Ich stehe mit fünf anderen Frauen in einer Bäckerei an und warte, dass ich dran bin. Zwei Verkäuferinnen bedienen und die eine von ihnen ruft: „Der Nächste bitte!“. Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich verwirrt. Es stehen doch nur Frauen hier, wer ist der Nächste? Achso, jaja, ich bin gemeint. Ich bin der Nächste. So weit ist es mit mir gekommen. Wenn weit und breit nur Frauen zu sehen sind, fühle ich mich mit der männlichen Ansprache tatsächlich nicht mehr mitgemeint. Sprachlich völlig verdorben – zumindest seit ich mich mit dem Thema der gendergerechten Sprache auseinandersetze.
Ich erinnere mich gut, dass ich vor vielleicht zwanzig Jahren eine ähnliche Szene erlebt habe. Ich stehe mit einer Frau an der Wursttheke an und die Verkäuferin sagt: „Der Nächste bitte!“ Die Frau vor mir korrigiert: „Die Nächste.“ und bestellt Aufschnitt. Ich habe damals die Augen verdreht und gedacht: „Meine Güte, was ist das denn für eine, die weiß doch, was gemeint ist, soll sich mal nicht extra blöd stellen.“ Stolz habe ich damals für mich beschlossen, dass ich nie so anstrengend sein werde und auf sowas so sinnloses wie die explizit weibliche Form bestehen werde – schließlich bin ich selbstbewußt genug.
„Ich kann gut damit umgehen“, „Mich stört das nicht“, „Ich bin da nicht so“, das sind alles Sätze, die ich oft genug von anderen Frauen höre, wenn ich vorschlage, dass man doch „Liebe Kolleginnen und Kollegen“ oder „Wir haben Expertinnen und Experten befragt, um…“ schreiben könnte. Und weil wir nicht so sind, wird in der Regel beschlossen, dass wir beim generischen Maskulinum bleiben. Bestenfalls ergänzen wir noch eine Fußnote und erklären, dass wir der Einfachheit die männliche Form benutzen und die Frauen natürlich mitgemeint sind.
Tatsächlich setze ich mich in den allermeisten Fällen nicht durch, aber ich habe mir vorgenommen es immer und immer wieder anzusprechen. Die Erfahrung zeigt, dass sich dann doch irgendwann was ändert. Manchmal z.B. weil man mir eine Freude machen möchte „Haben wir extra für Frau Cammarata gemacht…“ und in vielen Fällen, kommen dann auch positive Reaktionen von anderen Frauen, die sonst nie was sagen, die aber bemerken, dass sie nicht nur mitgemeint sondern auch explizit angesprochen werden.
Eine Zeitlang habe ich z.B. Workshops gegeben und auf meinen Flipcharts auch Frauen gemalt und nicht das generische Männchen und ich kann wirklich sagen, dass ich jeden Workshop von mindestens einer Frau angesprochen wurde, die sich gefreut hat auch mal eine gezeichnete Frau zu sehen. Es gibt sie also, die Frauen, die nicht für immer nur mitgemeint sein wollen.
Oft rede ich auch mit Männern über dieses Thema. Dabei sind es in der Regel Männer, von denen ich sicher behaupten kann, dass ihnen nichts ferner liegt als Frauen nicht als gleichberechtigt zu sehen. Dennoch bleibt oft ein „ja aber“. Es ist halt anstrengend, der Redefluss ist gestört, das Binnen-i ist häßlich, das Sternchen noch viel mehr etc. pp. Die üblichen Argumente eben.
„Was spricht denn dafür?“, werde ich oft gefragt. Persönlich finde ich spricht dafür, dass es sich Menschen wünschen. Wenn mir jemand sagt: „Ich fühle mich besser damit“ und es kostet mich (fast) nichts, warum sollte ich dann darauf beharren meine Sprache nicht ein bißchen anzupassen? So schwer ist das nicht. Als Jugendliche habe ich z.B. durchaus gesagt: „Das ist ja behindert“ oder „Voll schwul“, wenn ich etwas abwerten wollte und dann habe ich gelernt, dass das falsch ist und Menschen verletzt. Also habe ich meine Sprache angepasst. Genauso ist es für mich mit der expliziten Ansprache von Frauen. Am Anfang hat es mich nicht gekümmert, im Gegenteil, ich hielt es für Wichtigtuerei, für ein Zeichen mangelndes Selbstbewusstsein. Je mehr ich mich aber mit dem Thema auseinandergesetzt habe – die Sprache ist ja nur ein winziger Teil im ganzen Thema Sichtbarkeit von Frauen – desto wichtiger wurde es mir auch eine Sprache zu finden, die Frauen nicht auf zweiter Stufe unsichtbar mit den Männern mitlaufen lässt.
Geht der Genderwahnsinn zu weit?
Nun gibt es schon Puten und Puteninnen! pic.twitter.com/bJ1iwFOKXs— Der Angelo (@strangelove1976) May 8, 2017
Mein Schlüsselerlebnis hatte ich wirklich in Gesprächen mit Kindern. Wenn ich z.B. sage: „Hast du denn nette Lehrer?“, dann lautet die Antwort: „Wir haben keine Lehrer, wir haben nur Lehrerinnen und die Klassenlehrerin ist wirklich sehr nett […]“. Nach und nach habe ich verstanden, was da im Kopf passiert. Bei Lehrer sehen die Kinder wirklich einen Mann. Sprache erzeugt Bilder und diese Bilder bilden Möglichkeiten ab.
In dem Zusammenhang oft zitiert folgendes Rätsel (kenne ich wirklich auch aus meiner Kindheit und auf die Antwort bin ich damals nicht gekommen):
Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Junge wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein Chef-Chirurg arbeitet, der eine bekannte Kapazität für Kopfverletzungen ist.
Die Operation wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chef-Chirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“.
Frage: In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen der Chirurg und das Kind?“
Stünde hier Chef-Chirurgin, wäre das Rätsel* kein Rätsel. Je mehr ich mit Kindern geredet habe, desto wichtiger ist mir das Thema gendergerechte Sprache geworden. Ich möchte, dass Mädchen sich vorstellen können Chirurgin, Elektrikerin, Polizistin, Ingenieurin oder Astronautin zu werden.
Ich bin mir ganz sicher, dass das im Interesse vieler Menschen ist. Warum stellen sich aber immer noch so viele an, wenn es um die Verwendung gendergerechter Sprache geht? Oft gibt es ja sogar un-umständliche Formulierungen wie z.B. Studierende (statt Studentinnen und Studenten). Anregungen kann man sich z.B. im Genderwörterbuch holen. Mit ein bißchen Übung, macht man Texte so gendergerecht ohne achso anstrengende Elemente wie StudentInnen, Student/innen oder gar Student*innen zu verwenden und den heiligen Leserfluss damit zu stören.
Warum aber wehren sich trotzdem viele Menschen immer noch so mit Händen und Füßen explizit die weibliche Form zu verwenden?
Bislang hatte ich keine Erklärung – jedenfalls bis ich heute den Text von Antje Schrupp dazu las. Sie schreibt:
Ich versuche schon seit einiger Zeit, zu verstehen, wieso diese Kultur sich so vehement gegen eine Veränderung von Sprache, die Frauen sichtbar macht, wehrt.
Quelle: Sprache: Es geht nicht um das „Mitgemeintsein“ von Frauen
Sie stellt folgende These auf:
Wir bestreiten den Anspruch von Männern und Männlichkeit, das Allgemeine zu respräsentieren, und uns den Status des Partikularen zuzuweisen. Männer sind nur ein Teil der Menschheit, und zwar ein spezifischer Teil, der nicht den Anspruch erheben kann, für uns zu sprechen.
Quelle: Sprache: Es geht nicht um das „Mitgemeintsein“ von Frauen
Und das fand ich sehr einleuchtend. Denn erstens bedeutet die Verwendung des generischen Maskulinums ja: Das Männliche ist der Standard und wenn man nun in der Sprache aufteilt nach Männer und Frauen, stehen Männer und Frauen plötzlich auf einer Ebene und nicht wie gewohnt: Der Mann als Standard und die Frau als eine Teilmenge des Männlichen.
Diesen Gedanken finde ich sehr interessant. Ich würde denken, dass das vielen Männern genauso unklar ist und war, wie mir dieser Umstand war.
Würde ich das als Argument in einer Diskussion um gendergerechte Sprache bringen, würden die meisten immer noch sagen: „Das ist Quatsch!“
Für mich ist das dennoch v.a. die Erklärung warum viele sich so anstellen und diese Argumente des Sprachflusses und der Umständlichkeit bringen. Denn da komme ich an den Anfang meines Artikels zurück. In einem Raum voller Frauen mit einer männlichen Form angesprochen zu werden, erfodert bei mir tatsächlich eine kognitive Zusatzleistung. Kommt das öfter vor, empfinde ich das anstrengend.
So stelle ich es mir für Männer auch vor. Als Frau kenne ich die Kulturtechnik des Mitgemeintseins, ich habe Übung. Wie beim Autofahren rufe ich lediglich einen Automatismus ab. „Lieber Kunde,“ und klar, ich weiß, dass ich mitgemeint bin.
Ich habe vor ein paar Jahren auch noch getwittert, dass es mir recht ist, „Textchef“ genannt zu werden – Hauptsache, Chef. Heute sehe ich das völlig anders.
— Barbara Vorsamer (@vorsamer) March 13, 2018
Wenn man Sprache nun aber aufbricht und bewusst anpasst, eben um Frauen sichbar zu machen, dann erfordert das eine kognitive Leistung bei den Männern. Das ist für die vermutlich auch anstrengend.
Deswegen glaube ich auch, dass dieses „Ach, ich bin ja auf eurer Seite, aber es ist so anstrengend/unästhetisch/stört den Lesefluss“ wirklich eine echte Anstrengungsempfindung ist.
Ich glaube, das ist nicht mal böse gemeint, sondern ein wirklich lange kulturell eingeübtes Männlichkeitsverständnis: der Universalismus ist da quasi schon im Konzept mit eingebaut, etwas anderes ist undenkbar.
Quelle: Sprache: Es geht nicht um das „Mitgemeintsein“ von Frauen
Differenzierte Sprache fordert dann jedes Mal ein klitzekleines Umdenken – und das ist vermutlich wirklich anstrengend.
*in einer heteronormativen Welt
Bitte den Originaltext auch lesen, der beschäftigt sich vielmehr mit der Überlegung, dass es tatsächlich keine explizit männliche Form gibt, die aber nötig wird, wenn es in der Sprache jetzt eine explizit weibliche Form gibt.
Ich wäre innerlich deutlich offener für diesen Beitrag gewesen, wenn eine Seite die schwer nachvollzogen werden kann, nicht gleich abgewertet würde.
Dein Lehrerinnenbeispiel ist ja witzig. Meine Kinder hatten die ersten Vorschul- und Schuljahre nur weibliches Lehrpersonal. Wie dann in der zweiten Klasse ein männlicher Kollege eine Vertretungsstunde hielt, war er automatisch auch eine Lehrerin.
„…ohne achso anstrengende Elemente wie StudentInnen, Student/innen oder gar Student*innen zu verwenden und den heiligen Leserfluss damit zu stören.“
Wenn das Absicht war, dann war’s sehr hübsch. In jedem Fall eine erhellende Störung des Leseflusses.
Würde gerne mal folgendes zur Diskussion stellen:
http://www.belleslettres.eu/content/deklination/genus-gendersprech.php
(Mir fehlen leider Kenntnisse für solch eine Betrachtung -> nicht mein Werk)
Geil, ich habe die Lösung. Der Chirurg hat nach der Geburt eine Geschlechtsumwandlung gehabt und ist jetzt ein Mann. Komisches Rätsel.
Wie ist jetzt das Verwandschaftsverhälnis ?
Schon okay. Dann aber bitte konsequent sein und auch bei negativen Berichten und Begriffen durchgendern. Dann muss es halt bei Berichten über häusliche Gewalt Täter und Täterinnen heißen.
Und die weibliche Form für Schwächling heißt dann wie?
PS: Nicht missverstehen. Ich schreibe z.B. grundsätzlich IMMER „Liebe Kolleginnen und Kollegen“, aber ich mag halt keine Rosinenpickerei.
Mörderinnen, Räuberinnen, Verbrecherinnen… klar. Wenn man das konsequent macht, wird was interessantes passieren: Man wird sehen, dass es eine Korrelation zw. Häufigkeit und Geschlecht gibt in solchen Fällen.
„Man wird sehen“
1) Woher weißt du das?
2) Sollte da nicht stehen: „Wir werden sehen?“
3) Und dann? Sollten wir den Anteil der Mörderinnnen irgendwie per Gesetz angleichen?
Ich dachte eigentlich wir wäre schon weiter. Wenn’s dem Feminismus nur darum geht, die Gutheit der Frauen und die Schlechtheit der Männer herauszustellen, na dann viel Spaß…
1) http://bfy.tw/HC3r
2) Stimmt, das wäre besser gewesen. Das „man“ muss ich mir noch abgewöhnen. Das ist in meinem Kopf noch neutral.
3) Deine Frage ist natürlich Unsinn, das weißt Du vermutlich auch. Es geht nicht um Gutheit und Schlechtheit sondern darum, dass bestimmte Fakten dann sichtbarer werden und wahrscheinlich auch zu einer Sensibilisierung beitragen. Sichtbarkeit bedeutet auch immer, dass man zukünftig Wege finden kann, Dinge besser zu machen.
Das Wort „man“ kannst du ruhig weiter benutzen. Das kommt vom griechischen Wort manos (=Volk) und ist definitiv geschlechtsneutral.
Sichtbarkeit, um Dinge besser zu machen. Volle Zustimmung. Wenn man z.B. das Dunkelfeld „häusliche Gewalt“ ein wenig besser ausleuchten würde, käme ein ziemlich großer Elefant mitten im Wohnzimmer zum Vorschein, nämlich häusliche Gewalt gegen Männer und Jungen.
Kein vernünftiger Mensch will das Netz von Frauenhäusern, -Notrufen etc. einschränken, aber dass es nahezu keinerlei Hilfsangebote für männlich Opfer gibt, ist schon ein dicker Hund. Denn Männer stellen nicht nur die Mehrzahl der Täter, sondern auch der Opfer (außer bei sexueller Gewalt)
„man“ kommt vom griechischen „Manos“ =Volk und ist daher geschlechtsneutral.
Und klar gibt es bei den meisten Verbrechen eine Häufung. Männer und insb. junge Männer sind bei Gewalttaten deutlich überrepräsentiert. Aber nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer.
Aber was ich sagen wollte: Wenn es generell um eher unangenehme und negative Dinge geht, habe ich noch keine Feministin getroffen (oder gelesen), die etwas gegen das generische Maskulinum hätte.
Als Ingenieur frage ich zunächst: Welches Problem soll hier gelöst werden? Und allgemein als wissenschaftlich vorgebildeter: Ist die Sprache eine Abbildung der Machtverhältnisse, oder sind die Machtverhältnisse aus der Sprache entstanden?
Die Gendergerechte Sprache ist ein Nebenkriegsschauplatz. Wenn in der Anzeige steht: Suche Nachmieterin oder Nachmieter für meine schöne 50qm Wohnung in München Bogenhausen mit Blick auf den englischen Garten, bleibt sie weiterhin für Alleinerziehende unbezahlbar.
Ich hab‘ auch manchmal den Verdacht, das hier wieder ein speziell deutsches Problem gelöst werden muß, weil hier umso deutlicher unterschiede in den w/m Formen auftauchen. Ich arbeite in einer englisch=Firmensprache Umgebung und fällt dann oft die w/m Unterscheidung unter den Tisch (Dear colleagues, ) und in unserem diversen Umfeld gibt’s oft Überaschungen bei Ableitungen aus Namen; Andrea ist zB männlich in Italien.
Übrigens zum Einstieger (Der Nächste, bitte), ich glaub hier in der Gegend (und dann auch Dialekt geprägt) ist der Ansprache eher: Wer ist denn jetzt dran?
Als Psychologin lautet meine Antwort: Sprache beeinflusst das Denken. Wenn man sich die Mühe macht sie exakt zu benutzen, löst das so einige Probleme.
Es schafft nämlich Denkräume gendergerechte Sprache zu verwenden. Natürlich gibt es wichtigeres – aber wie so oft im Leben ist es nicht entweder oder sondern sowohl als auch.
Wenn sich mehr Mädchen vorstellen können Ingenieurin, Mathematikerin, Software-Entwicklerin zu werden, vielleicht ebnet das auch den Weg zum Abbau des MINT-Nachwuchsmangels z.B.
Und natürlich ist das ein deutsches Problem – was aber ändert jetzt diese Vorstellung?
Eben. Die Schaffung von Möglichkeiten durch Sprache ist real.
Und @Bruno: Dieser Zusammenhang wurde nicht erst gestern erkannt, siehe „Sapir-Whorf-Hypothese“ beziehungsweise „Linguistic relativism“.
Komisch, ich hätte nicht gedacht, dass ich diese beiden Begriffe außerhalb meines Studiums nochmal verwenden würde, aber in letzter Zeit spreche ich tatsächlich öfter mal drüber. Im Übrigen war ich auch so eine Studentin, die „da nicht so war“ mit der Sprache – und war sogar ein bisschen stolz drauf. Am Endes des Studiums und viele Lektürestunden später sah ich das dann ein bisschen anders.
Männl. Form Schränkerbeleuchtung??
Antje Strupps Text finde ich wirklich revolutionär. Das einmal klar zu sehen, wie es ist! Es erklärt so vieles, nicht nur wenn es um Sprache und die Kämpfe darum geht. Sondern für mich zum Beispiel auch, warum das Hebammen-Thema in der Politik kaum jemanden interessiert. Nach dem Lesen des Textes war ich erstmal sehr wütend, als mir bewusst wurde, wie universal das ist – diese männliche (mit männlich meine ich eigentlich nicht männlich sondern das, was unter männlich landläufig so verstanden wird) Norm, bei der alles „weibliche“ nur die marginale Zusatzoption darstellt. Hier wird es wirklich ernst mit der Gleichberechtigung…
Ja und wenn man sich dann anschaut, wie männlich die Regierung jetzt wieder ist… dann hat man leider nicht viel Hoffnung, dass sich bald was ändert.
Generell Zustimmung zum Artikel. Klar man muss nicht übertreiben und gleich bei allem meckern aber ich finde auch dass – angefangen bei den Dingen die wirklich nicht wehtun und dann langsam bei immer mehr – die Durchsetzung der geschlechtsneutralen Formen bei Geschäften und sonstwo im öffentlichen Leben ein bisschen mehr vorangetrieben werden sollte.
Ich denke die meisten Frauen würden, wenn mal etwas generisch männliches durchrutscht, nicht gleich ausrasten, wenn deutlich die Mühe erkennbar wäre etwas zu ändern. Vor allem wenn es kein einfaches Äquivalent zum generischen Wort gibt.
An einer Stelle möchte ich aber jetzt doch noch kurz einhaken weil ich es aus eigener Erfahrung spannend finde:
Bei Strichmännchen (bzw. -weibchen): Du hast erwähnt dass Du Frauen malst, aber… Wie malst Du denn eine Frau?
Hintergrund ist dass ich mal gerügt wurde weil ich auf einem Flipchart – aus den gleichen Gründen wie Du, Neutralität – anstatt meines Standard-XKCD-Style-Strichmännchens eines mit Rock und langen Haaren gemalt habe (analog zum Piktogramm an Damentoiletten).
Eine anwesende Feministin fand das sexistisch weil ich dadurch natürlich impliziert habe, lange Haare und Rock seien weiblich. Ich musste eingestehen dass das stimmt aber war ratlos (und ein klein wenig verärgert über mich) weil ich ja damit bei der Vermeidung eines Fettnäpfchens ins nächste getreten war.
Sie fand ein Standard-Strichmännchen wäre OK weil es – mangels Geschlechtsmerkmalen – ja neutral sei. Sie schlug lediglich vor, das Wort „Strichmensch“ zu verwenden.
Gruß
Aginor
Ich male keine Strichmännchen sondern Comicfiguren und da male ich immer mehrere Frauen, manche mit kurzen Haaren, manche mit Ohrringen, manche geschminkt. Umgeht das von Dir geschilderte Problem nicht. Ich muss dir aber ganz ehrlich sagen, mich nerven Menschen, die immer kritisieren, selbst wenn sie sehen, dass sich jmd bemüht etwas anders und vielleicht besser zu machen. Das ist so kontraproduktiv. Sie hätte ja auch erkennen können, dass sie in dir einen potenziell Verbündeten hat und dir dann nett eine Alternative vorschlagen können. So versuche ich jedenfalls mit sowas umzugehen.
Naja, sie hat es ja wirklich recht freundlich gemacht (habe da leider auch schon sehr aggressive Beipiele erlebt) aber Du hast schon Recht.
Mir als Mann fällt es echt manchmal schwer so wenigstens ein bisschen bei dem ganzen mitzumachen, weil ich schon so oft dann gerade von den Menschen denen ich es Recht machen möchte (in dem Fall Frauen, ich finde es ist einfach eine gute Zeit, jetzt Genderneutralität voranzubringen) angegangen werde.
Manchmal hat jeder glaube ich mal Lust dann hinzuschmeißen und zu sagen „Ach macht Euren Mist doch alleine“. Aber ich denke an meine Tochter und dass wir die Chance haben es vielleicht für ihre Generation ein bisschen besser zu machen. Also mache ich weiter. Lange nicht perfekt aber wenigstens sensibilisiert. :)
Was die Aggressivität bei manchen Feministinnen angeht sehe ich es so:
Das ist vielleicht das Erbe von Alice Schwarzer und Co., als Frauen ohne extreme „Schwanz-ab“-Haltung überhaupt nicht gehört worden wären.
Sofort beißen bei allem war einfach die beste Methode um endlich die nötige Aufmerksamkeit und Sensibilisierung zu erreichen. Heutzutage mutet es seltsam an und ist in weiten Teilen (hoffe ich) auch nicht mehr nötig.
Aber ein paar Oldschool-Feministinnen gibt es eben noch, und natürlich auch ein paar jüngere in deren Lebensrealität vielleicht auch noch ein bisschen mehr Aggressivität von Nöten ist um nicht unterzugehen.
Daher denke ich: Als Mann muss man damit heutzutage einfach leben. Lächeln, deeskalieren versuchen (dabei hoffen dass einem nicht „Mansplaining“ vorgeworfen wird), wenn es zu extrem wird auch mal ausweichen. Vielleicht lernen die extremeren Menschen dadurch dass Konfrontation nicht immer zielführend ist.
Irgendwie werden wir es schon schaffen langfristig mit weitgehender Neutralität. Auch wenn es noch ein weiter Weg ist. :)
Danke für Deine Antwort. Einfach ein gutes Blog.
Gruß
Aginor
Danke, dass du das für deine Tochter machst! Das habe ich als Motivation eines Mannes den Feminismus zu unterstützen schon hin und wieder gelesen und frage mich deshalb, ob die ganzen Anti-Feminismus-Trolle eigentlich alle keine Töchter haben. Oder ob sie ihnen die Gesellschaft so hinterlassen wollen, wie sie ist.
Das ist wirklich eine interessante Frage, ich weiss es nicht genau.
Aber ich denke dass die häufigste Meinung ist, die Welt sei schon OK so, und die Ungerechtigkeit wäre ja nicht so schlimm und Feministinnen würden aus einer Mücke einen Elefanten machen, sie sollten sich nicht so anstellen.
Diese Meinung wird dann noch verstärkt durch anektodische Evidenz, es gäbe ja mächtige Frauen und es gäbe ja auch Frauen die zufrieden wären oder einige feministische Ideen ja auch ablehnen etc.
Und dann reicht eine Feministin, die ein wenig übers Ziel hinausschießt in ihrer Wortwahl (und natürlich sind ExtremistInnen auch bei diesem Thema die Gruppe die in den Medien am besten vertreten ist, es mangelt also nicht an Beispielen), um Feminismus als Ganzes in den Augen dieser Männer als gefährliche Spinnerei abzustempeln, und dann reicht die Reaktion von lächerlich machen bis hin zu aggressiven Handlungen.
Diese Leute sehen also – durch filtern – einfach kein Problem mit der Situation und damit auch keinerlei Notwendigkeit, etwas zu ändern. Dadurch begreifen sie den Feminismus als Bedrohung.
Möglicherweise vorhandene Töchter müssen aus Sicht dieser Männer vor dieser gefährlichen „SJW-Propaganda“ und den „irren Feministen“ geschützt werden.
Andere denken sich einfach dass das ganze so eingefahren sei, da könne man eh nichts ändern, und dass sich das irgendwann von alleine regelt. Die sehen einfach keinen Handlungsbedarf. Und reagieren dann aggressiv wenn jemand eine Änderung ihrer gewohnten Handlungsweisen einfordert.
Ein weiterer großer Punkt sind Gewichtungen: „Gibts es da keine dringenderen Probleme?“
Ja, Welthunger, Armut, Kriege, der Einfluss von Religionen und eine gute Anzahl andere Dinge sind wichtigere Probleme als gendergerechte Sprache, das Argument sehe ich sogar ein. Aber das heisst doch nicht dass man die „weniger wichtigen“ Themen überhaupt nicht angehen darf. Es hat doch nie jemand gesagt dass die Menschheit sich nur um maximal X Probleme gleichzeitig kümmern darf.
Wie gesagt ich erhebe keinen Anspruch darauf zu wissen wie jeder da tickt, aber aus meiner eigenen Erfahrung sind das ein paar der großen Punkte.
Gruß
Aginor
Es gibt zum Glück auch Männer, die sich über solche Dinge Gedanken machen. Ein Studienkollege wollte darauf bestehen, dass er den Titel Doktorin verliehen bekommt. Frauen hätten schließlich auch das Recht zwischen der männlichen und weiblichen Form zu wählen. Er wollte so zeigen, dass die männliche Form eben nicht die angeblich neutrale Form ist. Es ging ihm also nicht um die angebliche Diskriminierung der Männer, weil sie keine Wahlfreiheit haben.
Leider kam er nicht bis zu dem Punkt, die Reaktion der Uni hätte mich sehr interessiert.
Vielleicht könnte man ja „Kunde“ umdefinieren? Das „Kunde“ einfach die neutrale Form wird? Soll das Weibliche betont werden nimmt man dann „Kundin“ und für das Männliche erfinden wir einfach eine neue Endung, sagen wir -on, also „Kundon“?
Das wäre sogar in gewisser Weise abwärtskompatibel und meistens müsste nichts geändert werden, da ja heute in aller regel die neutrale Form gemeint wird. Und es spart die lange doppelte Anrede.
Das „Der Nächste bitte“ ist damit aber auch noch nicht gelöst. Vielleicht in dem Zuge einfach die Artikel auch gleich mit einstampfen (sind sprachlich sowieso überflüssig) und den guten alten universalen Artikel „de“ aus dem Plattdeutschen wieder aufleben lassen? Dann hätten wir das mit „De Nächste bitte“ auch gelöst.
Ich denke (auch), dass geschlechtsneutrale Formen die Zukunft sind. Der geschlechtsbelastete „Kunde“ könnte z.B. durch einen Konsumierenden ersetzt werden. Dann hat man – wir dankem dem Plural des Gerundiums – die Möglichkeit einer geschlechtsneutralen Formulierung: Wenn dann durch das Supermarktradio „Liebe Konsumierende, bitte beachten Sie folgendes Angebot!“ dröhnt, klingt das erst einmal ungewöhnlich, aber eigentlich unproblematisch. Oder man erfindet etwas Neues, kürzeres. „Liebe Einkaufende, bitte beachtne Sie folgendes Angebot“. Geht doch!
******************KOMMENTAROMAT**********************
Genau!
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Ich finde es leider nicht, meine aber mal gelesen zu haben, dass sich bei doppelter Ansprache in Stellenauschreibungen Frauen eher angesprochen fühlen als bei der mitmeinenden männlichen Anrede. Insofern glaube ich, dass das ein notwendiger Schritt ist auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Ich persönlich wünsche mir trotzdem, dass wir uns irgendwann auf eine weniger sperrige Form einigen können.
Letztens bezeichnete ich mich selbst mit einer männlichen Form und wurde anschließend von einem Kollegen korrigiert. Ich bin noch unschlüssig, ob ich das als ‚Mansplaining‘ blöd finde, oder ob ich es gut finde, dass er über so etwas nachdenkt oder doch blöd, dass ich mich nicht einfach bezeichnen darf, wie ich will…
Aus meinem alten Job im IT-Umfeld kann ich das bestätigen. Wenn man in der Ausschreibung explizit Frauen anspricht, bewerben sich deutlich mehr Frauen.
Glücklicherweise gibt es oben drauf die Schrankenbeleuchtung
Vollstes Verständnis.