Wir sind zu faul, um nicht überwacht zu werden

France A28

Ich habe mich bereits gefragt (und bin mit dieser Frage natürlich nicht allein), warum die ganze NSA-Sache außerhalb des Internets so wenig zur Beunruhigung geschweige denn zu massivem Entsetzen oder Protesten geführt hat.

Die simple Antwort ist: wir sind zu faul. Diese Einsicht leite ich ab von der übergeneralisierten Einsicht: ich bin zu faul (es ist ein bisschen erschütternd, dass das im Grunde die Antwort auf fast alle Probleme ist). Ich habe mich nämlich an die Bequemlichkeiten der Zentralisierung gewöhnt. Alles an einem Ort in der Cloud zu haben, ist natürlich traumhaft bequem.
Ich bin ja nicht doof, ich weiß auf was ich vernünftigerweise verzichten müsste, z.B. auf Dienste die Facebook, Google oder Apple anbieten.
Aber himmelherrgott, es ist eben so bequem. Wer will schon auf „Single-Sign-On“ (Möchten Sie sich mit Ihrem Facebook-Account anmelden?) verzichten, wenn er diese Möglichkeit erstmal ein paar Monate oder Jahre benutzt hat.

Vor Googlemail zum Beispiel habe ich ein kompliziertes System gehabt, wie ich Mails kategorisiert habe. Das System war so komplex und inkonsistent, dass ich es leider selbst nie eingehalten habe (Kommt die Mail nun in den Ordner von Person XYZ oder ist sie themengebunden abzulegen, weil wir uns gegenseitig Unterlagen zu einem bestimmten Thema zugeschickt haben?).
Der Speicherplatz war merklich begrenzt und so musste ich Dinge auch extra an einem zweiten Ort – lokal – abspeichern.
Allein diese beiden Umstände der Prägoogleära hatten als Effekt: ich habe ca. 70% meiner Sachen nicht wiedergefunden. Den Link zum Ferienhaus in dem wir 2011 waren, den ich meiner Freundin weiterleiten wollte. Das vorausgefüllte PDF-Formular zum Elterngeld, welches ich ans Amt geschickt habe, das ich mir beim 2. Kind nochmal anschauen wollte. Das Bild, das mir meine Freundin geschickt hat, als sie beim Aufräumen gestolpert ist.

All diese Sachen waren früher irgendwo – aber nicht auffindbar.

Jetzt ist alles an einem Ort und AUFFINDBAR. Ich gebe ein bis zwei Worte in den Suchschlitz ein und zack habe ich das gesuchte Dokument. Das ist so toll, dass ich mir manchmal sogar selbst Mails schicke, damit ich diese Inhalte wiederfinde.

So wie im kleinen – in meinem Mailfach – gehts mir natürlich mit dem ganzen Internet. Ich benutze Bookmarks kaum und auch wenn es sinnvoll ist, landen nicht alle meine Verweise auf bestimmte Websites, Bilder, Videos in meinem Pocketaccount. Ich lasse einfach alles wo es ist, habe mir passiv gemerkt wie ich auf die Seite gekommen bin und google einfach erneut danach.

Es ist so bequem. Alles an einem Ort, alles voll indiziert, auffindbar zu jeder Zeit.

Auch wenn ich sehr vieles von z.B. Anne Roth (Twitter/Blog) rund um das Thema Überwachung gelesen habe und aufgrund meiner durchaus gut ausgeprägten Denkfähigkeit weiß, dass es höchste Zeit ist, ich bin immer noch bei Googlemail.

Dass ich mit dieser Bequemlichkeit nicht alleine bin, sehe ich an meinen Kontakten wenn ich in WhatsApp schaue und das mit Threema vergleiche. 3/4 meiner insgesamt 267 Kontakte sind bei WhatsApp, ganze 4 (!) sind bei Threema und das obwohl die eine App weder leichter zu installieren noch leichter zu bedienen noch sonstirgendwas ist. Der einfache Grund: WhatsApp war zuerst da, wechseln macht Arbeit.

Nun.
Alles keine Wahnsinnseinsichten – aber – wie soll es den Leuten gehen, die a) gar nicht so informiert sind, die b) nicht so technikaffin sind und die c) noch weniger Zeit als ich haben, wenn nicht mal ich all das, was ich in der Zwischenzeit weiß, umsetze.

Und hier geht es nur um meinen kleinen Mikrokosmos.
Nicht zu sprechen vom Internet an sich. Genauer gesagt von der Infrastruktur als solches, der Frage, wem eigentlich die ganzen Server gehören, etc. Ich musste beim Vortrag von Geert Lovink auf der Konferenz Netzkultur die ganze Zeit an Autobahnkarten von Frankreich denken. Im Teenageralter sind mir die das erste Mal untergekommen und ich weiß wirklich noch genau wie erstaunt ich war. Wie verrückt ich das fand. Alle Autobahnen sternförmig Richtung Paris. Wenn man am Randgebiet des Sterns von A nach B wollte, nur holprige Landstraßen. Wenn überhaupt!
Das gleiche Gefühl hatte ich gestern als ich über die Ideen eines föderativen Zusammenschluss des Internets hörte.
Ich kenne mich technisch zu wenig aus, aber es leuchtet mir ein, dass eine zentralistisch organisierte Infrastruktur, die nur von einem (oder wenigen) kontrolliert wird, natürlich viel einfacher zu überwachen und manipulieren ist, als ein dezentral organisiertes Netz.

Geert Lovink deutete an, dass das alles noch kompliziert werden könnte und äußerte die Idee, dass es wohl zukünftig den Beruf des Interneterklärer – des Codeübersetzers geben müsse. Da würden emotionale Äußerungen von Kulturpessimisten wie Sascha Lobo eben nicht weiter helfen.
Es wäre wohl sinnvoll gewesen eben diesen mit in die Gesprächsrunde zu holen. Ich bin nämlich schwer verwirrt. Erst steht da im Fernsehen (fast) immer wenn Sascha Lobo redet „Deutschlands bekanntester Blogger“ obwohl er kaum bloggt. Dann freunde ich mich mit dem Begriff „Interneterklärer“ an und denke wenn ich ihn höre (den Begriff) immer an Sascha Lobo und dann gibt es das Berufsbild plötzlich nicht mehr (oder noch nicht) und er wird öffentlich Kulturpessimist genannt und anstatt dessen, solle man sich doch mal den konstruktiven Artikel von Michael Seemann zu Gemüte führen.
Sehr verwirrend.

Also meine Anregung für den kommenden Termin der Netzkulturkonferenz, ladet doch mal die beiden, Anne Roth und eine weitere Dame in eine Gesprächsrunde ein und diskutiert Lösungsansätze zur Rettung des Internets.

So und jetzt schaue ich mir den Vortrag „To Protect And Infect“ von Jacob Applebaum vom 30c3 an. Das war Hausaufgabe.

Update: Weiterhin lesenswert von Anne Roth „Warum protestiert eigentlich niemand?“ und sehenswert die BBC Doku „All watched over by machines of loving grace

Update 2: Der sehr lesenswerte Antwortartikel zum Thema Faulheit von Anne Roth „Kleine Philosophie der digitalen Sicherheit“ inkl. ihrer drei Thesen zur digitalen Sicherheit:

Das Gefühl von Ohnmacht spielt eine zentrale Rolle: Ohnmacht gegenüber der Politik, und Ohnmacht, wenn es darum geht, uns zu schützen. Es gibt übrigens kein Entweder-Oder dabei. Ich höre oft, dass wir das politisch angehen müssen, wenn ich erkläre, dass mehr Menschen Mails verschüsseln sollten, und umgekehrt. Wir brauchen beides. Um nochmal Metaphern zu bemühen: wir brauchen eine öffentliche Gesundheitsversorgung und müssen uns natürlich trotzdem jeden Tag die Zähne selber putzen.

[…] 

Googlemail ist die Brathähnchen-Käfighaltung unter den Mailprogrammen. Das kann man akzeptieren, aber ich jedenfalls komme gut damit zurecht, es ein bisschen weniger bequem zu haben und dafür ein paar Hühnerleben zu retten

 

19 Gedanken zu „Wir sind zu faul, um nicht überwacht zu werden“

  1. Ich habe Probleme, diesen Artikel zu verstehen? Es wird Google Mail verwendet, weil ansonsten Kram nicht wiedergefunden wird? Ich verwende Apple Mail lokal am Mac seit etlichen Jahren. Ich bin seit 2002 auf IMAP-Servern von unterschiedlichsten Anbietern. Meine Mails ziehen von Anbieten zu Anbieter. Ich habe weder eine Mail verloren, noch Probleme damit, in den Mails zu suchen. Apple Mail leistet hier große Dienste!

    Kalender lassen sich problemlos zumindest bei anderen Dienstleistern ablegen. Auch Kontakte. Das ist überhaupt keine Arbeit. Alles lässt sich ex- und importieren, wenn es sich nicht eh einfach so per Drag and Drop verschieben lässt.

    Problematisch wird es bei Whatsapp/Threema (Whatsapp auf Android kann noch keinen Gruppenchat, existiert auf den meisten Plattformen nicht und ist demzufolge KEINE Konkurrenz) oder Facebook und YouTube. Dafür gibt es noch keine konkurrenzfähigen Lösungen. Das mag an Faulheit liegen, aber nicht auf der Anwenderseite.

  2. Wohl wahr, Google & Co. bieten sehr bequeme Dienste an. Das Datenschutz in erster Linie Ärger, Mehrarbeit und Umstand mit sich bringt ist jedoch falsch. Bzw. bestenfalls eine selbsterfüllende Prophezeiung.

    Private Daten zu schützen kann so cool, spannend und interessant sein wie ein Agentenfilm. Nur, dass wir nicht vor dem Fernseher sitzen sondern der „Agent“ selbst sind.

  3. Nichtdestotrotz!:
    ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Gerne gelesen
    *****************/KOMMENTAROMAT**********************
    und danke für die links.

  4. Wenn man zu faul/zu träge ist irgendwas umzusetzen, dann hat es eben vielleicht doch noch nicht klick gemacht? Dann ist die Dringlichkeit eben doch noch nicht verinnerlicht. Wie z.B. eine Prüfung auf die man sich einfach nicht vorbereitet.

    Darin liegt ja auch eine Verweigerung, vielleicht wollt ihr euch nicht um alles selber kümmern. Lästige Selbstbestimmung auch mal abgeben. dasnuf du warst vorher überfordert von deiner digitalen Selbstverwaltung….?
    Viele wollen sicher auch „beherrscht“ werden, in der Hoffnung das Ihnen persönlich schon nichts passiert, wider eines besseren Wissens.
    Die anderen bleiben eben doch die anderen und bei sich selbst bleiben ist ja auch am nähesten. Vielleicht ist das ganz normal. oder „Postdemokratisch“? Wir werden schon eine interlektuelle Ausrede finden.
    Und sich dann wieder über „normale Bürger“ auslassen und daheim das MacBook streicheln.

    Ich hab keine Ahnung, ich weiß nur das ich diese „Dienste“ sehr schnell viel zu aufdringlich fand und die Stunden die ich mit rumgesuche verbracht habe um diese oder jene auto-einstellung zu ändern.. die sich nicht ändern lassen .. diese zeitverschwendung hat mich sauer gemacht und der zwang immer mehr aktzeptieren zu müssen um dabei zu bleiben. Google ist eine schleimige Nervensäge.
    Und obwohl ich Referate über Form und Funktion von Apple Produkten und dem guten Design von Jonathan Ive (und Rams) gehalten habe wäre ich im Leben nicht auf die Idee gekommen mir ein Apple Produkt zu kaufen. Als mir Jemand beim Ipod erklären wollte das es ein Softwarebeschränkung .. überhaupt irgendeine Nutzungsbeschränkung gibt, nur weil es ein Apfelprodukt ist war die Sache SOFORT erledigt.
    Den Begriff Golden-Cage lernte ich erst Jahre später. Aber selbst der BWL Prof der daürber sprach, benutzte ein Ipad.

    Ich hab wirklich keine Ahnung. Aber ich finde den „normalen Bürger“ noch am Sympathischsten .. dem kann ich keine Ignoranz unterstellen.

  5. Du hast natürlich Recht! Das bemerkenswerte daran ist aber, dass Sascha genau deswegen auch Recht hat. Das Internet ist nicht einfach nur kaputt, weil die NSA alle mithört. Es ist auch kaputt, weil wir, die die Fähigkeiten dazu haben uns mit all den halbgaren und unkomfortablen Lösungen Alternativen, die es zu Google und Facebook gibt zufriedengegeben haben. Weil wir es versäumt haben, ein dezentrales UND bequemes Internet zu bauen. Ich bin schwer verblüfft, sagen zu müssen, dass Marx Recht hatte: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!

  6. Vielen Dank für diesen Artikel.
    Auch ich bin zu faul bzw. freue mich sogar darüber, dass es mir die Googlemails und Single-Sign-Ons möglich machen, irgendwie dran (oder drin) zu bleiben.
    Ich bin leider nicht wirklich gut informiert zur Zeit (zu a), was vor allem an zu wenig Zeit liegt (zu c). Ich halte mich für realtiv technikaffin (zu b) und traue es mir zu, nach eingehender Information, mein Handeln und Walten im Netz NSA-ungerecht umzustellen, aber davor stehen noch soviele andere – für mich spannendere und interessantere – Projekte am Zettel. Also eine Frage der Priorisierung. Mag vielleicht naiv und dumm sein, aber ich schaff’s nicht, dies gerade als notwendig zu erachten. Zur Zeit zumindest noch… Zur Zeit stehe ich noch auf all die schönen, gut zusammenarbeitenden Angebote von Google, Apple und Co.

  7. Ja, schade, dass wir die „Normalbürger“ nicht einmal zu diesen kleinen Änderungen bewegen können, aber wenn wir Ehrlich sind, dann müssen wir im Licht der Erkenntnisse der letzten Wochen sagen: die bringen der NSA (hier wie immer als pars pro toto) wahrscheinlich maximal einen höheren Aufwand. Wenn sie nicht in der Leitung mithören können, dann sitzen sie eben direkt in unseren Computern und Telefonen.

    Oder anders formuliert: selbst wenn wir der Software mit Verschlüsselung drin (also hier z.B. Threema) trauen können, können wir den Betriebssystemen trauen auf denen sie laufen? Können wir den Kryptobibliotheken trauen? Und (jetzt neu seit dem 30C3) können wir der Hardware trauen?

    Darüber, was das für uns als Internetbewohner bedeutet, haben wir in kleiner Runde in letzter Zeit so viel geredet, dass wir jetzt ein eigenes Barcamp dafür organisieren.

    (Ach ja: Ich bin über Threema mit der Id YUCZYU52 zu erreichen. WhatsApp habe ich nicht.)

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