Brüder Grimm

Es mag Menschen geben, die das Verliebtsein für etwas Heiliges halten. Dementsprechend empfinden sie andere Menschen, die Liebe einem Objekt oder einer Maschine gegenüber empfinden, als abnorm. Ich aber sage: Wer sein Telefon liebt, der hat es in seiner Einzigartigkeit verstanden und verfügt über eine Vorstellungskraft und Phantasie, von der andere nur träumen können!

Was mir jedoch besonders daran gefällt, ist der kommunikative Aspekt. Ich habe nicht den direkten Vergleich zu einem anderen Produkt, doch stimmt eindeutig nicht, dass an einem iPhone alles selbsterklärend ist. Man ruht sich auf dem Image aus und behauptet, alles sei so einfach, dass es keine weiteren Erklärungen bedürfe. Das ist natürlich Quatsch. Der wahre Unterschied zu den anderen Produkten ist, dass es eben keine ausführliche Gebrauchsanweisung gibt und dass die Basisfunktionen tatsächlich intuitiver sind. Die Details jedoch sind genauso kompliziert oder versteckt wie bei allen anderen Produkten und wenn man wagt, etwas zu wollen, was der Hersteller nicht will, dann muss man sich richtig Mühe geben oder aber akzeptieren, dass es tatsächlich keinen Weg gibt.

Da es aber besagte Gebrauchsanweisung nicht gibt, muss ich, wenn ich etwas wissen will,  Menschen fragen, die das selbe Produkt besitzen. Das finde ich wunderbar. DAS halte ich für den eigentlichen Marketingtrick. Denn so werden die Funktionalitäten zum größten Teil ausschließlich von Mund zu Mund weitergegeben. So passiert in der technologisierten Welt das erste Mal seit Jahrhunderten wieder etwas, das mit den Gebrüdern Grimm in der westlichen Welt ausgestorben schien. Es werden Geschichten von Kohorte zu Kohorte weitergegben und die, die sich besonders gut auskennen, werden zu Evangelisten und verkünden die frohe Mähr. Und ist es nicht interessant? Diese Evangelisten sind meist Männer. So wie Jacob und Willhelm Grimm. Doch wenn ich meine eigenen Erfahrungen zugrunde lege, sind es v.a. Frauen, die sich so für ihr Telefon und dessen Funktionen begeistern und all die kleinen Details zusammensammeln, so wie Marie Hassenpflug und Dorothea Viehmann, die ihren gesamten Geschichtenschatz an die Brüder Grimm weitergaben, die lediglich Aggregatoren der Geschichten, nicht aber die Geschichtenerzähler selbst waren.

Das interessante ist (und das ist mir schon bei Produkten der Konkurrenzmarke aufgefallen), Männer scheinen einen starken Drang zum Standardisieren zu haben. Frauen hingegen wollen individualisieren. Mir ist das aufgefallen als mein freundlicher Exfreund, der sich früher beruflich um anderer Leute Computer kümmerte, vor Jahren beklagte, er müsse bei Frauen schon immer eine halbe Stunde nach dem Symbol für „Arbeitsplatz“ suchen. Das sei grundsätzlich gegen irgendwas individuelles ausgetauscht worden. Ja und tatsächlich, für mich ist ein technisches Gerät, das nicht meiner Vorstellung von „schön“ entspricht, ein Greuel. Also stelle auch ich zuerst die Symbole um, tausche die Töne aus und stelle mein Lieblingslied als Klingelton ein.

Gerade dieses Herumfummeln an irgendwelchen Einstellungen (meistens weiß man ja nicht 100% was man da tut), kann Probleme im Betrieb verursachen. Männer, deren Pragmatismus vor der Detailliebe steht, würden sowas nie tun. Wenn es unbedingt sein muss, dann werden höchstens Äußerlichkeiten variiert (Casemodding), aber an den anderen Sachen wird nicht herumgefummelt.

Diese Mechanismen scheinen die Macher von Apple wohl erkannt zu haben und deswegen steckt man unglaublich viel Arbeit in die Usability und in die Standardisierung in Form von „Wir haben das so gemacht, wie es optimal ist, alles andere – auch wenn Du das gerne hättest – geht nicht. Dafür funktioniert es. Friss oder stirb!“.

Jahaaa! Aber wir Frauen wollen das nicht! Wir wollen mehr als eine geblümte iPhone-Hülle! Und deswegen stecken wir unglaublich viel Energie in das Individualisieren der standardisierten Produkte, und dieses intensive Auseinandersetzen mit der Technik lässt diese zarten Verliebtheitsgefühle aufkeimen. So ist das.

12 Gedanken zu „Brüder Grimm“

  1. Selektive Wahrnehmung. Frauen individualisieren Telefone. Männer individualisieren Autos: Alufelgen, Breitreifen, Tuning, teure Lackierung.

    Seltsam, die Sehnsucht des Menschen, sich Artikel zu wünschen, die nur durch Massenproduktion erschwinglich werden, und diese Artikel dann zu individualisieren.

    Aus meiner Heimküche: Ich kann auch nichts so lassen, wie es ist. Der Desktop hat ein eigenes Hintergrundbild, die Icons sind angepasst, auf dem Telefon läuft ein Mod und nicht das Original-Zeug vom Anbieter. Und wenn ich alle zehn Jahre mal eine Dosensuppe öffne, dann kann ich die auch nicht so essen, sondern muss dran herumfummeln. Wählt Ihr mich zur Frau ehrenhalber?

  2. Wunderbar geschrieben. Was Anleitungen angeht: Jedes technische Gerät, was ich – als technisch versierter Mensch – nicht mit ein bisschen herumprobieren – ohne das Lesen einer Anleitung – bedienen kann, ist meiner Meinung nach vollkommen falsch entworfen. Ich erinnere mich da an das eine oder andere (vor Android Zeiten) Motorola Handy. Zum Pragmatismus von Männern: Ich war nicht immer so – aber die Zeit hat mich gelehrt, das technische Geräte immer unzuverlässiger werden. Die Unzuverlässigkeit entwickelt sich viel schneller als linear zur Komplexität der Geräte. Daher habe ich einfach keine Lust mehr auf eine Individualisierung … in spätestens 1-2 Jahren ist’s eh wieder futsch oder wird durch ein neues / besseres / schöneres was auch immer ersetzt.

  3. Eigentlich wollte ich lästern, dass man sich an Apple wohl alles schönreden kann. Dann ist mir eingefallen, dass in den zentimeterdicken Anleitungen der anderen auch nur das Offensichtliche beschrieben steht.

  4. die mangelnde Möglichkeit zu individualisieren hält mich davon ab mir selbst Apple Geräte zu kaufen – ich halte mich für einen Mann
    mein berufliches iPad mag ich trotzdem gern – aber auch da nervt so einiges
    individuell ist da auch nur das Start- und Hintergrundbild, schon beim Versuch Icons zu ordnen werde ich halb wahnsinnig weil die immer wieder umherflutschen.

  5. Ein bisschen versteckt*, gibt es eine kostenlose und sehr ausführliche Bedienungsanleitung für iBooks: http://itunes.apple.com/de/book/iphone-benutzerhandbuch-fur/id517429264?mt=11

    * und meist wenig bekannt. Ich vermute, dass viele nicht auf die Idee kommen im iStore zu suchen. Zusätzlich muss auch iBooks noch manuell installiert werden. Keine Ahnung, ob es einen »offiziellen« Hinweis dazu gibt – ich schaue so gut wie nie in beiliegende Anleitungen.

  6. Aber wenn man so gerne individualisiert, warum um Himmels Willen dann ein iPhone? Da steht einem bei Android doch alles viel mehr offen?!?

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