Es lebe das Internet

Für mich besteht die deutsche Blogosphäre nicht aus Techblogs und Netzpolitik. Sie besteht aus Menschen und ihren Geschichten.

Man kann also getrost damit aufhören, Blogs einmal im Jahr für tot zu erklären. […] Blogs sind kontinuierlich arbeitende Dampfmaschinen, die über ihren langen Atem Erfolg haben. Jedes Jahr, jeden Monat und jeden Tag.

Über die „6 vor 9„-Kategorie im Bildblog bin ich auf den Artikel „Und was machten die Blogs im Jahre 2011?“ bei Maingold.com gestoßen.  Der Artikel gibt einen Teil meiner persönlichen Wahrnehmung der deutschen Blogosphäre sehr gut wieder. Allerdings fehlt etwas sehr wesentliches: Die Öffne-mir-eine-andere-Welt-Blogs.

Das sind genau die Blogs, für die ich das Internet so sehr liebe und auch überhaupt nicht verstehen kann, dass es Menschen gibt, die das Internet nicht lieben können oder wollen.  Denn es gibt Blogs, die mir Welten eröffnen, deren Tür sich für mich ohne das Internet wahrscheinlich nie geöffnet hätten.

Deswegen stimme nicht zu wenn es heißt „Die so genannten großen Blogs, die fast jeder Blogger vor einigen Jahren erst mal pauschal in seine Blogroll aufnahm, gibt es so nicht mehr. “ Das erste Blog, das mir genau zum Thema Unbekannte-Welt und großes Blog einfällt, ist das Blog von Anke Gröner.

Ich habe angefangen sie zu lesen, als sie in meiner Wahrnehmung am meisten über Kinofilme bloggte. Das tat sie immer so treffend, dass ich eigentlich gar keine Filme mehr anschaute, bevor sie nicht darüber geschrieben hatte. Dann kam eine exzessive Phase des Golfens und jetzt lese ich sehr gerne über Essen und Opern. Sowohl Golf als auch Opern sind nicht mein Interessensgebiet – aber sie schreibt so gut und einnehmend darüber, dass ich jeden Eintrag gerne lese. Lediglich gegen das Fußballthema bin ich völlig resistent. Gerade dieses Blog zeigt wie die BloggerInnen selbst wachsen und sich entwickeln und mit ihnen ihr Blog. Und ich glaube auch nicht, dass man sie nicht zu den großen Bloggern zählen kann, denn wer kennt Anke Gröner im Internet nicht?

Ein anderes Beispiel für ein  Öffne-mir-eine-andere-Welt-Blog, das gerade 2011 groß geworden ist, ist das Blog von Julia Probst. Sie schreibt im Blog und auf Twitter und Google+ über ihr Leben und ihre Erfahrungen als gehörloser Mensch und sensibilisiert somit andere für dieses Thema.

Ebenfalls schon lange aktiv: Christiane Link, die in ihrem Blog Behindertenparkplatz über ihr Leben schreibt und somit auch Einsichten gibt, an welchen oft wahnwitzigen Barrieren man im Alltag oder in den Köpfen der Leute zu scheitern droht, wenn man sich im Rollstuhl fortbewegt.  (OMG! Beinahe hätte ich „an den Rollstuhl gefesselt“ geschrieben, aber davon hat mich Raul Krauthausen völlig geheilt – aber genau das erreichen diese Blogs, dass man mal darüber nachdenkt, was man da eigentlich sagt. Fehler machen alle Menschen, wenn man aber darauf gestoßen wird, kann man es im Anschluss besser machen.)

Genauso geht es mir mit dem Blog von Antje Schrupp, die sich hauptsächlich mit feministischen Themen auseinandersetzt. Mir wird das meiste allerdings nicht an den Artikeln klar, sondern an den Reaktionen auf diese Artikel. Auch wenn ich nicht immer die im Blog wiedergegebene Meinung teile, so zeigen genau die Reaktionen wie wichtig Feminismus nach wie vor ist.

Es gibt so viele Beispiele für Öffne-mir-eine-andere-Welt-Blogs. Das Blog von Frau Freitag über den Schulalltag, das Bestatterblog, das Apothekenblog, das Polzeinotrufblog, das Nachtschwesterblog und natürlich das Lawblog von Udo Vetter (auch ein weiteres Gegenbeispiel zum Thema die großen Blogs gibt es nicht mehr).

Die Liste könnte man wahrscheinlich unendlich erweitern. Für mich ist das Internet eben nicht Techblogs und Shitstorms sondern Menschen mit interessanten Geschichten, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen. Das ist das Phantastische am Internet seit über 15 Jahren. Seit dem Tag an dem ich in der Uni mit Herzklopfen andere Seiten anklickte, als ich ICQ entdeckte und durch Zufall Freundschaften schloss, mit Menschen in der ganzen Welt, Menschen, die ich gar nicht kannte, Menschen die einfach auch neugierig waren und die mich dann an ihrem Leben teilhaben ließen.

Tatsächlich sind es die von Maingold.com genannanten Themen, die sich auch in meiner Wahrnehmung über Twitter und Facebook aufschaukeln und sich somit in den Vordergrund drängen: Techblogs, Netzpolitik, Protest und all die Beiträge, die irgendwelche Säue durchs Dorf treiben. Aber das liegt einfach auch an den Personen und deren Beziehungen untereinander. Ich habe oft das Gefühl, dass es (bis auf einige Ausnahmen) wenige Platzhirsche sind, die sich gegenseitig ihre großen Geweihe zeigen und um sich herum kleine Herden scharen, die dann eine zeitlang das Gesagte im Ping Pong zitieren und kommentieren, um sich auch ein bisschen wichtig zu fühlen.

Tatsächlich machen gerade diese Blogs für mich nur einen klitzekleinen Teil des Internets aus. Sie sind nur lauter als der Rest. Das Internet ist für mich voller Menschen, die etwas zu sagen haben und zwar zu ihrer Lebensrealität und zu dem was sie machen oder sich wünschen. Und weil ich selbst mein kleines, eingeschränktes, alltagsdominiertes Leben habe, freue ich mich immer wieder wenn mir diese Menschen Einblicke in ihre Welt geben.

10 Gedanken zu „Es lebe das Internet“

  1. Eigentlich wollte ich nur kurz meine Begeisterung über Deinen Beitrag loswerden.
    Genau so isses!

    Umso netter, dass auch das Bildblog (über die ich gerade zu Dir gelangt bin) immer wieder auf solche Blogs aufmerksam macht und so meine Blogospäre immer erweitert.
    Ein weiteres Blog, dass, jedenfalls mir, eine unbekannte Welt eröffnet hat ist das http://truckonline.de/blog/
    Neben den schon genannten schau ich dort immer wieder gerne mal vorbeit. Es macht eben richtig Spaß anderen bei ihren Tätigkeiten über die Schulter zu schauen und immer vertrauter mit ihnen zu werden.
    Toll, dieses Internet :-) Blöd nur, dass der Tag eben doch nur 24 Stunden hat…

  2. Wenn ich schreibe „Die so genannten großen Blogs, die fast jeder Blogger vor einigen Jahren erst mal pauschal in seine Blogroll aufnahm, gibt es so nicht mehr“, dann meine ich natürlich nicht, dass es diese Blogs als Blogs nicht mehr gibt.
    Ich meine vielmehr, dass dieser frühere, fast schon ehrfürchtige Status weg ist. Dass dies eben nicht mehr die „großen“ Blogs sind, die heute noch jeder pauschal in seine Blogroll packt.

    Und das liegt natürlich auch daran, dass unglaublich viele Blogs hinzugekommen sind, die es wert sind zu lesen. Klein oder groß, sprich viele oder wenig Besucher, ist völlig egal. Es gibt nur interessant und weniger interessant und diese Einteilung macht jeder für sich selber.

    Und deshalb ist es auch so verdammt egal geworden (für mich war es das schon immer), welche Blogs in irgendwelchen Charts auf den vorderen Plätzen stehen.

  3. Genau das ist es. Für mich waren es nie die wirklich großen Blogs, die interessant warten. Es sind die Blogs von Menschen, die aus ihrem Alltag berichten, die ich wirklich interessant finde. Sei es nun ein Kinderarzt oder die Gynäkologin oder ganz normale Mütter, Menschen, die versuchen mit der Diagnose Krebs zu (über)leben, Eltern mit behinderten Kindern etc. etc. Alles Dinge, denen man so vielleicht im eigenen Umfeld nicht begegnet.

  4. „Die Liste könnte man wahrscheinlich unendlich erweitern. Für mich ist das Internet eben nicht Techblogs und Shitstorms sondern Menschen mit interessanten Geschichten, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen. Das ist das Phantastische am Internet seit über 15 Jahren. Seit dem Tag an dem ich in der Uni mit Herzklopfen andere Seiten anklickte, als ich ICQ entdeckte und durch Zufall Freundschaften schloss, mit Menschen in der ganzen Welt, Menschen, die ich gar nicht kannte, Menschen die einfach auch neugierig waren und die mich dann an ihrem Leben teilhaben ließen.“

    Das kann ich nur voll und ganz unterschreiben! :-)

    Wie öde wäre das Netz, wenn es hier überall nur um Technik, Politik, Wirtschaft und ähnliche Dinge ginge.

    So wichtig diese Themen sein mögen, ohne das menschliche hier im Web würde mir das Wichtigste fehlen.

    Wie viele ganz verschiedene Menschen ich hier kennengelernt habe und was ich alles von ihnen erfahren durfte, das ist der Wahnsinn. :D

    Viele Grüßle vom
    Rössle

  5. ******************KOMMENTAROMAT**********************
    Genau!
    *****************/KOMMENTAROMAT**********************

    mein erstes Öffne-mir-eine-andere-Welt-Blog war Der Schockwellenreiter weil er eben zwischen dem Techi-Kram auch noch anderes Zeugs in meinen Aufmerksamkeitshorizont brachte. Und er ist auch der einzige von den „ganz alten Blogs“ die ich auch heute noch regelmäßig lese.

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