Der Garten für Theoretiker

Disclosure: Ich habe für den folgenden Artikel kein Geld bekommen und auch keine kostenlosen Mitgliedschaften oder sonstiges. Nicht mal kostenlosen Pferdemist, mit dem ich düngen könnte. 
Ich, wie ich gärtnere (Symbolbild)

„Bringt mich zum Beton
Leg mich auf den Asphalt
Dem Boden von dem ich komm
Bettet mich in grauen Staub“

Liedtext: Zurück zum Beton, Band: Broilers

Ich habe seit einer Woche einen Garten. Wer mich kennt, weiß, ich bin kein Naturfan. Es ist nicht so, dass ich Natur gar nicht mag. Ich finde z.B. Fotos, die Natur zeigen, sehr schön. Ich kann mir sogar vorstellen eine Fototapete mit einem Bergmotiv im Keller zu haben. Mein Wohnzimmer zieren auch Pflanzenimitationen, einmal im Jahr dusche ich den Staub ab und dann ist wieder alles schön grün. Grün ist sogar meine Lieblingsfarbe.

Jedenfalls käme ich nie auf die Idee einen Garten zu wollen. Da habe ich ähnliche Gefühle wie in Bezug auf Haustiere. Viel zu viel Verpflichtung und am Ende Dreck und schmutzige Finger. Ich muss nicht wie Charlotte Roche aufs Land, um mich zu spüren. Meine Füße nicht in Erde vergraben. Stadt is just fine.

Aber als mir aber neulich ein Freund von seinem Garten erzählte, verspürte ich schon nach den ersten zwei Sätzen ein deutliches Entzücken in meinen Magen.  Vierundzwanzig Stunden später hatte ich auch einen Garten.

Mein Garten ist 4 x 4 m groß – 16m² also und steht im Havelland, mehr als 100 km von Berlin entfernt. Das Tolle ist: er ist virtuell steuerbar. In Zeiten von Home Automation ist das eigentlich so naheliegend, dass man sich auf die Stirn klopfen möchte und sich fragt: „Warum bin ICH da nicht drauf gekommen?“ Aber so ist das mit genialen Ideen. Die haben v.a. andere und weil man solche Ideen, selbst wenn man sie gehabt hätte, ohnehin nicht umsetzt, freue ich mich, dass sie jemand anders umgesetzt hat.

Meine Gartenparzelle hat also zwei Erscheinungsformen: die physische im Havelland um die sich ein/e Bäuer/in kümmert und eine Weboberfläche, die ich steuere. So kann ich z.B. gießen, anpflanzen, düngen, Tomaten ausgeizen oder andere nötige Arbeiten vornehmen.

Hier eine Auswahl der möglichen Aktionen

Ich kenne das Prinzip von FarmVille, das in meinem Bekanntenkreis teilweise exzessiv gespielt wurde. Menschen geben da ohne mit der Wimper zu zucken Geld für imaginäre Saat und gärtnerische Zusatzaktionen aus – um am Ende: Geld ausgegeben zu haben.

Ich kann jetzt das gleiche machen, bekomme aber am Ende in der Erntezeit pro Woche eine Gemüsekiste.

Nimmt man den Garten für die ganze Saison, zahlt man 33 Euro im Monat (plus Zusatzleistungen, wenn nötig). Man kann dann von Anfang an bestimmen, was gepflanzt werden soll (vorausgesetzt es ist gärtnerisch sinnvoll. Setzt man Pflanzen nebeneinander, die sich nicht mögen, meckert das System). In der Erntezeit bekommt man dann jede Woche eine Kiste vor die Haustür gestellt (s.o.)*.

Steigt man mitten im Jahr ein, bekommt man eine bereits bestellte Parzelle von denen es drei Pflanzvarianten zur Auswahl gibt. Das fand ich toll, denn ich habe mir eine ausgesucht, auf der nur Sachen wachsen, die ich auch gerne esse. Der Probemonat kostet dann 99 Euro (entspricht vier Kisten). In Anbetracht der Größe der Gemüsekiste, ist das aber ein Schnäppchen – und das sage ich als Geizhals. In meiner Kiste waren z.B.

  • 3 Kürbisse (Hokkaido, Butternut, Patisson)
  • 1 großer Bund Karotten
  • 4 rote Bete
  • 2 Kohlrabi
  • 4 kl. Brokkoli
  • ca. 300 gr. Lauch
  • 6 kleine Fenchelknollen
  • ca. 1,5 kg Kartoffeln
  • 2 gelbe Zucchini
  • 2 grüne Zucchini
  • ca. 2 kg Tomaten

(Eine detaillierte Beispielrechnung kann man der Website des Anbieters entnehmen: IPGarten)

Was mir auch sehr gefällt: von meinen 16 m² ist ein Quadratmeter mit Blumen, damit die Bienchen auch was von dem Garten haben, ein weiterer Quadratmeter ist ein solidarischer Quadratmeter. Der ist stellt sicher, dass Ernteausfälle bei anderen kompensiert werden können.

Wenn man seine Ernte mal nicht möchte, kann man sie an die Obdachlosenhilfe spenden. Fährt man in den internetlosen Urlaub, kann man gegen einen Minibetrag gießen lassen.

Damit man eine Beziehung zu seinem Garten aufbauen kann, gibt es eine Kamera. Ist das nicht zauberhaft?

Mich hat die Idee total begeistert. Es entspricht genau meinen Bedürfnissen als Städterin, die keine Zeit hat, aber dennoch gerne frisches Gemüse hätte. Denn theoretisch bin ich sehr am Gärtnern interessiert. Ich hab diese Woche schon wahnsinnig viel gelernt. Z.B. wann man am besten gießt; wie viel Liter Wasser bestimmte Pflanzen pro Woche brauchen; was ausgeizen ist und warum man es macht; dass Pflanzen unterschiedlich tiefe Wurzeln ausbilden, je nachdem wie man sie gießt und auch in Sachen Weiterverarbeitung von Gemüse, habe ich vieles gelernt: wie man Kürbisse lagert; wie man Zucchini haltbar macht; wie lecker rote Beete mit Thymian schmecken; dass man eingekochte Tomaten direkt auf die Nudeln schütten kann und es wirklich kein bisschen Salz oder Pfeffer braucht, weil das einfach köstlich schmeckt.

Wie man vermutlich unschwer erkennen kann: Ich bin begeistert.

*Das gesamte Modell ist nur für Berlin. Man kann die Kiste auch an einem festen Ort in Berlin abholen. Dort kann man übrigens auch mit anderen Gärtner/innen Erträge tauschen.

P.S. Sollten Berliner/innen mitlesen, denen die Idee gefällt: Ich denke, es wird nur noch einen Monat Ernte geben. Deswegen wer für 2018 mal testen möchte, sollte es jetzt tun. Und nein, wirklich, ich bekomme kein Geld dafür, ich finde einfach die Idee so großartig.

Es ist noch nicht alles perfekt, ganz so hübsch wie auf der Website ist das Interface nicht und meine Kamera ging auch eine Weile nicht. Allerdings war der Support sehr schnell und bemüht und ich finde, man kann Ideen auch unterstützen und wachsen lassen.

P.P.S. Ab 2019 gibt es auch Hühner, die Eier legen. Das Pilothuhn heisst Lady Gacka.

64 Gedanken zu „Der Garten für Theoretiker“

  1. Was. Es. Alles. Gibt. .. Eine sehr coole Idee ist das aber mal. Wir haben seit Mitte des Sommers einen real-life Schrebergarten, allerdings eher sekundär als Essensquelle, sondern in erster Linie als Grill-, Chill und Kinderspielrefugium (wir sind ebenfalls Großstädter) sowie als Leibes-Ertüchtigungs-Gulag für Schreibtischarbeiter (sind wir beide). Manches Mal haben wir uns schon gefragt, ob wir uns da zu viel aufgehalst haben. Aber ich sag mal so: Wenn irgendwann die Zombieapokalypse kommt, dann sind schon diejenigen besser dran, die wissen, wie man Essen offline anbaut. Leuchtet ein, oder?

  2. ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Made my day
    *****************/KOMMENTAROMAT**********************
    ich meine… Lady Gacka… ich schmeiß mich weg……

  3. Pingback: Jana
  4. Lustige Idee.
    Stichwort Gamification. Wenn es funktioniert wie ein Spiel, dann ist man plötzlich geneigt etwas zu tun was einen normalerweise gar nicht groß interessieren/motivieren würde.

    Gruß
    Aginor

  5. Das erklärt’s. Als Kleingärtnerin konnte ich mir Dich auch nicht wirklich vorstellen.
    Eine schöne Idee, aber meine Welt isses nicht. Ich geh gern morgens eben raus und pflück mir ne Tomate fürs Frühstück. :)

  6. Wirklich eine liebenswerte Idee. Mir geht es auch so, dass ich niemals Zeit und Lust hätte, Unkraut zu zupfen oder Rosen anzuhäufeln. Allerdings, ich hätte gern eine Garten, um mit Freunden zu grillen. Das würde ich schon etwas vermissen. Also, wenn ich Freunde hätte. Vielleicht wachsen die ja auch virtuell, wenn man (mit Bier?) gießen lässt?

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