Von klein auf lernt man, dass Kritik eine super Sache ist. Man lernt akzeptieren, dass es ein universelles Kritikrecht gibt. An allem und jedem. Expertenwissen unnötig. Jeder darf. Einfühlsamkeit – drauf gepfiffen! Kritisieren und meckern ist geil. Das hilft den anderen ja. Kritik ist quasi die einzige Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Wie sollen wir reflexionsfähig werden, wenn wir nicht kritisiert werden?
Die Eltern fangen damit an, die Lehrer sind ganz groß damit, selbst Passanten dürfen es: Kritik üben. Es wird einfach akzeptiert. Nicht mal Einjährige, die etwas auf ein Papier krakeln, werden verschont. Von Anfang an wird bewertet und kritisiert: „Ah, das hat Du aber schön gemacht!“ oder „Was ist das?“ „Auto“ „Nein, so geht doch kein Auto!“
Man muss schon ganz schön alt werden, bis einem auffällt wie seltsam das ist. Jedenfalls hat man irgendwann gelernt mit Kritik umzugehen. Man kann mit eiserner Miene lächeln und im Bewerbungsgespräch kann man glaubhaft versichern, dass man Kritik sehr wichtig findet, schließlich möchte man sich weiterentwickeln.
Man mag jetzt anmerken, dass Kritik auch konstruktiv – gar positiv sein kann. Doch wenn man sich ganz kurz überlegt, wie man auf Lob reagiert, wird schnell klar, dass es immer eine unbeholfene Reaktion ist, die meilenweit von dem routinierten Umgang mit (negativer) Kritik ist.
Den Umgang mit Lob lernt man nicht. Offensichtlich kommt es zu selten vor, als hätten wir passende Reaktionen im Verhaltensrepertoire.
Schreit mich jemand auf der Straße an, finde ich das beinahe normal. Passiert gelegentlich und vermutlich hat er/sie irgendwie recht.
Sagt mir jemand „Du hast aber ein schönes Kleid.“ Dann bestand jahrelang meine Reaktion in einer verlegenen Erläuterung wo ich das Kleid gekauft hatte, die mit einer Beteuerung einher ging, dass es nicht teuer gewesen sei. Ich ging immer davon aus, dass „Du hast ein schönes Kleid“ bestenfalls ein unausgesprochenes „Ich hätte das auch gerne, wo kann ich es kaufen“ nachhinge. Eher aber eine Art Kritik, in der Art „Was ist das denn schon wieder für ein teurer Fummel?“ Dass es sich um ein Kompliment handeln könnte, ist mir erst sehr spät aufgegangen.
Spricht sogar jemand völlig Fremdes ein Lob aus, schrillen bei mir alle Alarmglocken. Die Worte „Oh, sie haben aber einen schönen Mantel“ lassen mich an Taschendiebe denken. Man weiß ja, dass es da nur um Ablenkung geht. Taschendiebe schicken also unschuldig wirkende Frauen als Ablenkungsmanöver voraus, die machen Passanten unerwartete Komplimente und davon sind sie so von der Rolle, dass der eigentliche Dieb leichtes Spiel hat.
Einfach so auf offener Straße von Fremden gelobt werden DAS IST U.N.M.Ö.G.L.I.C.H!!!11!!!
Dass so wenig gelobt wird, dass der Durchschnittsmensch mit Lob nichts anfangen kann, das finde ich sehr schade. Deswegen habe ich mir vor einigen Wochen vorgenommen mehr zu loben. Man empfindet was positives und gibt was positives weiter. Im Internet ist das schnell gemacht. Hier gefavt, da geliket. Alle freuen sich. In der analogen Welt ist es unendlich schwer.
Zum Beispiel war ich heute mit Kind 2.0 beim dritten Augenarzt. Zwei Augenärzte hatten mich bereits in den Wahnsinn getrieben. Monatelang auf einen Termin warten, um dann nochmal über zwei Stunden in einem engen, überfüllten Wartezimmer ohne Ablenkungsmöglichkeiten absitzen, dem Kind Augentropfen verabreichen und dann einem Fachmann ohne jedem EInfühungsvermögen für Kinder begegnen. Der dritte Versuch jedoch war ein Goldgriff. Ich war so glücklich, dass ich mich bedankte. Die Ärztin hat mich angeschaut, als sei ich von einem anderen Stern. Dabei habe ich nichts anderes gesagt als „Vielen Dank, dass sie die Untersuchung so kinderfreundlich gestaltet haben. Ich hatte auch den Eindruck dass sie alles sehr gründlich gemacht haben und gehe mit einem guten Gefühl nach Hause.“
Als wir hinterher gemeinsam auf einem naheliegenden Spielplatz waren und eine kleine Horde Kinder gleich mein Kind 2.0 ins Spiel miteinbezog und das auf so herzige Art und Weise und ich den anderen Müttern zulächelte und sagte „Ihr habt ja süße Kinder!“ schaute die eine Mutter die andere an und fragte leise „Wat hat die denn jerocht?“
So ist das mit dem Lob in Deutschland.
Hallo,
ich hab deinen Blog gerade erst entdeckt & finde ihn toll (das wäre jetzt lt. Definition oben ein Lob ; )
Der Artikel ist zwar schon ein bißchen älter, aber sagst du mir, mit welchem Augenarzt du so zufrieden bist?
Danke & schöne Grüße.
Auch wenn es kleinlich wirken könnte: Es besteht ein Unterschied zwischen Kompliment und Lob. Zentraler Unterschied: Lob gibt es für eine Leistung, ein Kompliment auch für Nicht-Leistung. Aus Sicht einer Person, für die Shoppen/Einkaufen keine Leistung ist, ist das Kompliment „Oh, sie haben aber einen schönen Mantel“ nur dann ein Lob, wenn der Mantel selbst genäht wurde. Oder?
Wiktionary unterscheidet aktuell folgendermaßen:
Kompliment:
[1] eine Äußerung, die positiv bei dem Gesprächspartner gewertet wird
[2] veraltet: Gruß
[3] veraltet: Verbeugung
Lob:
[1] Anerkennung von Leistungen oder Verhaltensweisen durch sprachliche oder körpersprachliche Ausdrucksmittel
Der Duden sieht es folgendermaßen:
Kompliment:
[1] lobende, schmeichelhafte Äußerung, die jemand an eine Person richtet, um ihr etwas Angenehmes zu sagen, ihr zu gefallen
[2] (veraltet) Gruß
Lob:
anerkennend geäußerte, positive Beurteilung, die jemand einem anderen, seinem Tun, Verhalten o.?Ä. zuteilwerden lässt
(wird der Artikel gefiltert?)
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Genau! … ab morgen wird hier mehr gelobt.
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Habe auch noch nicht ganz verinnerlicht, dass die richtige Reaktion auf ein Lob ein „Danke schön“ und ein Lächeln ist – hab neulich erst wieder rumgedruckst, als jemand was Nettes gesagt hat. Ich weiß es doch eigentlich, warum kann ich es nicht einfach tun?
Hallo,
Auch ich habe mir angewöhnt mehr zu loben.
Freue mich natürlich wenn ich auch ein Lob bekomme. Wir haben da noch einiges
nachzuholen. Für dich ein dickes Lob zu dem gelungenen Post und über den letzten Satz mußte ich laut lachen, herrlich, genau so isses!! ;-))
Liebe Grüße
Meggy
Dein Vorhaben ist sehr lobenswert und ich hoffe, du laesst dich von solch bloeden Kommentaren nicht zu sehr vor den Kopf stossen.
Ich glaube aber Berlin ist in Sachen „Schnodderigkeit“ auch weit voran, leider.
Ich habe es hier in Oz inzwischen auch ganz anders kennengelernt und reagiere auch nach ueber drei Jahren immernoch hilflos auf Lob, dabei wird es herzlich, ehrlich und gern verteilt – in alle Richtungen – auch von Fremden auf der Strasse, wenn die Klamotten gefallen, der Kuchen den Kollegen geschmeckt hat usw usf. – was das Leben hier halt auch entspannt macht. Vielleicht liegts auch am vielen Sonnenschein ;-)
Ich lobe eigentlich täglich. War im Lande meiner Kindheit (B) so üblich. Aber in D — außerhalb des Rheinlandes — gibt es wenig, das suspekter macht.
Trotzdem: Lobe ruhig, es kostet wenig und bringt viel. Für alle Beteiligten.
Freundlichkeit macht das Leben leichter und schöner. Aber dennoch Obacht vor zu viel davon. Am Schluß will der Fuchs nur, dass ich Krähe meine Stimme erhebe, damit das Stück Käse aus dem Schnabel fällt.
Nix gegen Koketterei, sind die Fränzis super drin, aber Schleimer wollen meist etwas anderes, als mir einen kleinen Gefallen tun.
Manchmal wiederum denke ich: Was solls? Lieber aufgesetzte Herzlichkeit als vorneweg unverschämt. Nüchterne, ehrliche Menschen gibts in unseren Breitengraden eh so gut wie nie.
Das ist wirklich ein sehr guter, kluger und wahrer Text!
Jaha! Aber ich kann mit den „Was hat die denn jerocht?“ Kommentaren nicht umgehen und lasse es daher bleiben. Feige, ne?
Danke für diesen Beitrag. Spricht mir aus der Seele.
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Genau!
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Was mich sehr daran erinnert auch im Büro mehr loben zu wollen!
Ich lebe jetzt seit einem dreiviertel Jahr im Ausland und muss sagen: ja genau. Stimmt!
Hier in England musste ich mich erst einmal daran gewöhnen, dass mir wildfremde Leute nette Dinge sagen. In Deutschland wird einem das Mißtrauen quasi anerzogen… „Der ist nett, der will was von mir!“ Hier ist das ganz normal, da bedankt man sich ja auch beim Busfahrer beim Aussteigen.
Schöner Artikel! Ich mag deinen Blog! :)
Naja, in Berlin. Als ich vor 3 Jahren aus Berlin nach Köln gezogen bin und mich auf der Straße kurz orientieren wollte, bin ich nicht angepampt worden, warum ich denn einfach so stehen bleibe, sondern vielmehr gefragt worden, ob man mir behilflich sein könne. Fand ich ein bisschen gruselig. Heute finde ich es normal und möchte jedem Berliner Busfahrer für seine Unfreundlichkeit sofort auf die Fresse hauen (und verbalisiere das meistens auch).
Ein guter Artikel.
Ich muss dich loben. ;)
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Genau!
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