Der Freund, mehrere Jahrzehnte kinderfrei, nie in der Elternbubble gewesen, kam zu meinen Kindern wie sozusagen die heilige Jungfrau Maria zum Jesuskind. Rein in Gedanken, unbefleckt im Herzen, noch nie in einem keifendem Elternforum gewesen.
Deswegen weiß der natürlich ganz viel nicht. Zum Beispiel dass das alljährliche Schuhekaufen mit Kindern zu den Ereignissen zählt, die man gerne gegen rituelles Augenauskratzen tauschen würde.
Die sechs Höllen des für Kinder Schuhekaufens waren ihm völlig unbekannt.
Typische Szenarien sind ja zum Beispiel:
- Die einzigen Schuhe, die irgendwie in Frage kommen, sind aus handgeklöppeltem Ziegenersatzleder und kosten leider das Weihnachtsgeld. Wenn man mehrere Kinder hat: auch noch das Urlaubsgeld im Sommer. Wenn man weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld bekommt, bedeutet das für die Eltern: keine eigenen Stullen, ein Jahr nur Hasenbrote (vgl. Absatz [2]).
- Die einzigen Schuhe, die in Frage kommen, kommen auf keinen Fall in Frage. Die Meinungen von Kind und Elter gehen deutlich auseinander. Während das Kind die knallrosa Plastikschlappen mit dem Aufdruck „Daddys little Darling“ haben will, widerstrebt es den Eltern hierfür Geld auszugeben.
- Es ist nicht zu ermitteln, welche Schuhe in Frage kommen, weil die Kinder in jedem Schuhgeschäft wie kleine, ferngesteuerte Roboter auf die Fernsehecke zusteuern und dann so apathisch sind, dass man die Schuhe entweder nicht an ihre schlappen Puppenkörper bekommt oder aber sie nicht rückmelden können, ob der Schuh zusagt.
- Die Schuhe, die eben noch im Laden gepasst haben, sind zuhause beim Vorführen untragbar. Sie drücken nämlich. Ja, wirklich. Ja, ganz plötzlich.
- Die Schuhe, die es sein sollen, sind im achten Schuhgeschäft – egal in welcher Reihenfolge man bekannte Schuhgeschäfte besucht. Sie sind immer im letzten. Sie sind immer da, wo man mit letzter Kraft reinrobbt. Danach braucht man Urlaub.
Wie gesagt, als normale Eltern kennt man diese Probleme zu genüge. Wenn man aber aus einer anderen Filterbubble kommt, dann weiß man all das nichts.
Es lief also so ab: Auf unsere gemeinsame To Do Liste schrieb ich: „Neue Schuhe kaufen.“
Beim Abendbrot erwähnte ich das. Dabei äußerte ich Bedauern, dass ich diesen Part zeitnah vermutlich nicht übernehmen könne, weil ich immer lange arbeiten müsse. So ist das, wenn man einen wichtigen Job hat, ja, leider bin ich unersetzlich. Ausnahmsweise mal früher nach Hause gehen, sieht der Chef gar nicht gerne. Es eile zwar, aber übergangsweise könnten wir ja Schuhwerk aus Pressspanplatten aus dem Hobbykeller oder Plastiksäcken basteln.
Der Freund, sehr pflichtbewusst und an Gleichberechtigung interessiert, sagte: „Ach was. Das kann ich ja übernehmen.“
Innerlich highfivte ich mich selbst mit Anlauf und Sprung. Mein Gehirn formte lautlos ein YES!
Äußerlich kaute ich nachdenklich mein Abendbrot weiter und sagte: „Als Mutter würde ich das natürlich auch sehr gerne übernehmen *Finger fürs Lügen hinterm Rücken übereinander*, aber ja – warum nicht.“
Im Kopf Konfettikanonen, die rhythmisch nacheinander ihre Ladungen abschießen.
„Wie viel sollen die Schuhe denn kosten?“
„Och, so 30 Euro. Die wachsen ja immer so schnell raus.“
„OK.“
Zwei Tage später erhalte ich eine SMS: „Wir gehen jetzt Schuhe kaufen.“
…
…
…
…
Am Abend kam ich nach Hause. Die Kinder hüpften mir gut gelaunt entgegen: „Hier Mama, schau mal die neuen Schuhe. 25 Euro haben sie gekostet.“
Während ich mich frage: „Wie ist das möglich? Wie hat er das gemacht?“, stelle ich mich aber darauf ein, dass sich hinter den Kindern die Tür öffnet und der Freund wie ein Brett kraftlos in den Flur fällt. Ich google schnell „mitfühlende Worte zu jedem Anlass“, mache mich bereit, eben jene Worte möglichst authentisch zu formulieren, da tritt der Freund in den Flur.
„Hallo“, sagt er. Man merkt ihm augenscheinlich nichts an. Seine Haare sind nicht zerrauft, er ist nicht bleich, nicht entkräftet, nicht schlecht gelaunt. „Ich mache jetzt Abendessen.“
So war das mit dem Schuhkauf dieses Jahr.
Auf Twitter habe ich deswegen gefragt, wie ich mir nun sicher sein kann, dass der Freund kein Alien ist. Mir wurde dabei gesagt, dass man ihn das einfach fragen könne, da bekannt sei, dass Aliens niemals lügen würden.
Seine Antwort, eine sogenannte Glomar Response: „I can neither confirm nor deny.“
Das verunsichert mich – aber hey, ich habe gar nichts gegen Aliens. Solange Aliens weiterhin Schuhe mit den Kindern kaufen gehen, liebe ich Aliens sogar.
Lesen Sie unbedingt auch die Sicht des Aliens.