Gender-Gejammer über Gender-Gejammer

Die Strasse ist nass
Quelle: Unspash.com @Devon Janse van Rensburg

Der 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ist da. Anlass für manchen Journalisten (in der Kurzbiographie als Experte für Hartz IV, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Armuts- und Gerechtigkeitsdebatten angepriesen) sich zum angeblichen Gender-Gejammer zu äußern. Denn Forschung hin oder her – natürlich sind es die Frauen selbst schuld, wenn sie Nachteile erleben, denn sie entscheiden sich ja aus freien Stücken einen schlecht bezahlten Job zu haben, zu heiraten, Kinder zu bekommen und in Elternzeit zu gehen und schließlich zur Rückkehr in Teilzeit.

Is klar. Ist bestimmt sehr schön in dieser neoliberalen Welt. Zumindest wenn man auf der Plusseite ist. Da kann man sich dann sagen, dass man das auch alles selbst verdient hat. Mit Strukturen und Privilegien hat das schließlich nichts zu tun.

Leider kann nicht jeder Journalist gut mit Komplexität umgehen und auch Logik ist nicht jedermanns Sache. Da kann es schon mal passieren, dass man aus „Die Straße ist nass, weil es geregnet hat“ schließt, dass es umgekehrt immer geregnet haben muss, wenn die Straße nass ist.

Aber gut.

Ich hab mir den Bericht durchgelesen und kann das sehr empfehlen. Er ist erstaunlich verständlich geschrieben und doch sehr erhellend.

Vor einigen Tagen schrieb ich über „Betriebswirtschaftlich maximierte Elternschaft“ und dem ewigen Argument, der Mann verdiene ja mehr und deswegen bleibe logischerweise die Frau zuhause, wenn das Kind krank ist und was das für den Lebenslauf der Frau langfristig bedeutet.

Im Gleichstellungsbericht klingt das wie folgt:

Viele Paare artikulieren heute ein Beziehungsideal der egalitären Arbeitsteilung.

Im Anschluss an die Familiengründung ist jedoch bei vielen eine Retradi-tionalisierung zu beobachten: In erster Linie sind es die Mütter, die ihre berufliche Karriere unterbrechen, ihre Erwerbsarbeit einschränken und die Sorgearbeit im Haushalt übernehmen; die Väter konzentrieren sich auf die Erwerbsarbeit.

Zwar streben Eltern dieses Modell der intrafamilialen Arbeitsteilung oft nur für eine vorübergehende Lebensphase, in der die Kinder noch klein sind, an.

In der gelebten Wirklichkeit verfestigt es sich jedoch vielfach, es prägt sich die Zuverdienst-Ehe aus. In dieser Konstellation arbeiten Frauen – oft in geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen – Teilzeit, tragen nur einen klei- neren Teil zum Haushaltseinkommen bei und sind auf Einkommensübertragungen, also Unterhaltsleistungen, ihres in Vollzeit verdienenden Partners angewiesen.

Sprich: In der Theorie wollen sich Paare alles gleichberechtigt aufteilen – in der Praxis tun es viele nicht, v.a. dann nicht, wenn Kinder geboren werden und auch da ist dieses Ungleichverhältnis theoretisch lediglich für die ersten Jahre angedacht, wird dann aber dauerhaft praktiziert.

Zu dieser Entwicklung im Lebensverlauf tragen nicht nur Schwierigkeiten beim beruflichen Wiedereinstieg nach einer sorgebedingten Erwerbsunterbrechung bei, die mit arbeitszeitlichen und arbeitsorganisatorischen betrieblichen Strukturen, mit Qualifizierungs- und Qualifikationsproblemen und Defiziten bei der Betreuungsinfrastruktur zusammenhängen.

Vielmehr enthalten das Einkommensteuer- und das Sozialversicherungsrecht für Verheiratete und – sofern rechtlich gleichgestellt – Eingetragene Lebenspartnerinnen und Lebenspartner Anreize für eine innerfamiliale Arbeitsteilung, bei der ein Elternteil hauptsächlich Erwerbsarbeit, der andere hauptsächlich Sorgearbeit leistet.

[…]

Einkommensteuer- und Ehegüterrecht beeinflussen auch die Ressourcenverteilung innerhalb von Ehen und Eingetragenen Lebenspartnerschaften. So wird bei der Einkommensteuer in der Steuerklassen- kombination III/V die Wirkung des Ehegattensplittings nicht gleichmäßig auf die gemeinsam veranlagenden Personen verteilt.

Damit fällt das laufende Nettoeinkommen für den Partner oder die Partnerin in Steuerklasse V, gemessen am Beitrag zum Erwerbseinkommen des Paares vor Steuern, relativ gering aus.

Im gesetzlichen Ehegüterrecht führt die Gütertrennung in der sogenannten Zugewinngemeinscha dazu, dass in Ehen und Eingetragenen Lebenspartnerschaften, in denen auch nur vorübergehend eine asymmetrische Arbeitsteilung besteht, lediglich die vermögende Person oder die Person mit dem höheren Erwerbseinkommen wirtschaftliche Verfügungsgewalt über den gemeinsam erarbeiteten ehelichen Zugewinn erhält.

Institutionell vermittelte Ressourcenzuweisungen dieser Art beeinflussen die Entscheidungs- und Verhandlungsmacht bei Paaren in einer Weise, die partnerschaftlichen Lösungen abträglich sein kann.

Bereits der Erste Gleichstellungsbericht stellte fest: Recht setzt oder unterstützt Rollenbilder, die auf das Entscheidungsverhalten von Männern und Frauen einwirken und damit Risiken und nachteilige Folgen im Lebensverlauf vor allem für Frauen begründen, aus denen sich gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf ableitet.

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 123

Man könnte meinen, dass diese Zeilen selbst für bestimmte FAZ Journalisten verständlich sein könnten (setzt natürlich voraus, dass man überhaupt mal in den Bericht gelesen hat – was ich stark anzweifle, denn sonst wäre man mit so einem Kommentar nicht als undifferenziert, sondern schlichtweg als blöd zu bezeichnen).

Jedenfalls: Mitnichten entschließen sich Frauen und Paare aus freiem Willen zu entsprechenden Modellen.

Wen es interessiert: Ab S. 124 kann man dann die entsprechenden politischen Forderungen, die sich aus dem oben genannten Ungleichgewicht ableiten lassen, nachlesen:

Abbau einkommensteuerrechtlicher Anreize zur Spezialisierung auf Erwerbs- und Sorgearbeit in der Ehe, hierbei:

  • Streichung der Lohnsteuerklasse V
  • Weiterentwicklung zu einem Realsplitting

Für die beitragsfreie Mitversicherung, lauten die Empfehlungen der Sachverständigenkommission:

  • Einführung eines eigenständigen Zugangs zur Kranken- und Pflegeversicherung
  • zeitliche Begrenzung der beitragsfreien Versicherung
  • Ausweitung der beitragsfreien Versicherung auf Angehörige von Wahlfamilien

Und schließlich bezogen auf Minijobs:

  • Besteuerung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung
  • Einführung einer Sozialversicherungspflicht für geringfügige Beschäftigung

Die Sachverständigenkommission empfiehlt in Bezug auf das Güterstandsrecht:

  • Einführung des gesetzlichen Güterstands der Errungenschaftsgemeinschaft
  • Informationspolitik betreffend: Umbenennung des Güterstands der Zugewinngemeinschaft; frühzeitige Vermittlung von Informationen über die Folgen von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft; Einbeziehung ehe- und familienrechtlicher Fragen in Programmen zur Förderung der finanziellen Allgemeinbildung („financial literacy“)
  • Untersuchung der Praxis der Eheverträge und eine Beratungspflicht vor Vereinbarung einer Gütertrennung

Dass das Allein- oder Zuverdienermodell in Deutschland die Regel ist (v.a. in Haushalten mit Kindern unter 16 Jahren), belegen die Zahlen auch:

Der Anteil der Paare mit Kindern unter 16 Jahren, bei denen beide vollzeiterwerbstätig sind, macht nur 22,2 % aus;

bei 45,4 % dieser Paare arbeiten die Mütter in Teilzeit, bei 20 % ist die Frau nicht erwerbstätig (Wanger/Bauer 2015: 7f.).

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 41

Man entscheidet sich also in der Mehrheit für die Variante Mann ist Hauptverdiener und die Partner gehen davon aus, dass das verdiente Geld im Anschluss beiden Partnern gleichermaßen zur Verfügung steht. Dem scheint aber nicht so zu sein.

Studien deuten allerdings darauf hin, dass die Partnerinnen und Partner ihre Ressourcen keineswegs zur Verwendung „in einen Topf werfen“; vielmehr sieht es danach aus, als wirkten beim Ausgabeverhalten familieninterne Entscheidungsstrukturen und ökonomische Verhandlungspositionen (Beblo 2012: 193; Beblo/Beninger 2013; siehe auch Rees 2017).

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 41

D.h., der, der mehr verdient, entscheidet dann auch was mit dem Geld passiert.

Dazu passt der folgende Tweet:

Logisch. Wenn meine Partnerin nicht weiß, was ich genau verdiene, dann kann Gleichverteilung gar nicht erst eingefordert werden.

Fest steht – hat man sich einmal für das Ungleichgewicht entschieden, ist das auch langfristig kaum auszugleichen.

Die Nachteile eines auch nur vorübergehenden Ausstiegs aus der Erwerbsarbeit oder einer länger andauernden Teilzeitbeschäftigung lassen sich über den Lebensverlauf hinweg kaum kompensieren.

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 42

Und (wenig überraschend), wer mehr verdient, hat größeren Einfluss auf die Entscheidungen:

Für die Ergebnisse der Aushandlungsprozesse innerhalb von Paaren über die Verwendung von Zeit und Einkommen im Haushalt spielt eine Rolle, wie stark sich die eigenen Einkommenspotenziale der beiden Verhandelnden voneinander unterscheiden.

Was die Gleichverteilung der Care-Arbeit angeht, ist es tatsächlich so: je früher sich der Vater entscheidet sich mit seiner Partnerin die Care-Arbeit zu teilen, desto besser klappt es tatsächlich mit der Gleichberechtigung.

Je früher Väter Verantwortung in der Betreuung und Erziehung von Kindern übernehmen, desto nachhaltiger lässt sich eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zwischen den Eltern verwirklichen (vgl. C.V).

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 42

Zusammenfassend kann man also sagen: Es geht mitnichten um freie Entscheidungen. Die Aushandlungsprozesse sind abhängig von gesellschaftlichen, ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen.

Die oben genannten Rahmenbedingungen stellen somit die Weichen für bestimmte Entscheidungen und begünstigen bestimmte Szenarien eben so, dass es sich im Durchschnitt negativ für Frauen auswirkt (Gender Pay Gap, Gender Time Gap, Gender Pension Gap).


P.S. Fürs Protokoll: Der Gleichstellungsbericht behandelt noch sehr viel mehr Fragen als die hier angesprochenen. Der Blogartikel ist nicht annähernd eine Zusammenfassung des Berichts.

185 Gedanken zu „Gender-Gejammer über Gender-Gejammer“

  1. ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Genau!
    *****************/KOMMENTAROMAT**********************
    Es ist so ermüdend, danke, dass Du das aufgeschrieben hast. Ich kann grad nur „GENAU“ brüllen.

  2. Pingback: Journelle
  3. Selbst ich als Frau finde das Thema extrem anstrengend und fast schon lächerlich, was die Politik da versucht umzusetzen, das gibt es in keinem anderen Land der Welt !

    Gruß Claudia

  4. Argh. Wegen diesem (tollen) Artikel hab ich den FAZ Artikel gelesen, und auch die Kommentare, und bin jetzt schlecht gelaunt. Was da für dummes Zeug steht… unglaublich.
    Ich bin Akademikern, noch kinderlos, und arbeite mit anderen Akademikern. Und man glaubt es nicht – es gibt Kollegen von mir – Männer (Väter!), die nicht wissen, dass sie Elternzeit nehmen können. Wenn ich sie darauf aufmerksam mache, kommt: … nee, das ist ja zu wenig Geld… Aber dass die (berufstätige) Frau ja ebenfalls weniger Geld bekommt in der Zeit der Elternzeit… das ist irrelevant.
    Manchmal frage ich mich echt, wieso es den Feminismus überhaupt gibt… im Moment hab ich das Gefühl von Rückschrittigkeit…

    1. Hach, die Rechnung kann für Paare auch so sein:
      Einer: ich möchte während der Kleinkinderzeit gerne mehr Zeit mit dem Kind verbringen und bezahle mit weniger Geld und möglicherweise weniger Karriere (letzteres fällt weg, wenn einem Karriere kein Anliegen ist).

      der andere: ich möchte gern während der Kleinkinderzeit nicht hauptamtlich fürs Kinderumsorgen zuständig sein und bezahle mit weniger Zeit mit dem Kind.

      Natürlich gibt es „unsichtbare“ Kosten und Benefits über diese Jahre hinaus, dessen muss man sich bewußt sein und das muss man im Vorfeld absprechen und so gut es geht kompensieren.
      (z.B.: Armutsrisiko, weniger enge Beziehung zum Kind…whatever. Gibt ja einiges.)

      Wenn diese Punkte diskutiert und geklärt wurden und beide zufrieden sind, ist das klassische Modell genau so ein guter Weg wie irgendein anderer. Man muss halt wissen, dass die politischen Weichenstellungen zu Lasten des versorgenden Elternteils gehen; die politische Klasse hätte halt gern alle möglichst bald und möglichst voll erwerbstätig. Das heißt: weniger gut verdienende Paare haben halt keine Wahlfreiheit.

      Für die anderen heißt es: you play, you pay. Mit irgendwas zahlt man immer. Muss man sich halt überlegen, wofür man womit bezahlen möchte.

  5. Bei uns in Österreich gibt es das Ehegatten-Splitting nicht. Das bedeutet faktisch einen Anreiz, dass beide gleich viel verdienen. Wir leben seit 9 Jahren gleichberechtigt (3 Kinder; wir beide haben fast durchgehend gearbeitet (ausgenommen Mutterschutz), allerdings beide meist Teilzeit). Für mich funktioniert das optimal, in Bezug auf Familie und Beruf.

  6. kurze Anmerkung:

    Entgegen der Behauptungen im Gleichstellungsbericht hat die Wahl der Steuerklassen keinerlei Einfluss auf die jährliche Steuerbelastung. Es geht dabei nur um die zu leistenden Vorauszahlungen.

    Ob sich das Erwerbseinkommen aus 100.000 + 0 EUR oder 80.000/20.000 oder 50.000/50.000 zusammensetzt, ist für die tatsächliche Steuerbelastung völlig irrelevant. Die ist nämlich immer gleich.

    Wieso also die Existenz der Steuerklasse V die Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit beeinflussen soll, erschließt sich mir nicht.

    Vollkommen lachhaft wird es bei der Behauptung, dass derjenige, der mehr verdient, angeblich mehr Einfluss auf die ökonomischen Entscheidungen hat. Im Ernst? Wie viele Haushalte mit männlich dominierter Einrichtung kennt ihr denn? Wer gibt wie viel Geld für Mode/Kosmetik etc. aus? Der Partner/die Partnerin mit mehr Familienarbeit dürfte auch die Budgets für lfd. Einkäufe und Ausstattung der Kinder verwalten. Selbst die meisten Dienstwagen sind Kombis, also Familienkutschen. In den Urlaub fährt man auch zusammen.

    Und wer nicht weiß, was der Ehepartner verdient, dem ist echt nicht zu helfen. Man unterschreibt persönlich die Steuererklärung und da kann man zur Abwechslung ja auch mal reinschauen. Oder sie sogar selber machen. Auch sämtliche anderen Informationen über Dinge wie Rentenanwartschaften, Kapitalanlagen, Versicherungen etc. befinden sich üblicherweise nicht unter Verschluss. Lesen muss man aber leider selber.

    1. Hallo!
      Ich möchte nicht in die Steuer-Debatte einsteigen, weil mir dazu das Hintergrundwissen fehlt.
      Aber: Es ist meiner Meinung nach unbedingt richtig, dass sich das Ungleichgewicht beim Gehalt auch auf die Beziehung niederschlagen kann. Ich kenne selbst Menschen, die in einer Beziehung wenig oder gar nichts verdienen und dieses Gefühl der „Abhängigkeit“ vom Partner hassen. Vor allem Menschen, die vorher finanziell auf eigenen Füßen standen und nun plötzlich kein eigenes Geld verdienen. Man darf nicht vergessen, dass Gehalt auch immer etwas mit Anerkennung, auch gesellschaftlicher Anerkennung, zu tun hat. Wenn man die nicht hat, traut man sich vielleicht auch nicht, in der Beziehung Forderungen zu stellen oder einfach nur etwas zu kaufen, „was nur für mich ist“.
      Natürlich ist es eine Frage des Dialogs in einer Beziehung und es MUSS kein belastender Faktor sein. Aber einfach weil es nicht sein muss, kann man nicht antizipieren, dass es keiner ist.

      Ich stimme dir zu, dass man in einer Beziehung offen genug miteinander umgehen sollte, dass man auch über Finanzen reden können müsste. Aber es gibt genügend Paare, die eben keinen gemeinsamen Topf haben, sondern nur laufende Kosten untereinander aufteilen, sich den Rest aber für individuell sich selbst behalten. Fang da mal an zu argumentieren – „Du musst aber 20% mehr für die Butter bezahlen, weil du 20% mehr verdienst.“ – „Ja, aber du verbrauchst 10% mehr Shampoo, weil deine Haare länger sind…“ …

      Zum Schluss noch 2 Anmerkungen: Dein Kommentar zu „wer gibt wie viel Geld für Kosmetik und Mode aus“ ist ziemlich oberflächlich. Mit der gleichen Argumentation könnte man jetzt sagen, das ALLE Männer IMMER mehr Geld für Technik ausgeben. UND: Nur, wenn ich keine Paare kenne, bei denen das so ist, heißt es nicht, dass es nicht viele solcher Paare gibt. Die Frage danach ist also irrelevant. Außerdem kennt jeder da draußen mehrere solcher Paare – wenn man genau hinschaut, gibt es kaum ein Paar, bei dem es ein tatsächlich offen kommuniziertes und ausgehandeltes Gleichgewicht gibt …

  7. Immer wieder spannend für mich – alljährlich interessiert mich, wie sich Schüler/innen zwischen 17 und 18 Jahren ihre zukünftige Familiensituation vorstellen.
    Die Mädels wollen durch die Bank 2 oder mehr Kinder und dann Teilzeit abeiten.
    Die Jungs wollen überwiegend Kinder, 1-2, und Vollzeit arbeiten.
    Auf die Frage, warum sie dieses Modell favorisieren, antworten sie meist, dass sie es selbst als sehr schön erlebt haben, dass ihre Mütter Zeit für sie hatten, und dass sie selbst auch möchten, dass die Mutter Zeit für die Familie und Kinder hat. Es werden explizit die Mütter genannt, aber wir befinden uns auch in Gefilden, wo viele Mädchen angeben, ihre Mutter wäre ihr größtes Vorbild. Wir scheinen weit entfernt zu sein von den Familienfluchttendenzen meiner Generation.

    D.h. junge Menschen, insb. Frauen, die von finanziellen Erwägungen weitgehend unbeleckt sind, priorisieren Zeit für die Familie enorm hoch. Das ist für sie echt ein Wert, genau, wie Familie für sie auch ein enorm großer Wert darstellt. Eine Karriere im Sinn von viel Zeitinvestment, Macht und Geld plant vielleicht eine junge Frau von 70-100 – wohlgemerkt alles Gymnasiastinnen mit Uni-Ambitionen. Wohlgemerkt aus Klassen, die die relativ hohe Anzahl von Scheidungskindern im Klassenverband haben.
    Modelle wie Wir-teilen-die-Arbeit-gleich-auf oder gar Der-Mann-macht-die-care-Arbeit kommen überhaupt nicht gut. Kein Mensch will alternative Familienmodelle.
    Das sind Klassenverbände, die sich seit Jahren gut kennen, und die auch offen über alle möglichen Themen sprechen, ich glaube nicht, dass sie aus Gruppendruck den mainstream bedienen bzw. reproduzieren. Das scheint denen sehr ernst zu sein.

    Natürlich weise ich darauf hin, dass das für die Frauen aufgrund der bekannten politischen Weichenstellungen ökonomischer Selbstmord ist.
    Früher habe ich den Mädels nahegelegt, sie könnten doch eine „Karriere“ anstreben, aber das tue ich nicht mehr so oft. Tolle „Karriere“ macht sowieso kaum eine/r, weder Männlein noch Weiblein – die Anzahl der Häuptlinge ist halt stark begrenzt. Ich argumentiere nun in erster Linie ökonomisch – es geht um Sicherung des Lebensunterhaltes, insbesondere im Fall einer Trennung, nicht mehr und nicht weniger. Ich glaube, das ist für sie aber oft viel zu abstrakt, wer denkt denn mit 17, 18 an das Scheitern seiner Familienpläne und die Frage, wie dann über die Runden zu kommen wäre. Dementsprechend blauäugig wählen sie dann ihre Studienfächer.

    1. Meine sechsjährige Tochter sieht das auch so: „Ich will später mal so viel arbeiten wie du, dann hab ich auch noch Zeit für meine Kinder“.

      Das rede ich ihr nicht aus, weil ich meine 30 Stunden auch ziemlich ideal finde. Ich hoffe nur, dass sie dann in den 30 Stunden auch genug verdient und Spaß an der Arbeit hat.

      Im Moment sieht es ganz gut aus. Sie will nicht mehr Sängerin werden sondern Forscher („nein, ich werd nicht Forscher! Ich werd ForscherIN“).

      Und warum?
      „Weil wenn man was Neues entdeckt, dann macht das so ein glückliches Gefühl im Bauch“.

      1. …womit ich sagen will: Mädchen in Berufsvorstellungen unterstützen, die eben nicht „typisch Mädchen“ sind, hilft vielleicht auch.

        Wir diskutieren jedenfalls sehr gern mit ihr, was man alles erforschen kann: „vielleicht werd ich Dinoforscherin. Oder Tiere. Kann man auch Sport erforschen?“

        1. Tja, bei den 17-jährigen und 18-jährigen ist das schwieriger…die haben zwar meist nicht viel Ahnung, was sie „werden“ wollen, wissen aber deutlich, was sie NICHT „werden“ wollen…und das beinhaltet so ziemlich jedes lukrative, aber „männlich“ konnotierte Berufsfeld.
          Ich bin ehrlich gesagt etwas ratlos.

    2. Das kann ich mir gut vorstellen, denn natürlich hat dieses Modell auch viele Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen sind. Aber ich glaube, man sollte alternative Modelle zeigen und besprechen und damit wirklich eine objektive Entscheidung ermöglichen, die nicht durch „das war in meiner Familie auch so“ bestimmt ist. Natürlich ist es schön, dass Mütter daheim bei ihren Kindern sind und natürlich finden das die jungen Menschen erstrebenswert – aber wenn der Vater halt einfach mal nicht da war, kann man sich auch nicht positiv an die Zeit erinnern, als er daheim geblieben ist. In vielen Menschen steckt der (meiner Meinung nach) Irrglaube fest, dass Frauen sich besser um den Nachwuchs kümmern können, als Männer. Das ist nur eine Variante von „Dummheit schafft Freizeit“. Der Vater kann’s nicht – soll es die Mutter machen.
      Was wichtig für junge Frauen ist, ist das Selbstbewusstsein, die eigenen Ziele zu verfolgen und dafür auch Forderungen zu stellen. Natürlich sollen sie Karriere machen, wenn sie das möchten – auch mit Kindern. Männer schaffen das, Frauen sollen das auch schaffen können. Teilzeit ist nicht nur für Frauen attraktiv. Aber natürlich sollen sie sich auch viel um ihre Kinder kümmern können, wenn sie das wollen. Aber keins von beidem automatisch oder von außen erzwungen.
      Ich befürchte, dass in vielen jungen Köpfen zu viel unreflektiertes Gedankengut herumschwebt, dass zu oft in tradierten Familienvorstellungen resultiert…

  8. Schöne Antwort.

    Etwas merkwürdig finde ich die Aussage, dass sich Paare zu einem recht großen Teil nichts über ihr Einkommen sagen (nette Beziehungsbasis…) aber gleichzeitig laut Bericht die Steuerklasse 5 ein Problem darstellt. Für die Kombination 3/5 muss doch eine gemeinsame Steuererklärung am Jahresende gemacht werden. (Wenn man den monatlichen Lohnbescheid rechtzeitig verstecken kann.) Und damit sollten doch die groben Informationen zum Einkommen bekannt werden, oder?

    1. Wahrscheinlich ist es wie beim AGB lesen? Der Partner unterschreibt die Steuererklärung ohne sie sich genauer anzuschauen oder die Aussage bezieht sich auf nicht verheiratete Paare?
      Oder wenn der Steuerberater die Erklärung macht, müssen nicht alle unterschreiben (das weiß ich nicht – mache meine immer selbst)

    2. Der Gleichstellungsbericht sagt:
      „So wird bei der Einkommensteuer in der Steuerklassenkombination III/V die Wirkung des Ehegattensplittings nicht gleichmäßig auf die gemeinsam veranlagenden Personen verteilt.
      Damit fällt das laufende Nettoeinkommen für den Partner oder die Partnerin in Steuerklasse V, gemessen am Beitrag zum Erwerbseinkommen des Paares vor Steuern, relativ gering aus.“

      Genau das ist doch gewollt: Dadurch können Ehegatten darauf Einfluss nehmen, ob der Lohnsteuerabzug zu hoch oder zu niedrig ist und sie deshalb mit der Einkommensteuererklärung Lohnsteuer erstattet bekommen (können) oder nachzahlen müssen. Bei Ehegatten, wo einer mehr als der andere verdient, ist das doch meistens günstiger als IV/IV. Bei III/V landet monatlich netto mehr im gemeinsamen Topf (und der ist doch der Sinn bei Verheirateten) . Wo wäre denn da die Verbesserung durch Wegfall von V?

      Btw: Auch wenn der Steuerberater die Erklärung macht, müssen bei der Zusammenveranlagung immer beide Ehegatten unterschreiben.

      1. So ist es hier bei uns und ich kann nur sagen, dass das wirklich gut funktioniert. Wir arbeiten beide knapp 78% – und haben so noch genügend Zeit und vor allem Energie nach/vor der Arbeit.
        Ich glaube, dass das aber nur zufriedenstellend funktioniert, weil uns beiden Freizeit/Familie wichtiger ist als Arbeit/Karriere. Also eher ein „arbeiten um zu leben“ – nicht umgekehrt. Sonst dürfte es schwierig werden, wenn man nicht sehr gut verdient.

        1. Je nach Einkommen v.K. (vor Kindern) ist man bei der Reduzierung auf 75% bei beiden Partner ja schon fast mit einem Bein in der Altersarmut, die ab 2036 heute wieder in den Nachrichten propagiert wird. Ich bin nach Studium und acht Jahren Berufstätigkeit im ÖD seit diesem Januar endlich ein „Eckrentner“ (jaja, selber schuld, wenn Frauen sich auch immer in die schlecht bezahlten Berufe drücken lassen *blabla* ich könnte auch arbeitslos sein, das war beim Antritt der Stelle die Alternative)… wenn ich 100% arbeiten gehe, bekomme ich dieses Jahr 1 Rentenpunkt (okay, 1,1).
          Da mir ja auch mein Studium (4 1/2 Jahre Regelstudienzeit, mit zwei Auslandssemestern habe ich dummerweise 5 1/2 gebraucht) nicht mehr ganz angerechnet wird und ich nach Studienende ein Jahr nur TZ beschäftigt und dann ein Jahr arbeitssuchend war… dumm gelaufen.

          Ich werde nicht reich erben. Wir haben kein Wohneigentum (das übersteigt unsere finanziellen Möglichkeiten). Wir haben eine Zusatzversorgung und ich riestere. Wenn ich nicht im Lotto gewinne, werde ich – ein paar Jahre nach 2036 – wohl Teil einer Statistik, wenn ich (zu lange) Stunden reduziere.

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