Eine Vergangenheit als Landei schüttelt man nicht einfach ab. Man trägt die erlernten Verhaltensmuster wie Gehirntätowierungen mit sich.
So keimt in mir an freien Wochenenden ununterdrückbar der Wunsch auf mal in die Stadt zu fahren.
Ohne überheblich wirken zu wollen, denn das Problem ist rein praktischer Natur: Wo fahre ich hin, wenn dieses Verlangen sich in mir regt, ich aber in Berlin-Mitte wohne?
Die Erleuchtung kam beim morgendlichen Einkauf als ich aus einem fremden Fenster den Radiosender Kiss FM hörte, der mir vier Mal innerhalb weniger Sekunden die Gropiuspassagen anpries.
Als ich brötchenbepackt an den Frühstückstisch zurückkehrte, verkündete ich meinem Freund: „Schatz, mach dich schick, ich habe eine Überraschung!“
So warfen wir uns in Flanierschale, ich packte meinen Freund an der Hand und wir zogen los. Spätestens als wir am Herrmannplatz umstiegen, wurde er skeptisch. (Zu erkennen an dem Flattern seines rechten Nasenflügels.) Angekommen in Britz verdunkelte sich seine Mine.
Für mich war es dennoch sehr aufregend. In den labyrinthartig angelegten Gropiuspassagen gibt es Geschäfte, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Eines davon (Claire’s Accessoires), war ohne Zweifel DAS Geschäft für modebewußte junge Leute, die Abends Clubs aufsuchen, um dort tanzen zu gehen.
Wir durchforsteten Laden für Laden, irrten einige Male im Kreis, entgingen knapp drei Schlägereien, weil wir im Gedrängel junge Herren anstießen ohne knierutschend um Verzeihung zu bitten, speisten im neonbeleuchteten Pizza Hut und bestaunten schlussendlich die Modenschau von WE und forever18, in der wir mundgeöffnet erfuhren „was diesen Winter modetechnisch alles möglich ist.“
Hochzufrieden kehrten wir fünf Stunden später nach Mitte zurück.