Ab heute trage ich 4 Jahre schwarz und wechsele über in die Riege der Politikverdrossenen. Als wäre das nicht alles schlimm genug, muss auch noch das Familien- und das Bildungsministerium an die Union gehen.
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Jetzt da ich bald ausziehe, kam mir in den Sinn, dass es doch traurig ist, dass ich ein Paar Jahre in einem Haus wohne und keinen der Bewohner kenne.
Seit gestern sind mir Argumente bekannt, die deutlich gegen eine Bekanntschaft sprechen. V.a. dann, wenn es sich um Nachbarn handelt, die ein Alkoholproblem haben. Die Symptome von Alkoholismus waren mir nicht neu. Was ich nicht wusste war, dass Menschen ihre Lungen beim Husten ausstülpen können, so wie Kröten ihre Mägen erbrechen, wenn sie sich ihres Mageninhalts entleeren müssen. Meine Hypothese ist, dass diese spezielle Hustmethode kettenrauchgeplagten Lungen Luft verschafft.
Nichtsahnend sitze ich in meiner Wohnung und streiche meine Türen und Fußleisten. Während ich konzentriert versuche durch regelmäßiges Streichen in den Flowzustand überzuwechseln, summt unten an der Haustür der Türöffner im Zweiminutenrhythmus. SSsssst Stille sssssst Stille sssssst Stille. So wird das nichts mit Glückseligkeit durch Betätigung, denke ich und hoffe, dass der Beklingelte endlich nach unten geht und die abgeschlossene Tür entriegelt.
Nach einer halben Stunde höre ich statt des Summen ein Schlurfen im Treppenhaus. Über mir angekommen, fängt es an gegen die Haustür zu hämmern. Das dumpfe Trommeln wird durch schrilles Türglockengeklingel untermalt.
BAM BAM BAM … schrilllschrillllschrilllschrilllschrillll … BAM BAM BAM … schrilllschrillllschrilllschrilllschrillll … BAM BAM BAM … schrilllschrillllschrilllschrilllschrillll … BAM BAM BAM … schrilllschrillllschrilllschrilllschrillll … BAM BAM BAM … BAM BAM BAM … schrilllschrillllschrilllschrilllschrillll … BAM BAM BAM …
Es ist sehr motiviert Einlass zu erhalten. Meine Farbe neigt sich währenddessen ihrem Ende entgegen.
Ich höre im Treppenhaus Schritte. Es läuft den Flur auf und ab und erinnert mich dabei an die Untriebigkeit eines alten, angeketteten Elefanten. Nach einer weiteren halben Stunde kehrt endlich Ruhe ein.
Meine Farbe ist nun aufgebraucht und es ist Zeit mich mit einer Pizza zu belohnen. Kurz vor 23 Uhr, mein Lieblingspizzabäcker schließt gleich.
Voller Elan reiße ich dir Tür auf und … MASCHINEN STOPP, mein Nachbar steht vor mir und stinkt. Er lallt mich an. Herbert hieße er und sein Vater sei nicht da, aber er müsse doch so dringend Pipi.
Was soll man da machen? Verrichtung der Notdurft darf man nicht verwähren. Bevor er sich einpullert, mein Gott, dann bitte ich ihn eben hinein, so mein naiver Gedanke.
„Passen sie aber bitte auf, ich habe gerade die Türen frisch gestrichen …“ Den Atem hätte ich mir sparen können, denn er tritt natürlich treffsicher auf die Schwelle und stempelt sich seinen Weg zur Toilette.
Wagemutig schmeiße ich mich vor ihn, befehle ihm sich seiner Schuhe zu entledigen. Schreien hilft, er zieht sie aus und stellt sie vor die Tür. Während ich seine Spuren beseitige, trottet er sockig zur Toilette. Natürlich stützt er sich vorher an der Tür ab. Mit weiß gefärbten Händen nimmt er nun Kurs auf mein Wohnzimmer und ich kann ihn in letzter Sekunde davon abhalten, sich auf mein Designersofa zu werfen. Schwankend kommt er auf mich zu, sucht Halt an der Wand und erwischt ein weiteres Mal eine der frisch gestrichenen Türen. Ich bitte ihn, nun nach verrichtetem Geschäft, meine Wohnung zu verlassen.
Geht leider nicht, er sei müde, sein Vater sei nicht da, er wolle jetzt schlafen, sagt er und liebäugelt wieder mit meinem Sofa. Ich versichere ihm, dass er ganz bestimmt nicht bei mir nächtigen wird. Das macht ihn wütend und hektisch, er sabbelt und wedelt mit den Armen bis er das Gleichgewicht verliert. Auf dem Boden liegend beginnt er zu brüllen: „Mein Arm, mein Arm, mein Arm!“
Während ich wie eine Statue vor ihm stehe und überlege, ob ich erst den Notarzt und dann die Polizei alarmieren soll oder umgekehrt, wird ihm seine Show zu langweilig und er steht auf, als sei nichts passiert. Er geht langsam Richtung Ausgang und tritt NATÜRLICH in die gestrichene Türschwelle. Daraufhin fällt er wieder um und krakelt dieses Mal „Meine Socken, meine Socken!“.
Ich denke, Himmel, wenn er geht, wenn ich ihm Socken schenke, dann schenke ich ihm Socken, krame in meiner alten Sockenkiste, ziehe ein Paar Sportsocken heraus, die mir ohnehin zu groß waren und halte sie ihm vor die Nase. Da fängt er an noch mehr zu schreien ja sogar zu weinen, Pumasocken trage er nicht, Puma sei nicht seine Marke. Jetzt platzt mir der Kragen und ich brülle ihn an, er möge nun endgültig meine Wohnung verlassen. Er fleht mich an, bleiben zu dürfen. Ich schiebe ihn in den Flur, wo er sich wieder fallen lässt und nun über die frischgestrichene Türschwelle in das Badezimmer robbt und vorschlägt, der Einfachheit halber dort zu übernachten.
Keine gute Idee, lasse ich ihn wissen und zeige streng auf die Haustür. Er zieht sich, von oben bis unten mit Farbe beschmiert, an der feuchten Tür nach oben und johlt, er sei Epileptiker und wenn ich ihn draußen schlafen ließe, bekäme er bestimmt Anfälle. Mit diesen Worten wirft er sich ein drittes Mal zu Boden und kreischt „Mein Arm, mein Arm, ich habe ihn mir ausgekugelt!“
Ich schaue ihn an wie ein Auto, kann nicht glauben, was da passiert. Mein Glück, denn Passivität scheint ihn zu irritieren und so steht er wortlos auf, kugelt sich seinen Arm mit einem lauten Knacks wieder ein und grinst mich an.
„Dann gehe ich eben!“
Ich schließe die Tür hinter ihm und wenn ich nicht überall die Farbschmierer gesehen hätte, hätte ich mich vermutlich geohrfeigt, um festzustellen ob
a) mir die Farbdämpfe zu Kopfe gestiegen sind oder
b) ich während des Streichens eingeschlafen bin und einen schlimmen Albtraum hatte.
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Für mich ist es total wichtig Dinge zu planen. Deswegen ist es mir eher unangenehm, wenn ich manche Angelegenheiten nicht selbst abwickeln kann. Z.B. kann ich mir selbst keinen Heiratsantrag machen. Das ist ärgerlich, denn mein Freund lässt sich da nicht lenken. Widerspenstiges Ungeheuer!
Ich dachte, wenn ich ihn nur genügend nerve, dann lässt er sich bestimmt was einfallen. Gestern Abend droht er mir nun mit „Nur die Liebe zählt“. Ich finde diese Sendung unfassbar peinlich. Natürlich schaue ich sie, wann immer ich Zugang zu einem Fernsehgerät habe, aber ich glaube, meine Tränen sind Tränen der peinlichen Berührtheit. Das weiß mein Freund ganz genau und es wäre eine gelungene Rache, mir Kai Pflaume auf den Hals zu hetzen. Die absolute Spitze der körperlich schmerzhaften Peinlichkeit sind in diesem Kontext Jammergesänge, welche die immerwährende gegenseitige Liebe der Partner unterstreichen sollen.
Deswegen schwöre ich hiermit vor Zeugen, sollte mein Herzallerliebster jemals zu solch horroresquen Mitteln greifen, werde ich sobald er beginnt zu singen, auf die Bühne springen und dazu heulen wie ein Wolf. Auuuuuuhhhh hhhuuuu auuuuuhhhhh! Danach esse ich alle Kerzen auf, die zur Erzeugung der romantischen Atmosphäre aufgestellt wurden.
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Meine deutschen Großeltern habe ich aus verschiedenen Gründen nie richtig kennen gelernt. Als Fünfjährige besuchte ich sie gelegentlich. Meine Erinnerungen an sie sind recht bizarr. So fallen mir als erstes die langen, meist lachsfarben lackierten Fingernägel meiner Oma und die vielen wildkatzengemusterten Kissen auf dem Sofa ein, die nicht berührt werden durften, weil sie sonst zerknittert hätten werden können. Wie jedes Kind durfte ich bei den Großeltern fernsehen. Sehr lebhaft erinnere ich mich an eine Dokumentation über die potenziellen Gefahr einer Wasserstoffbombe, welche die Russen jederzeit auf Europa abwerfen könnten, um die Amerikaner zu provozieren.
Zwischen fünf und dreizehn hatte ich folglich v.a. Angst vor Wasserbomben.
Mein nächstes Trauma verpasste mir eine Schulfreundin, die Metzgertochter war. Komm mal, sagte sie, ich hab was lustiges für Dich.
Da stand ich vor einer ausgewachsenen Kuh, der die feuchte Nase tropfte. Sie muhte ein letztes Mal und dann löste Papa Metzger das Bolzenschussgerät aus.
Ha, ha, wie lustig.
Die nächsten Jahre fürchtete ich demzufolge Metzger und das Sterben.
Alles ganz vernünftige Ängste, wenn ich darüber nachdenke, vor was ich mich in der Zwischenzeit alles fürchte. Gut zurückgedrängt habe ich die Angst vor Spielplätzen. Bzw. die Befürchtungen was Kindern an Spielplätzen grauenerregendes widerfahren könnte. Am Anfang meiner ersten Spielplatzgänge mit Kind, hätte ich gerne bei jedem Rutschenerklimmungsversuch geschrieen: Neeeein! Nein! Tu das nicht! Das ist zu hoch! Viel zu gefährlich!
Die Gerätschaften erscheinen mir wie Verletzungsfallen, die sich Wahnsinnige ausgedacht hatten. In meinen unheilvollen Visionen sehe ich kleine Kinder auf die Rutschen, Burgen und Holzschiffe klettern und weil sie noch nicht gelernt haben, sich ordentlich festzuhalten, stürzen sie im Geiste aus schwindelerregenden Höhen rückwärts auf den Boden. Sie landen auf den Rücken und rudern wie hilflose Käfer mit ihren Armen und Beinen, weil ihre kleinen Lungen luftleer sind.
Mein Verstand redet dann beruhigend auf mich ein und versichert mir, dass Kinderspielplätze eigens für Kinder konstruiert wurden und sich die Racker gerade nicht in Lebensgefahr befinden.
Gerne sagt man deswegen zu mir: Nuf, Du hast echt krasse Wahnphantasien.
Dass ich nicht alleine mit meinem Wahnsinn bin, habe ich vergangene Woche beruhigt in einem Gespräch mit meinem Nachbarn festgestellt. Dem wollte ich einen Zwischenmieter aufschwatzen, der sich bei mir gemeldet hatte, mir aber mitteilte, dass er unter keinen Umständen in meine Wohnung ziehen könne, weil ich kein DSL hätte, was für sein „Projekt“ in Berlin unabdingbar sei. Für mich ergab sich daraus ausnahmsweise nichts Bedrohliches.
Mein Nachbar kräuselte kurz die Stirn und fragte:
– Was für ein Projekt denn?
– Keine Ahnung, ich hab ihn nicht gefragt. War mir irgendwie egal. Hauptsache der zahlt.
– Wahrscheinlich ist das ein krasser Massenmörder, der seine Opfer mit per Webcam beobachtet. Deswegen muss der unbedingt DSL haben.
Stille.
– Ähm ja. Klingt sehr naheliegend.
(Was manche Leute für Wahnvorstellungen haben, ist echt unglaublich)
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Mein persönlicher Held der Woche: Herr undundund, der tat was ich leider verpasst habe. Ein Besuch beim Sektenoberhaupt Sri Chinmoy.
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Als handfeste Autofahrphobikerin, die ich tatsächlich bin, lieh ich mir das Auto meines Vaters. Ein knallroter Alfa 164. Leider vergaß ich ihn darüber zu informieren. Das fiel mir aber erst auf, als ich die ersten 234 von schätzungsweise 20.783 Stufen zu einem Wolkenkratzer, der meinen Arbeitsplatz beherbergte, erklommen hatte. Ich zog also mein Handy um ihn anzurufen. Das Handy war leider mehrere Kilo schwer und entgegen des Wortlauts höchst unhandlich. V.a. weil ich in mein Daunenbettzeug gewickelt war, was das Treppensteigen zusätzlich erschwerte. Im rechten Arm trug ich zudem einen Säugling mit Bartstoppeln. Der rief mir mit dröhnender Stimme in mein Ohr: Handystrahlen töten und Autofahren auch!
Ja, ja, denke ich. Wir fahren lieber S-Bahn. Doch der Bahnsteig nach Karlshorst war nur über eine Hängebrücke von einigen hundert Metern Länge zu erreichen.
Hätte ich nicht auch noch Stöckelschuhe getragen, wäre das evtl. bewältigbar gewesen. So aber steckte ich jeden Schritt in dem Gehseil fest.
Zum Glück hat mich Traumdeutung nie interessiert und an das Unterbewusste glaube ich auch nicht. Allerdings mache ich mir ernsthafte Sorgen um den Vertusstheitsgrad meiner Träume.
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In einem Blog bin ich über eine das-brauche-ich und das-brauche-ich-nicht-Liste gestolpert. Bei das-brauche-ich-nicht stand: Arbeit.
Ich nehme an, nicht im Sinne der Möglichkeit des Gelderwerbs. Dennoch finde ich die Vorstellung seltsam dass man Arbeit nicht brauchen könnte. Ich brauche Arbeit. Keine bestimmte, aber ich brauche Regelmäßigkeit und einen Grund morgens aufzustehen und die Wohnung zu verlassen. Gäbe es den nicht, würde ich mein Leben vermutlich verträumen. Es gefällt mir nämlich ganz gut im Bett zu liegen und aus dem Fenster in den Himmel zu starren. Ich kann das stundenlang, ja tagelang und je länger ich es mache, desto mehr sinkt meine Motivation irgendetwas anderes zu machen. Ohne Probleme verwandle ich mich in einen misanthropischen Stadtwohnungsschrat.
Deswegen mag ich es zu arbeiten. Es ist mir dabei relativ egal was ich tue. Hauptsache es gibt eine kleine Herausforderung und andere Menschen. Aus dem Job ziehe ich mein Zeitempfinden, mein Selbstbewusstsein und meine soziale Kompetenz. Natürlich nicht ausschließlich, aber doch zum größteren Teil.
Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass ich jahrelang das selbe tue. Andererseits lehren die bisherigen Lebenserfahrungen dass das höchst unwahrscheinlich ist. Ich habe noch nie länger als 1,5 Jahre den selben Job gemacht.
Ob ich nun für Marketingumfragen kleine gelochte Kärtchen in einen Auszählautomaten schiebe oder Workshops gebe, Sägeblätter bei einer Inventur zähle oder Geschäftsbriefe aufsetze, ist mir schnuppe.
Natürlich ängstigt mich der Gedanke dass ich noch 35 Jahre vor mir habe.
Noch mehr ängstigt mich meine langsame Verblödung. Ich habe gerne studiert und sicherlich doch nicht so grundlos, wie ich bislang annahm, Psychologie und Philosophie. Denn diese Fächerkombination bietet eine gute Möglichkeit den ganzen Tag zu lesen, sich Wissen anzueignen, es in der Bibliothek zu vertiefen und es im Gespräch mit anderen zu konsolidieren. Es hilft Denken lernen und andere Wahrheiten zu tolerieren.
Jetzt lebe ich in einer kleinen Dilbertwelt und fürchte, dass dieses ganze Arbeitssystem zusammenbrechen würde, wenn man auch nur einmal genauer hinterfragt, was man da eigentlich macht.
Also lasse ich es und freue mich, dass es einen Grund gibt morgens aufzustehen.
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Man soll nicht immer nur lästern. Deswegen lobe ich heute Wes Andersons „The Life Aquatic“. Ein wunderbarer Film ganz nach meinem Geschmack. Der Film ist ein Fest für die Augen und allein die Idee ein Schiff im Querschnitt als Theaterbühne zu filmen, die Phantasie, die sich in der Gestaltung der Meerestiere zeigt und die wunderbare Idee David Bowie Lieder auf portugiesisch sozusagen realtime per Gitarre in die Handlung einsingen zu lassen, macht den Film sehr sehenswert.
Er ist insgesamt nicht so angelegt als dass man sich in die Charaktere einleben könnte, man bleibt Beobachter der hochstilisierten Klischees (Klaus der Deutsche mit harter Schale aber schäferhundtreuem Herz, unbezahlte Praktikanten der Meeresbiologie, Versicherungsvertreter die sich auch nur Anerkennung und Liebe wünschen) und Lauscher der leise schrägen Dialoge. Jede Einstellung ist ein Poster wert und wenn geschossen wird, klingt es nach Silvesterkrachern.
Sehr schön!