Bis zum 2. Mai läuft das Online-Voting der BOBs noch. Für sechs Hauptkategorien und für das beste Blog im deutschsprachigen Raum können Stimmen abgegeben werden.
Nach der Vorschlagsphase habe ich mir in diesem Rahmen sehr, sehr viele Seiten angeschaut, um meine Kandidaten für die entsprechenden Kategorien zu nominieren.
Dabei bin ich auf ein Projekt gestoßen, das mir wirklich sehr am Herzen liegt: Die Wheelmap. Ich möchte es deswegen nicht verpassen hier im Blog darauf hinzuweisen.
„Das Portal Wheelmap liefert Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern Informationen über die barrierefreie Zugänglichkeit von Orten ihrer Umgebung. Ein einfaches Ampelsystem auf der Wheelmap-Karte erleichtert dabei die Orientierung: Grün bedeutet komplett rollstuhlgerecht, gelb eingeschränkt rollstuhlgerecht und rot für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich. Internetnutzer können auch ihre eigenen Markierungen auf der Karte setzen. Wheelmap nutzt Open Street Maps, ein Projekt, das Geodaten sammelt, damit sie von jedem genutzt werden können. Wheelmap gibt es auch als Smartphone-App.“
Man mag nun mit den Schultern zucken und sich sagen, nunja, das betrifft 1,6 Millionen Rollstuhlfahrer in Deutschland – aber das ist ja nur eine Minderheit. Dabei übersieht man eines: Behinderung ist kein dichotomer Zustand. Menschen sind nicht nicht behindert oder behindert. Behinderung kann definiert werden als „Hilfe benötigen“ und wenn man es so sieht, dann war, ist oder wird jeder Mensch behindert sein.
Es lohnt sich den Beitrag von Raul Krauthausen dazu anzuschauen:
Am Abend unterhielt ich mich mit einem Freund über die allgemeine Problematik von Zugänglichkeit. Z.B. dass Rollstuhlfahrer nur an sehr wenige Bankautomaten ran kommen, um Geld abzuheben. Mein Gesprächspartner erwiderte: „Das ist verständlich. Immerhin würde so ein Umbau den Banken wahnsinnig viel Geld kosten. Von den Folgekosten durch Vandalismus ganz abzusehen… denk doch mal an die Telefonzellen“
Da platzte mir leider sofort der Kragen, denn ich fühle mich sehr an die Kinder-in-unserer-Gesellschaft-Debatte in einem vergangenen Blogpost erinnert. Der Menschheit ist es seit 1969 möglich auf dem Mond zu landen, aber es ist unmöglich rollstuhlgerechte Bankautomaten zu bauen? Es ist den Menschen unmöglich für ein Paar Euro Rampen in ihre Restaurant- und Geschäftseingänge zu legen? Es ist unmöglich bei einem Neubau gleich auf die ersten zwei Stufen im Erdgeschoss zu verzichten?
Da wurde mir klar, dass es nicht um Geld oder Technik geht, sondern tatsächlich um eine Denkweise. Auch hier geht es darum, dass man lieber Sonderlösungen schafft als über eine Integration nachzudenken. Die Diskussion wird aus Gründen der sozialen Erwünschtheit anders geführt als beim Kinderthema, aber im Grunde ist es das selbe gesellschaftliche Problem.
Und wie Raul in seinem Beitrag sagt, es ist so kurzsichtig sich dieser Probleme nicht anzunehmen. Denn Einschränkungen in der Mobilität haben nicht nur Menschen im Rollstuhl sondern auch Eltern, die Kinderwagen schieben, ältere Leute mit Rollatoren, Menschen mit Hüftproblemen, Menschen mit Gipsbeinen oder oder oder …
Ja und dann reden wir nicht mehr von einer „Minderheit“, dann geht uns das alle an. Deswegen müssen wir umdenken und über Inklusion nachdenken, statt über Sonderlösungen. Und bis es so weit ist, hilft die Wheelmap. Ich bitte deswegen alle, die kinderwagen-, rollstuhl- und rollatorgerechte Orte kennen, sie auf der Wheelmap zu makieren. Dieser Aufruf ist übrigens auch an Klingonen gerichtet, denn die Wheelmap gibt es auch in Klingonisch.
Für die Wheelmap kann übrigens noch bis zum 2. Mai abgestimmt werden und ist ein Projekt der Sozialhelden e.V..
Englische Zusammenfassung:
Noch weiter gedacht: Je weniger der „normale“, was auch immer das ist, Mensch im Alltag mit körperlich oder geistig eingeschränkten (mir fehlt in solchen Diskussionen leider ein passender und auch p.c. Begriff) Menschen konfrontiert wird, desto „unnormaler“ erscheinen dem gewöhnlichen Bürger diese Menschen, wenn er dann doch einen trifft. Ich wohne in einer Stadt, die vor mehr als hundert Jahren, wie damals üblich, ihre Nervenklinik in einen damaligen Vorort verlagert hat (Psychiatrie, Psychosomatik, Neurologie und das ganze auch für Kinder sowie seit einiger Zeit auch eine Klinik für Forensische Psychiatrie). Demzufolgen haben sich mit der Zeit in diesem Stadtteil auch eine große Einrichtung (Pflegeheim, Behindertenwerkstätten, Tagesbetreuung, Wohnheime etc.) sowie mehrere kleinere Einrichtungen, insbesondere geriatrische und psychiatrische Wohngruppen angesiedelt. Nun wird ernsthaft diskutiert, ob dieser Stadtteil nicht inzwischen „gesättigt“ von derlei Einrichtungen, und ob man die Schwerstbehinderten in ihren quasi eher Liegebetten als Rollstühlen tatsächlich zum Edeka zwecks einkaufen schieben muss, das könnten doch auch kleine Kinder sehen. Ja, und nun? Mit der Inklusionsdebatte ist es doch dasselbe, können wir Kindern in der Schule den Kontakt mit chronisch kranken Kindern zumuten? Ich finde, das müssen wir sogar.
Ja, ich bin da & ich hab Rauls Track schon fest im Zeitplan.
Hey Patricia,
danke für deinen tollen Artikel und die Nominierung. Du hast vollkommen recht, dass es keine Sonderlösungen geben sollte, sondern ein generelles Umdenken. Denn so hatte es auch schon Patrick Beuth für die Zeit beschrieben: „Wir sind alle behindert – irgendwann“ http://www.zeit.de/digital/internet/2011-09/wheelmap-raul-krauthausen
und es ist schon sehr fraglich, warum neue Kinos gebaut werden, die dann nur einen Rollstuhlplatz haben: http://www.aktion-mensch.de/inklusion/blog/eintrag.php?id=134
Bist du nicht auch auf der re:publica? Raul wird da ein neues Projekt vorstellen: http://re-publica.de/12/panel/dyi-barrierefreiheit/#day02
Beste Grüße, andi
„Behindert, so fühlt sich das also an“, dachte ich, als ich vor der Uni-Bibliothek stand und erst mal rauskriegen musste, wie denn diese behindertengerechte Tür sich endlich öffnet, damit ich mit meinem Kinderwagen da durchpasse.
Verarbeitet hier: http://hausfrau-und-mutter.blogspot.de/2010/10/behindert.html