110331824809670897

Tagebuch einer Grippekranken

Nebenhöhlenentzündung ist ne super Sache. Man hat Kopfschmerzen als hätte man kürzlich eine ungewollte Begegnung mit einem LKW gemacht und man klingt wie Rudolf Mooshammer, weil man nur noch durch die Nase sprechen kann. Wenn dazu noch Bronchitis und ne Grippe kommt, dann ist die Krankheit perfekt. Zeit nach 5 Tagen heldenhaften Erdulden zum Arzt zu gehen.
Da sitzt man dahinsiechend im Wartezimmer und rangiert auf der Beliebtheitsskala gleich nach Fußpilz. Jedes Mal wenn sich jemand neben mich setzt, steht er 20 Sekunden später verschämt zu Boden schauend auf und sucht sich einen neuen Platz der sich möglichst weit von mir weg befindet. So sitze ich am einen Ende des Zimmers und sieben Patienten teilen sich die Plätze neben der Tür im Durchzug.
Höchst amüsant die Ärztin. Da ich keinen Hausarzt habe, gehe ich einfach zu irgendeiner. Als ich sie sehe, frage ich mich, ob Ärzte eigentlich nicht irgendwann in Rente müssen. Sie ist schätzungsweise 70, schaut einmal in meinen Mund und springt erschrocken mit den Worten: „Ach herrje is das rot!“ hinter ihren Schreibtisch. Ohne weitere Fragen beginnt sie damit Medikamente en masse auf den Rezeptblock zu notieren. Während sie noch schreibt, wählt sie mit der anderen Hand eine Nummer und besorgt mir einen weiteren Termin bei einer Kollegin. Dann gibt sie mir den Rezeptpacken, die Krankschreibung und die Überweisung in die Hand und instruiert mich umgehend das Nachbarhaus aufzusuchen und der dortigen Ärztin alles zu überreichen. Sie solle das bitte prüfen und ich solle um Gottes Willen keines der Medikamente zu mir nehmen, ehe Ärztin 2 nicht zugestimmt hat.
Sehr vertrauenserweckend.
Die Nachbarärztin ist eine HNO-Ärztin und ich muss mich sehr zusammenreißen bei der Untersuchung nicht meine Kamera zu zücken. Mir gegenüber sitzt eine Frau, die tatsächlich so ein silbernes Ding mit Loch um den Kopf trägt wie man es aus Kinderspielarztkoffern kennt. Durch das Loch in der Scheibe schaut sie in meine Nase und verschreibt mit sechs Sitzungen Kurzwellen.
Nun werde ich also täglich mit Kurzwellen beschossen. Das genaue Prinzip kann mir niemand erläutern. Ich muss mich mit dem Hinweis zufrieden geben, dass es hilft.
Wenn ich mir den Ablauf näher betrachte bin ich mir nicht sicher, ob ein einfaches über meiner Nase fuchteln in Kombination mit „Hex, hex!“ nicht den gleichen Effekt hätte.
Zunächst muss ich alles aus dem Gesicht entfernen, was Metall ist. Die Arzthelferin sagt: „Piercings und falsche Zähne rausmachen“ Ich schaue sie fragend an „Naja, Ohrringe, Brille, Reißverschlüsse und so.“ Nachdem ich also alle Reißverschlüsse aus meinem Kopf entfernt habe, bekomme ich eine metallene Brille bestehend aus zwei zusammengetackerten Küchensieben überreicht. Ein kleines Gerät, das aussieht wie ein Lautsprecher wird auf mich gerichtet und der Küchenwecker wird auf drei Minuten gestellt. Meine rechte Kieferhöhle wird beschossen. Ring. Meine linke Kieferhöhle wird beschossen. Ring. Die Arzthelferin ist gerade in ein wichtiges Gespräch über das Wetter verwickelt. Durch meine Küchensiebbrille luge ich auf meine Uhr. Fünf Minuten. Ich werde nervös, räuspere mich lautstark. Die Arzthelferin ist leider gerade damit beschäftigt zu berichten was sie als Weihnachtsgeschenk für Enkel sechs und sieben ausgesucht hat. Ich versuche durch das Gitter etwas an der Apparatur vor mir zu erkennen und frage mich, ob meine Kieferhöhlen nun langsam weggebraten werden. Mit dem Fuß schiebe ich das Gerät weg und drücke auf irgendetwas das nach Ausschalter aussieht. Dann gehe ich in den Empfangsraum. Die Arzthelferin sagt:
– Oh waren die drei Minuten schon um?
– Ja, ungefähr drei Mal schon.
– Mir war auch so als hätte ich den Wecker gehört.
Grummelnd verlasse ich den Raum.

Meine Laune lässt ohnehin sehr zu wünschen übrig. Seit Tagen lebe ich Kaffee und Nikotonfrei. Außerdem habe ich keinen Fernseher. Krank sein und keinen Fernseher zu haben macht überhaupt keinen Sinn. Ich habe nicht mal Internet.
So sind Tageshöhepunkte lediglich das mit Kurzwellenbeschossenwerden und die Sekunden in denen ich wenigstens durch ein Nasenloch frei atmen kann.

110331821066575273

Notiz für das Langzeitgedächtnis: Niemals tagsüber in eine Bankfiliale gehen
Einst war ich Kundin bei der Advancebank. Ich glaube, ich war die zufriedenste Kundin aller Zeiten. Leider hat der böse Allianzkonzern die Advancebank aufgekauft und ich wurde an die Dresdner Bank weitergereicht.
Da ich heute Geld abholen wollte und der Automat mal wieder nicht funktionstüchtig war, habe ich den Fehler begangen, mich in die Filiale zu begeben. Ich dachte, das träfe sich gut, da ich das Konto ohnehin kündigen wollte, da ab 2005 nicht mehr die Bedingungen der Advancebank sondern die der Dresdner Bank gelten würden. Ich stelle mich also in die lange Warteschlange und übe mich in Geduld. Es gibt vier Schalter. Einer ist geöffnet, alle anderen sind mit wichtigen Dingen wie Postsortieren beschäftigt. Eine übereifrige Bankangestellte zieht Kunden vor, die sie kennt und die aber hinter mir stehen. Ich bin schwer begeistert. Mich nervt die Warterei und da ich krank bin, würde ich gerne möglichst schnell in mein Bett zurück. Als ich endlich an der Reihe bin, fällt der Bankangestellten ein, dass meine Unterschrift neu gescannt werden müsste. Ich werde an eine andere Dame verwiesen. Sie schwärmt mir ausführlichst vor, wie großartig die Allianz mich in Fragen der Altersvorsorge beraten könnten und ich wiederhole monoton, dass ich keine Beratung wünsche, da ich schon bestens abgesichert bin. Irgendwann bin ich so entnervt, dass ich sie nach dem Kündigungsformular frage.
Warum ich denn wechseln wolle?
Weil ich keine Lust hätte Gebühren zu bezahlen.
Nun, die wären ja sozusagen für die Beratung …
„die ich, wie ich bereits mehrere Male betonte, nicht benötige.“
„und außerdem…“ zickt sie mich an „haben sie nicht ihre Kontoauszüge gelesen?“
„Nö“
„Da steht doch, dass sie keine Gebühren zahlen müssen“
„Wie lange denn?“
„Das weiß ich doch nicht“
„Ja, dann hätte ich gerne das Kündigungsformular“
„Erst müssen wir ihre Daten aktualisieren“
„Nicht wenn ich jetzt kündige“
„Warum wollen sie denn kündigen? Schauen sie da, das ist übrigens Frau Sönke, ihre Kundenberaterin. Frau Sönke? Kann ich sie kurz ihrer Kundin vorstellen?“
Frau Sönke aus dem Off: „Kannjetztnich“
„KANN ICH JETZT BITTE DAS KÜNDIGUNGSFORMULAR HABEN?“
„Wir haben neue Öffnungszeiten“, wimmert die Frau vor mir und hält mir ein Zettel vor die Nase auf dem steht, dass sie einmal in der Woche bis 18.00 Uhr geöffnet haben.
„Ihre Öffnungszeiten entsprechen nicht meinem Arbeitsrhythmus, kann ich jetzt …“
„Hier steht sie sind arbeitslos!“, sie pocht auf den Monitor.
„Ja, Pech, bin ich nicht. Ich bin eigentlich eher so was wie ein Millionär. Ich kündige jetzt mein Konto und dann gehe ich zur Konkurrenz, schließe mehrere Versicherungen ab und finanziere zwei bis drei Häuser!“
Endlich reicht sie mir das gewünschte Formular über den Tresen.

110331818680829850

4. Tag bei der Kurzwellentherapie. Ich bin noch unentschieden was das unangenehmste an dieser Therapie ist. Mit einem Faradayschen Käfig über den Kopf gestülptes Dasitzen und die Nebenhöhlen mit Microwellen gebraten bekommen oder das unfreiwillige Ohrenzeugen werden der Geschehnisse am anderen Zimmerende: „Ahhhh, Herr Schmidt da hamma aber wieder einen großen Pfropfen im Ohr gehabt (Sauggeräusche) ohhhhh da kommt ja noch was (mittelgroßer Gegenstand wird durch Schlauch gesaugt)!“

110331814916730267

9., sehr unerfreulicher Tag. Mittags bekam ich Kopfschmerzen, wie ich sie mein Leben noch nie hatte. Nicht mal im schlimmsten Migräneanfall. Ich werfe mir eine meiner stärksten Schmerztabletten ein und warte im Halbdunkel auf Besserung. Stelle dabei fest, dass es einen glasklaren Unterschied zwischen sich-scheiße-fühlen und Schmerzen-haben gibt.
Eine Stunde später hat die Tablette immer noch keine Änderung herbeigeführt. Ich überlege, ob mir irgendwas im Kopf geplatzt ist und wie es wohl ist, alleine in der Wohnung ohnmächtig zu werden. In diesem Moment klingelt die Tür. Wie ein Automat öffne ich. Vor mir steht jemand vom Arbeiter Samariter Bund. Er beginnt zu reden. Ich kann ihm nicht folgen. Außen ist mein Kopf wie betäubt und innen bohren tausend heiße Nadeln. Ich deute an, dass er den Vortrag bitte abkürzen möge. Der Mann schwallt weiter. Wahrscheinlich will er eine Spende denke ich und versuche mich zu erinnern, wo mein Portemonnaie ist. Ich sage ihm noch mal, dass ich mich sehr schlecht fühle und er es bitte kurz machen solle. Der Redefluss ist ungebrochen. Einige Minuten später gehen die Nerven mit mir durch und ich fange an zu weinen. Der Mann vor mir wird blass. Ich entschuldige mich tränentriefend. Der Mann schaut auf mein Klingelschild auf dem der Name des Vormieters steht. „Frau Müller, ich wusste nicht, dass …“ „Nuf, ich heiße nicht Müller“, heule ich. „Frau Müller, es tut mir sehr leid, ich …“, er stockt. Ich heule weiter, wir schauen uns einen Moment lang an, dann dreht sich der Mann um und rennt (!) das Treppenhaus nach unten. Ich höre die Tür ins Schloss fallen.
Ich lege mich wieder hin.
Im Nachhinein muss ich sagen, so schnell bin ich noch nie einen Türklingler los geworden. Muss mir die Methode unbedingt merken.

110331812240639259

Habe mich dann ob meines Heulzusammenbruchs entschieden den Arzt ein zweites Mal aufzusuchen und mich zu vergewissern, dass ich nicht an den Kopfschmerzen sterben werde. Mein Röntgenbild (s.u.) hat dann ans Tageslicht gebracht was mich im wahrsten Sinne des Wortes drückt. Nebenhöhlen komplett zu. An der Stelle wo eigentlich dunkle Schatten sein sollten, war leider alles weiß. Antibiotikum gewechselt und ab morgen Kurzwellenbestrahlung mit Tamponade. Ich freue mich schon wahnsinnig darauf Stoffballen durch die Nase in den Schädel gebohrt zu bekommen. Wenn das bis Dienstag keine Besserung bringt, heißt das Weihnachten im Krankenhaus.

Image Hosted by ImageShack.us

P.S. Ich besitze durchaus 32 prächtige Zähne. Das Röntgendbild wird mit Nase an Wand, Kopf nach oben, Mund auf gemacht.

110331803941989354

Wenn ich mal nicht mit platzendem Kopf im Bett liege, ordne ich Unterlagen. Unnütze Dinge wie Telefonrechnungen, Kontoauszüge und Kreditkartenabrechnungen. Die stapeln sich traditionell seit Anfang des Jahres in der Küche. Wenn ich arbeite habe ich nie Zeit diese Dinge abzuheften. Ich beginne damit kleine Stapel der Zettel einer Kategorie zu machen. Dann wird nach Monaten geordnet. Zu Beginn ist es nervtötend. Dann stellt sich irgendein Hebel im Gehirn um und es entwickelt sich etwas wie eine Sammelleidenschaft. Die Papiere aus der Küche ergeben schätzungsweise achtzig Prozent einer kompletten Jahressammlung. Ich durchforste also sämtliche Schubladen und andere Verstecke, welche die Wohnung zu bieten hat. Es sind große Momente des Glücks wenn man den fehlenden November ausfindig machen kann. Umso größer die Enttäuschung wenn es sich um das November 2003 Dokument handelt. Mein Nachbar kennt das Gefühl. Er sagt, wenn er die Sammlung komplett hat, will er rumlaufen und allen seine Schätze zeigen. Er hätte auch schon mit dem Gedanken gespielt eine komplette Sammlung „Kontoauszüge 2004 – Die lückenlose Kollektion“ auf ebay zu versteigern. Das würde vielleicht Menschen glücklich machen, die einige ihrer Zettelchen versehentlich weggeworfen haben.

110331935959490745

Lieber Herr Nachbar, ich bin jetzt 24 und scrubs-süchtig. Ist das eigentlich strafbar? Also nicht das süchtig sein sondern das unschuldige Menschen in Abhängigkeiten treiben, hmmmm?
Ich habe heute 3 Stunden gebraucht, um mir einen Tee machen zu gehen.