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Wie immer bin ich im Trends verfolgen die letzte. Immerhin ist die Grippe dann doch noch einmal quer über die Straße gekrochen und ich kann jetzt mitmachen. Tee- und Aspirinorgien, schlafen und Fieberträume.
Zumindest das hat einen gewissen Unterhaltungswert. Gestern bekam ich meinen neuen Rechner, den ich erst noch installieren muss und natürlich werde ich nach Fertigstellung des Systems umgehend DVD und Simssüchtig werden. Als Vorgeschmack träumte ich die ganze Nacht ich sei ein Sim.

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Gestern war ich auf einem Bewerberseminar der Sparkasse. Schaden kann es nichts und kostenlos ist es auch, dachte ich, als mir jemand die Werbekarte „Ich bin eine Marktlücke“ in die Hand drückte. Also meldete ich mich kurzerhand an.
Als ich dort erschien, hätte mir schon in der ersten Sekunde klar sein müssen, daß ich nicht zur Zielgruppe gehörte. Ich betrat im grünen Anzug einen Raum voller pferdegezopfter Blondinen in anthrazitfarbenen Kostümchen. Im Eingangsbereich erhielten wir alle Namensschilder, damit der lockere Bänker Gerhard uns ebenfalls beim Vornamen ansprechen konnte. Motto war, wie auf der Karte angekündigt: Ich bin eine Marktlücke.
Den Vormittag verbrachten alle hochgespannt den verschiedenen Marketingansätzen lauschend, während ich verzweifelt versuchte meine Zukunft aus dem kläglichen Rest Filterkaffeesatzes meiner Tasse zu lesen. Dann mußten alle der Reihe nach aufstehen und sagen, warum sie Marktlücken sind. Schon drei Blondchen vor mir, wurde mir gewahr, daß die Menge Kaffee, die ich zu mir genommen hatte eindeutig mein Blasenfassvermögen überschritt.
„Nuf, jetzt bist Du dran! Du bist eine Marktlücke weil …“ (gespannte Pause)
„Ich muß mal.“
Der Bänker schaut mich fragend an: „Du mußt was?“
Obwohl ich die Frage etwas indiskret fand, antwortete ich wahrheitsgemäß mit „Pipi“.
„Oh, nun, dann machen wir schon mal weiter mit Sarah“
Den Raum verlassend, höre ich noch, daß Sarah eine Marktlücke ist, weil sie irgendwie anders und auch irgendwie kreativ ist.
Als ich von der Toilette zurückkehrte, bin ich noch tief beeindruckt, daß die Spiegel dort so aufgestellt waren, daß ich meinen eigenen Hintern bewundern konnte. Außerdem stellte ich bei einem Blick aus dem Fenster fest, daß die Sonne außergewöhnlich hell und warm schun.
Ich entschließe mich, das Seminar abzubrechen. Das Ganze kommt mir vor, wie eine Misswahl. Die Veranstaltung führt mir eine Szene aus einem Film vor Augen, in dem jede potentielle Miss-Sonstwas-Anwärterin am Ende ihrer Körperpräsentation was besonders geistreiches sagen soll, damit die Jury zur Kenntnis nehmen kann, daß sie ein ganz besonderer Mensch ist.
Ich schleiche mich leise in den Seminarraum und greife unauffällig nach meiner Handtasche, als mich Gerhard doch noch erwischt.
„Nuf, Du warst noch nicht dran. Komm doch schnell noch nach vorne, damit Du die Übung auch mitmachen kannst.“ Ich will eigentlich nicht, aber alle blicken mich so erwartungsvoll an. Also gehe ich in den Kreis der Klonweibchen und sage voller aufrichtiger Begeisterung: „Ich wünsche mir Weltfrieden!“
Stille. Ich verlasse gutgelaunt den Raum.

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Ich frage mich schon all die Jahre, die ich am Potsdamer Platz arbeite, woher sie den ganzen Strom bekommen. Heute entdeckte ich die Antwort.
Mitten auf dem Platz steht ein kleines Rondell. Der Boden des Rondells ist mit Eis überzogen. Im Zentrum befindet sich ein überdimensionales Drehkreuz von dem sternförmig lange Balken weggehen. An den Balken hängen kleine Kinder. Genauer gesagt, sie müssen die Balken mit Muskelkraft antreiben. Dann dreht sich die Achse ganz langsam und ich bin mir sicher im Untergrund befindet sich ein Stromgenerator.
Die Eltern zahlen für den Einsatz ihrer Kinder auch noch Geld.
Ein famoses Konzept!
Man gaukelt den Ahnungslosen vor, die Kinder lernten so das Schlittschuhlaufen. Man schnallt ihnen der Unauffälligkeit halber auch noch Schlittschuhe an. Das erschwert natürlich das Antreiben des Rades, was verständlich ist, denn ansonsten wäre es einfach zu offensichtlich.

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Es gibt ja diverse 200-Dinge-die-man-mal-gemacht-haben-sollte-Listen .
Die Idee ist ja lustig, nur leider völlig untauglich, da ich von diesem ganzen Mist so gut wie nichts gemacht habe, noch vor habe, etwas davon zu machen. Es gibt eben wirklich wichtige Dinge im Leben, wie:

1. Eine Portion Obatzten im kühlenden Schatten einiger Bäume auf einem Keller in Franken verspeist haben
2. Die Haare als Teenager mittels Henna unwiederruflich in einen fuchsroten Wischmopp verwandelt haben und von der Mutter aufgrund des ausgesprochenen Haarfärbverbots zwei Stunden ausgelacht worden sein
3. Einen Hund vor dem Ertrinken gerettet haben
4. Erfolgreich bis zum Abitur unbeliebter Streber gewesen sein
5. Bis zum 30. Lebensjahr nie ernsthaft irgendeinen Sport betrieben haben
6. In Krakau seinen Rücken an einen der Chakrensteinen gerieben zu haben
7. Tatoo und piercingfrei sein
8. Halebob komplett verpasst haben, obwohl man älter als 15 war
9. Bei einem Konzert direkt vor der Box eingeschlafen
10. Sich beim Trabrennen gewundert haben, warum die Pferde nicht endlich galopieren
11. Mit einem Trabbi im Auftrag der SPD ein CSU-Wahlplakat umgefahren haben
12. Jemanden glaubhaft gemacht zu haben, man sei Millionär
13. Täglich per Anhalter in die Schule gefahren sein
14. Bei einem Theaterstück von der Bühne gefallen sein
15. Mit zwei Freunden gleichzeitig auf einem Ball erscheinen, ohne dass sie es am Ende des Abends bemerkt haben

weitere to dos:
Nach Norwegen fahren und einem Fjord applaudieren
Mit einem kleinen Segelboot über das Cornatiarchipell segeln
Robbie Williams küssen
Flic-Flac lernen
Berühmt werden

Zusammenfassend lässt sich sagen, sollte ich noch einige Jahre leben, werde ich ein sehr erfülltes Leben gehabt haben.

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Heute ist es schon wieder passiert. Im Trance komme ich von der Arbeit nach Hause, zücke meinen Hausschlüssel und stelle fest, er paßt nicht. Ich werde nervös, schaue Richtung Klingelschild und sehe: mein Name ist verschwunden! Adrenalin durchströmt meinen Körper, hundert absurde Theorien schießen durch meinen Kopf. Ich bin heimatlos. Mein gesamtes Hab und Gut wurde auf die Straße geworfen. Bin mittellos, habe keine Erinnerung an meine Vergangenheit mehr, Tränen füllen meine Augen, ich hypervetiliere. Meine Nachbarn sind Bestien, die mich monatelang beobachteten, um meine Gewohnheiten kennenzulernen. Dann eines morgens als ich die Wohnung verlasse, klauen sie alles was ich habe, tauschen die Schlösser aus. Sie lesen meine Tagebücher, verbrennen hysterisch kreischend meine geliebten Fotos, vergehen sich an meiner Espressomaschine, zerfleddern meine Bücher und …
dann merke ich, daß ich mal wieder vor der falschen Haustür stehe. Ich sehe mich um, will sichergehen, daß mich niemand beobachtet hat, laufe eine Tür weiter und husche in das richtige Haus.

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Eine Vergangenheit als Landei schüttelt man nicht einfach ab. Man trägt die erlernten Verhaltensmuster wie Gehirntätowierungen mit sich.
So keimt in mir an freien Wochenenden ununterdrückbar der Wunsch auf mal in die Stadt zu fahren.
Ohne überheblich wirken zu wollen, denn das Problem ist rein praktischer Natur: Wo fahre ich hin, wenn dieses Verlangen sich in mir regt, ich aber in Berlin-Mitte wohne?
Die Erleuchtung kam beim morgendlichen Einkauf als ich aus einem fremden Fenster den Radiosender Kiss FM hörte, der mir vier Mal innerhalb weniger Sekunden die Gropiuspassagen anpries.
Als ich brötchenbepackt an den Frühstückstisch zurückkehrte, verkündete ich meinem Freund: „Schatz, mach dich schick, ich habe eine Überraschung!“
So warfen wir uns in Flanierschale, ich packte meinen Freund an der Hand und wir zogen los. Spätestens als wir am Herrmannplatz umstiegen, wurde er skeptisch. (Zu erkennen an dem Flattern seines rechten Nasenflügels.) Angekommen in Britz verdunkelte sich seine Mine.
Für mich war es dennoch sehr aufregend. In den labyrinthartig angelegten Gropiuspassagen gibt es Geschäfte, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Eines davon (Claire’s Accessoires), war ohne Zweifel DAS Geschäft für modebewußte junge Leute, die Abends Clubs aufsuchen, um dort tanzen zu gehen.
Wir durchforsteten Laden für Laden, irrten einige Male im Kreis, entgingen knapp drei Schlägereien, weil wir im Gedrängel junge Herren anstießen ohne knierutschend um Verzeihung zu bitten, speisten im neonbeleuchteten Pizza Hut und bestaunten schlussendlich die Modenschau von WE und forever18, in der wir mundgeöffnet erfuhren „was diesen Winter modetechnisch alles möglich ist.“
Hochzufrieden kehrten wir fünf Stunden später nach Mitte zurück.