Zonenauflösung

All in one – kann man machen, getrennt ist aber besser…

Im sehr lesenswerten Buch „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez bin ich über ein Konzept gestolpert, das mir wieder einmal mehr geholfen hat, bestimmte Dinge zu verstehen. Es geht darum, dass unsere Lebensbereiche räumlich in Zonen aufgeteilt sind und zwar in kommerzielle Zonen, Wohn- und Industriegebiete. Und das hat wiederum Auswirkungen auf die Wahrnehmung persönlicher Zonen je nach Geschlecht. Die persönlichen Zonen von Männern entsprechen den der zuvor beschriebenen Orte. In der einen Zone erwerbsarbeiten sie, in der anderen leben sie und haben Freizeit. Die Zonen sind gut voneinander getrennt: Arbeitswelt und Freizeitwelt überschneiden sich kaum. Auch die Wege sind einfach: sie verlassen ihren Privatbereich (meistens mit einem eigenen Auto[1]) und fahren an ihren Arbeitsplatz. Dort erwerbsarbeiten sie und dann kehren sie zu einer bestimmten Uhrzeit zurück in den Privatbereich und haben Freizeit.

Für die meisten Frauen ist es komplizierter. Sie haben zwar die örtliche Trennung, aber diese spiegelt sich nicht in den persönlichen Aufgaben wider. Egal wo sie sind, sie arbeiten und zwar entweder bezahlt (Erwerbsarbeit) oder eben unbezahlt (Care-Arbeit). Sie haben keine Freizeitzone. Ihre Wege zwischen den beiden Arbeitszonen sind auch andere. Sie fahren nicht mit dem Auto von A nach B, sondern sie gehen oft zu Fuß, nutzen Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel und sind immer irgendwie bepackt. Sie fahren von der Wohnung mit Kindern zum Kindergarten oder zur Schule, von da zur Erwerbsarbeit, von da zum Einkauf und dann mit den Einkäufen wieder in den Kindergarten bzw. die Schule und dann wieder in die Wohnung zurück.[2]

Das alleine fand ich schon erhellend, was das Stresslevel angeht. Denn es ist was anderes, ob man von A nach B fährt oder wie ein Packesel beladen von A nach B nach C nach D und wieder zurück. Ich glaube, sehr oft wenn man als Paar aushandelt Du arbeitest Vollzeit und ich Teilzeit, damit ich mich um unsere Kinder kümmern kann, sind einem diese Details, die man dann automatisch mitbucht, nicht klar.

Mir war z.B. nicht klar welchen Stress es bereitet immer gegen eine unverschiebbare Deadline zu arbeiten. Wenn der Kindergarten um 17 Uhr schließt, dann muss man um 16.45 Uhr da sein. Man bucht also mit der Teilzeitstelle automatisch den ewigen Kampf gegen die Uhr. In jedem Meeting, in dem man sitzt, jedes Telefonat, das zu einer bestimmten Uhrzeit beginnt, jedes „Haben Sie kurz Zeit, Frau Cammarata?“, baut sich dann der Druck auf: Schaffe ich es spätestens um 16.05 loszukommen um dann die S-Bahn zu erwischen? Jedes Stoppen auf freier Strecke bringt einem zum Schwitzen und einen Plan B auszugestalten: Rufe ich die befreundete Mutter an, die hoffentlich noch nicht ihr Kind abgeholt hat, so dass sie meins mitanziehen und kurz auf den Spielplatz mitnehmen kann…

Es stellt eine unfassbare Erleichterung dar, wenn die Kinder so alt sind, dass sie selbst in die Schule und wieder nach Hause gehen können. Aber selbst da arbeitet man immer noch gegen eine weiche Deadline, denn die Kinder brauchen Hilfe mit den Hausaufgaben, wollen zu ihren Sportvereinen oder man muss einkaufen und kochen…

Aber nochmal zurück zu den privaten Zonen. Die subjektive Wahrnehmung der Zonen birgt viel Konfliktpotenzial. Denn wenn man lernt, dass das Zuhause der Freizeitbereich ist, dann verhält man sich natürlich anders als wenn es ein Arbeitsbereich ist. Man fühlt sich weniger zuständig und ist ziemlich gechillt was Dreck und ToDos angeht. Wahrscheinlich ist man sogar immer ein bisschen genervt, dass eine aufgescheuchte, gestresste Frau durch den Freizeitbereich fegt (im wahrsten Sinne des Wortes).

Die Frau auf der anderen Seite arbeitet vor sich hin, übernimmt nach der Erwerbsarbeit die „second shift“, räumt auf, kocht, wäscht Wäsche und kümmert sich um die Kinder [3] und fühlt sich vom Mann immer ein bisschen verlassen, weil der sein Freizeitrecht wahrnimmt, während sie selbst diese Möglichkeit in den eigenen vier Wänden nicht so richtig hat.

(Ich habe dadurch jedenfalls verstanden, warum ich so begeistert joggen gegangen bin, als in meiner Paarbeziehung die Aufgaben noch sehr ungleich verteilt waren und warum ich jetzt gar kein Bedürfnis mehr habe, regelmäßig zu flüchten…)

Corona und die Kontaktsperre haben diese private Zonierung jedenfalls erstmal aufgelöst und das ist wahrscheinlich ein Grund warum Paare durch die Kontaktsperre so unterschiedlich belastet waren. Denn wo im Privaten Care-Arbeiten schon gut aufgeteilt waren, da gab es dann einfach mehr Arbeit für beide Partner. Bei den Paaren, die sich darauf geeinigt haben, dass Care-Arbeit vornehmlich Frauensache ist, da gab es dann wahrscheinlich den paradox erscheinenden Effekt, dass v.a. die Männer sich belastet gefühlt haben. Denn während für viele Frauen einfach ein paar ToDos mehr dazu kamen (noch mehr kochen, Homeschooling mal n-Kinder), war es für Männer wahrscheinlich eine ziemliche Belastung ihre Erwerbsarbeit in ihre Freizeitzone zu legen und dann auch noch ständig die Kinder um sich zu haben, die es mit persönlichen Grenzen ohnehin nicht so genau nehmen (Stichwort Mamamamamamamamamama). Bleibt zu hoffen, dass ein Teil dieser Männer das anstrengende Gefühl der Dauerentgrenzung im Kopf behalten und einige Paare im Lichte dieser neuen Erfahrung Verhandlungen zu einer besseren Aufgabenverteilung aufnehmen.


[1] 71 % der Autos gehören Männern, Männer legen doppelt so häufig Wege mit dem Auto zurück wie Frauen (S. 68, Unsichtbare Frauen)

[2] Ja, Du nicht, nicht alle Männer, nicht alle Frauen, deswegen „die meisten“ und es geht hier um Durchschnittswerte…

[3] Global betrachtet erledigen Frauen dreimal so viel unbezahlte Care-Arbeit wie Männer

207 Gedanken zu „Zonenauflösung“

  1. Vielen Dank, Patricia! Jetzt überlege ich nur, welcher meiner Freundinnen ich diese Gedanken noch „zumuten” kann. Obwohl das einerseits entlasten kann, sich das bewusst zu machen, kostet es doch auch Kraft und Nerven, mit diesem Wissen umzugehen und was zu ändern. Hm. Jedenfalls: Genau! und Danke!!
    Herzliche Grüße
    Rita

  2. Das erklärt für mich einiges.
    Seit 2 J. habe ich auch wieder eine „Workzone“ außer Haus. In der Woche sind die Kinder nach der Schule auch dort. Das stört mich wenig.
    Wenn allerdings ALLE dort sind obwohl sie eigentlich Zuhause sein könnten macht mich das rasend & unausstehlich!

  3. Mmh. Ich habe von Freunden und Kollegen schon gehört, dass sie Homeoffice aktuell super entspannt finden: Arbeitsweg fällt weg und Mittags gibt es leckeres Essen. Da scheint keine Mehrarbeit mit Haushalt und Kindern bei den Vätern anzukommen.

    1. Und die Frau ist auch erwerbstätig? Wow. Bestimmt wundern die sich nach Corona, wenn die Frau Burnout hat und fragen sich, woher das kommt. War doch alles so harmonisch.

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