Mein Vater findet nicht, dass ich streng erzogen wurde. Man muss ja nicht immer einer Meinung mit den Eltern sein. Jedenfalls in Bayern aufgewachsen, durch die gängigen Schulmodelle gelaufen, war ich vor meiner Zeit in Berlin sehr folgsam und obrigkeitsgläubig. Langjährige Freunde meiner Eltern wurden jahrzehntelang gesiezt. Verkehrsregeln aller Art befolgt. Ich stand mal 20 min mit dem Fahrrad um 3 Uhr Nachts in einer menschenleeren Gegend an einer roten Ampel. Den Müll habe ich so vorschriftsmäßig getrennt, dass ich einzelne Packungen in ihre Grundmüllarten zerkleinert habe.
Allen Obrigkeiten wurde unbedingt Folge geleistet.
Dann kam ich nach Berlin.
Meine neuen Freundinnen waren mittelmäßig belustigt über meine Folgsamkeit und alles wurde mit einem Warum sollte man das denn so machen? hinterfragt. Den ganzen Tag musste ich also nachdenken. Warum leise sein? Warum ordentlich in der Schlange anstellen? Warum erst Bier und dann Wein?
Ich musste entdecken, dass es in 80% der Fälle gar keine echten Argumente gab (oder zumindest, dass sich kaum einer an die ursprüngliche Argumentation erinnerte).
Zu allererst trennte ich mich von den „weil man das eben so macht/nicht macht“-Situationen. Am Spielplatz ließ ich mich kopfüber vom Klettergerüst hängen OBWOHL ich schon erwachsen war. Dann brach ich die kleinen Regeln. Ich setzte mich beispielsweise todesmutig auf einen freien Sitz im leeren Kino – obwohl es nicht der Platz war, der auf meiner Eintrittskarte stand. Dann bog ich mir die „echten“ Regeln bei Bedarf zurecht. Ich fuhr ohne Licht Fahrrad wenn es bei einem Besuch später geworden war, als eigentlich geplant oder aß schon beim Einkaufen das halbe Brötchen, welches ich erst an der Kasse zahlte.
So ging das immer weiter.
Heute habe ich große Probleme überhaupt irgendeine Regel zu befolgen wenn sie mir nicht sinnvoll erscheint.
Neulich z.B. gab es ein Sportfest bei den Kindern. Die Halle war riesengroß, die Aktivität fand in einem großen Kreis statt und gut die Hälfte der Halle war frei. Dennoch wollten die Veranstalter dass die Eltern auf die Zuschauerränge gingen.
Es fiel mir wirklich schwer, diese Vorgabe zu befolgen. Ich wollte unten sein, weil man von hier besser zuschauen und bessere Bilder machen konnte. Das jüngste Kind hätte sich in den engen Reihen nicht mit stillsitzen quälen müssen und überhaupt!
Brav wechselte ich in den Rang.
Situationen wie diese erlebe ich ungefähr zehn Mal am Tag und in den allermeisten Fällen füge ich mich.
Manchmal aber ist es unglaublich schwer. Zum Beispiel dann, wenn meine Kinder sich in einer ähnlichen Situation befinden und jemand anderes etwas von ihnen möchte, das ich für schwachsinnig halte.
Leider halte ich fast alles im Schul- und/oder Hortkontext für äh sagen wir fragwürdig.
Die Essensregeln zum Beispiel. Jedes Kind muss eine ganze Portion mit allen Essenselementen nehmen. Auch wenn das Kind weiß, dass es beispielsweise keinen Fisch mag. Dann muss das Kind ein bißchen probieren und darf dann sagen: Das schmeckt mir nicht. Wenn die Erzieherin das registriert hat, darf das Kind das Essen wegwerfen.
Beim Essen wird nicht gesprochen. Die Hand, die nicht isst, hat auf dem Tisch zu liegen.
Mir fallen aus den unterschiedlichen Schulen noch viele Beispiele ein.
Das mögen Beipsiele sein, wie beschrieben, bei denen ich denke, dass einige sagen werden: Das ist nicht zeitgemäß oder wenigstens Das ist unnötige Verschwendung von wertvollem Essen.
Aber in mir hegt sich auch der Widerstand gegen Themen wie Hausaufgaben. Warum sollte es die überhaupt geben die ersten Jahre. Die Kinder haben fast täglich 6 Stunden Unterricht. Reicht das nicht? Ich habe das Gefühl, dass die Hausaufgaben oft ein Stück Unterrichtsversäumnis der LehrerInnen aufholen sollen.
So berichten meine Kinder mir täglich Dinge, mit denen sie nicht gut zurecht kommen oder die sie unter Druck setzen und ich bin dann in der Zwickmühle. Meinen Kindern gestehen: Ich finde das auch! Du hast völlig Recht! oder schweigend zuhören und einfach nur Beistand geben (Ich verstehe, dass Dir das nicht gefällt).
Meine Lehrer konnten mir hervorragend mit WENN DU XY NICHT MACHST, DANN WERDE ICH DAS DEINEN ELTEN SAGEN drohen.
Ich kenne aber auch (erwachsene) Kinder, die gegen solche Drohungen immun waren, weil sie wussten, dass in so einem Fall der Lehrer am Ende eine lange Diskussion mit den Eltern über sich ergehen lassen musste, die darin endete, dass die Eltern als Hippies oder Laissez Faire Eltern kategorisiert wurden und man sich zwar weiterhin kopfschüttelnd über das Kind ärgerte, aber im Grunde machtlos war.
Im Moment versuche ich einen Mittelweg zu gehen und kommentiere vieles, das ich im Grunde für falsch oder übertrieben halte nicht.
Aber ich merke, wie es immer schwieriger für mich wird.
Und wenn ich mir meine Freunde anschaue, deren Eltern kaum Regeln befolgt haben und das mit mir vergleiche, dann muss ich feststellen, dass sich deren Selbstbewusstsein weitaus besser als meins entwickelt hat. Außerdem ist ihr Verhältnis zu den Eltern deutlich wärmer. Tatsächlich fügen sie sich aber nicht so leicht in fest vorgegebene Strukturen. In einem hierachrischcen Konzern zu arbeiten, wäre für sie undenkbar.
Infwiefern meine Beobachtungen und Rückschlüsse in irgendeiner Form representativ sind, ist natürlich fraglich.
Was mich angeht, ich fühle mich ganz wohl damit, dass ich in der Zwischenzeit die Fähigkeit besitze, um 3 Uhr nachts über eine rote Ampel zu gehen, wenn weit und breit kein Auto kommt.
Mir kommt das so bekannt vor, das Leben nach Regeln und gesellschaftlichen Konventionen. Ich bin auch stark danach erzogen worden – „was-würden-denn-die-anderen-denken“ hat es bei uns intravenös mit der Muttermilch gegeben. Das ist nicht so einfach wieder loszuwerden. Ich arbeite auch daran und versuche mich mehr und mehr davon zu befreien. Es geht ganz gut, rote Ampeln nicht zu beachten. Schwerer fällt es mir, Entscheidungen zu treffen, die andere nicht nachvollziehen können oder sie gar zu enttäuschen. Ich habe auch noch nicht DAS Rezept gefunden, außer mir immer wieder zu sagen, dass ich auf meine innere Stimme hören will. Leichter gesagt, als getan. Jedenfalls sind wir damit in guter Gesellschaft, denke ich… Liebe Grüße Judith PS: ich bin in Vorarlberg, im Westen Österreichs aufgewachsen und lebe heute auch hier – konservativ hoch 5 ;-) aber schöne Landschaft :-)
Love it!!! Komme zwar nicht aus Bayern, aber musste mir mein „Regelnbiegen /-brechen“ auch in jahrelanger Kleinarbeit mühsam erarbeiten. Nun habe ich seit ein paar Tagen einen Erstklässler zu Hause und finde mich in Situationen wieder, in denen ich denke, „so’n Quatsch, das machen wir anders“… Bin gespannt und hoffe auch auf den Mittelweg und auf die Cleverness meines Sohnes, der mich und meine Grundsätze (was ist wichtig, was nicht) ja nun auch schon ein Weilchen kennt…
Die Drohung „Wenn Du… dann erzähle ich es Deinen Eltern“ hat bei mir nie funktioniert: Meine Eltern standen einfach erstmal hinter mir. Aber nicht im „neueren“ Sinne, dass sie bei Lehrern anriefen und sich über alles beschwerten. Aber ich durfte immer meine Sicht der Dinge erzählen und daraus haben sich meine Eltern ihre Meinung gebildet.
Ich habe viele Regeln (zum Beispiel auch deutlich mehr als mein großer Bruder) erfahren. Aber keine starren Regeln gegen die ich mich auflehnen musste, sondern die ich diskutieren durfte. Das hat mir geholfen Regeln zu akzeptieren.
Zum Beispiel war es für mich nie ein Problem, dass sich meine Eltern bzgl. der Ausgehfrage an rechtliche Vorgaben hielten. Bis 16 Jahre nur bis 22 Uhr raus, danach bis 24 Uhr. Zum einen weil die Regel nicht starr war und zum an deren, weil ich wusste, warum und dass die Regel nicht bis in alle Ewigkeit galt.
Bei der Erziehung des Kindes hinterfragen wir viele Regeln, die wir mitbekommen haben oder die von außen an uns herangetragen werden, ob wir sie einführen (müssen), weil sie erforderlich sind oder nur, weil sie tradiert sind. Regeln, die der Sicherheit dienen, sind unumstößlich. Und sie werden dem Kind auch so erklärt. Aber zum Beispiel richte ich mich nicht nach der Allgemeinheit, wenn es darum geht, wieviel DVD oder Spiele-Apps das Kind konsumieren darf. Oder auch, wann das Kind im Bett sein muss.
Das Kinder immer auch Regeln lernen müssen die es so zu Hause nicht gibt, ich denke nicht das es schadet. Kinder verstehen diese Unterschiede sehr gut. Und Kinder brechen alle Regeln irgendwann – egal ob die Regeln ihrer Eltern oder die ‚der Anderen‘. Und genau so muss das sein!
In einer Kindergartengruppe oder in einer Schulklasse sind grob geschätzt zwischen 20 und 30 Kinder untergebracht. Daran hängen dann bis zu 60 Elternteile und diese haben sicher alle ihre eigenen Vorstellungen von der richtigen Erziehung und den dabei anzuwendenden Methoden. Wendet man das aus der Mathematik bekannte Geburtstagsparadoxon sinngemäß (und zugegeben etwas entstellt) auf diese Situation an, wird es durchaus einzelne Positionen geben, die sich decken, aber in vielen Fällen wird man durchaus extrem abweichende und nicht in Einklang zu bringende Einstellungen der Eltern finden.
Stellen Sie sich nun einmal vor, alle diese 60 Personen würden nun mehrmals pro Woche, vielleicht sogar einmal am Tag die Regeln des Kindergartens oder der Schule gegenüber Erziehern und Lehrern „hinterfragen“ oder „kritisieren“. Was soll denn nun daraus machen? Das kann nur in eine endlose Diskussion ausarten. Nur selten wird man eine für alle einvernehmliche Lösung finden.
Ihre Vergleich hinken nämlich: Während Sie vor der nächtlichen roten Ampel ganz allein standen, sind Ihre Kinder in Kindergarten und Schule in Gemeinschaft mit anderen. Warum sollen da nur Ihre Regeln gelten?
Im Kindergarten und in der Schule gelten die dort vorgegebenen Hausregeln. In Ihrem Haus gelten die Regeln von Ihrer Frau und Ihnen. An die hätte ich mich als (imaginärer) Gast in Ihrem Haus ja auch zu halten. Ihre Regeln zu hinterfragen stünde mir dabei natürlich weiterhin frei, aber ich wette, dass weder Ihre Frau noch Sie Lust hätten, über jede Ihrer Regeln zu diskutieren, nur weil diese mehr oder weniger von meinen Vorstellungen abweichen.
Nächtliche rote Ampeln in Grossstädten sollte man nicht unterschätzen: Auch ich fuhr mal in einer arschkalten Winternacht mit dem Fahrrad über eine rote Ampel weil ich es nicht einsah an einer bis auf mich absolut menschenleeren Kreuzung zu warten. Prompt erschien eine Polizeistreife (vermutlich aus dem Hyperraum) und verwarnte mich kostenpflichtig.
Was lernt man daraus: Regeln sind dazu da um auch mal gebrochen zu werden und man darf alles – ausser sich erwischen lassen.
Bevor mir noch mehr Menschen erklären warum Hausaufgaben aus ihrer Sicht wichtig sind: Ich habe dazu geschrieben „vor allem die ersten Jahre“. Ich finde es einen Unterschied, ob ein Kind in der 1. Klasse oder in der 7. Klasse Hausaufgaben machen soll.
Und ob die zu erledigen sind, wenn man das Kind berufsbedingt um 17 Uhr abholt oder ob das Kind fröhlich nach einem Mittagessen und ein bisschen Freizeit Hausaufgaben macht.
Alle anderen Ausführungen zum Thema Lernpsychologie und Entwicklungspsychologie verkneife ich mir.
Jupp, es ist einfach ein Unterschied, wann die Hausaufgaben gemacht werden (können). Und gerade in den ersten Klassen, sind doch die Hausaufgaben nicht möglich, ohne, dass da jemand dahinter steht und dem Kinde erklärt, was es da zu machen hat. Wenn das aber Mama und Papa nach 8h Arbeit noch leisten sollen, das Kind vom Tag eigentlich schon geschafft ist und das Abendbrot gleich ruft und dann das Bett, dann sind Hausaufgaben kontraproduktiv, vergnatzen sie dem Kind die Lernfreude. Da bin ich auch immer am Hinterfragen, was dann das Ausmalen von Kästchen, das benotete Basteln, was eh nicht ohne Eltern zu einer guten Zensur führt, und das farbige Unterstreichen von Buchstaben und Worten bringen soll. Was ich meinem Kinde auf die Frage, „Muss das jetzt sein? Und warum?“, antworte, ist auch eher ein Abwegen, wie weit ich gehen kann, um den Lehrer nicht bloß zu stellen und dem Kind doch nicht allen Lernwillen auszutreiben, frei nach dem Motto: „Das muss jetzt einfach, weil es so ist. Punkt!“
Im Spannungsfeld von Regeln und was sie für vor und Nachteile haben, warum man sie einhalten sollte und welche man brechen bzw ganz verwerfen kann, kann ich meinen Kindern wirklich nur im Laufe der Zeit Regeln geben, wie sie damit umzugehen haben. Hinterfragen von Regeln ist so eine Regel. Sich als Mama/Papa da auch auf argumentativen Austausch einzulassen ist dann aber auch eine echte Herausforderung. … hatte ich schon erwähnt, dass das abends um 20:00 grenzwertig ist?
Hm, aus dem Bauch heraus (i. Ggsatz zu Lernpsychologie und Entwicklungspsychologie, von denen ich keine Ahnung habe) denke ich, dass die Wiederholung des Stoffes in Form von Hausaufgaben gerade in den ersten Jahren besonders wichtig wäre, weil man die basalen Dinge wie Schreiben, Lesen, erstes Rechnen weniger durch intellektuelles Erfassen als durch ständige Wiederholung internalisiert, da sie sich nicht von anderen Dingen ableiten lassen. Allerdings hat meine Tochter gerade ihre dritte Woche der ersten Klasse rum, daher denke ich vielleicht zu sehr an diese Dinge und weniger an Stoff der vierten Klasse.
PS: was die Zeit der HAusarbeiten angeht, hast Du recht.
Zum Thema Hausaufgaben habe ich eine etwas andere Meinung. Ich denke, dass es von Kindern auch erlernt werden muss, sich einem Thema alleine, in Ruhe und konzentriert zu nähern. Auch Lernen will gelernt sein. Ob das durch die Art der Hausaufgaben unterstützt wird, kann ich nicht beurteilen. Aber diese Art des Lernens (Problemstellungen außerhalb des schulichen Umfelds alleine zu lösen und das in d Schule erfahrene anzuwenden) von Beginn an zu schulen finde ich richtig.
tolles mini-essay mal wieder! gerne gelesen, thx. berührt richtigerweise eine menge von brisanten themen, daher wird es einige kommentierende stimmen hier wieder mal gänzlich überfordern :)
Genau solche Eltern wie du sind das, die in wenigen Jahren dem Lehrer mit dem Anwalt drohen, wenn er ihren Kindern nicht die Noten gibt, die sie ihrer Meinung nach verdienen! Weil sie nicht mit Regeln können!
Das Ironietag! Das Ironietag! Nach all dem Gehacke auf meiner sensiblen Seele erkenne ich das doch nicht mehr.
ist es nicht wunderbar, dass wir Mauern einreissen können – auch in uns – und neue Freiheiten ans Licht kommen. Was für eine tolle Entwicklung – es wäre doch schlimm, wenn man immer noch in diesen starren Regeln gefangen wäre.
Ich glaube, für Regeln gilt nicht nur, dass man sie überprüfen können muss auf ihre Sinnhaftigkeit , sondern auch auf ihr jeweiliges Umfeld.
Was zuhause gilt, Unterhaltung am Tisch beim Essen, Essen übrig lassen für später, lässt sich nicht auf gößere Gruppen von Kindern übertragen.
Kinder stecken sich gegenseitig an mit ihrer Hibbeligkeit, Stimmungen können unglaublich schnell umschlagen. Wenn eines laut schreit, bäh, sieht das ekelig aus, nur so zum Spaß, essen plötzlich alle anderen nichts mehr. Und finden auch alles bäh.
Erwachsene sind Vorbilder, wenn sie sich nicht an Regeln halten, tun die Kinder es auch nicht. Zuhause mag das kein großes Problem sein, sogar witzig rüberkommen.
Wenn aber in der Schule jeder seine Abfälle fallen lässt, da wo er steht, Tische bemalt, die Spülung nicht betätigt, ist eine Schule innerhalb von ein paar Tagen zugemüllt.
Ich heb doch nicht das Zeugs von anderen auf, das höre ich, wenn ich den Klassenraum aufräumen lasse. Phhh, wofür haben wir Putzfrauen, sowas kommt immer.
Hausaufgaben sind Übungen, Rechenübungen, Schreibübungen, manche Kinder sind ganz schnell, manche brauchen sehr lange für alles. In den Schulstunden ist das nur teilweise leistbar.
Kinder begreifen schnell, dass es zuhause andere Regeln gibt als in der Schule.
Wenn sie aber zuhause hören, dass die Regeln für die Gruppe blöd sind, sinnlos, tragen sie dazu bei, dass die Ruhe, das rücksichtsvolle Verhalten in der großen Gruppe nicht mehr herzustellen sind. Der Respekt geht verloren.
Das macht das Leben der Lehrer immer schwerer.
Ansonsten wollte ich übrigens mal sagen, dass ich mich sehr über die ganzen Kommentare freue. Denn tatsächlich geben sie mir (teilweise) neue Denkanstöße (z.B. Stichwort Geduld und/oder Demut)
Und nochmal zu dem konkreten Beispielen. Ich bin ja nun auch durchschnittlich (mindestens) intelligent und kann mir logisch erschließen warum es diese Regeln gibt.
Einzig die Sache mit dem Essen, die gefällt mir persönlich nicht, was nicht heißt, dass ich irgendein Kind dazu animiere sich gegen die Regel aufzulehnen.
Ich weiss dass die Regel „Sprich nicht beim Essen“, ermöglicht, dass 30 oder mehr Kinder innerhalb eines überschaubaren Zeitraums (ich schätze 20 min) ein Mittagessen essen können.
Dennoch. In allen Erzeihungsratgabern wird das gemeinsame Essen immer als ein möglicher zentraler Punkt im Familienleben dargestellt. Ein Zeitraum indem alle gemeinsam essen und sich austauschen.
Ich persönlich würde mir wünschen, dass man den Kindern in der Schule mehr Platz zum gemeinschaftlichen Austausch gibt. Ich kenne auch nicht die perfekte Lösung. Zeitversetzt in kleineren Gruppen essen? Die Zeiträume fürs Mittagessen verlängern? Ich weiß es nicht – aber ich denke, es gibt Wege das schöner zu gestalten.
ICH möchte jedenfalls keine 20 minütige Mittagspause, in der ich nicht mit meinen Kolleginnen sprechen darf. Ganz ehrlich nicht.
Da gibt es Lösungen
Bei uns in der Schule wird in 2 Gruppen gegessen, erst die Kleinen dann die Großen. Wir haben versucht große Runden zu bilden so das alle zusammen an einer Tafel sitzen und essen konnten. Das ist tatsächlich an der großen Lautstärke gescheitert. Da half auch keine Lärmampel oder sonstiges.
Jetzt gibt es zwischen 4 und 8 Plätze am Tisch. an den größeren Tischen sitzt immer ein Erzieher mit und isst auch. Tischgespräche sind erwünscht und werden gefördert damit auch die Kinder die ersten Erlebnisse des Schulalltages verarbeiten können. Dann fällt ihnen das Hausaufgaben machen auch leichter. Man freut sich mit über das toll gebastelte, die gute Note oder tröstet weil etwas verschwunden ist oder nicht geklappt hat. Da merkt man dann auch wie wichtig die Kommunikation ist unter und mit den Kindern.
Aber es ist Arbeit und bedarf einer gewissen Menge an Toleranz gegenüber der Lautstärke. Das ist schon klar.
Auch bei uns gibt es die Regel das alles probiert wird was Kind nicht kennt, aber ein Kind das keinen Fisch mag muss ihn auch nicht auf den Teller tun.
Was tatsächlich ein Problem ist das, “ ih wie eklig, mag ich nicht „.
Aber das hat man überall und das ist halt auch Leben. Das kannst du in einer Schule sicher nicht dadurch ausblenden das die Kinder schweigen müssen und da bin ich ganz bei Ihnen.
Welch schreckliche Vorstellung beim Mittagessen schweigen zu müssen.
Claudia
Ich kann Dich gut verstehen, der Austausch am Essenstisch ist für mich auch enorm wichtig. Abgesehen von Klöstern kenne ich auch keine Institution, die „Ruhe am Mittagstisch“ als Regel durchsetzt, ich glaube nicht, dass das für Schulen repräsentativ ist. Allerdings finde ich die Idee echt nicht schlecht – der Lärmpegel von einem Raum voll Kindern kann SO hoch sein, besonders wenn des um kleine Prinzen und Prinzessinnen geht, die von Zuhause aus nicht gelernt haben, sich leise zu unterhalten. Oder sie nehmen sich nur innerhalb ihrer Gruppe wahr, und da alle laut sind, sind sie auch laut (oder noch lauter als die anderen, um sie zu überschreien). Das Ergebnis ist die Ungemütlichkeit eines Kantinentischs direkt neben einem startenden Düsenjet. Das irgendwie differenziert handzuhaben (Kinder dürfen selbstverständlich reden, aber leise), scheint mir schwierig, deshalb wahrscheinlich die Mucksmäuschenstill-Regel. Ich glaube aber nicht, dass das letztlich Nachteile hat – es ist auch gut, mal zu lernen, dass man nicht überall die Nummer eins ist, die genau immer das tun kann, wozu sie grade Lust hat, in jeder beliebigen Lautstärke.
Das Bundesland, wo jemand herkommt und nach Berlin zieht, ist wohl egal – aus aller Herren Länder wird es den Leuten in Berlin regelloser erscheinen. – Wenn ich gerade mal wieder fast von einem rasenden Radfahrer auf dem Bürgersteig um Haaresbreite angefahren wurde, weil ich ihn nicht kommen hörte, frage ich manchmal, ob diese „Regellosigkeit“ immer nur gut ist. – In jungen Jahren hat sie mich weniger gestört als heute.
Ich bin ganz und gar gegen Regellosigkeit. Ich habe versucht im Artikel zu schildern, dass es in Bezug auf die Kinder einen inneren Konflikt gibt, weil mir z.B. bewusst ist, dass viele Regeln erstmal gelernt werden müssen.
Auch wenn das vielleicht im Artikel anders rüber kommt (was ich aber eigentlich nicht hoffe – aus den Kommentaren aber erahne) mir ist das gesellschaftliche Miteinander sehr wichtig. Jeder soll seinen Platz haben, es soll Regeln geben, die das Miteinander erleichtern.
Es soll aber auch die Möglichkeit geben, Regeln zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Gesellschaft ändert sich – also müssen sich Regeln auch gesamthaft ändern UND ich bin sehr für eine situative Anpassung (Bsp. Ampel. Wenn Kinder dabei sind, bleibe ich natürlich IMMER stehen. Genauso wie ich IMMER einen Helm trage beim Fahrrad fahren etc.)
Das ist ein interessantes Thema. Ich finde Regeln nicht prinzipiell schlecht, weil sie das Leben vereinfachen. Man muss nicht ständig über alles nachdenken und alles immer wieder neu verhandeln. Deshalb habe ich ein Problem mit dem „fröhlichen Regelbrechen“, wenn es zum Prinzip wird, beziehungsweise Regeln aus rein egoistischen Gründen gebrochen werden, nach dem Motto „Ich finde diese Regel zwar prinzipiell gut, habe aber momentan keine Lust, mich daran zu halten, weil es für mich unbequem ist.“ Das Beispiel mit den roten Ampeln ist da natürlich das Paradebeispiel schlechthin. Die Kunst besteht sozusagen darin, Regeln dann zu brechen, wenn es im Sinne des allgemeinen guten Lebens ist, also dann, wenn es schlechte Regeln sind. Und es ist nicht leicht, beides auseinander zu halten, weil wir Menschen ja leicht dazu tendieren, unsere jeweiligen persönlichen Vorlieben und Interessen mit dem allgemeinen Guten zu verwechseln. Und gerade bei Kindern ist das nochmal komplizierter, weil viele Regeln ja auch zu ihrem Schutz sind, die roten Ampeln zum Beispiel. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich der antiautoritäre Impuls des Protestes gegen unsinnige Regeln heute zuweilen umschlägt in einen Gestus der Überlegenheit nach dem Motto „Regeln gelten für mich nicht“ oder „An Regeln halte ich mich nur, wenn eine unmittelbare Strafe droht.“ Beispiel Steuerhinterziehung oder Müll einfach auf die Straße werfen. Das ist für eine Gesellschaft aber auch nicht gut. Simone Weil war der Meinung, dass man erst dann, wenn es einer persönlich überhaupt nichts ausmacht, sich an Regeln zu halten, in der Lage ist, schädliche Regeln zu erkennen. Ich selber übe das manchmal, zum Beispiel zwinge ich mich dazu, an einer roten Ampel stehen zu bleiben, auch wenn gerade kein Auto kommt, sozusagen eine Übung in Demut. Damit ich sicher bin, dass meine Regelbrüche nicht bloß egoistisch motiviert sind. Allerdings komme ich aus der anderen Richtung als du, nämlich der, dass ich Regeln früher prinzipiell nicht akzeptiert habe. Wie bei so vielem gilt vermutlich auch hier: Das Gegenteil ist genauso falsch.
Mit Deinem Motto hast Du natürlich recht. Tatsächlich gefällt mir Dein Einwurf zum Thema Demut auch sehr gut.
Demut üben tut so manchem Menschen gut – mich natürlich eingeschlossen.
Vielleicht könnte eine Verbesserung sein, sich mehr auf den eigentlich Sinn der Regeln zu konzentrieren und sie zu erklären oder zu erfragen?
Fällt das schwer, macht sie vielleicht wirklich keinen Sinn. Erkennt man aber den ursprünglichen Sinn, vereinfacht das die Auslegung und verstärkt hoffentlich Verständnis und Geduld.
Beispiel rote Ampel: Eigentlicher Sinn ist Effizienz und Sicherheit. Somit:
Mitten in der Nacht wenn keiner kommt, warum nicht einfach drüber gehen?
Aber tagsüber im Feierabendverkehr oder wenn kleine Kinder neben mir stehen? Besser nicht.
@nk:
ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade die regelhörigen Menschen die Arschlöcher sind. Denn diese reden sich immer darauf heraus, dass sie ja alles korrekt gemacht hätten. Da geht meiner Meinung nach alle Verantwortung für die eigenen Entscheidungen verloren.
Ich lasse gerne alle Menschen mit winzigem Einkauf in der Hand an der Kassenschlange vor, weil mein Einkaufswagen meist recht voll ist, obwohl ich an der Reihe wäre ;)
Gutes Buch zum Thema: Das Drama des begabten Kindes von Alice Miller.
Das Drama des begabten Kindes finde ich zu diesem Thema auch sehr lesenswert. Zu empfehlen ist auch das hier: Weiblicher Narzissmus von Bärbel Wardetzki.
Ich bin eines der Kinder, das ohne solche Regeln aufgewachsen ist.
Und als ich das letzte mal Nachts um 3.00 Uhr über eine rote Fussgängerampel in einem sehr einsamen Stadtviertel an einer popelig kleinen Seitenstrasse gegangen bin, hatte ich wahnsinnige Kopfschmerzen und kam grad von der Notapotheke mit den erlösenden Tabletten. Es war kein Mensch da. Ich ging nach einem kurzen Zögern los und prompt kamen zwei Polizeibeamte um die Ecke und haben mir eine Moralpredigt gehalten ;)
– Turnhalle –
wurde ja bereits erklärt.
– Hausaufgaben –
ermöglichen den Lernstoff erneut zu reflektieren, in eigenem Tempo evtl. Defizite auszugleichen und fördert selbständige Arbeit.
– Ruhe beim Essen –
schafft erstens eine entspannte Grundstimmung. Es ist erwiesen, dass schnelles Herunterschlingen und Stress ungesund sind. Gerade an einem Tisch kann ein Kind, dem es zu laut ist, nicht ausweichen. Ruhe ermöglicht den „Erziehern“ einen Überblick zu behalten, ob jedes Kind ausreichend gegessen hat. Drittens (eigene Erfahrung) nutzen Langsam-Esser jede Ablenkung um etwas anderes zu tun als zu essen (Reden, Spielen, Herumgucken). Das bedeutet, Tischsitten vorausgesetzt, dass dann hinterher alle Kinder ne halbe Stunde am Tisch warten müssen, bis mal „aufgegessen“ wurde.
Womit wir beim Kernpunkt wären: Für die meisten genannten Dinge gibt es ein sehr gutes Kernargument: Es lehrt Menschen Geduld zu haben. Geduld und Rücksicht auf andere sind IMHO die „Tugenden“, die heute am meisten verloren gegangen sind. Menschen müssen über die rote Ampel gehen, weil 15 Sekunden Warten verlorene Lebenszeit für sie sind. Sie müssen am Tisch reden, Ihr Handy bedienen und Essen gleichzeitig aus dem selben Grund. Sie müssen in die Bahn steigen, bevor die anderen ausgestiegen sind („sonst sind ja die Plätze weg“). Sie müssen im Supermarkt essen, weil sie soooo großen Hunger haben, dass sie es bis zur Kasse nicht erwarten können (ja, bringt das mal Euren Kindern bei..) und dann am besten an der Kasse fragen ob sie vor dürfen (der andere hat ja schließlich nen ganzen Wagen voll). Sorry, in so einer idiotischen Gesellschaft, wo das genereller Usus ist, will ich nicht leben.
Ich proklamiere hier nicht die Spießigkeit und schon gar nicht Hörigkeit vor dem Staat, aber die meisten angesprochenen Punkte haben gesellschaftlich halt einen Sinn – sie fördern den rücksichtsvollen Umgang miteinander: der Autofahrer, der wegen einem Rote-Ampel-Idioten in die Eisen steigen muss, die Kassiererin, die an der Kasse Eure Glibbereispackung einscannen muss und der Hausmeister, der nach dem Event aus dem Hallenparkett die Kratzer rauspoliert, haben nämlich auch ein Recht auf ein Arschloch-freies Leben.
Ich wünsche „Arschloch“-freie Kommentare. Schön die Gründe für Regeln verargumentieren und sich am Ende mit einer Gemeinheit rauskatapultieren.
*flonk …
thumbs up!
Mittelweg, wie am Ende angesprochen, finde ich immer eine Gute Lösung.
Der Sinn vieler Regeln ergibt sich ja auch oft erst aus Sicht der Gemeinschaft.
Z.B. wie hier auch durch die Kommentare klar wird, das Beispiel mit dem Reden beim Essen: Für den einzelnen mag das nicht nötig sein, aber für die Gruppe als ganzes dann vielleicht doch, da manche Kinder die Ruhe brauchen um überhaupt den Teller leer zu bekommen? Oder vielleicht auch weil sonst allgmein der Geräuschpegel regelmäßig ausser Kontrolle geraten würde?
Aber trotzdem lässt sich natürlich diskutieren ob es nicht einen Mittelweg gäbe?
Oder das Beispiel mit der Turnhalle. Nur du mit deinem Kind, sicher kein Problem. Aber dann wollen 30 andere Eltern auch, drei von denen lassen ihre dreckigen Schuhe an, ein Kind verteilt Schokokekse großflächig auf dem Boden und zwei Heranwachsende fangen an zu bolzen.
Aus solchen Erfahrungen wird dann leider gesagt, alle Eltern auf die Ränge.
Aber gerade in solchen Fällen finde ich es immer sehr schade, das für eine kleine Anzahl an Menschen, die sonst die Grenzen nicht finden, alle reglementiert werden.
Zu den Hausaufgaben:
1) Zum einen werden Hausaufgaben gemacht, damit das Wissen vertieft wird. Wer den Stoff morgens in der Schule hört und dann später nicht noch mal wenigstens kurz anschaut, hat das meiste am nächsten Tag schon wieder vergessen.
2) Mit Hausaufgaben lernen Kinder selbständig Aufgaben regelmäßig zu erledigen, eine Eigenschaft die im Erwachsenenleben ungeheuer wichtig ist.
zu 1) wieviel von dem während der Schulzeit auf diese Weise auswendig gelernten kannst Du heute noch wiedergeben? Ehrlich?
zu 2) selbständig, ja? und selbständig ist, wenn die Lehrperson den Erziehungsberechtigten sagt, sie sollen dafür sorgen, dass die Kinder die HA erledigen? die hier genannte Fähigkeit kann man auf andere Weise wesentlich effizienter verinnerlichen, z.b. mit einer Tätigkeit, die wirklich etwas zählt statt mit etwas, was man nur für die nächste Klausur benötigt und dann nie wieder.
Zwischen Auswendiglernen und Üben (durch Wiederholung) gibt es einen Unterschied. Viele Sachen, die man als Erwachsener routiniert kann, hat man durch Üben in der Schule gelernt. Wer nicht ständig irgendwas liest und damit Lesen übt, wird nie gut lesen können. Kein Musikinstrument kann ohne Wiederholung gelernt werden.
Es kommt darauf an. Wenn man den Stoff bereits in der Schule verstanden hat, dann ist es eine Quälerei, den ganzen Kram zuhause nochmal abzuarbeiten.
Wer es noch nicht so ganz verstanden hat, für den ist Übung vielleicht ganz gut.
Womit sich die Frage stellt, warum es viele Schulen nicht schaffen, den Stoff derart plausibel zu machen, daß es auch die Schwächeren verstehen. Was auch weiterführt zu Lehramtsstudieninhalten. Warum muß ein Grundschullehrer Kurvendiskussionen pauken? Reicht es nicht, daß man das im Abi schon mal erfolgreich hatte? Wäre ein Fach wie „gutes Erklären lernen“ vielleicht besser?
„Heute habe ich große Probleme überhaupt irgendeine Regel zu befolgen wenn sie mir nicht sinnvoll erscheint.“ Mach ich auch so. Die einzige Regel, an die ich mich wirklich immer halte: Nur bei Grün über die Ampel gehen. Ampeln sind so ungefähr die letzten Sachen, vor denen ich Respekt habe auf der Welt.
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Genau!
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Was für ein schöner Artikel – und wie süß du dich beschrieben hast! Dass du dich im Kino nicht auf einen falschen Platz gesetzt hast und nachts sogar mit dem Fahrrad (!) an der roten Ampel stehen geblieben bist, hat mich sehr angerührt.
Ich fand es sehr anregend, mein eigenes Regelverhalten zu reflektieren. Ich glaube, ich bin sehr regelarm aufgewachsen.
Ich halte Regeln ein, wenn sie mir sinnvoll erscheinen und wenn ich nachvollziehen kann, warum der Verantwortliche sie aufgestellt hat. Im Jurastudium redet man vom Schutzzweck der Norm, man fragt sich also häufig, für welchen Zweck eine Vorschrift erlassen wurde, und das mache ich im Leben eben auch. Regeln von Menschen befolge ich daher lieber als solche von Institutionen, weil Institutionen Regeln eben auch dazu benutzen, Menschen allein aus Machtgründen zu kontrollieren und zu manipulieren. Wenn ich den Sinn einer Vorschrift nicht sehen kann, halte ich sie im konkreten Fall dann ein, wenn ich eine nennenswerte Wahrscheinlichkeit sehe, ansonsten juristisch belangt zu werden.
Regeln, die die Obrigkeit aufstellt, gehorche ich nicht sklavisch. Für mich ist es ein wichtiges Kriterium, ob ein Mensch durch die Nichtbeachtung einer Regel einen echten Nachteil hat.
Es kann daher durchaus vorkommen, dass ich gegen die Einbahnstraße fahre, und nachts in einer einsamen Gegend würde ich vielleicht sogar mit dem Auto über Rot fahren. Manchmal wende ich mein Auto auf Straßen, wo eine doppelt durchgezogene Linie ist. Und dass ich mich im Kino nach Möglichkeit auf einen besseren Platz setze, wenn der Vorspann läuft, versteht sich von selbst. Wenn ich Hunger oder Durst hätte, würde ich natürlich schon im Supermarkt die Verpackung öffnen, denn es kommt ja nur darauf an, dass ich es bezahle.
In der Schule meiner Kinder werden Regeln in einem demokratischen Prozess entwickelt und bei Bedarf in einem sog. Forum ständig neu überarbeitet; die Kinder können (und sollen) daran mitwirken, können Regeln auch in Frage stellen und wenn alle – also Kinder und Erwachsene – ihre Bedürfnisse besprochen haben (also warum wollen die einen die Regel haben, warum finden die anderen sie doof und wie kann man die Regel gestalten, damit alle Seiten zufrieden sind), wird demgemäß die Regel neu gefasst. Wenn sich Umstände ändern, wird neu verhandelt, denn oft zeigt sich die Wirksamkeit einer Regel ja erst in ihrer Anwendung.
Regeln wie „nicht beim Essen reden“ kenne ich noch aus der Zeit, als meine Kinder auf eine Regelschule und in einen Hort gingen. Wenn ich mich in die Person hineinversetze, die die Regel aufstellt, dann ist der Gedanke dahinter, dass manche Kinder nicht gleichzeitig reden und essen können – meine Tochter z.B. auch nicht: wenn sie redet, vergisst sie das Essen, und es wird kalt. Wenn das Essen im Hort kalt wird, isst es das Kind vermutlich nicht mehr und man muss es wegwerfen. Außerdem hat das Kind dann früher wieder Hunger als nötig wäre. Meine Tochter schafft aus diesem Grund auch häufig nicht den ganzen Teller auf einmal, sondern lässt ihn stehen und isst ihn später kalt auf, wenn sie wieder Hunger bekommen hat.
Wenn Kindern aber (wie in unserem damaligen Hort) Vorschriften gemacht werden, wie sie z.B. die Nudeln essen sollen, dann ist das für mich Machtmissbrauch und zeugt von einem sehr kleingeistigen Horizont.
Wenn ich zu Hause eine Regel aufstelle, muss ich die jedenfalls gut mit meiner Bedürfnislage begründen und gegebenenfalls diskutieren.
Wirklich ein interessantes Thema. Nochmals vielen Dank für deinen tollen Artikel!
ich will euch ja nicht den spassverderben, aber vielleicht sind solche dinge einer der gründe, warum in bayern so einiges besser klappt als in berlin …
Könnte aber ein Grubd sein, warum Bayern die höchste Selbstmordrate aller Bundesländer hat. ;-)
Könnte auch sein, dass dein Kommentar eher überheblich und der interessanten Diskussion gegenüber kontraproduktiv ist.
Hallo,
Ich stimme dir total zu, in dem was du schreibst. Es gibt viele Regeln, die völlig überflüssig sind, wobei ich zB die Sache im Hort mit dem Essen ein bisschen nachvollziehen kann. Manchmal braucht es einen Anstoß für Kinder, um zu merken, dass etwas, was sie eigentlich nicht mögen, vielleicht doch ganz lecker ist. Ich habe einen Freund, der wirklich wahnsinnig viele Sachen nicht mag, und das ist schon anstrengend. Als Kinde lässt sich sowas noch abbauen – eben einfach mal probieren.
Zustimmen kann ich dir auch in dem, was du über deine Eltern und die Anderer sagst. Meine Eltern waren sehr locker im Umgang mit mir, und ich habe ein ausgesprochen gutes, lockeres, freundschaftliches Verhältnis zu ihnen, was mich sehr beglückt. Viele andere Freunde und Bekannte dagegen berichten mir, wie sich die Eltern in Dinge einmischen, die sie nichts angehen, und ich habe sogar erlebt, wie einer Freundin von ihrer Mutter vorgeworfen wurde, wie sie sich nur so entwickeln konnte, man habe doch als Eltern alles versucht. Ich glaube, wenn die Eltern eher hierarchisch mit ihren Kindern umgehen, führt das durchaus zu einem kühleren Verhältnis in späteren Jahren, wenn die Kinder dann erwachsen sind. Zudem habe ich bei diesem Typ Eltern oft das Gefühl, dass sie das Kind nicht als selbstständig denkendes, handelndes Individuum sehen (können), was sehr schade ist und das Kind unter Umständen sogar in seiner Entwicklung hin zur Selbstständigkeit behindert.
Genauso muss ich aber auch sagen, dass es mir, die in sehr lockerem Umgang aufgewachsen ist, tatsächlich schwer fällt, mich in hierarchische Ordnungen einzufügen. Ich finde das tatsächlich schwierig.
Von daher kann ich nur sagen: super Eintrag, ich stimme die völlig zu!
Grüße
Jelena
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Gerne gelesen
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kinder verstehen doch sehr gut, dass höflichkeitsregeln eben genau das sind: höflichkeit. nicht sinnvoll per se, sondern rücksicht auf das empfinden anderer. deshalb verstehen kinder auch wunderbar, dass im hort tischregel xy gilt, bei uns aber tischregel z. weil sich das die menschen am tisch so wünschen.
was die schule angeht: als lehrerin ist es sehr schwer, erziehungsarbeit zu leisten – und das muss man in der schule, da auch im schulkontext wie eigentlich immer im umgang mit minderjährigen erziehung stattfindet und viele kinder erstaunliche defizite im bereich rücksichtnahme und soziales verhalten aufweisen – wenn die kinder ständig gemischte botschaften erhalten, da die eltern die maßnahmen der schule konterkarieren („über den verweis lachen wir daheim“). man kann doch auch einem kleinen kind durchaus schon erklären, dass hausaufgaben wichtig sind, damit die übung besser sitzt. falls du sie wirklich sinnlos findest – lernpsychologisch nicht durchdacht, übung ist wichtig! -, dann kannst du das dem kind ja so erklären. und es dann freilich auch die erfahrung machen lassen, was passiert, wenn man die hausaufgaben nicht macht (lehrerin wütend, strafe, note irgendwann schlecht, stress…) und die institution schule drauf reagiert. auch im späteren leben muss man freilich nicht jeden quatsch mitmachen, nur weil er vorschrift oder regelkonform ist, aber meistens hat das dann eben folgen – von ordnungswidrigkeit über außenseitertum und jobverlust bis hin zu kreativen ideen und freiheitserhalt.
Bei den Mahlzeiten nicht reden – das habe ich noch nie verstanden! Ist es nicht das schönste überhaupt, gemeinsam zu essen und sich auszutauschen? Ich bin ein Fan von Kill a stupid rule und sehe rote Ampeln eher als Hinweis: Achtung, da könnte was kommen :-)
Aber es gibt so ein paar Benimmregeln (vor allem Tischsitten), für die es kein gutes Argument gibt, die aber das Leben einfacher machen. Erwachsene, die diese Regeln nicht verinnerlicht haben, werden wahrscheinlich immer schauen, wie die anderen das machen, und sich unsicher fühlen. Das heißt ja aber nicht, daß man sowas mit Kindern nicht hinterfragen kann, weil es eigentlich nichts als ein wenig gesellschaftliche Politur ist.
Ich habe sehr geschmunzelt. Vor allem die Ampel-Situation kommt mir sehr bekannt vor. Nur, dass ich stehenblieb und einen Zeugen dabei hatte, der sehr verwundert fragte, was ich denn da tue. Und ich: Ich verstehe die Frage nicht? Es ist rot.
Ganz so revoluzzermäßig wie du bin ich noch nicht drauf, zu meiner Verteidigung muss ich sagen: ich lebe noch in Bayern. Aber die Regelhinterfragung als Mutter für die Kinder kenne ich zu gut. Das macht es leider auch nicht leichter, eigene Regeln zu erstellen und durchzusetzen. Gruß, Tina
Sehr gute Auseinandersetzung mit dem Thema! Als Lehrerin hinterfrage ich täglich, ob die eine oder andere Vorgabe und Regel Sinn macht, ob es allen am Prozess Beteiligten Nutzen bringt oder ob ich sie weglassen kann. Das führt in den meisten Fällen zu einem pro Regeln: ich merke immer wieder, dass Kinder und Jugendliche durch Vorgaben und Ansagen Verantwortung abgeben können und auch wollen und sich in einer Art Rahmen bewegen können, innerhalb dessen sie auch üben können, an Grenzen zu stoßen. Lasse ich diesen Rahmen einmal weg, merkt die Klasse und ich, dass der eigentliche Grund des Zusammenseins nicht auszufüllen ist.
Wie sinnvoll und bereichernd das ist, Regeln und Vorgaben dann später eigenverantwortlich aufzuweichen, zu löschen oder zu modifizieren, das hast Du ja am Ende noch einmal anschaulich aufgegriffen.
Und gegen Hausaufagen bin ich so was von auch.