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Kurz nach acht. Die Sonne ist schon vor zweiunddreißig Minuten aufgegangen, das sagt jedenfalls die App. „Hell“ würde ich den Zustand der Außenwelt nicht nennen.
Noch vier Minuten bis die Tram fährt. Morgens ist sie immer zu früh, wartet nicht und fährt einfach weiter obwohl sie nur im zwanzig Minuten Takt fährt.
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Die letzten Male habe ich sie deswegen immer verpasst. Ich überlege, ob ich das kleine Stück bis zur Haltestelle rennen soll, doch dann biege ich einfach in die andere Richtung ab.
Ich bewege mich ohnehin zu wenig. In der Elternzeit und als die Kinder klein waren, war das anders. Da waren die obligatorischen zehntausend Schritte schon am Nachmittag geschafft.
Jetzt sind sie eigenständig. Gehen sprichwörtlich ihre eigenen Wege ohne dass ich sie begleiten muss.
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Die Straßen sind wie leer gefegt. Jedenfalls was die Menschen angeht. Auf den tausenddreihundertzwanzig Metern bis zu meiner Wohnung begegnet mir nur eine telefonierende Frau mit einem winzigen Hund, dessen Kopf fast so groß ist wie sein ganzer Körper. Empört kläfft er eine Krähe an, die ebenfalls schimpft, doch die Frau zieht ihn weiter. Sonst ist es ruhig. Selbst für die Autos der Stadt ist es offenbar noch zu früh.
Nebel hängt über dem Boden und hellt alles auf. Auf instagram heisst der entsprechende Filter „Reyes“. So wie Reyes macht der Nebel alles heller, verschwommener, den kleinen Makeln schmeichelnd. Alles wird einheitlicher, der Unrat, der auf den Straßen liegt, ist schlechter zu sehen, die Flächen haben weniger Kontraste, ein graugrünes Wiesenstück, aufgehellter Asphalt, der Himmel wie Milch. RAL 7035. Lichtgrau.
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Überhaupt. Wer sagt immer, dass nur die Inuit viele unterschiedliche Worte für Schnee haben. In Berlin haben wir zweiundzwanzig Worte für Grau:
Fehgrau, Silbergrau, Olivgrau, Mossgrau, Signalgrau, Mausgrau, Beigegrau, Khakigrau, Zeltgrau, Eisengrau, Basaltgrau, Schiefergrau, Anthrazitgrau, Asphaltgrau, Betongrau, Grafitgrau, Steingrau, Kieselgrau, Zementgrau, Lichtgrau, Staubgrau, Quarzgrau.
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Zuhause werde ich einen Kaffee trinken und frühstücken. Ich bin in den letzten Monaten so weich geworden, dass ich überlege, ob ich dieses Jahr vielleicht sogar heize. Wenn man vom Grau ins warme Gelb der Wohnung tritt, würde das eigentlich gut passen. Wärme.
toller post, danke!
p.s.
nur das mit den inuit/ wörter für schnee … äh … also es gibt einen eigenen wikipedia-artikel darüber, das spricht eigentlich für sich :)
https://de.wikipedia.org/wiki/Eskimo-W%C3%B6rter_f%C3%BCr_Schnee
Du hast ein Grau vergessen: Das berühmte Berliner Scheißhausgrau. Eigentlich heißt der Farbton ja Taubenblau (RAL 5014), wirkt aber gar nicht blau, besonders nicht im Leuchtstoffröhrenlicht, und fand sich damals (späte 1990er) auf beinahe jeder Toilette wieder. Und ich habe viele gesehen, da ih damals beruflich bedingt durch zahlreiche Firmen tingelte. Muss eine Verschwörung der Malerinnung gewesen sein. Ich hoffe, das hat sich inzwischen geändert.
Was für schöne Sonntagslektüren-Texte – danke!
<3
<3
:D
Sehr schön. Und die Vorstellung, dass du heizt, ist revolutionär. Du Weiche, Du! <3
weich werden ist sehr gut <3
Anstrengend leider auch und manchmal hab ich nicht genug Mut dazu.
ja….weich sein braucht mut. schon verrückt.
(mit half der gedanke, meine gefühlsbandbreite kennenzulernen um überhaupt eine (aus)wahl zu haben wie ich in der jeweiligen situation dann sein will….)
Guten Morgen