Aufstand der Würstchen

Würstchen, arme
@Alexas_Fotos Pixabay
Wer lauter schreit, bekommt nicht automatisch mehr Respekt

In meiner Schulzeit hatte ich eine Lehrerin, vor der hatten alle Respekt. Ein Blick von ihr genügte und jedes Gequatsche erstummte. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mal größere Konflikte zwischen ihr und den prototypischen Störern gab oder dass sie mal ihr Gesicht verloren hätte.

Ihre Regeln des Zusammenseins waren klar und fair.

Ich hatte zur gleichen Zeit einen Französischlehrer, der gerne rumschrie.

War das Schreien nicht genug, schlug er die Tür des Lehrerpults energisch zu. Er hat auch mit kleineren Gegenständen wie Kreide nach uns geworfen und viele vor den anderen Schüler:innen bloßgestellt indem er sie zum Weinen brachte und dann noch ekelhafte Sachen kommentierte.

In den höheren Klassen wurde der Unterricht bei ihm immer lauter und der Widerstand in der Klasse größer und einzelne wurden immer wieder aus dem Unterricht rausgeworfen. Am Ende hat ihn niemand mehr respektiert oder Ernst genommen. Im Grunde war es unmöglich überhaupt noch Unterricht zu machen.

Echte Männer sind sehr männlich

Daran musste ich denken, als ich heute den Werbetext „Männer, erobert Eure Männlichkeit zurück!“ las.

Was mir dazu nämlich einfällt ist: Die armen Würstchen. Wirklich. Mein Lehrer und auch der Autor, der dieses Buch „Nie mehr Mister Nice Guy“ und den verlinkten Text geschrieben hat.

(Der letzte Text, den ich verlinkt habe, wurde offline genommen. In höchstem Optimismus auf weitere Löschungen zitiere ich nun die Highlights des Textes.)

Zunächst wird der „Nice Guy“ beschrieben: Ein Mann, der „zu nett, zu nachgiebig, zu wenig selbstbewusst“ ist (tldr, wen es interessiert: Natürlich wie immer, auch 77 Jahre nach dem Tod von Siegmund Freud, ist am Ende irgendwie die Mutter schuld.)

Diese „Nice Guys“ halten sich übrigens für bessere Männer, weil sie glauben,

dass sie weder wütend werden noch ungezügelte Ausbrüche haben,

dass sie nicht gewalttätig sind,

dass sie auf die Bedürfnisse von Frauen achten,

dass sie gute Liebhaber sind,

dass sie gute Väter sind.

Man muss sich das also vorstellen. Es gibt also offenbar eine Art Irrläufer-Mann (Nice Guy!), der

  • seine Gefühle reguliert,
  • nicht gewalttätig ist,
  • auf die Bedürfnisse von Frauen (OMG) achtet,
  • der beim Sex womöglich mehr kann, als ausschließlich seinen Penis zu seinem eigenen Spaß einzusetzen und
  • der an Gleichberechtigung interessiert ist UND
  • in diesem Kontext vielleicht sogar wert auf eine gute Vater-Kind-Beziehung legt und aktiv Carearbeit übernimmt.

Hart, oder?

Ich persönlich kenne gleich mehrere solcher Männer. Muss man sich mal vorstellen.

Offenbar wollten diese verwirrten Männer mit einem bestimmten Typ Mann nichts zu tun haben:

Solange Nice Guys mit anderen Männern nichts zu tun haben wollen oder glauben, dass sie anders als diese sind, entziehen sie sich selbst die vielen positiven Vorteile männlicher Kontakte und die Kraft, die in der Gemeinschaft mit Männern liegt.

Pfui!

Zur Männlichkeit gehören auch Stärke, Disziplin, Mut, Leidenschaft, Durchhaltevermögen und Integrität.

Maskuline Energie steht auch für die Fähigkeit zu Aggression, zerstörerischem Handeln und Brutalität. Diese Merkmale machen Nice Guys – und den meisten Frauen – Angst, weswegen Erstere sich zumeist bemühen, sie zu unterdrücken.

Nochmal PFUI!

Es kommt aber laut Text noch schlimmer:

Eine der sichtbarsten Folgen der Unterdrückung ihrer männlichen Energie ist, dass Nice Guys in ihren Familien nicht die Führungsrolle einnehmen. Aus Angst, ihre Partnerin oder ihren Partner zu verärgern oder wie ihre eigenen kontrollierenden, autoritären oder gewalttätigen Väter zu wirken, übernehmen sie häufig nicht die Führung, wenn es um die Erfüllung der Bedürfnisse ihrer Familie geht

Es muss ja einer die Führung haben! Etwas gemeinschaftlich zu tun, kooperieren und aushandeln? Das kommt natürlich auf keinen Fall in Frage.

Ich kann da wirklich, wirklich nur mitleidig mit den Schultern zucken.

Um Macht zu erhalten, wird gerne mal das Damals™ beschworen

Ich muss da an all die Clebers, Fleischhauers, Oettingers, Martensteins und Matusseks denken, die sich offenbar auf vielen Ebenen ihrer Privilegien und ihrer Macht beraubt sehen.

Es ist wahrscheinlich viel einfacher sich auf die Brust zu trommeln und in so einem Fall zu rufen: „ABER FRÜHER! FRÜHER HAT ES DAS NICHT GEGEBEN! FRÜHER HABEN NOCH ALLE GEHORCHT! DA HAT MICH NIEMAND IN FRAGE GESTELLT! NIEMAND HAT MICH KRITISIERT!!!“ als dass man reflektiert und sich fragt: „Oh, ich verliere an Macht, ich verliere Respekt, ich kann meine Vorstellungen nicht durchsetzen? Huch! Woran liegt das? Hat sich etwa die Welt geändert? Muss ich mich am Ende gar entwickeln. Oh. Das ist aber unbequem.“

Also lieber wieder in die Steinzeit zurück, in der angeblich die Männer noch so sein durften, wie es ihnen in die Gene geschrieben wurde.

Tatsächlich werte ich Bücher und Aufrufe dieser Art zunehmend als positive Zeichen unserer Zeit. Offenbar ist es immer unzeitgemäßer sich wie ein Gorilla zu verhalten und die, die es trotzdem tun, ecken immer mehr an.

Da ist es nur folgerichtig, dass man versucht sich Verbündete zu suchen, dass man versucht besonders laut und aggressiv zu sein, um den Anschein zu erwecken bedrohlich und machtvoll zu sein.

Ich würde da vielleicht am Ende auch einem Männlichkeitskult anheim fallen. Mir gegenderte Gurken reinziehen:

Abends mit meinen Kumpels geballte Action im CineMen Kino anschauen:

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Quelle: Cinestar.de

Nur noch Männersache-Schokolade essen und alle Kochtöpfe wegschmeißen, nur noch blutige Steaks essen, in meiner Garage bei meinem Sportauto leben und mich in meiner Freizeit männlichen Hobbys hingeben wie ähhhh durch den Schlamm robben.

Wird am Ende aber auch nicht helfen, befürchte ich.

Und wer sich nun aufregen möchte, dass ich „arme Würstchen“ sage. Würstchen ist einfach eine saloppe Äußerung, die ich gegenüber Penisträgern in keinster Weise respektlos meine.

Aber was weiß ich denn schon. Ich bin nur eine humorlose, leicht pummelige Feministin.

394 Gedanken zu „Aufstand der Würstchen“

  1. „Offenbar ist es immer unzeitgemäßer sich wie ein Gorilla zu verhalten und die, die es trotzdem tun, ecken immer mehr an.“

    Ohne deine Worte zu sehr mit
    amerikanischer politik vermischen zu wollen, aber da es als aktuelles Beispiel gut passt:

    Angesichts der Tatsache, dass 53% der weissen Frauen für Donald Trump gestimmt haben (http://m.spiegel.de/politik/ausland/a-1121140.html), stelle ich ernsthaft in Frage, ob dieses Gorilla-Verhalten wirklich auf dem Rückzug ist :-(…..

    Die Wahrnehmung von Geschlechterrollen/Bedürfnissen scheint wesentlich schwieriger als gerne angenommen.

    Wo eine Frau nach Fortschritt, Freiheit und Gleichheit strebt, scheint eine andere nach genau diesen männlichen Steinzeitgorillaverhalten zu suchen. Sie sehnt den Schutzpatron, der sie einerseits als Frau gesellschaftspolitisch betrachtet aufwertet, um zugleich ihre Weiblichkeit respektive ihr Menschsein mit Füssen zu treten. Für mich ein kaum auszuhaltendes Paradoxon.

    Und egal wie aufgeklärt wir/unsere Gesellschaft sind/ist – dieses Verhalten straft all jene ab, die progressiv nach vorne streben, die jahrhundertelang manifestierte Rollenbilder aufdröseln (wollen) und sich den Zustand völliger Mensch-Selbstverständlichkeit herbeisehnen.

    Mensch ist nicht Geschlecht, sondern Spezie. Davon scheinen wir immer öfter weiter weg, als man (ich) es glauben möchte.

    Und da helfen auch die wenigen männlichen Genossen (zumeist angesiedelt in Medien, Kultur, Digital-World) nicht darüber hinweg, dass da draussen abermillionen Gorillas unherspazieren und die dazugehörigen Frauen sich bereitwillig dem vermeintlichen Schutz der sexistisch männlichen Sicherheit unterordnen.

    Ein Ausflug nach * (hier beliebige Klein/MittelStadt einsetzen) und den Besuch einer lokalen Kneipe bringt einen schneller auf dem Boden der Tatsachen, als man bis 3 zählen kann. Nein, auf gar keinen Fall möchte ich hier alle über einen Kamm scheren, aber Berlin in seiner Diversität ist nicht repräsentativ für den Zustand der Gleichberechtigung deutschland- oder gar weltweit. Weder real noch in den Köpfen.

    Danke für deinen Text und liebe Grüsse!

  2. Ich hatte gedacht, ich hätte auf „Absenden“ geklickt, als ich gesagt habe, dass ich die Formulierung „Was mir dazu nämlich einfällt ist: Die armen Würstchen. Wirklich. Mein Lehrer und auch der Autor, der dieses Buch „Nie mehr Mister Nice Guy“ und den verlinkten Text geschrieben hat.“ verletzend finde.

    Jetzt wo ich es das zweite Mal versuche, denke ich dass ich es verletzend und sexistisch finde. Das finde ich schade, dass unter die Gürtellinie geschlagen wird.

  3. Ich fühle mich in jedem Fall angegriffen und verletzt durch die Formulierung „Was mir dazu nämlich einfällt ist: Die armen Würstchen. Wirklich.“

  4. Danke für den bereichernden Artikel. Die Gendergurken wären für mich ein Grund, auch das nicht gegenwerte Rotkraut dieser Firma nicht mehr zu kaufen…
    Und dann noch „just my two cents“ zu der Nice-Guy-Thenatik: Wir müssten mal unterscheiden zwischen ….
    1.) …den Männern, die sich „unterwerfen“, weil sie tatsächlich Angst davor haben, dass ihr Leben unendlich viel schwerer wird, wenn sie auf eigene Faust und Verantwortung handeln. Denen sollte tatsächlich Mut gemacht werden, die „Nice-Guy“- Schiene ab und an zu verlassen – nur um Himmels Willen bitte nicht dadurch, dass man nun schlichtweg „männlich“ mit „gewalttätig und aggressiv“ fehlinterpretiert.
    und 2.)… den Männern, die genau wissen, was sie wollen und die aus eigener Überzeugung gut / freundlich / mitfühlend / zu ihren Mitmenschen sind – übrigens ohne dabei an Achtung oder Souveränität zu verlieren. Die würden einen Artikel mit der Überschrift „Nie mehr Mr. Nice Guy“ wohl gar nicht erst lesen. Da steh’n die drüber. Das wären dann wohl die „Wise Guys“ ;-)

  5. Slightly Off-Topic – geht es nur mir so, dass die Berge an „Retweeted von ..“, „Geteilt von …“-Einträgen bei den Kommentaren es echt mühselig machen, nach echten Kommentaren zu suchen? Grade wenn es so viele gibt wie z.B. bei diesem Artikel?

    Viele Grüße,

    DasIch

  6. Das Bild mit den sauren Gurken trifft den Kern des Problems: Eine saure Gurke klebt sich ein blaues Schild drauf, um sich von den mit den roten Schildern abzugrenzen und jammert, dass kein Chili in seinem Essig ist.

    Der Mann ist peinlich …

  7. Pingback: just a thought
  8. Ich hab so einen. Einen, der kocht, die Wäsche macht, mit mir zusammen den Urlaub und die Finanzen plant, der sich um die Kinder kümmert, wenn ich arbeite oder einfach mal meine Ruhe haben möchte. Und natürlich ist seine Mutter schuld. Der ich sehr dankbar für diesen Mann, ihren Sohn bin. Eigentlich müsste sie jedes Jahr an seinem Geburtstag einen Blumenstrauß bekommen, denn ich liebe meine Schwiegermutter!!

  9. Zitat aus dem Welt-Artikel:

    „Ich definiere Männlichkeit als den Anteil des Mannes, der ihn dazu befähigt, als Einzelwesen, Gruppe und Spezies zu überleben.“

    Wenn Männlichkeit das Überleben ermöglicht, wieso fallen die ganzen „Nice Guys“ denn nicht tot um? Und wie pflanzt sich die Spezies des Mannes untereinander fort? Fragen über Fragen…

  10. Seminar für echte Männer
    Fühlen Sie sich von der modernen Welt zunehmend domestiziert? Können Sie es nicht mehr ertragen wie die Supermarktregale ihre ureigene Roheit ignorierenn und Ihnen voller Missachtung Ihrer Jägerinstinkte Lebensmittel ohne körperliche Anstrengung feilbieten? Verzweifeln Sie an den diskriminierenden Gesetzen die kopulationsunwilligen Weibchen körperliche Unversehrtheit zusichern?
    Ihr Martyrium hat nun ein Ende! Nehmen Sie an meinem Seminar teil und lassen Sie sich nie wieder in Ihren Kernkompetenzen untergraben. Gemeinsam mit Gleichgesinnten reisen wir in die Wälder Kanadas und werden dort zehn Tage in einer Höle leben, um zurück zu unserer Urmaskulinität zu finden. Aktivitäten wie: über Schlampen schimpfen, aus Urin Bier brauen und
    ohne Navi durch den Wald werden Ihnen helfen sich von den Femitoxinen zu befreien. Ernähren werden wir uns von Kleinwild das wir mit unseren Penisen zu Tode knüppeln. Verzehren werden wir dieses Roh, denn garen ist ein verfremdung der Natur, den nur verweichlichte Frauenmägen benötigen. Zum Abschluss unseres Seminars werden wir, die so enfesselte Manneskraft bündeln und in Einzelsessions gegen Bären antreten, mit unserem Körper als einzige aber gewaltige Waffe.
    Nach dieser Prüfung ( sofern Sie Überleben (aber das werden Sie, wenn sie würdig sind) sind Sie bereit in die moderne Welt zurückzukehren um diese zu unterwerfen.
    Melden sie sich noch jetzt an und erhalten sie es zum Vorzugspreis von nur 35000 $.

    So könnte sich das Problem von selbst regulieren.
    (Sorry das ist etwas ausgeartet, aber es hat so Spaß gemacht)

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