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Abends mussten wir natürlich ausgehen, da das ungeschriebene Gesetz bestimmt, abends auszugehen, wenn man morgens ausschlafen kann.
Also warteten wir nasepopelnd auf 24 h, um das Haus erneut zu verlassen. Vor 24 h geht man nämlich nur weg, wenn man uncool ist, jedenfalls war das so, als ich jung war.
Die erste Lehre, die ich aus dem Abend zog, war die, daß sich die Zeiten geändert haben und man im 21. Jahrhundert ziemlich uncool ist, wenn man schon um Mitternacht in einen Club geht. Wir waren Gast 6 und 7. Wobei das etwas übertrieben ist, denn 1 und 2 waren Bardamen, bei Nummer 3,4 und 5 handelte es sich um DJs.
Zusätzlich zum Tanzangebot war in einem 2. Raum eine Band zu bestaunen.
Das merkte ich aber erst als ich die sanitären Anlagen aufsuchte. Denn die Bandmitglieder standen gelangweilt im Gang und warteten, daß die Bühne vorbereitet wurde. Sie riefen jeder 2. Frau „I love you!“ hinter her und ich muß gestehen, als ich händewaschend im Bad stand, war ich etwas beleidigt, daß ich zu jenen Frauen gehörte, denen sie dies nicht zugerufen hatten.
In meiner Gutmütigkeit beschloß ich ihnen dennoch zu lauschen. Unerfreulicherweise war der Tontechniker taub und so konnte man lediglich fünf Lieder der sicherlich im Grunde talentierten Band anhören ohne größeren Schaden davonzutragen.
Beim Beobachten der Menschen auf der Tanzfläche, fiel mir der Nachmittag in den Gropiuspassagen wieder ein. Denn die Damen trugen vornehmlich Accessoires, welche sie zweifelsohne dort erstanden hatten. Meistgetragene Extras des Abends waren neonfarbene Netzhalbhandschuhe und pastellfarbene Moonboots. Beides Kleidungsstücke, die nicht nur grandios schmücken sondern auch ein Muss auf jeder 60 Grad heißen Tanzfläche sind. Ich notiere mir das Stichwort fashion victim auf einem Zettel und gehe dazu über das Tanzverhalten schriftlich festzuhalten, um mich angemessen in die deutsche Kultur des Tanzens integrieren zu können.
Füße möglichst wenig bewegen (macht Sinn, wenn man so schwere Schuhe trägt), Oberkörper stakkato-artig erschüttern, Bierflasche mit doppelseitigem Klebeband in die rechte Handfläche kleben, Haare ins Gesicht fallen lassen und gegenläufig zum Körper wiegen.
Das probiere ich im Anschluß gleich aus, gebe aber drei Minuten später entkräftet auf, da meine Brüste mehrere Male Bekanntschaft mit den Ellebogen eines zwei Meter großen Mannes machen.
Meine Ausgehlaune hat mittlerweile den Nullpunkt erreicht. Als ich aus dem Club komme und mich ein Rudel junger Männer mit einem „Hey – geht da was ab, ey?“ begrüßt, gehe ich schweigend weiter. „Alter, bist Du taubstumm odda wie? Ha, ha!“
Ich bleibe stehen, atme tief durch, drehe mich um und gehe zu dem Pulk zurück:
„Meine Herren, sie werden es verzeihen, wenn ich ihnen nicht geantwortet habe. Ich ging von der irrigen Annahme aus, daß sie nicht auf ein längeres Gespräch zielten.
Die Antwort auf ihre freundlich gestellte Frage, ließe sich auch ohne Worte aus dem Kontext erschließen, sofern sie bereit wären, ihr Oberstübchen zu bemühen.
Da dem nicht so ist, erläutere ich es ihnen gerne. Schauen sie hier die lange Schlange vor dem Club. Das sind Menschen, die, vermutlich wie sie, begehren, die Tanzlokalität zu besuchen. Ich hingegen, komme gerade AUS dem Club. Daraus können sie schließen, daß ich mich im Inneren befand. Wie sie ebenfalls beobachten konnten, bin ich gerade AUS dem Club nach draußen gegangen, um mich, sie ahnen es, auf den Heimweg zu machen. Diese beiden Beobachtungen mit ein bißchen Menschenverstand verknüpft, ergeben folgende Ableitung: Weder Lokalität, noch musikalische Beschallung, noch Publikum sagen mir zu. Würden sie mich tatsächlich nach meiner Meinung fragen, ich würde ihnen raten, investieren sie das Geld in ein schönes Buch, gehen sie nach Hause, lesen sie es. Sollten sie es nun im Anschluß wünschen, kann ich ihnen liebend gerne noch eine Buchempfehlung aussprechen.“
Nachdem ich prüfend feststellte, daß es keinen weiteren Diskussionsbedarf gab, empfahl ich mich und machte mich auf den Nachhauseweg.

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