Alle Monate wieder geht irgendein Text durch das Netz, der die Geißel Internet beklagt. Wie es uns abhängig macht, unfrei, alle Kommunikation unterbindet, uns vereinsamen lässt, 24 Stunden zum Arbeiten zwingt. Früher als es noch keine Smartphones gab, war natürlich alles besser. Wir sprangen über Wiesen, Hand in Hand, uns in die Augen blickend, dem Sonnenuntergang entgegen.
Hundertfach geteilt und enthusiastisch kommentiert. Endlich hat es mal jemand erkannt. Endlich sagt es jemand. Digital-Detox! Internet abschalten – das würde uns allen helfen.
Ich meine: WTF? Internet abschalten weil es jemand nicht schafft auf seinem Handy die Push-Nachrichten abzustellen? Apps zu löschen? Das Handy zuhause liegen zu lassen?
Mangelnde Selbstregulation nennt man das.
Nicht dass das zu unfreundlich klingt. Ich habe das auch. Ich möchte die Stunden nicht in Summe sehen, die ich mit schlechten Netflix-Serien verbracht habe, weil ich abends zu schlapp und zu willenlos war, einfach den Rechner zu zuklappen. Kein Ding. Wir sind alle schwach. Aber muss dann gleich das digitale Leben abgeschafft werden? Für alle? Nur weil ich es nicht auf die Reihe bekomme meinen Rechner auszuschalten oder auf eine 23 Uhr-Email nicht zu antworten?
Felix Schwenzel schreibt so treffend dazu „Statt zu fordern das „digitale Leben“, die Pubertät oder irgendeinen anderen Wandel zu beenden, weil er Friktion, Schmerzen, Streit oder Stress verursacht, bin ich eher ein Freund des Verarbeitens. Wandel muss aber nicht nur mühsam verarbeitet werden (gesellschaftlich wie individuell), sondern auch ständig evaluiert und im besten Falle auch mitgestaltet werden.“
Und da sitze ich auf dem 15-Jahre-Netzpolitik-Kongress und denke: „Ja, Internet abstellen, das ist vielleicht doch eine gute Idee.“ Nicht so sehr weil mein Smartphone mich etwa zur Arbeits- und Scroll-Skalvin macht, sondern weil ich freiwillig und oft mit großer Freude fast 24 Stunden am Tag ein kleines Abhörgerät mit mir herumtrage und aus lauter Bequemlichkeit die großen Konzerne darin unterstütze ihre Monopolstellung auszubauen und zu sichern.
Es ist halt so bequem. Mutti ist auf WhatsApp, die Großmutter auf Facebook, das große Kind im Ausland am besten über Skype erreichbar. Um etwas im Internet zu finden, benutze ich Google, DuckDuckGo kommt mir irgendwie so sperrig vor. Vier Jahre hat es gedauert von Gmail zu Posteo zu wechseln. Hach, das war ja so viel Arbeit und 12 Euro kostet es auch.
Cookies akzeptieren, na klar. Seit der DSGVO klickt man aufgrund der komplizierten Erläuterungen auf den Websitebannern noch leichter okay, okay, okay.
Ein VPN benutzen, einen Tor-Browser – macht man sich da nicht irgendwie verdächtig, weil, ich hab ja eigentlich nix zu verbergen…
Ghostery installieren – mühsam und will ich wirklich wissen, was da alles getrackt wird? Auf einer Seite 19 Dienste? Warum? Und wenn – wie ändere ich das? Gar nicht, oder? Ich bin doch nur eine einzelne Person. Was ändere ich schon? Was kann ich überhaupt ändern. Ja bitte, nehmen Sie meine Payback-Karte. In drei Monaten bekomme ich deswegen 50 Cent Rabatt. Jetzt aber erstmal bei Amazon bestellen.
Der Denkfehler ist der selbe wie im Klimaschutz. Klar kann ich keine ToGo-Becher mehr nutzen, klar kann ich meinen Kindern erklären, dass Strohhalme nicht gut sind, klar rollen wir die Geschenke nur noch in Stoff ein oder nehmen wiederverwendbare, bunte Taschen, klar kann ich weniger Fleisch essen, nicht fliegen, kein Auto fahren. Alles möglich. Aber hilft das? Wendet das irgendwas ab? Weil ich es tue? Weil meine Freund*innen es tun? Leider nein. (Was im übrigen nicht heißt, dass es nicht trotzdem gut und richtig ist, nachhaltiger und umweltbewusster zu leben).
Wir Individuen sind tatsächlich nicht der Hebel. Klimaschutz, Verkehrswende, Datenschutz sind keine Themen, die in unserer Eigenverantwortung liegen. Auch wenn die unterschiedlichen Lobbys hart daran arbeiten uns das glauben zu lassen.
Nein, der Hebel ist der politische Druck, den wir aufbauen müssen. Die politischen Forderungen, die wir stellen müssen, die die Parteien für uns stellvertretend stellen müssen. Als Zivilisten müssen wir auf die Straße und unsere Forderungen stellen. Als Bürger*innen müssen wir die Parteien wählen, die uns auf dem Weg zu mehr Freiheit, weg von der Überwachung, weg von der Monopolisierung von Internetkonzernen, begleiten.
Deswegen ja: eigentlich müssen wir ordentlich digital detoxen. Aber nicht weil uns das Digitale unglücklich, dick und dumm macht, sondern weil wir uns auf einem Weg befinden, der uns am Ende in eine Black-Mirror-Welt führt. Jedenfalls wenn wir nichts weiter unternehmen.
Während der eine Digital-Detox-Text bejubelt wird: „Entledigt euch der Geißel des Digitalen, verbrennt eure Smart-Watches und seid wieder frei!!1!“, finden die Texte, die eigentlich guten Grund geben sich aus dem Digitalen fernzuhalten kaum Beachtung und aus allen Ecken und Enden werden die armen Aluhüte belächelt: „Haha, ihr armen Verrückten. Ihr Schwarzmaler*innen. Ein bisschen Google hat noch niemanden geschadet, so schlimm ist es mit der Überwachung noch nicht, ich habe jedenfalls nichts zu verbergen, die Kameras auf den Bahnhöfen machen die Welt wenigstens sicher* – was ist bloß mit euch los?“
Dabei sollte uns allen an der digitalen Mündigkeit gelegen sein. Das Internet ist da und es geht nicht mehr weg. Jetzt müssen wir es mitgestalten, wir müssen darauf bestehen es mitgestalten zu können, wir müssen darauf bestehen, dass es Alternativen zur Datenbezahlung gibt und wir müssen Modelle entwickeln, die es unabhängig von der finanziellen Ausstattung des einzelnen möglich machen das Internet sicher und unüberwacht zu nutzen.
Make Datenschutz great again! Digital first, Bedenken second hatten wir jetzt lange genug.
*Super Sache, wenn in <Unterdöppelsdorf> ein wie auch immer gearteter Übergriff gefilmt wird. Weil in <Unterdöppelsdorf> gibt es nämlich kein Personal, das einschreiten kann.
Ich bin froh, dass es dass internet gibt. Seitdem erfahre ich viel mehr von der Welt da draußen z. B. auf blogs, podcasts, youtube usw., bin selber kreativ. Habe aber weder ein account bei facebook, twitter oder Instagram.
Wenn ich in der U-Bahn und auf den Straßen und Plätzen sehe wie alle in ihr Handy starren, empfinde ich es schon als eine Seuche. Meines ist nur an, wenn ich zuhause anrufen muss.
Mir ist das auch zu viel Panik-Mache. Wie so oft geht es vielmehr um die individuelle Auseinandersetzung mit diesem Thema. Eine solch radikale Forderung ist in meine Augen inhaltslos & nicht wirklich ernst zu nehmen.
Ich frage mich oft, warum wir viel öfter das Schlechte & die Angst vor etwas (mit dem wir vllt. auch nicht super vertraut sind) sehen, als die Chancen & Vorteile?
LG, Richard vom https://www.vatersohn.blog/
Großartig geschrieben, vielen Dank!
Eigentlich ist das alles nur eine Frage des Wollens. Man muss sein Smartphone abschalten WOLLEN und nicht über Digital Detox nur reden. Und man muss einen Klimawandel WOLLEN und nicht noch nebenher ein paar altkapitalistische Großkonzerne pampern.
LG
Sabienes
Ich glaube, ich finde vor allem den Begriff „digital detox“ so bescheuert wie ne Ananasdiät, dass mich das ernsthaft hindert. Sobald es „individuell sinnvolle Nutzung“ heißt, ist alles gut damit.
„Ich binde die Schriftarten („Google Fonts“) des Anbieters Google LLC, 1600 Amphitheatre Parkway, Mountain View, CA 94043, USA, ein.“ – Und warum hörst du nicht auf damit?
„Wenn Sie die Webseite weiter benutzen, stimmen Sie der Speicherung und Verwendung der Daten für diesen Zweck zu“ – Wie bitte?
„Die Spamprüfung erfolgt über Antispam Bee. Darüberhinaus wird die eingegebene E-Mailadresse an den Dienst Gravatar (Auttomatic, USA) weitergegeben, um zu prüfen, ob die Kommentierenden dort ein Profilbild hinterlegt haben.“ – Häh?
Es ist sehr leicht zu formulieren, wir sollten mal die Politik mehr über Datenschutz nachdenken lassen, wenn frau/man nicht gerade im Porzellanladen sitzt.
Und dann noch Spaß dabei, wenn man den Haken nicht setzt … „Fehler: Bitte bestätigen Sie die Speicherung und Verwendung Ihrer Daten wie beschrieben.“
Wie ich oben schreibe, viele Dinge mache ich nach wie vor total falsch und es gibt sehr viel Luft nach oben. Manchmal aus Bequemlichkeit oder, wie in den Fällen, die Du kritisierst, weil ich mich technisch einfach zu wenig auskenne, wie man aus dem Default was besseres macht. Also nehme ich fertige Plugins, um den Regeln zu entsprechen, in der Hoffnung wenigstens Transparenz zu schaffen (was vielleicht ein bisschen mehr als nichts ist).
„Jetzt müssen wir es mitgestalten, wir müssen darauf bestehen es mitgestalten zu können, wir müssen darauf bestehen, dass es Alternativen zur Datenbezahlung gibt und wir müssen Modelle entwickeln, die es unabhängig von der finanziellen Ausstattung des einzelnen möglich machen das Internet sicher und unüberwacht zu nutzen.“
Wir alle, also auch du (und jemand der „Vereinbarkeit“ im Leitbild stehen hat, sollte mal gelernt haben Bequemlichkeit zu überwinden …).
Du hast mit diesem Blog mehrere Preise gewonnen, hälst Vorträge, schreibts für andere Blogs oder Publikationen und hast niemand, der dich mitnimmt oder den du mitnehmen kannst, Google Font frei zu werden? Du hast netzpolitik.org erwähnt, deren Webseite keine Google Fonts verwendet, ihr beide residiert in Berlin, kann frau/man sich nicht mal treffen oder zumindest nachfragen?
Oder mit deinen Kontakten zu Elternblogs(?): Warum tretet ihr nicht gemeinsam und öffentlichkeitswirksam von Instagram und Twitter zurück?
Du bist eine Marke und eine Multiplikatorin, du hast leider eine Verantwortung.
So viele Du-Botschaften. Das ist leider keine gute Kommunikationsstrategie.
Ich nehme meine Verantwortung durchaus wahr. Nur anscheinend nicht so, wie Du es gerade gerne hättest. Ich fürchte, damit müssen wir jetzt beide leben.
Bei allem Respekt: es geht beim Thema „Vorbild“ nicht um Kommunikation in der Kommentarspalte, und auch nicht um GFK (ansonsten super spannend und so), sondern um Konsequenz.
Also: ja, das was mein Vorredner von sich gegeben hat, waren alles Du-Botschaften. Aber gleichzeitig vollkommen rationale Gedanken (und ja durchaus auch konstruktive Ideen).
Natürlich ist das nicht eine Sache von 10 Minuten, aber vielleicht eine schöne Idee für einen etwas Technik-lastigeren Eintrag irgendwann: „In 80 Tagen um die Website“, „Wie man es in 99 Tagen schaffen kann, Google auszusperren“*, oder so.
* Ja, das ist möglich, sogar auf Android-Geräten; und der Zeitplan ist entspannt.
„Bei allem Respekt“ heisst auf der Enterprise übrigens auch nichts freundliches.
Also: Kritik ist angekommen und berechtigt.
Mein Punkt ist aber auch: Die einfachen Lösungen sind kostenlos. Siehe Google Fonts. Ohne dass ich irgendwas über Technik weiß, kann ich eine Website haben und im Standard-Theme sind die Google-Fonts einfach drinnen. Ich habe die ja nicht extra in ein Google-Font freies Theme eingebaut. (Vgl. kostenlose Mail mit viel Speicherplatz/Gmail). Wenn ich es anders haben will, muss ich Geld in die Hand nehmen oder mich eben so gut auskennen, dass ich es mir anders zusammen bastele (was ja auch Zeit kostet). Das finde ich nicht in Ordnung. Darum geht es u.a. in meinem Text.
Klar kann man sich vorbildlich verhalten und sollte es auch tun, aber es gibt eben auch Grenzen und im Großen und Ganzen ändert mein Verhalten nichts am System.
Die DSGVO ist doch ein schönes Beispiel. Sie macht es euch z.B. so einfach in meine Datenschutzerklärung zu schauen und zu sagen: Ihhhh! Du benutzt Google Fonts, Gravatar, Google Analytics. Ein Fortschritt.
Und bei allem Respekt: Was sind denn die konstruktiven Ideen? Dass mir Menschen aus einem anderen Blog kostenlos helfen sollen meine Fonts zu ersetzen?
Dass „wir“ Elternblogger von Twitter und Instagram zurück treten sollen?
Ich glaube, dazu (und vermutlich auch zum Deinem Buch-Thema) passt das hier, was heute bei @BILDblog verlinkt war: eggers-elektronik.de/eeblog/2019/me…