, lege ich die Armbänder an. Wenn ich die Kinder abgegeben habe, nehme ich sie wieder ab und verstaue sie in der Handtasche, um sie pünktlich um 16.00 Uhr beim Abholen wieder zu tragen. Mein Herz ist so weich. Ich kann den Kindern einfach nicht sagen, dass ich die Bänder hässlich finde. Ich bin einfach nicht “Wolle” Wolfgang Petry. Dafür fehlt es mir offenbar an Mut.“
    Ich frag mich, ob mir so was auch passieren wird, wenn ich mal Kinder habe.

  28. McMaren sagt:

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    Made my day
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