Viele Menschen führen ein Doppelleben. Wie man in so etwas reinrutscht, das konnte ich mir bislang nicht vorstellen.
Seit einigen Wochen jedoch, wächst v.a. samstags- und sonntagmorgens gegen 6 Uhr in mir der Wunsch ein völlig anderer Mensch zu sein.
Ich wäre gerne William MacMoran, der Hausmeister aus den Simpsons oder wahlweise ein mindestens 1,90 Meter großer Kerl mit ein bisschen zu viel Muskeln. Intelligenz wäre mir nicht so wichtig – Hauptsache meine Muskelberge quöllen aus meiner zerschlissenen Kleidung. Ich hätte nur eine durchgehende Augenbraue und vielleicht fehlte mir ein Zahn als Resultat der letzten Schlägerei.
Ich stampfte durch unser Treppenhaus zu meinen bekifften Partynachbarn und schlüge etwas zu temperamentvoll gegen deren Tür, die holzteilespuckend aus den Angeln kippte.
Die Nachbarjungs eilten verschreckt zum Ort des Geschehens und bekämen so eine ordentliche Portion Speichel ab, die mir beim Herumbrüllen aus dem Mund spritze.
Dann schwören sie, nie, nie, nie mehr um diese unmenschliche Uhrzeit diese unsägliche Musik in dieser vermessenen Lautstärke zu hören und hielten sich fortan dran. Als Bekräftigung büken sie mir wöchentlich eine Sachertorte.
Doch – was soll ich sagen – in der Realität schaue ich nur mit traurigen Beagleaugen aus dem Fenster in den Hinterhof und schimpfe leise gegen die Fensterscheibe, während ich peinlichst darauf achte, das bei uns kein Licht brennt, damit die anderen verzweifelten Nachbarn nicht denken, dass der Krach aus unserer Wohnung kommt.