
Es gibt im Urlaub immer so einen bestimmten Tag, an dem ich mich frage: wie geht das eigentlich – der normale Alltag? Wie schafft man es, all die Dinge, die man so tut, in einen einzigen Tag zu quetschen? Denn im Urlaub, da schaffe ich an einem Tag ca. 10% von dem, was ich sonst so schaffe. Ich stehe z.B. auf, frühstücke, laufe einen Berg hoch, esse einen Müsliriegel und am Abend knüpfe ich ein Band.
Ich bin dazu übergegangen in meiner Freizeit Omahobbys zu erproben. Das ist wirklich wunderbar. Knüpfen ist so ein Hobby. Man kann ganz darin versinken. Vorwärtsknoten, vorwärts, vorwärts, rückwärts-vorwärts, blaue Schnur, grüne Schnur, elf Schnüre, jetzt die 4. von links, knot, knot, knot. Es dauert unendlich lange bis man einen Zentimeter geknüpft hat und alles ist irgendwie so unklar. Im Urlaub hab ich kein Maßband dabei, also nehme ich statt Zentimeter die Maßeinheit „halbe Tischlänge“, aber ob die am Ende reicht, damit das Band um einen Arm geht, das weiß ich erst am Schluss.
Da ich stark unter dem Gear Acquisition Syndrome leide, habe ich mir im Vorfeld eine Platte gekauft, in die man Schnüre spannen kann, die man am unteren Ende in kleine Vertiefungen hängt, die nummeriert sind. Nach ca. zwei Stunden habe ich gemerkt, das ist total unnötiger Quatsch (Surprise!). Am besten klappt es, wenn man seine Bänder einfach mit einem Klebestreifen auf den Tisch klebt.
Während ich knüpfe, stelle ich mir vor, dass es eine Zeit gab, in der es keine Maschinen gab, die einfach in wenigen Sekunden einen Meter Bordüre rausrotzen. Brrrrrrrt. Fertig.
Alles wurde von Hand gemacht. Wahrscheinlich v.a. von Frauen, an Sommerabenden bis zum Sommeruntergang und dann vielleicht mit zusammengekniffenen Augen bei Kerzenschein. Bestimmt hat man mit den verschiedenen Mustern Kleider verziert. Vielleicht auch Tischdecken und Vorhänge. Meistens nicht für sich, sondern für irgendwelche adeligen Frauen.
Jeden Abend versuche ich eine neue Knottechnik und merke dann, dass es auch zahlreiche Flechttechniken gibt. Nach drei Abenden kann ich mit vier und sechs Schnüren flechten, wenn man dazu dickere Schnüre nimmt und das ganze mit Knoten kombiniert, nennt man es Makramee.
Ich liebe es Dinge von Hand zu machen. Ich stelle mir immer vor, wenn eines Tages ein Bösewicht mit einer EMP-Waffe kommt und uns von allem trennt, das mit Strom zu tun hat: was kann ich in dieser neuen Gesellschaft dann noch beitragen, das irgendeinen Wert hat.
Und da muss man realistisch sein. Die meisten Akademiker*innen können ja eigentlich nicht viel außer sich gegenseitig vollabern. Ich denke, die wenigsten könnten den Strom neu erfinden oder eine stabile Mauer bauen. V.a. ohne YouTube. Was soll man ohne YouTube überhaupt können? Also ich könnte fast nichts.
Fast, denn dank der Pandemie kann ich wenigstens Gemüse und Kräuter anpflanzen und neue Samen züchten. Ich könnte Papierblumen aus Krepppapier falten, Wandbilder und Teppiche punchneedeln und jetzt auch knüpfen. Und das darf man nicht unterschätzen! Ordentliche Knoten können, welche, die sich auch wieder auflösen lassen, das ist schon sehr hilfreich. Ich könnte also irgendwo anheuern und mich in der Schifffahrt nützlich machen. Ich könnte Vorrichtungen knoten, in die man Babys hängen kann (statt Laufstall) und vielleicht würde ich für die Feuerwehr arbeiten, die im großen Rahmen auch verknotete Seile brauchen, um schwere Lasten zu ziehen oder Kühe zu bergen.
Beim Knüpfen spüre ich auch so ein Genderding. Während man natürlich der King ist, wenn man einen doppelten Stopperstek (2,5 Knotenwindungen) oder einen Takling-Knoten (0 Knoten) kann, ist man eine zu belächelnde Bastelmutti, wenn man sieben Meter Josephine-Knoten-Bordüre (20 Knoten pro cm) knüpfen kann. Das nenne ich erfolgreiche Selbstvermarktung! Was Männer alles geschafft haben die letzten Jahrhunderte. Toll.
Ich kann natürlich weder einen doppelten Stopperstek noch einen Josephine-Knoten. Ich kann nur Freundschaftsbändchen und da bin ich wieder, wo ich vor 11 Jahren mal mit den Loom-Bändern war: bei Wolfgang Petry. Ihr werdet meine Familie an den Armen erkennen.