Manchmal twittere ich einen Gedanken und bekomme über 100 Replys und dann weiß ich: ups, das ist vielleicht ein Thema, über das man mehr als 140 Zeichen schreiben könnte. So geschehen diese Woche:
Ein Vater der nie oder nur ausnahmsweise Kinderkrankentage übernimmt, teilt sich Elternschaft nicht gleichberechtigt.
— Patricia Cammarata (@dasnuf) June 14, 2017
Bevor ich ein paar Gedanken dazu aufschreibe: Ja, #notallmen und ja, es gibt ganz bestimmt eine Reihe von Einzelfällen, in denen meine Aussage nicht oder nur begrenzt zutrifft.
Explizit ausschließen möchte ich alle Familien, in denen die Finanzen wirklich so knapp sind, dass man über gar nichts nachdenken muss, ausser über die Frage: Wie kommt diesen Monat genug in die Kasse, damit wir alle ordentlich leben können.
Ich rede eher über Paare/Eltern in meiner relativ gut verdienenden Akademiker-Filterbubble, in der es bezahlbare Kinderbetreuungsplätze ab dem ersten Lebensjahr gibt.
Der Lebenslauf, den ich hier oft beobachte, sieht wie folgt aus: gut ausgebildetes Akademikerpaar, beide seit einigen Jahren im Job, nahezu gleiches Einkommen, entschließen sich ein Kind zu bekommen.
Kind kommt, Mutterschutz, Mutter macht 12 Monate elterngeldgestützt Elternzeit, Vater lebt offensiv Vaterschaft, macht 2 Monate Elternzeit, oft geht es in dieser Zeit auf eine längere Reise.
Kind kommt in den Kindergarten, Mutter geht max. 20 Stunden arbeiten, Vater geht wieder Vollzeit arbeiten.
Kind wird krank, Mutter kümmert sich.
Kind hat Vorsorgetermin beim Kinderarzt, Mutter geht hin.
Um 15 Uhr ist Frühlings-, Sommer-, Weihnachtsfeier, Mutter geht hin. (Vater erscheint um 18 Uhr zum Abschluss des Festes und holt die Familie ab).
Es gibt Amtsgänge zu erledigen (Kitagutschein, Schulanmeldung, Hortanmeldung, Infotage weiterführende Schule), Mutter geht hin.
Nachfrage: Warum nicht mal (oder nur ausnahmsweise) der Vater?
Antwort: „Das geht nicht, der Arbeitgeber sieht das nicht gerne“ oder „Das geht nicht, das schadet der Karriere“ oder „Das geht nicht, der Gehaltsausfall ist viel größer, der Mann verdient eben viel besser.“
Ich sach mal als berufstätige Frau so: Mein Arbeitgeber war immer korrekt und höflich, aber von Herzen freut der sich auch nicht, wenn ich ausfalle. Warum es also scheinbar der männlichen Karriere deutlich abträglicher als der weiblichen Karriere sein soll, wegen der Kinder auszufallen, erschließt sich mir nicht.
Haupt-Antwort (inhaltlich) auf meinen Tweet war stets: Einfache Rechnung. Derjenige, der weniger Geld verdient, nimmt zuerst seine Krankentage, dann der andere.
oder
Kannst ja mal mitrechnen: Wenn mein Mann einen Kinderkrankentag nimmt, fehlt drei Mal so viel an Einkommen.
So denken und handeln offenbar sehr, sehr viele. Man entscheidet sich frei [1], wählt das Zuverdiener- oder Einverdiener-Modell und dreht sich dann im Kreis. Denn 20-Stunden-Jobs sind eben in den meisten Fällen nicht so abwechslungsreich und gut bezahlt wie Vollzeitstellen. Es gibt dann in der Regel den männlichen Hauptverdiener und die weibliche Zuverdienerin, die in Relation eben nicht die Hälfte eines Vollzeiteinkommens sondern nur einen Bruchteil des männlichen Vollzeiteinkommens verdient und deswegen, so das Argument oben, eben die Ausfallzeiten für das Kind (oder die Kinder) übernimmt.
Das wiederum führt dazu, dass sie langfristig nicht besser verdienen wird, dass sie die Stunden nicht aufstocken wird, was wiederum dauerhaft dazu führt, dass das Argument „Aber er verdient eben mehr, da wären wir ja schön doof, wenn der Vater mit dem Kind zuhause bleibt.“ gilt.
Kino mit den Kindern oder gleichberechtigte Elternschaft. Das könne ich ja gerne mal den Kindern erklären.
Hmmm.
Fast ein Drittel aller Ehen werden geschieden.
Das obige Modell: Mann verdient, Frau kümmert sich um die Kinder ist eigentlich ein langfristig angelegtes Modell. Man nimmt die Gefälle in Kauf, weil man ja ein Team ist. Die Frau investiert Lebenszeit in die Familie, der Mann investiert Lebenszeit in den Job. Es gibt ein Familieneinkommen, das geteilt wird. Wenn die Rente kommt, gilt das immer noch. Die Frau hat dann fast (oder gar keine) gesetzliche Rente, aber der Mann ja und das teilt er.
Für die Frau gilt diese Vereinbarung in der Regel bis ans Lebensende und zwar unabhängig davon, ob die Scheidung kommt, oder nicht.
Sie muss nämlich damit dauerhaft leben, dass sie womöglich jahrelang nicht oder wenig gearbeitet und sich dafür um die Kinder gekümmert hat.
Für den Mann gilt die Vereinbarung oft (#notallmen) bis zur Scheidung.
Ich habe leider keine Zahlen zum Thema Eheverträge gefunden. Persönlich kenne ich kein Paar, das mit Ehevertrag geheiratet hat. Ich würde denken, es handelt sich nach wie vor um eine Minderheit, die mit Ehevertrag heiraten.
Es bleibt also eine mündliche Vereinbarung, die im Falle einer Scheidung durchgestritten werden muss. Aber plötzlich hat man das nicht gemeinsam entschieden, sondern die Frau wollte ja nie arbeiten und jetzt ist sie selbst schuld, dass sie nicht ordentlich verdienen kann, dass sie nicht finanziell unabhängig ist…
Aber egal. Vielleicht werde ich aufgrund der Beobachtungen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis zynisch.
Ich wollte noch auf ein paar andere Gedanken raus, die ich in dem Zusammenhang hatte:
Kennt ihr z.B. gut verdienende Männer, die ihren Frauen, die gerade wenig oder gar nicht arbeiten, weil sie das als Paar mit Kindern so geregelt haben, z.B. private Rente oder eine Pflegeversicherung zahlen, so dass sie im Vergleich zu ihm auch auf dem Papier im Alter nicht schlechter dastehen?
(Wie viele Paare kennt ihr, bei denen der Mann sein Gehalt einfach auf ein Familienkonto überweisen lässt und die Frau kann frei darüber verfügen? Wie viele, wo nur ein Teil darauf geht? Wie viele, bei denen die Frauen Geld zugewiesen bekommen?)
Und um jetzt endlich auf das Thema gleichberechtigte Elternschaft zurück zu kommen: Für mich sind Vater und Mutter grundsätzlich erstmal gleichwertige Elternteile. Das Kind wird geboren, weder der Mann noch die Frau haben Vorerfahrungen, man wurschtelt sich so rein. Elternschaft hat dann für mich immer mehr etwas mit aufgebauten Kompetenzen und gemachten Erfahrungen zu tun, die sich wiederum auf die Elter-Kind-Bindung auswirken.
Zum Elternsein gehört für mich Kinderalltag. Füttern, Windel wechseln, zum Kinderarzt gehen, vorlesen, basteln, zu Kinderfesten gehen, am Krankenbett wachen, fünf Mal pro Nacht aufwachen, nochmal fünf Mal pro Nacht aufwachen, und nochmal obwohl man echt nicht mehr kann, Stress haben, weil in einem wichtigen Meeting die Kita anruft: Kind ist gefallen, Platzwunde, vor der Geschäftsreise am Kopf des Kindes Läuse entdecken (Kind kann nicht in die Schule!), todmüde nach der Arbeit kochen, nach dem Kinderinsbettbringen noch einen Kuchen backen, etc.
Das erleben, diese Erfahrungen machen, diesen Stress aushalten, das hat a) was für mich mit Elternschaft zu tun und b) sich das gerecht zu teilen, hat für mich was mit gleichberechtigter Elternschaft zu tun.
Alles andere ist für mich Schönwetterelternschaft. Kann man machen, schadet den Kindern nicht, ist nicht verwerflich, hat auch nichts damit zu tun, ob der Elternteil das Kind liebt oder nicht, ist aber eben nicht gleichwertig mit dem was der/die Partner/in leistet und erlebt, wenn er/sie die ganze Palette mit begleitet.
Nach der Kleinkindphase (und dann fortlaufend), ist es für mich eine Überlegung wert, ob man wirklich immer nach dem Geld gehen muss und was das auch langfristig für Effekte hat.
Ja, vielleicht verdient ein Partner an dem Tag mehr, aber wenn es dem „Karriereaufbau“ des anderen Partners dienlich ist (z.B. Probezeit, Konferenz, Möglichkeit gute Kontakte knüpfen, Fortbildung etc.), wieso dann nicht mal die rein betriebswirtschaftlichen Aspekte zugunsten einer zukünftigen beruflichen Entwicklung zurück stecken? Wieso nicht gemeinsam daran arbeiten, dass der 2. Partner langfristig in einer ähnlich guten beruflichen Position ist wie Partner 1?
Ich kenne genau drei Paare, die so handeln. Aus verschiedensten Gründen gibt es da einen Partner der/die deutlich mehr verdient als der/die andere. Dennoch übernimmt der gut verdienende Partner Krankentage oder lässt einen Job sausen (sofern z.B. freiberuflich), um dem anderen Elternteil ein berufliches Aufholen zu ermöglichen.
Rechnet sich oft nicht – sie machen es aber trotzdem. Eben aus den genannten Gründen: gleichberechtigte Partnerschaft und gleichberechtigte Elternschaft, gleichwertige Bindung zum Kind.
Unvorstellbar für die allermeisten (wenn ich wieder in die Antworten auf meinen Tweet schaue): Es gibt gut verdienende Väter, die sich einen Tag mit ihrem kotzenden Kind um die Ohren hauen, während die Mutter (schlechter bezahlt) arbeiten geht.
Für mich persönlich (bitte nochmal oben lesen: mir ist klar, dass ich privilegiert bin wegen der guten Kinderbetreuung, meiner Ausbildung und meines Jobs) habe ich gelernt: Gleichberechtigung in der Partnerschaft und in der Elternschaft bedeuten oft nicht den effizientesten, den effektivsten Weg zu gehen oder die rechnerisch wirtschaftlichste Entscheidung zu treffen.
Und speziell in den Fällen, in denen es wirklich nicht darum geht, ob man am Ende seine Fixkosten gut bezahlen kann, sondern darum, ob man am Ende des Monats 230 oder 320 Euro übrig hat, ist es für mich wirklich nicht nachvollziehbar, warum man(n) sich trotzdem immer auf dem Ich-verdiene-halt-mehr-Argument ausruht.
[1] Ich sehe da eher strukturelle Probleme, an denen auch die Politik noch deutlich drehen könnte, denn wenn Kinderbetreuung nicht da ist, absurd teuer oder qualitativ minderwertig ist, entscheidet man natürlich auf einer völlig anderen Basis als wenn man sein Kind günstig und liebevoll betreut weiß.