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Viele Männer denken ein Weihnachtsbaum sei ein Weihnachtsbaum. Das verursacht vermeidbare Spannungen zum Fest der Liebe.
Da sich Weihnachten nach wie vor in den Top Ten der „critical life events“ hält, haben sich Forscher nun endlich mit der Frage beschäftigt: Wie sieht der ideale Weihnachtsbaum aus?
Nach intensiver Forschungsarbeit wurde bekannt gegeben: Der Weihnachtsbaumarchetyp hat ein Höhe-Breite-Verhältnis von 1 : 0,65.
Frauen haben dieses Verhältnis im genetischen Code verankert. Männer sehen nur Bäume und ihn scheint ein Nadelgewächs wie das andere. Dummerweise sind es traditionell die Männer, die sich am 23.12. zum Weihnachtsbaummarkt bewegen. Dort erstehen sie das erste Bäumchen, welches ihnen vor die Füße fällt.
Sie werfen es alsbald in den Kofferraum des Familiengefährts. Wenn dabei die Spitze absteht, wird sie schon mal mit fallendem Kofferraumdeckel gekappt oder der sperrige Baum wird einfach in der Mitte geknickt, wenn seine Maße inkompatibel zum Kofferraum sind.
Dann gehen die Herren an den Glühweinstand und kommen zwei Stunden später mit rot leuchtenden Nasen und einem grünen Nadelball nach Hause und erwarten Freudesausbrüche beim domestizierten Weibchen.
Das jedoch rümpft die Nase und verweigert schlimmstenfalls bis zur Sonnenwende den ehelichen Geschlechtsverkehr.
So ist das Jahr für Jahr und die Männer können sich keinen Reim drauf machen.
In meiner Familie suchte man dem alljährlichen Drama schon früh durch Erfindungsgeist zu entweichen.
Mein Vater nämlich kaufte sich ein ordentlich großes Auto mit geräumigem Kofferraum und zog dann am Morgen des Heiligen Abends los und besorgte nicht einen sondern zehn Tannenbäume verschiedener Größen und Breiten. Die packte er vorsichtig in Blisterfolie und fuhr sie im Schritttempo nach Hause.
Zuhause angekommen, wurden die kleinen Bäumchen vorsichtig aus dem Kofferraum gehievt und zur Schau drapiert. Wenn meine Mutter uns nahen hörte, zog sie sich die Fellstiefel über die Nylonstrümpfe und kam zur Begutachtung vor das Haus. Nach einem meist eine Stunde andauernden innerlichem Hin- und Herwenden und mit verschiedenen Utensilien geistigem Behängen, entschied sie sich für ein Exemplar, welches mein Vater nach innen trug.
Die Nachbarschaft stand in dieser Zeit schon händereibend vor den Fenstern. Kaum waren meine Eltern im Inneren des Hauses verschwunden, strömten sie auf unsere Garageneinfahrt und plünderten die verbliebenen Bäume.
Schon im Folgejahr gab es kleine Glühweinstände, von wo aus das Spektakel bewundert werden konnte und im dritten Jahr sah man die ersten japanischen Touristen Fotos schießen.
Zwischen 1985 und 1990 funktionierte der Trick meines Vaters hervorragend. Dann am späten Nachmittag des 24. Dezembers 1991 kam es zu einem Zwischenfall.
Während ich das Lametta des Vorjahres bügelte, entschied meine Mutter, dass doch einer der neun zurück gelassenen Bäume der Richtige sei und nicht der an dem schon die ersten Kugeln baumelten.
Ich schielte auf unseren Hof und sah den letzten Nachbarn mit einem der Restbäume von dannen ziehen.
Mein Vater, den Ernst der Lage sofort erkennend, huschte in den Bastelkeller und erschien nur wenige Minuten später mit einem eilig zusammengesetzten Megaphon. Er rannte auf die Straße und verkündete der Nachbarschaft: „Achtung, Achtung, alle Nachbarn, die gerade einen Weihnachtsbaum abgeholt haben, erscheinen in zehn Minuten mit eben selbigem in unserer Garageneinfahrt!“ [Im genauen Wortlaut klang das eher wie: „Achetunge, Achetunge, alle Nachbaren, die Weihnachtsbaume geholte haben, in zehne Minute hier erscheine! Aber flotte!!!“]
Wenige Minuten später erschienen sie dann, artig aufgereiht, den eben erstandenen Weihnachtsbaum präsentierend, in der Garageneinfahrt.
Einige Bäume waren fast fertig geschmückt. Da wo die Männer bereits das Haus verlassen hatten, um die Verwandtschaft zu holen, standen die Frauen in Kochschürzen und manche noch mit Topfhandschuhen über den Händen leicht bibbernd in Hausschlappen Spalier.
Es begann lautlos zu schneien.
Meine Mutter, diesmal schon mit der Christbaumspitze bewaffnet, schritt aus dem Eingangsbereich über den von den Kindern frisch schneegeschippten Weg.
Niemand sagte etwas. Nur hier und da hörte man hinter blauen Lippen ein Paar Zähne klappern.
Meine Mutter deutete schweigend auf Baum 4 und Baum 7 und hieß die Nachbarschaft abtreten.
Mein Vater zerrte seufzend die beiden Bäume durch die Hintertür in den Keller und wartete dort auf weitere Anweisungen.
Nur eine halbe Stunde später erschien meine kleine Schwester mit einer handgemalten Zeichnung, die sie ihm, wie durch die Mutter veranlasst, überreichte.
Auf dem Zettel war genau beschrieben welcher der Äste von Baum 7 an welche Stelle in Baum 4 angebohrt und befestigt werden musste.
Drei Stunden später wurde der ideale Weihnachtsbaum, mit einem Höhe-Breite-Verhältnis von 1 : 0,65, siebzehn Reihen Ästen vom Stamm bis zur Spitze, alle zwölf Grad einer, in das Wohnzimmer gebracht und konnte geschmückt werden.
Das Weihnachtsfest war gerettet.

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