Großes Hallo an jedem Bahnhof. Wir sind ein fahrender Zoo.
Eine sehr vornehme Dame mit leichtem Schlafzimmerblick blickt träge auf, hebt ihren Arm und winkt dann sehr königlich.
Ein paar Meter weiter steht eine Gruppe Jugendlicher in Baggyjeans mit Basecaps. Einige Sekunden schauen sie ziemlich unbeteiligt, aber dann winken sie auch begeistert.
In unserer Lore hebt ein dicklicher Herr ohne Haare seinen Helm zum Gruß.
Wir rollen noch ein Stück weiter, ich sehe die Treppe zur U-Bahn-Station. Einige Mädchen, die gerade herunter kommen, entdecken uns und kreischen vor Freude. Sie lachen schrill, laufen auf den Bahnsteig und wedeln mit ihren Händen.
Allein dafür lohnt es, die U-Bahn Cabrio Tunnel-Tour in Berlin zu machen. In wirklich jedem Bahnhof, in den wir einfahren, lösen wir Überraschung, Freude und überschwängliches Gewinke aus. Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie sich Menschen herzlich lachend zuwinken.
Nicht billig und schwer zu bekommen: Die Tickets
Ich habe fast ein Jahr gebraucht Tickets für diese Fahrt zu ergattern. Alle paar Monate werden einige Tickets online gestellt und sind innerhalb von zwei Tagen vergriffen.
Im Juni hab ich es dann endlich geschafft. Der Preis für die Tour (50 Euro pro Erwachsenen) treibt mir etwas die Tränen in die Augen. Aber ich wollte das unbedingt mal machen.
Tatsächlich „bezahlt“ man von den 50 Euro einen Triebfahrzeugführer, pro Wagon einen Sicherheitsmann, den begeisterten Kommentator, den Einsatz des Sonderwagens, Strom, Diesel, wahrscheinlich irgendwelche wahnwitzigen Versicherungsprämien…
Los geht es am U Bahnhof Deutsche Oper. Die Tour dauert 2,5 Stunden. Wir fahren ca. 20 km/h und legen rund 40 km zurück. Auf der Hälfte der Strecke gibt es eine kurze Pause. Die jetzige Tour verläuft von der U2 über die Tunnel der U7, zur U9, weiter auf der Strecke der U8 und dann zurück über die U7 zum Startbahnhof zurück, der gleichzeitig Endbahnhof ist.
Wir durchkreuzen also Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln. Wir unterqueren (!) die Spree, den Landwehrkanal und die Panke.
Aber ist es wirklich so spannend stundenlang durch dunkle Tunnel zu fahren?
Ja, ist es. Die Komplette Tour über kommentiert ein Moderator, der sowas (und das meine ich sehr freundlich) wie die allwissende Müllhalde der BVG zu sein scheint.
Der Mann scheint tatsächlich alles zu wissen. Er berichtet von Fahrzeugen, Tunnelbauweisen, Streckenverläufen, architektonischen Besonderheiten, Stellwerken, Signalen, Weichen… er weiß historisches zu berichten, kennt Vergleiche aus Peking und San Francisco – es wurde wirklich keine Sekunde langweilig.
Ich fand es sehr spannend zu erfahren, wie U-Bahnen gebaut werden (tatsächlich werden eher Gruben ausgegraben als dass Tunnel gebohrt werden), dass es tatsächlich freigehaltene Trassen gibt, für den zukünftigen U-Bahnbau, wie Beton die letzten Jahrzehnte verbaut wurde, wann welche U-Bahn-Stationen gebaut wurden, warum manche so heruntergekommen aussehen, warum sich die Deckenbauweisen unterschieden, wie sich Politik auf den Bau und die Planung von U-Bahnen auswirkt, wie die U-Bahnen in Zeiten von Ost- und West-Berlin betrieben wurden, wie Fahrten gesteuert werden, welche Probleme es bei unterschiedlichen Schnittstellen gibt, wie tief die einzelnen Linien liegen, dass sie zum Teil unter dem Kanal oder einem See verlaufen, wie schnell U-Bahnen fahren und warum, wie groß die Abstände zwischen einzelnen Stationen es gibt und und und.
Kurz gesagt: Ich fand es so interessant, ich würde am liebsten eine Blogserie oder einen Podcast daraus machen.
Ich finde es wahnsinnig toll diese Details alle zu kennen, denn dann versteht man nämlich erst wie komplex so ein System ist, man lernt als Fahrgast zu verzeihen, dass U-Bahnen ausfallen, dass es gelegentlich Verspätungen oder Verzögerungen gibt.
Was ich bemerkenswert finde ist, dass man in bestimmten Branchen (so z.B. auch bei der Bahn) so viel Begeisterung und Leidenschaft für das Thema bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spürt.
Der Moderator der Tour berichtete z.B. vom Wissensverlust durch Rente. Oft sind solche Systeme historisch gewachsen und das Wissen wird an keiner Stelle systematisch dokumentiert. So bleiben am Ende einige Rätsel, dessen Antwort niemand mehr kennt. Das ist nicht nur schade sondern tatsächlich auch ein wirtschaftlicher Faktor für das Unternehmen.
(Das ist übrigens nicht alleiniges Problem der BVG. Ähnliches ist mir von der Bahn bekannt. Durch extrem lange Betriebszugehörigkeiten – die meisten lieben ihre Jobs da wirklich – die tägliche Arbeit und die Gestaltung der Prozesse bleibt Dokumentation am Ende oft auf der Strecke.
Ich arbeite im Bereich Wissensmanagement, ich weiß wovon ich spreche.)
Jedenfalls, ich bin schwer begeistert und werde das in ein, zwei Jahren bestimmt nochmal machen, denn die jetzige Strecke weicht aufgrund der Bauarbeiten auf der U5 von der urspünglichen Tour ab. D.h. im Grunde gibt es noch eine andere Tour, die man dann machen kann.
tldr: Tut es