Nachtrag zum Fahrradfahren in Berlin

Das größte Risiko geht ein/e Radfahrer/in beim Geradeausfahren ein, wenn es gleichzeitig ein rechtsabbiegendes Auto (oder LKW) gibt. Im 54 Seiten langen „Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz“ ist nachzulesen:

„Die Unfallstatistiken zeigen es deutlich: Abbiegefehler sind leider seit Jahren eine der häufigsten Ursachen bei Unfällen mit Radfahrerbeteiligung im Straßenverkehr, auch in Berlin. Gerade angesichts hoher Unfallzahlen besteht Handlungsbedarf, um Radfahren sicherer und damit auch attraktiver zu machen.“

Der Leitfaden stellt sehr viele Maßnahmen vor, die das Radfahren in Berlin (und in anderen Städten) sicherer machen könnten.

Der Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) lässt jedoch auf Nachfrage des Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar verlauten: Der Leitfaden solle kommunalen Akteuren ermöglichen, die Maßnahmen gemäß ihren lokalen Gegebenheiten umzusetzen. Er solle aber nicht vollständig umgesetzt werden.

„Der Abgeordnete Gelbhaar schließt daraus, dass auch dieses Konzept in der Schublade verschwinden wird – wie schon die Umsetzung der Anfang 2013 beschlossenen Radverkehrsstrategie kaum vorankommt und von den im Online-Dialog radsicherheit.berlin.de meistkritisierten Gefahrenstellen nach mehr als einem Jahr noch keine entschärft wurde.“

Quelle: Tagesspiegel, Sicher geradeaus in die Tonne

Also, das Einzige, was ich allen RadfahrerInnen mit auf den Weg geben kann: Wenn ich geradeaus fahrt und Vorfahrt habt, trotzdem immer über die Schulter schauen, ob von links ein Rechtsabbieger kommt.

Und den Autofahrern: Lieber sehr genau schauen, ob da beim Rechtsabbiegen noch ein/e RadfahrerIn aus dem toten Winkel schießt. Ich glaube, es lebt sich nicht so gut, wenn man jemanden verletzt oder sogar tot gefahren hat. Vielleicht sollte man sich das als stärkere/r VerkehrsteilnehmerIn immer im Kopf behalten und dann auch mal lieber nachgeben, wenn es nötig sein sollte und nicht so sehr auf das vermeidliche Recht pochen…

18 Gedanken zu „Nachtrag zum Fahrradfahren in Berlin“

  1. Moin,
    es wird sich so lange nichts ändern,
    – bis die Polizei massiv Abstandsunterschreitungen beim Überholen (min. 1,5m) kontrolliert und nicht ahndet wie eine Abstandunterschreitung auf der Autobahn (als Nötigung)
    – bis Parken auf dem Radweg nicht automatisch Parken mit Behinderung ist und sofort abgeschleppt wird,
    – das herausziehen aus einer Einfahrt oder Einmündung und auf dem Radweg stehen bleiben nicht als Missachtung der Vorfahrt geahndet wird,
    – man als Fahrradfahrer bei Ampeln genau so behandelt wird wie ein Rentner mit Rollator und nicht die Fahrzeugampel gilt,
    – und vor allem solange nicht täglich mindestens hundert mal in Fernsehen und Radio darauf hingewiesen wird, daß Radfahrer nicht jeden zugeparkten, mit Scherben und Mülltonnen und Baumwurzeln verstellten und unbrauchbaren Radweg (also in Hamburg fast alle) nutzen müssen/können/wollen und in solchen Fällen auf der Straße fahren DÜRFEN.
    – …
    Wenn alle Radfahrer immer auf der Straße fahren würden wären sie für alle Verkehrsteilnehmer ständig präsent und somit auch sicherer.

    LG
    Ingo

  2. Vor wenigen Monaten ist mir genau solch ein Unfall als Autofahrer passiert:
    An einer großen Kreuzung musste ich nach rechts über den Radweg abbiegen. Als es grün wird und ich nach rechts fahre, kommt der Verkehr vor mir zum Stocken. Ich bin gezwungen halb auf dem Radweg stehen zu bleiben. Beim Blick in den Rückspiegel sehe ich , wie ein Radfahrer rechts an der Autoschlange hinter mir vorbeischießt und denke noch “ Hoffentlich bremst er!“, denn ich kam ja nicht weg. Tat er nicht. Rumms. Außer einem geprellten Oberarm und einer Beule mitten auf meinem Kofferraum ist nichts passiert. Glück im Unglück.
    Dass man über die Schulter guckt beim Abbiegen: Geschenkt. Das lernt man in der Fahrschule und sollte eigentlich in Fleisch und Blut übergehen. Dass Radfahrer auf Radwegen rechts überholen dürfen, war mir nicht bewusst. Und zwar mit der gleichen Geschwindigkeit wie auch Autos dort fahren dürften (sprich: an der Stelle durfte der Radfahrer mit 60 an der nur rollenden Autokollone vorbei). Ich vermute mal, das ist etwas was viele, viele Autofahrer nicht wissen und womit sie auch nicht mit rechnen. Seit dem Unfall gucke ich bei jedem Abbiegen nicht einmal, sondern wiederholt, ob nicht doch noch irgendwo ein Radfahrer aufgetaucht ist. Besser ist das.

  3. Immer über die Schulter kucken. Immer!

    Ein weiteres Problem ist, dass man sich, sobald man in ein Auto einsteigt, verändert. Die persönliche Wahrnehmung ändert sich. Man wird, zumindest in der Wirkung nach außen, ein bisschen rücksichtsloser. Ich beobachte das bei mir selbst. 90% meiner Mobilität verbringe ich als Radfahrer/Fußgänger. Und rege mich natürlich ständig über zu schnelle, zu knapp vorbeifahrende, schneidende, rücksichtslose Autofahrer auf.

    Sobald ich mich in ein Auto setze, kann ich nicht ausschließen, dass mich andere Radler/Fußgänger genau so wahrnehmen. Das liegt nicht daran, dass ich ein schlechter Mensch bin. Man ist in einem Auto grundsätzlich in der überlegenen Position und wirkt potentiell bedrohlicher auf andere Verkehrsteilnehmer. Und gleichzeitig ist man aber auch oft überfordert von den ganzen Verkehrseindrücken/Schildern/Ampeln/Kreuzungen.

    Ich will das nicht, ich versuch mir auch so gut möglich mein Autofahrverhalten bewusst zu machen während ich am Steuer sitze und fahre so vorausschauend wie möglich.

    Aber am Ende geht es im direkten Kontakt nur, wenn alle Verkehrsteilnehmer gegenseitiges Verständnis füreinander aufbringen.

    Verkehrspolitisch gibt es aber viele Maßnahmen, die die Lage entspannen können (s. den Maßnahmenkatalog oder von mir aus eine autofreie Innenstadt/City-Maut/weniger Parkplätze, breitere Radwege vs. alle Radfahrer fahren auf der Straße …)

  4. Ich habe laufend mit diesen Unfällen zu tun. Ich werde dazugerufen, um Spuren zu sichern und das Geschehen zu rekonstruieren. Das ist ein Scheißjob. Noch viel viel beschissener ist es aber, einen lieben Menschen durch so einen Unfall zu verlieren. Und an das Opfer – was es zu erleiden hatte – darf ich gar nicht denken. Ich muss ja meine professionelle Distanz waren. Und meistens später irgend jemanden erklären, was er falsch gemacht hat.

    Da meine Kollegen und ich diese Art Unfälle für mit die brutalsten, abscheulichsten Geschehnisse halten, die im Straßenverkehr passieren, überlegen wir natürlich auch, was man für deren Vermeidung tun kann und versuchen, den Ursachen konsequent auf den Grund zu gehen.

    Inzwischen sind Assistenzsysteme in der Entwicklung, die bereits erste vielversprechende Ergebnisse liefern. Bis die wirklich marktreif sind, ist es eine gute Empfehlung, als Radfahrer aufzupassen und gegebenenfalls auf seine Vorfahrt zu verzichten, auch wenn man das nicht einsehen mag. Die Sicht des Lkw-Fahrers ist gerade nach rechts zur Seite extrem eingeschränkt. Solche Unfälle passieren, weil derartige Lkw nicht für das Fahren in Städten geeignet sind.

  5. Grundsätzlich sollten beide Seiten wissen, dass man im Straßenverkehr nicht auf sein Recht pochen darf und es schon gar nicht ein Recht des Stärkeren gibt. Das Rechtsabbiegerproblem kann zumindest teilweise gelöst werden, indem Radwege abgeschafft und Radspuren auf der Straße eingeführt werden – da kann ein Autofahrer, der einen eben noch überholt hat, kaum behaupten, er habe einen nicht gesehen.

    Die Gefährdung durch den toten Winkel vor allem von LKW löst die Berufsgenossenschaft Transport und Verkehr hauptsächlich durch die Ausgabe eines Aufklebers, den der Fahrer hinten rechts an seinem Fahrzeug anbringen kann und potentiell gefährdeten Radfahrern mitteilt, sie sollen gefälligst selber aufpassen, dass sie nicht plattgefahren werden.

  6. ich träume davon, dass die fortbewegungssorten auto/ lkw, fahrrad und pedes komplett getrennt werden. so wie es in amsterdam und kopenhagen schon teilweise umgesetzt ist. träumen darf ich ja mal … es wäre eine wunderbare welt.

    1. jo, autos am stadtrand; lkws mit sondergenehmigung innerorts mit tempo 30; öpnv, tatütata, handwerka und fahrräda einfach so…
      die trennung von der ich träume ;)

  7. Gestern hier in HH: Ich will über die Riesenkreuzung Brandstwiete/Willy-Brand-Str. Die Ampel für Fahrradfahrer zeigt noch grün. Die für die Fußgänger schon rot. Der abbiegende Bus sieht anscheinend nur die rote Füßgängerampel und hupt den vor mir fahrenden Radfahrer wie wild an. Ich halte an, um nicht von dem Bus überfahren zu werden und versuche den vorbeifahrenden Busfahrer durch Gestik darauf hinzuweisen, wer hier im Recht ist. Warum gibt es solche Ampeln, wenn sie Radfahrer eher gefährden, da sie von den Autos/Bussen/LKW wohl nicht gesehen werden??

    1. Hallo Tina, wenn ich mich recht erinnere ist das der Grund, weshalb in Berlin einige (nicht alle) Fahrradampeln abgeschaltet wurden. Ich find das auch sinnvoll.

  8. Darf ich meine Erfahrungen teilen?
    Ich fahre mehrmals täglich die komplette Bundesallee. Wie oft es schon „beinahe“ soweit war, kann ich nicht zählen. Abgesehen von der permanenten Aufklärungs- und Veränderungsarbeit, wir alle leisten müssen (individuell oder politisch), kann ich auch nur jedeR RadlerIn raten:
    1….Immer (meint: IMMER) an jeder Kreuzung Blick nach links über die Schulter. Egal, wieviel Vorfahrt man hat. Es nicht zu tun (aus welchen Gründen auch immer, egal wie gut oder politisch richtig sie sein mögen), kostet im Zweifelsfall das eigene Leben.
    2…..Eine der hässlichen Warnwesten tragen. Seit ich das tue, sehen mich verpennte FußgängerInnen, GeisterradlerInnen und Auto-ChaotInnen wirklich besser. Gut, gegen IgnorantenInnen hilfts nichts…aber eine große Masse ist einfach nur verpeilt, nicht bösartig
    3….JedeR denke über Eigenschutz in Form von Helm nach. Ich kenne alle Pro und Contra Argumente, ich habe mich für Pro entschieden. Berichte aus dem Bekanntenkreis über selbst- oder fremdverschuldete Unfallausgänge lassen die Entscheidung bisher richtig aussehen.

    Ach…und ich unterstütze noch politische Initiativen, die für den Radverkehr arbeiten. Muss auch jedeR individuell schauen was sinnvoll ist.

    1. So sehr ich die Ausführungen nachvollziehen kann, sie nicht in Abrede stellen will und sie bestimmt viel Sinn zur Eigensicherung machen: In einer Umgebung, in der das die Regel für Radfahrer sein muss, möchte ich persönlich nicht Rad fahren. Wie gesagt, das soll keinerlei Kritik sein und ich verstehe die Intention des Posts.

      Aber wieso müssen die schwächeren Verkehrsteilnehmer immer die Fehler der stärkeren ausbügeln? Und das wird politisch und gesellschaftlich hingenommen wie ein Naturereignis. Autofahrer überfährt Fahrradfahrer – was ist die Folge? Wenn es hochkommt, ein Punkt und ein paar Euro für den Verursacher sowie ein neu verlegter Radweg. Das kann es doch nicht sein!

      Ich bin wütend und geschockt. Wütend, weil ich gerade vorgestern angefahren wurde von einem rechtsabbiegenden Auto – es ist glimpflich verlaufen und ich bin dem Autofahrer nicht böse. Mir ist dabei aber erst bewusst geworden, dass das Anfahren von Radfahrern beim Rechtsabbiegen überhaupt nicht gesondert sanktioniert wird. Ohne Unfall wird dafür ja meist überhaupt kein Bußgeld erhoben.

      In meinem Fall galt das als „Abbiegen ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs mit Sachbeschädigung“ und kostet ganze 35 Euro. Generell wiegt „Sachbeschädigung“ immer schwerer als „Gefährdung“. Ich behaupte gar nicht, dass höhere Bußgelder Unfälle verhindern, aber sagt das nicht auch etwas über das (fehlende) Problembewusstsein aus?

      1. @hvhasel: Genau deshalb schrieb ich ja auch über individuelles wie politisches Engagement, um die Situation der RadfahrerInnen generell zu verbessern.
        Ich kanns auch einfach fassen:
        1) Eigensicherung, damit ich nicht tot gefahren werde
        2) parallel und ergänzend dazu Engagement für einen sichereren Radverkehr.

        Ich persönlich bin Mitglied im ADFC, der auf allen politischen Ebenen genau diese Interessen vertritt. Aber das kann auch die kleine unabhängige Bürgerinitiative sein, oder das Engagement in politischen Parteien zum Thema „Radverkehr“, oder den Petitionsausschuss mit Briefen bombardieren oder was auch immer.
        Nur, eben: Das alles kann ich nur tun, wenn ich nicht tot bin.

        1. @Nihilistin
          Die einzig wirklich effektive Eigensicherung wäre doch, gar nicht mehr Rad zu fahren. Das klingt jetzt polemisch, soll es aber gar nicht sein. Ich habe schon genug Autofahrer erlebt – vielleicht lebe ich im falschen Bezirk – die gefährden Radfahrer bewusst. Das einzige, was da kurzfristig nur hilft sind mMn Sanktionen.

          Das mit dem Engagement finde ich sehr gut, es fehlt halt die kritische Masse gegenüber einer übermächtigen Autolobby. Was nicht heißt, das man aufgeben soll – im Gegenteil.

          Aber damit ist der Zirkelschluss der ganzen Problematik deutlich geworden: Keiner möchte gerne Rad fahren, wenn immer die Gefährdung im Mittelpunkt steht (z.B. Helmdebatte). Und keine Mehrheit für bessere Verhältnisse wird sich finden lassen, wenn nur wenige Rad fahren.

          Das zeigen auch die erfolgreichen Beispiele wie Holland oder Dänemark in der umgekehrten Ausprägung.

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